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2015.6: Miszelle. Kognitives Design. Mit Dank an
Evgenia Nold. online 24. 12. 2015. 2648 Zeichen.
Was immer man von der Architektur der Wirtschaftuniversität Wien
hält – und ich halte einiges davon, besonders von Zaha Hadids
WU-Bibliothek, die wegen der spärlichen Bücherverwendung als
„Learning Center“ bezeichnet wird – , Design im
konventionelleren Sinn dürfte das Beste des gesamten Campus
sein. Doch ist es weniger die heute fast schon hypertrophe
Oberflächengestaltung der Böden, Wände, Decken und Möbel zu
einem semiotisch-funktionalen „Interface“ stricto sensu;
auch für die Blinden unter uns Sehenden gemäß der
politisch-korrekt irrationalen Ästhetik, dass wir unter den
Sohlen spüren, worauf wir steigen: das Leitsystem. Es sind
Kleinigkeiten, die auffallen, gewissermaßen echte Fortschritte,
wenn man will, Innovationen. Ich meine im Departments-1-Gebäude
von BUSarchitektur unter der Leitung von Laura P. Spinadel den
fünften Stock, die Paneele, die die Wände des langen geraden
Gangs zur Gänze bedecken. Hier werden beige-gefärbte
Hartfaserplatten mit waagrechten Reihen kreisförmiger Löcher
(ca. 5 Millimeter) versetzt. Darüber ebenfalls waagrecht sind
etwa 3mm dicke weiße Bänder montiert. Das visuell affordante
Ergebnis sind Serien von Löchern, deren Kreisform beschnitten
ist:
Das ist nicht gerade „schön“, näher besehen. Es mag auch vielen,
die hier vorbeieilen oder -wandeln, gar nicht erst auffallen.
Doch einmal auf die Irregularität der unguten Gestalt aufmerksam
geworden, ergibt sich dem Betrachter ein sekundärer ästhetischer
Faktor (Gustav Th. Fechner), durch die Erkenntnis gewonnen, dass
man es mit zu einem geringen Teil verdeckten Kreisen zu tun hat.
Habe ich mein Auge der unvollkommenen, kreisähnlichen Form des
Lochs genähert, nehme ich im selben Moment kognitiv wahr,
welchen Sachverhalt das Design produziert. Diese Erkenntnis,
vielleicht noch interpretativ die tertiären Faktoren betreffend,
durch die dieses Design motiviert ist, werden sich fortan
unauslöschlich meiner Wahrnehmung und meinem Gedächtnis
einprägen. Ab sofort ergänzt sich dieser Komplex, eine kognitiv
überlagerte Wahrnehmung tritt in Funktion, durchaus derjenigen
einer ästhetischen Wahrnehmung von Kunstwerken ähnlich, die aber
jederzeit aber in den Hintergrund zurücktreten kann. Dieses
kognitive Design passt zum Ästhetischen unserer Zeit. Seit dem
Verschwinden des letzten hegemonialen architektonischen Stils,
der Postmoderne, herrscht die rationale Zweite Moderne. Mag sie
sich heute auch noch so tolerant gegenüber Phantasie und
architektonischer Dekonstruktion zeigen – , die Kognition als
Gegenstand der Wissenschaften von Neuroästhetik bis zu
sozialwissenschaftlich optimierten tools of conviviality
(Ivan Illich) dominiert.
© Peter Mahr 2015