peter.mahr

2015.5 Criticism commented. Bataclan – eine Verflechtung. Der Schrecken des Terrors lässt uns oft in Distanzlosigkeit erstarren. In solchen Momenten hilft der Blick auf Zusammenhänge, in: Salzburger Nachrichten, 21. November 2015, 8. Mit Dank für Redaktion und Titel an Bernhard Flieher. 4811 Zeichen.

Zum Attentat im Pariser Bataclan lässt sich eine Verbindung herstellen zwischen dem Auftrittsort der Eagles of Death Metal und dem französischen Komponisten Jacques Offenbach, der diesem Ort mit dem Titel einer Operette von 1855 den Namen gab.

Das 1865 eröffnete Grand Café Chinois – Théatre Bataclan“ brachte Operetten und Variété, war ab den 1930er Jahren Kino und ist seit den 1970er Jahren eine Bühne für Acts wie Velvet Underground, Roxy Music, Prince, MC Solaar, Snoop Dogg, Robbie Williams und Metallica. Das Haus befindet sich wie die attackierten Restaurants und das bis heuer im Jänner nahe gelegene Büro von „Charlie Hebdo“ im Pariser Nordosten, der Heimat zahlreicher nordafrikanischer und asiatischer Immigranten, eines großen Teil der Pariser Jugend und vieler in- und ausländischer Künstler.

Mit ihrem harten Rock'n'roll persiflieren die Eagles of the Death Metal Softrock à la „Hotel California“ und das oft allzu ernste Rock-Genre Death Metal. Offenbach parodiert in seiner einaktigen Operette Ba-ta-clan das pompöse militärische Gepräge des Zweiten Kaiserreichs und Opern Meyerbeers und Bellinis. Ohne dass Blut flösse, nehmen Komponist und Band Tradition aufs Korn und vergnügen sich an Zweideutigkeiten mit einem Humor, der auf Kosten Reicher und Mächtiger geht. Diesen Humor vertragen Terroristen nicht. Das machtdurstige Weltbild, für das sie morden, soll ungedeutet bleiben.

Wohl ist der Anschlag auf das Bataclan eine materielle Aktion des „Islamischen Staats“. Zweck ist die Vernichtung Frankreichs. Der Anschlag ist aber auch symbolische Aktion. Ihre Aggression wird durch den Tätern kaum bewussten oder beabsichtigten Ausdruck bedeutsam. Nachdem sie sich an die Opfer richteten („Gott ist größer“), wurden diese in einem Blutbad zu leblosen Zeichen. Sie lauten: Weil wir nicht westliche Popmusik hören durften, nicht mit “französischen“ Kindern spielen, nicht im Café Weltprobleme mitdiskutieren, dürft ihr nun nicht mehr leben. Wir sind „gegen einen ganzen Lebensstil, … gegen die Freiheit zu leben, wie es einem gefällt.“ (Hans Woller, Ö1-Mittagsjournal, 16. 11. 2015)

Die Katastrophe im Bataclan ist der Schrei der hinter den Gewehrsalven stummen Frustrierten, den nun die schreien, denen er angetan wird.

Die Akteure mögen sich ihrer Motive wenig bewusst sein, der Eifersucht, des Neids, der Kränkung, die sie durch ökonomische, kulturelle und urbane Ausschließung erleiden, Motive, die sich eigentlich der Politik als soziale Phänomene seit Langem aufdrängen, seit der Kolonialzeit, der Einwanderung der Gastarbeiter, seit Ayatollah Khomeini.

Ausgeschlossene dulden keine Unterschiede. Ihr Nihilismus ergreift alles. Nicht nur symbolisch werfen sie sich antiägyptisch, antisemitisch und antichinesisch auf die Objekte ihres Hasses. So mag der altägyptische Stiergott Bata und sein “Clan“ ein Dorn im Auge der Koran-Extremisten sein. So könnte der heute restaurierte „chinesische“ Ort auch dem Ressentiment gegen die alte und neue Weltmacht China in die Quere kommen. Und so entstand das Klima für einen Anschlag nach pro-israelischen Veranstaltungen im Haus durch antizionistische Demonstrationen mit Drohungen gegen das Bataclan und seine langjährigen jüdischen Besitzer, bis sie schließlich heuer verkauften und nach Israel emigrierten.

All die Anti-ismen finden Resonanz in Offenbachs Einakter, in dem China von sich chinesisch gebenden Franzosen regiert wird, die auffliegenden Fremdlinge aber heil davonkommen.

Der '“ägyptische'“ Bata-Clan ist der verschwörerische, vom Kommandeur der Kaisergarde angeführte Chor – sind das die Dschihadisten, die sich zu „echten“ Franzosen wandeln könnten? Offenbach wagt als deutscher Jude ein eigenes französisches Theater mit Ba-ta-clan – könnten die jungen immigrantischen „Muselmänner“ ein Theater gründen? Und die Verballhornung des französischen als chinesischen Kaiser wird von einer „chinesischen“ Phantasiesprache begleitet, die wiederum auf die unverständliche Sprache italienischer Opern in Paris anspielt – könnte Arabisch als nicht ernst genommene Fremdsprache auch in Frankreich Anerkennung finden?

Offenbach setzt seine Bezugnahmen so humorvoll, dass wohl der attackierte Napoleon III. selbst lachen konnte. Der mitreißende, pompöse „Ba-ta-clan“-Marsch bewegt den chinesischen Kaiser, die vermeintlichen Verschwörer zum Tod zu verurteilen. Die Musik aber ist mächtiger. Als die verurteilte Prinzessin auf Französisch singt, erkennt der Kaiser seine Landsleute und gibt sich selbst als Franzose zu erkennen. Alle drei befreien sich von der Verschwörung und kehren in das lebenslustige Frankreich zurück.

Vielleicht muss man mit den europäischen Gotteskriegern so weit ins Gespräch kommen, dass sie ihre symbolischen Aktionen voll verbalisieren und ihre materiellen tödlichen ganz aufgeben können. Einsicht in die Kunst wäre ein Teil davon.

© Peter Mahr 2015

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