peter.mahr

<2015.2>: Criticism commented
. Brief an FM4 vom 28. Jänner 1997 mit einem verwunderten Nachwort zum 20. Geburtstag am 16. 1. 2015. 88.753 Zeichen. online 17. 1. 2015. html

Wien, 28. Jänner 1997

Liebe FM4-Redakteure!

Ich schicke Euch meine Beobachtungen von FM4 <1>, die meine Skepsis, Ablehnung, viel mehr jedoch meine Begeisterung und Zustimmung für Eure Arbeit darstellen sollen. Ich riskiere damit, mich nicht nur beliebt machen. Unfrieden, Streit <2> scheint aber auch sonst unvermeidbar zu sein. Wie sollen sich Geier <3>, Wu+ <4> und BTO Sp. <5> und Liquid Radio <6> nicht in die Haare kriegen, wenn jeder eigentlich Anspruch auf das neue Ding <7> anmelden könnte? Ist das für den Rock in Heart Beat <8> und House of Pain <9> relevant? FM4 hat aber mehr zu verlieren - steht doch Avantgarde <10> nicht nur in Sachen allgemeineren Musikgeschmacks <11>, sondern auch im Bereich der Wortbeiträge und den damit verbundenen Welten der Jugendkultur <12>, Homebase <13>, von Im Sumpf <14> und Jugendzimmer <15> auf dem Spiel. Vor diesem Hintergrund sind die Talk-Shows von Blumenau <16><17><18>, Salon Helga oder Radio Blume <19><20> und Projekt X <21> zu diskutieren. Nicht zu vergessen die Kompilationen und Übertragungen <22>, Technisches <23>. Was bleibt, ist die Frage nach einem Gesamtkonzept, mit dem FM4 den Untergang des ORF programmatisch <24> und wirtschaftlich <25> überleben kann. Dazu sollte eine deutlichere Positionierung gegenüber Ö3 nicht schaden <26>. Daß FM4 aus den Kämpfen der kommenden Jahren gestärkt hervorgehe, das wünsche ich mir und Euch

herzlich

Peter Mahr

p.s. Eine Kopie dieses Briefes übermittle ich zeitgleich an Doris Knecht und Thomas Rottenberg im Falter.

    <0 (neu 2015)> Vorbemerkung.
    <1> Methode
    <2> Streit/Moral, neue Gattungen
    <3> Geier
    <4> Wu +
    <5> BTO Sp.
    <6> Liquid Radio
    <7> Drum&Bass
    <8> Heart Beat
    <9> House of Pain
    <10> Avantgarde
    <11> Musik (Gästezimmer vs. Ideologie FM4)
    <12> Jugendkultur
    <13> HomeBase (Scanner, In Deep)
    <14> Im Sumpf mit Graue Lagune (Pop Museum)
    <15> Jugendzimmer
    <16> Nastie Girlie Show
    <17> Zimmer Service/Bonus Track
    <18> Charts
    <19> Radio Blume
    <20> Salon Helga
    <21> Projekt X
    <22> Kompilationen, Übertragungen, Wertungen, einschließlich einer allgemeinen Bemerkung zu Spaßkultur und Neue Linke
    <23> Gesamtkonzept programmatisch (nach des ORF Untergang, der schon besiegelt ist, ja seinen point of no return überschritten hat)
    <24> Gesamtkonzept wirtschaftlich (nach des ORF Untergang, der schon besiegelt ist, ja seinen point of no return überschritten hat)
    <25> Ö3 (Ö1, Ö2)
    <26> Technik/Moderation: Jingles, FM4-News
    <27 (neu 2015)> Verwundertes Nachwort

    <0 (neu 2015)> Vorbemerkung. Von dem Brief aus 1997 wurden nur die orthographischen Fehler korrigiert. Da mir 1997 keine Email-Adressen bekannt waren, schickte ich Brief im Print-Out in die Argentinierstraße. Der Brief erreichte manche nicht, daher jetzt die digitale Form.

    <1> Ich habe insbesondere folgende vier Wochen einer Beobachtung gewidmet: 11. - 17. September 1995, 1. - 7. Jänner 1996, 1. - 7. Juli 1996 und 6. - 12. Jänner 1997. Ich habe keine Hintergrundrecherche angestellt, keine Interviews mit FM4-Redakteuren geführt, noch ClubÖ3 oder andere Zeitschriften gelesen. Es geht mir einerseits um Dinge, die sowieso auffallen, andererseits darum, mich selbst auf Ausdauer zu testen. Klar, daß das Ziel eines Radioprogramms darin besteht, daß möglichst viele Zuhörer möglichst lang das Programm bei mäßiger (nicht konstant maximaler) Aufmerksamkeit eingeschaltet lassen. So gesehen bin ich mir natürlich bewußt, daß ein beobachtender Hörer kein idealer Hörer ist, zumal wenn seine Aussagen repräsentativ sein wollen. Weiters: wer sagt, daß seit Georges Devereux' Zeiten Beobachtung nur als teilnehmende Beobachtung gerechtfertigt ist, vergißt, daß es neben der soziologischen Beobachtung auch noch eine ästhetische/informationelle Beobachtung gibt. Ich habe daher - wie das untouchable Gewissen, die Zensurbehörde - weder wegen Tickets, Gutscheinen oder (obwohl hier noch am ehesten Teilnahme möglich wäre) Small Talk angerufen, noch versucht, ein Jugendzimmer oder eine Blume zu bekommen. Bei 48 Stunden Programm pro Woche scheint die Sehnsucht nach der spannenden Sendung, wie sie noch zu MusicBox-, ZickZack- und Nachtexpresszeiten erfüllt werden konnte, schon durch die eigene Aufnahmefähigkeit überholt zu sein. Dennoch halte ich an der Devise von message (good news/good music) und nicht nur medium fest. Es ging mir also bei meinen FM4-Hörungen nicht um die Überprüfung der Hypothese Gesamtkunstwerk, aber doch der Hypothese gelingender Sendung.

    <2> Streitkultur. Mit der Konzeption von FM4 ging das Image eines Senders für Musik einher. Ich weiß nicht, ob das mit der bloßen Füllungserfordernis der Zeit oder mit einem strukturell neuen Stadium der Radiotechnologie zu tun hat. Ich glaube aber, daß zeitgenössische Radiotechnologie - Produzieren: neue Hausmusik, Senden: Handy, Telefon - kommerziell in den Privatraum gedrungen ist und in der Form der "Musik"-Unterhaltung Bestandteil des Privatraums auch ohne öffentliche (wie "private") Sender ist. Wenn Unterhaltung, sei's auch private, über Musik kodiert ist, dann darf es nicht wundern, wenn Veränderungen, Konflikte, Streit musikprogrammatisch ausgetragen werden. Ich weiß, daß der Musikmarkt von größeren Bereichen in kleinere, dafür umso zahlreichere Nischen übergegangen ist (egal, ob damit der Gesamtumsatz steigert werden kann). Ob daher alternative Musik mehreren marginalen Gruppen zugeordnet werden kann (in globalisierten, weniger tradional bestimmten forgeschrittenen Gesellschaften: Afro American, Afro Europeans, Kaukasier, Latin Americans, Arbeiter, höherer, niederer Mittelstand, Angestellte), ist sozial nicht determiniert und für die von der Diffusion erreichten, konsumierenden Randkulturen wie Österreich umso weniger verbindlich. Von daher ist jede ideologisch aufgeladene Auseinandersetzung in Österreich lächerlicher Appendix. Wieso sind Drum&Bass aus London der Referenzpunkt politischer Kraft, wenn in Österreich ein paar intelligente Jungs (leider keine Frauen) ihre ästhetischen Konsequenzen aus einer politisch gleichgültig werdenden Musikkultur Techno/HipHop ziehen wie Pulsinger&Tunakan, Kruder&Dorfmeister, Just oder DSL und damit (auch kommerziell) erfolgreich sind. In Oakland war eine schwarze Radiostation unermüdlich bemüht, En Vogues Single so lange zu feiern (oft ein paar Mal am Abend), bis der Durchbruch zum Megahit gelungen war (ohne daß dabei nur kommerzielle Interessen den Ausschlag gaben). Bei aller notwendigen Streitkultur in der Modifikation eines statischen Sendeschemas darf nicht vergessen werden, daß, wo auch immer, FM4 sich einmal brüsten könnte, Pulsinger hinaufkatapultiert zu haben. Aber in Österreich kommt eben alles Gute von außen, besonders in der Alternativ-Musik, wo sich bei einigen FM4-Redakteuren tatsächlich beträchtlicher Geschmack entwickelt hat. Dennoch verbirgt der Streit um neue Gattungen einen anderen Konflikt, denjenigen um Inhalte, die nicht nur musikalisch kodiert bleiben dürfen (Geier), sondern die anscheinend vielfach in der Redaktion erkämpft werden müssen. Darf man noch von kritischem Radio reden? Immanuel Kants Aufforderung aude sapere bleibt auch für viele Homebases aufrecht. - Wo wenig Geld ist, gerät die Ware in den Vordergrund. CDs vor redaktioneller Arbeit, "Fun" vor Vermittlung. Da dies keine basale Entscheidung erfordert, wäre zu wünschen, daß FM4 sich zu einer Entscheidung und entsprechenden Investitionen aufrafft. Dahinwurschteln ist die Alternative der Mutlosen. Auch das erfordert Kultur, die des Erstreitens.

    <3> Moderator Werner Geier baut um für die Diskussion in Tribe Vibes Dope Beats. Claudia Czesch mahnt: "Don't shit where you eat, my friend." Die Hiphop-Spitze Österreichs ist versammelt. Woher, wohin, wozu? Zuerst kommen 20 Minuten lang die besten Hits, aber ohne daß Musiker oder Titel genannt würden. Geier: "nur ein Label, zu wenig Platten", dann tun wir das Gespräch ein bißchen einstellen; Techno ist stärker. Streets. Gibts in Wien überhaupt Straßen, eher Gasserl, Bankerl. Hip Hop = böse sein und in der Ecke stehen? - österreich hätte die Chance, wie Schönheitsfehler und Dampfendes Ei innovativ zu sein durch Hereinnahme von Djungle oder Schrägem. - Hip Hop als soziale Einstellung werde oft vergessen. Dann: Wie sollte die Sendung aussehen? Axel Raab: mit der großen Plattenfirma MCA zu arbeiten. Christoph Weiss: "Wir sind am Anfang", Dampfendes Ei sei hintergründig politisch, Hip Hop schwarze Musik. Sehr oft werde Wien mit Österreich gleichgesetzt "Linz ist auch Wien" (wirkt so bei Veranstaltungsankündigungen). Einer der Untergrundpoeten: Braucht es Gewalt, um amerikanische Rapper nachzuahmen? ... Meines Erachtens wäre eine echte Diskussion, wie auch schon angedeutet, nur zwischen den Genres zu haben! Geier müßte sich nicht nur als Moderator etwas zurücknehmen. Zum Schluß "alle ganz still geworden", kein Wunder bei dieser kollektiven, nationalen Selbstbezichtigung. Etwas diskutieren und Bedingungen schaffen dafür, das ist nicht dasselbe, Herr Geier! Und dann, wo sind Attwenger und die neue Volksmusik, die Wiener Gruppe mit Jandl und Falco in dieser Diskussion. - Österreich ist eben anders. Wenn schon kulturelle Bedingungen, dann ein kulturelles Umfeld, welches das Radio hörbar transparent machen könnte! Wo sind denn die Reportagen, wie die Szene in den USA wirklich aussieht (nämlich sehr von der allgemeinen Öffentlichkeit abgespalten)? Welche Bücher werden geschrieben, welche Romane (Eva Umbauer liest solche in ihrem Bereich)? Und was wäre daran, einmal sich die Thesen des Rap-Philosophen Richard Shusterman vorknüpfen (erst vor kurzem als ein Fischer Taschenbuch übersetzt)? Hier könnte ein Sendungskonzept mit der Zeit wachsen. Tut es das auch, indem (9. 1. 97 ) mit Rough Mix aus Music-Box-Zeiten (als "Future Department ... sexy and funky jede zweite Woche") "Kurskorrekturen" erfolgen sollen? Wir werden hören. --- Tatsächlich hat Tribe Vibes seine großen Meriten. Es hat DSL wesentlich zur Publizität verholfen, ja bei breitestem Publikum aufgebaut. Daß er zum beliebtesten DJ Deutschlands avancierte (Spex für 1995), geht daher wesentlich aufs Konto von Tribe Vibes (was in keiner Bilanz fehlen dürfte). Für jemand wie mich, kommt dazu der Exotismus, in eine Welt einzutauchen, die so fremd wie die Seychellen ist (ich habe nur einmal Queen Latifah in einem sehr mäßigen Konzert gesehen). Geier kann interviewen, etwa Stefan (?) von K7, von dem dann fast in Liquid-Radio-Manier Free Style File vol.1 als Kunden-Weihnachtsgeschenk abgespielt wird. Es gibt aber auch Interviews wie in der Home Base mit Derrick<?> Clay. Geier: "hört sich ein bißchen wie Ca of Faces an?" "Does it really?" Später bietet ihm Geier Gegenmode an (╪ djungle, Techno ...). Clay beißt an. Sein "yeah, bum, bum, bum", das Techno karikieren soll, ist aber so gut nachgemacht, daß man wieder an Techno glauben müßte, entgegen Geiers Intention. Die Rede kommt auf den politischen Auftrag der Musik. Clay (über die Welt?): "they are playing with fire on massive scale..." - geier: "so <!!!> garry clay will play tonight at Szene Wien.

    <4> La boum de luxe hat 1 1/2 Stunden mehr Sendezeit als Heart Beat, High Spirit, House of Pain oder Tribe Vibes zur Verfügung (so wie Karl Löbls Lieben Sie Klassik? als einzige Sendung von Ö1 60 Minuten zur Verfügung hatte). Die Musik ist teilweise phantastisch gut, sogar manchmal als Hintergrundmusik beim moderierten Teil. Dem DJing als integraler Bestandteil von Techno wird Rechnung getragen, indem zwei DJs je eine Stunde bestreiten. Das Grundproblem der Sendung ist, daß es eine Redaktion mit Vorgaben für die Moderatoren gibt. Redakteure waren zuerst Martin Pieper, Mirjam Unger, dann Heinz Reich, und Hans Wu von Anfang an. Im Lauf der Zeit stellt sich heraus, daß die anonymen Stimmen der Ansagen um 0 und 1 Uhr den Redakteuren gehört (die Moderatoren sind schon um 23 Uhr entlassen). Wu hätte die Sache auch als Moderator gleich richtig in die Hand nehmen müssen. Er ist derjenige, der sich musikalisch, technologisch und hintergrundsmäßig am besten auszukennen scheint. Ein Jammer, daß er meint, er könne nicht gut genug sprechen. Daher die Malaise, daß die Inhalte redaktionell vorgegeben sind und die ModeratorInnen (Quote?) nicht mehr initiativ zu sein brauchen, ja von den anwesenden Redakteuren kontrolliert, zugleich konsumiert werden. DJax Tina 303 bringt das in ihrer ganzen Haltung der Wurschtigkeit zum Ausdruck. Dazu kommt, daß DJs im Grunde kein Interesse daran haben, wertvolle Information an viele weiterzugeben. Tomcek andererseits als Club-Host zehrt zu sehr von seiner Show-Eitelkeit, als daß man ihn zu mehr Qualität bitten könnte. Für beide gilt letztlich: conflict of interest in der Terminauswahl bzw. Terminpräsentation; Tina zum live anrufenden Linzer Geschäftseröffner, "hinterlasse die Nummer, damit ich dich zurückrufen kann", was nichts in der Sendung (5. 1. 96) verloren hat! Das hat noch kaum einer Sache gut getan. Man komme mir nicht damit, daß die Szene zu klein ist. Auch die anderen Departments haben nicht Musiker/Veranstalter als Sendungsmacher (Ausnahme Robert Rotifer bei Heart Beat, dessen Electric Eels aber nicht so viel Rolle spielten). --- Oft werden nur Hinweise gebracht. Berichte, Reportagen, Diskussionen, Glossen, voraufgezeichnete oder auch live geführte Interviews - kurz das ganze journalistische Arsenal fehlt fast vollständig. Die "Beiträge" - bösartigerweise könnte man sagen: dem Horizont der ModeratorInnen angepasst - sind: House-Clubs (H.A.P.P.Y., Heaven etc.), das Outfit der DJs. Als ob nicht Freitag letztlich mit der musikalischen Bewältigung des Plattenauflagens steht oder fällt. Clubs wären somit in erster Linie in der Reihenfolge und dem tatsächlichen Auftreten der DJs und der auch musikalischen Übergabe, also ihrer Leistung zu beurteilen (aber es gibt ja dort nicht einmal einen aushängenden Zeitplan wie in vielen anderen Städten); und das Optische überhaupt betrifft nicht nur die Mode, sondern die Show (etwa die von LX, der als Gast wie Pure tabu zu sein scheint. Gabba-Verbot?) und das "bühnentechnische" Setting, das mit Ausnahme von Volksgarten und natürlich Gasometer unter jeder Kritik ist (Flex, Mekka, Xs). Ein kurzer Einblick in die kroatische DJ-Szene war der einzige Bericht vieler Sendungen - und das wahrscheinlich nur, weil zwei DJs mit FM4 Kontakt aufnahmen und nicht umgekehrt. Erfrischend dann Tinas Kurzdefintion von Techno: "schreibt's euch hinter die Ohrwaschln:" bass drum, Hi-hat, claps und sounds (wie richtig auch immer). Von Tina gäbe es aber insgesamt Qualifizierteres zu hören. Man schlage nur einmal das Techno-Fanzine Envelope auf: dort schreibt sie qualifizierte Plattenkritiken - die auf FM4 keine Heimstatt finden sollen? Bleiben also die Termine deswegen zu moderieren, weil es nur Eintrittskarten und keine Platten zu vergeben gibt? Dennoch braucht es nicht ganze Sendungen zu geben, die ein einziger langer Terminkalender sind. Langweilig, und für Techno ein Armutszeugnis. Wo bleibt eine Diskussion wie diejenige von Oliver Marchart: Ambient im White Cube. Über Künstler, DJs und Kuratoren-Club Hosts, in: Springer, Okt./Nov. 1996, S.24-29, wo die Funktion der Techno-Arbeiter als "Realitäts-Scouts für das Kunstsystem"27 analysiert wird. Tomcek wäre das sicher zu hoch, wenn ich an seine geistfeindlichen Bemerkungen zu einem Symposium im WUK zurückdenke. --- Musikalisch hat La boume de luxe Techno zu eng gefasst. House fiel eigentlich zwischen der Freitag- und der Dienstag-Schiene durch, was mich nicht wirklich gestört hat, da Techno vielfältig genug war. Aber schon die Hereinnahme von Electro oder Djungle hätte in jene Richtung mehr Offenheit in der Auswahl der DJs erfordert. Slack Hippie, des Techno-DJs Bestes von 96 sind denn auch demonstrativ Djungle-Tracks (Jänner 97). Andererseits wäre House auch stärker für Silly Solid Swound System in Frage gekommen (etwa Musik von Steve Batchelor 15. 9. 95). Viele Gast-DJs brachten ausgezeichnte Musik. Allein hier ist die musikalische Information unschätzbar, auch wenn selten ganz große Acts auflegten. Toll der fingierte Plattenverrutscher am 5. 1. 96. Wo sonst außer bei Techno (oder Hip Hop) wäre das möglich - wo sonst, außer auf FM4. Nicht nur hier, aber auch hier könnte ich mir vorstellen, daß der Sender international bahnbrechende Arbeit leistet. Ist dem so? Wenn ja, ließe sich das nicht verkaufen? Zumindest ein vergleichender Bericht über Jugend-Kanäle. Wogegen Techno-Charts willkürlich und lächerlich wirken. Sie gehen in eine Richung, in die La boume glücklicherweise nie gegangen ist: kommerzielles Techno. Es klingt wie die Vorstellung neuer Platten, altmodisch. Immerhin bringt es etwas von der Mangelware Information mit sich. Ein weiterer Grund, Journalisten-Moderatoren zu bevorzugen, wäre die Verpöntheit unter DJs, sich mit CDs zu beschäftigen (weil: können nicht mehr interpetiert werden durch plötzliches Einsetzen, durch Verlangsamen, Beschleunigen und wechelseitiges Anpassen). Daß hier der Markt für Otto Normalverbaucher vollständig unberücksichtigt bleibt, ist ein Versäumnis, das nur mit mangelnder Professionalität erklärt werden kann. --- Tina kriegt keine Leserbriefe und beklagt sich darüber. Das bestätigt den niederen Kommunikationsgrad, das Insidertum der Sendung. So ist es kein Wunder, wenn (aus den Bundesländern) keine Flyer geschickt werden und die Veranstalter nicht anrufen. Manchmal ruft nach Laune ein Raver an. Wenn ich als Veranstalter mit Tina nicht sprechen wollte - ob aus mangelnder Sympathie oder auch anderen Gründen, sei dahingestellt - dann werde ich auch weniger geneigt sein anzukündigen, vom Werbeeffekt einmal abgesehen. --- Tina: "Heinz <Reich>, hast du etwas zu sagen? Nein." - "Nur: Herzliche Gratulation!" Das war am 10. 1. 97. Und schon wieder folgte dieser billige Konservenapplaus, wie er schon im Bricks gegen Ende der live Weihnachtssendung am Wochenende vor dem Heiligen Abend 1996 wegen schrumpfendem Live-Publikum zu hören war. Auch Slack Hippy heizte nur am Beginn ein. Eine seiner guten Nummern war dann die vom sattelfesten Moderator Tomcek eingesagte Christopher Just (Norway One Denmark Two Sweden three ... Eight ... People). Geschenk über 600 S von Turek, Franz Otto, du hast den dritten Preis gewonnen, für dein schlechtestes Weihnachtsgeschenk, Gewinn Nr.2, für die defekte CD RayBan-Brillen, wie Schmeißfliegenaugen, sagt Reich, der die Brillen ausprobiert, obwohl sie ihm gar nicht gehören, Brigitte Stegmüller, 1. Preis für ihr schlechtestes Weihnachtsgeschenk Bon Jovi, eine Reise mit Lauda Air in europäische Stadt, London ihre Wahl.

    <5> Alles und immer Sehnsucht ... aus den großen Städten heraus, verklingen, und wieder ein Anlauf. High Spirits. Wird BTO Spider jetzt immer allein moderieren (12.9.95)? Dabei haben Claudia Czesch und er sich zu tollen Dialogen gesteigert. Ich würde es aber einmal doch in diese Richtung verstehen: Spider wiederholt die Unsitte, Frauen wie in Radio Blume nicht zu Wort kommen zu lassen. --- "... hat sich vom Saulus zum Paulus gewandelt." BTO Spider kommt nicht aus Kagran, das ist klar. Und daß er auch mit Hintergrund-Informationen (wenn auch spärlich) kommt, macht die Angelegenheit spannend. Ich verstehe davon zwar nichts, es gibt mir aber das Gefühl, von einem Experten unterwiesen zu werden (Spider's soft lesson). Das Angenehme an Spider ist, trotz eines thematischen Schwerpunktes einen undogmatischen Geist zu spüren - keine Rancune etwa bei der Ankündigung des vom Charlie Hunter Trio gecoverten Come As You Are. Oder: "DJ Neil mit Italien-Preisvorteil"!!! SEHR GUT!!! In Sachen Tanzschritt, DJ Osterm., lerne er schleunigst etwas hinzu in Sachen body, sonst wird er seinem Buben, der gerade früh aufstehen lernt, so oldiehaft vorkommen wie unsere Väter uns. --- High Spirits und La Boume De Luxe sind nicht zuletzt über den Tanzschritt verwandt. So konnte ich jetzt neben Rock- und Disco-Schritt auch den House/Techno-Schritt dazulernen: wie sehr doch dieser an das Hin und Her von In-Line-Skating angelehnt ist! Tanzen als Fortbewegungsmittel? Immer wieder steht man bei manchen Nummern (auch bei Claudia Czesch im Sommer) gern aus dem Sessel auf und schwingt das Tanzbein. --- Jungle-Leiste (1.6.96) und Live DJing zeigen dann die natürliche Verwandtschaft mit La Boum de luxe, Tribe Vibes an. Weite geschmackssichere Interessen bringen Exkurse in alte Musik wie Soul, Rhythm & Blues, dann eher die allgemeine große Linie. Schon vor den bestellten DJs war die Musik aber erst nach 23 Uhr wirklich gut, die Hinwendung zur Nacht, mit ihr langsamere, konstantere grooves, eine neue Musik zum Träumen, für Zärtlichkeit ... besonders 11.40 am 2.7.96 <was?> Dirty Harry presents Dimensions, von DJ Niels gespielt, insgesamt sehr guter House. Oder am 7.1.97 Wonderful Productions mit From Disco To Disco ("ein Song, der in seiner Kaputtheit ganz gut ins FM4-Studio paßt") oder Egypt Boys, ("alles live gespielt - interessant") Roll Over and Snoare - in der Tat, wäre nicht entgegen allen technologischen developments einmal das Gedankenexperiment anzustellen, ob nicht bis hin zu Techno und Drum&Bass das meiste von einer Band aufgeführt werden könnte. Oder die super Gitarre von Rom Antony's I can't Hold it. Obwohl Spider kein eingeführter Live DJ ist, merkt man, welche Talente er in dieser Richtung hätte. Nur ein DJ, der besser als Sonic ist, könnte mit Spiders Mix mithalten: es ist gerade die geschickte Reihung von individuell eingenständigen Nummern, die trotz gleichem Tempo nicht verschmieren wie bei Profi-DJs manchmal. Verblüffend jedoch der erste track von Sonics Set, in dem eine schwarze Frauenstimme wie mit Trompete gemorpht klang. Auch das ist basale Informationsarbeit, die bei Transparenz die Musik selbst leistet, wenn sie vom DJ nur richtig präsentiert wird.

    <6> Liquid Radio. Dieses Radio war, gegen harte Beats, einer Verflüssigung der musikalischen Zeit gewidmet. Flüssiges war aber nicht nur dem freieren Metrum, sondern auch dem Experiment von sounds geschuldet, wie es 1995 noch mit und gegen Techno als "Chill Out Zone" einer ganzen Radiowoche fungieren sollte. Undefinierbare Musik, manchmal ambient, aber nicht nur ... abstract beats, D&B, Labels, Neues, das nicht besprochen werden muß (wenn nur in anderem Rahmen auch Information darüber käme). Hier darf nicht nur die Musik beinahe anonym bleiben, sondern auch die diensthabenden Ansager, erkennbar über ihre Stimmen: Rotifer, Makossa, Geier.

    <7> Doris Knecht schreibt "Denn um ja keinen genreübergreifenden Diskurs einreißen zu lassen und dem Hörer eine eventuelle Erweiterung seines musikalischen Geschmackes zu ersparen, markiert ab 22 Uhr vom Geier bis zum Fuchs jedes Tier sein Revier." D. K., Alles wird gut, in: Falter 1-2/95, pp.22+51, hier p.22. - Aristoteles hat, zur Einteilung der Dinge, Gattung gegenüber den von ihr umfassten Arten als dasjenige definiert, was die spezifischen Merkmale dieser unterscheidbarer Arten nicht enthält. Kunsttheoretisch macht nun - im Laufe des 18. Jahrhunderts - eine neue Gattung aus, was nicht nur nachahmenswert exemplarisch ist, sondern als solches neue Arten generieren läßt. Eine neue Gattung ist daher immer bereits am Sprung, neue Gattungen zu erzeugen und nicht nur mehrere Arten beruhigt nebeneinander bestehen zu lassen. Vom Standpunkt dieser vorweggenommenen Zukunft gilt für den Übergangsprozeß der Erzeugung gerade nicht das Gesetz der Gattung - Gattungen dürfen nicht vermischt werden - , sondern das Gegenteil. Nach Jacques Derrida gehorcht das Gesetz der Gattung einer parasitären Ökonomie, einer Unreinheit, die einer Teilnahme ohne Teilsein von etwas entspricht (J. D., The Law of Genre, in: Glyph 7 (1980), pp.202-229. --- Drum&Bass hat etwas Dunkles, Gehetztes an sich - film noir, Kriminal. Immer am Weg sein, nie ankommen, wie im Netz. Drum&Bass mit seiner Umgebung Techno, Ambient, Dub, Djungle, Easy Listening, Ragga, Reggae, Acid und Free Jazz. Ein neues Genre? Eines ist sicher, D&B könnte als die genuine Fortsetzung von Rockmusik verstanden werden. Rock war und ist nichts anderes als die nun weiter frei gesetzte rhythm section von Schlagzeug und Bassgitarre. Ich habe D&B auch schon früher erfunden: ein nicht aspiriertes T für das snare drum und ein schnelles Zungen-vom-oberen-Gaumen-Wegreißen (= Schmatzen) bei geschlossenem Mund für die bass drum. So konnte ich die heißesten und vertracktesten Rhythmen schnalzen und stößeln, schneller als ich je dem Schlagzeug beizukommen in der Lage sein würde. Will man D&B historisch situieren, dann gäbe es dafür Elemente zwischen Jazz Rock (Wheather Report's I Sing the Body Electric, weswegen auch Leute wie Billy Cobham und alle Jazz-Rocker(-Schlagzeuger) der 80er Jahre abgelehnt wurden; dagegen Return to Forever) und Rock Jazz (Michael Shrieve auf Santana's Welcome). Das ist heute nicht gefragt. Noch immer muß die glänzende Epoche von Byrds bis Supertramp als Watschenmann herhalten. Zurecht, wenn man an die Korrumpierbarkeit der Gruppen denkt, die sich meist dekadenlange Karrieren verordneten, ohne mehr als drei Jahre innovativ zu sein. Und wenn sie es waren, dann als Abstieg in den Kommerz (Dylan, mittlere 70er Jahre) und Erstarrung in der maniera bis zur Selbstinterpretation wie bei Oscar Peterson (Led Zeppelin, Who). Damit war "live" ausgehöhlt, die Live-Platte Leere zum Quadrat. Auch Punk konnte diesem Virus keine dauernde Tradition entgegensetzen. Mit seinen Destruktionsakten wurden nun aber nicht mehr nur einzelne Musikinstrumente, sondern das Musikinstrument überhaupt zurückgelassen. Handliche Synthies waren nun die unbeweglichen maschinellen Partner auf der Bühne von New Wave, Hip Hop und den New Romantics. Und selbst für Metal drang Digitalität in die E-Gitarren ein. Doch die Opposition zur Vokalmusik bestätigt nur, daß sich die neue Instrumentalmusik D&B gegenüber Pop sich einer neuen Form der ernsten Musik annähert. Schon klar auch, daß D&B von Djungle herkommt, vor allem von der steigenden - hergestellten, das heißt nicht praktizierten - Virtuosität des Umgangs mit den verbesserten sampling devices. Eine Generation wird ein bißchen älter, tanzfauler, acidmüde, musikalisch anspruchsvoller. Konnten die DJs dem Tanzen zu Techno nur zuschauen, so haben sie jetzt bei den kürzeren Track auch den besseren Hörgenuß. Tanzbar ist D&B sowieso. Die latente Avantgarde, die Tendenz zur E-Musik versteht sich so wie bei Techno durch Abstract Beats (non-representational music), die enorme Spezialisierung der Praxisexperten und die Marginalisierung der Künstler in Enklaven abseits der Kommerzialität, die von der politischen Marginalisierung (afroeuropean community etc.) unabhängig ist aber unterstützt wird.

    <8> Brit-Rock-Pop klingt nach purem Manierismus. Der beanspruchten Authentizität ist nicht über den Weg zu trauen. Dann aber eine Nummer von Blur, The greatest Gape: gutes Basswork, sehr gut ausrangiert, nicht auf Erfolg schielend, Gesang+, rhythmisch durchgearbeitet. Schwer etwas dagegen zu sagen, Herr Ostermayer, auch wenn vieles irgendwie gleich klingt. Könnte man nicht die Musik so behandeln, als ob sie eben jetzt entstände - also sie als traditionale Musikform betrachten, die keine Tradition, keine Geschichte hat?! Heart Beat, die Sendung ist auch mit Disko-Einlagen gut. Ansonsten gibt es keinen Grund, Eva Umbauer zu verstecken: "Eva ist nicht da, sie ist in Los Angeles" ... "Nächste Woche bin ich schon wieder da, weil Eva noch immer nicht zurück ist." - erspart uns schlechte Koordination! "was sich hier so leise heranschleicht", ist nicht leise, sondern nur ohne Metrum. Der Begriff "leise" wäre an Pentangle oder der Incredible String Band zu messen! "... aber Geschwisterduos sind ja immer gut ..." Ja, wirklich??? "wurden vom Alternative Circus in diesem Jahr nicht so umarmt, wie sie's verdient hätten." Umbauer ist manchmal unachtsam, versucht dann die Fehler zum Positiven zu wenden. Es muß auch nicht in jeder Sendung Anrufe geben. Dem weiblich Enigmatischen Umbauers entsprechen vielmehr Briefe. Immer ein kleiner Schuß Melancholie, meist aufgeräumte Stimmung, Geschmack sowieso immer. Wieso muß sie Henryk Korecki, den neuromantischen E-Musiker, kennen, wenn Indie und Britpop selbst so dogmatisch daherkommen? Eva Umbauer ist in Gefahr, sich diesem Dogma auszuliefern. Wo bleibt der breite und doch so individuelle Geschmack der Nachtexpress-Zeiten, der einen Spielraum für Musikzusammenstellung ließ, wie sie Heart Beat nicht erreichen kann? Dennoch müssen Umbauer (und auch Rotifer, wieder!) von der drohenden Emigration abgehalten werden: sie hätten recht, immer diese ewigen Nörgler in Österreich! Zudem gilt bei ihnen wie bei den meisten anderen: Lebendigsein ist nur mit Reportage und Recherche zu haben, und diese umfassende Kenntnis und Liebe eines Teilbereichs wäre so manchen anderen FM4-Redakteuren zu wünschen. --- Blur wittern Tendenz, etwa 70er Jahre Hard Rock mit Punk-Einschnitt, und mischen sie in Selbststyling ein - wäre nicht aufgrund einer derartigen Anverwandlungsintelligenz die Alternative Rock à la Eva Umbauer vielleicht doch noch das Zentrum des Diskurses? Das Dogma von Indie&Alternative als eine nicht-schnelle Musik (gegenüber Metal?) fällt auf. Geschwindigkeitsundogmatische Musik, wo bist du? Offensichtlich gibt es keine Geschwindigkeitsuniversalisten wie Hendrix mehr?

    <9> Es gibt verschiedene Verwendungsweisen von Musik im Radio: Untermalung (Homebase), Kopplung, Landschaft (Spezialsendungen ab 22 Uhr), Konzert etc. - am wenigsten aber Musikanalyse! Das ist auch nicht so leicht zu haben, man müßte schon einen eigenen Beitrag vorbereiten (oder schreiben). Dazu gehörte das Explizit-Machen von Kenntnissen, gerade auch Metal hat eine längere Tradition, die wesentlich an Techno oder Indie beteiligt ist. Verbindungen zwischen den Gattungen - im Jänner 96 z.B. bringt Hannes Eder Therapy im Djungle Remix von "Loose" (la boume) - werden gerade hier langsam sichtbar, ohne daß Blumenau gleich das Recht hat, jenen Wunsch eines House-of-Pain-Hörers im Zimmer-Service ostentativ nicht zu erfüllen, weil er sich über den HipHop der Fugees bei Hannes Eders House of Pain beschwerte (wieso geht aber diese Rückmeldung zu Blumenau und nicht (?) zu Eder?). Indem diese Verbindungen tatsächlich bestehen, muß beständig auf den Zusammenhang in statu nascendi geachtet werden. Es kann also sein, daß die Karten früher neu gemischt werden müssen, als der FM4-Chefredaktion und den Ressortbetreuern lieb ist. Der Teamgeist wird jedenfalls auf die Folter gespannt werden. Überhaupt würde ich mir - etwa zur Überwindung der Sparten, zur Abwehr von Vorrangansprüchen anderer Sektoren wie Techno oder D&B - mehr diskursive Bewußtheit wünschen. Das begänne schon mit der klar ausgesprochenen Nennung der Band und des Titels (des Albums). Dazu kommt, daß in House of Pain nur Männer anrufen, blöde Gespräche führen, an den Insiderverein der Ö1-Jazznacht erinnern. - Zeigt das den Tod von Heavy Metal an, entsprechend demjenigen des Jazz, den Behrendt für das Ende der 70er Jahre konstatierte? Born dead born asian born jewish born latino born black born dead. Der Vorteil: Der Affekt der Angst, des Schreckens, der Qual wird benannt, bleibt nicht abstrakt erhaben wie bei Techno. 3. 7. 96: Christian Fuchs interviewt Kurzmann, Rantasa, die Organisatoren von "Hyperstrings". Es ist einer der wenigen Beiträge auf House of Pain. Da dürfen dann plötzlich die Ö-Bands gespielt werden, die sonst ja nicht gerade zahlreich gefeatured werden. Aber Wipe Out oder Mastalski machen sich auch auf FM4-Nachtschatten so gut, daß (für einen Outsider?) keine qualitativer Unterschied zu den "Top Acts" zu hören ist. Zeigt der 8. 1. 96 die musikprogrammatische Wende an? House of Pain enthielt: Iggy Pop/Stooges // Offspring, <uptempo> All I want (1'54") // Offspring, // Nirvana <langsame Nummer> // Busta Rhymes, hÜ-ha-hÜ-ha <Spex-Nummer 1 des Jahres 1996> // Credity Kings<?>, Two Kinds of Love // Skunk Anansie, You Kiss my Sugar ... // Gravity Kills, Guilty // Gravity Kills, It's Enough // Gravity Kills, Hold // Tricky, <aktuelle Single> // Depeche Mode, Borrow the Gun (neue Single) // <hit-parade>, You are the devil in me // Faith No More, .... <mit rap> // Ice T, // Fugees, Ready or Not (Remix) //?, <House/techno track, ganz nett trippig> Home Work // <deutsche Metal Band> //. --- Erstaunlich und immer wieder interessant, wie sehr sich die materielle und angewandte Technologie weiterentwickelt hat, gegenüber Hendrix's Zeiten. Das hat Hyperstrings vielleicht nicht so ganz rübergekriegt. --- Wenn ein Marsmensch auf seiner Rundreise einen Tag Zeit für die Erde hätte, er aber extra FM4 besuchen will, das ihm empfohlen wurde - welchen Tag wegen der Musik würde man ihm raten?

    <10> Avantgarde. Was ist denn so schlimm am Sprechen-über-Musik (nicht -von- oder -zu-Musik), anders auch Reflexion, Nachdenken, Diskussion, auch Diskurs genannt? - Wenn es mehr oder weniger naturwüchsige Bedürfnisse wie spontaner Ausdruck, Mitteilung/Information, Behauptung/zur-Diskussion-stellen gibt, dann ist es nur folgerichtig, daß sie verschieden stark mit der Notwendigkeit verknüpft sind zu vervielfältigen (um davon Anerkennung zu bekommen oder auch Geld zu verdienen). Dafür ein Beweis ist doch gerade die nicht besonders reflexionsfreudige Tina 303. Ist FM4 Radio-Avantgarde? Ob hier segmentäres Radio - FM4 gekoppelt an Blue Danube und sonntags bis freitags Ö3 - eine positive Bedingung darstellt, kann nicht hinreichend beantwortet werden. Doch kann ein Nachbar, mit dem man nicht redet, stabilisierender auf die Umgebung wirken als gemeiniglich vermutet. Auch ist die Kontrastfolie von Ö3-Kommerz mit dem schlechten (Musik-)Geschmack einer konservativen angloamerikanischen Johann-Strauß-community für den Glanz und die Glorie der subkulturellen Vorreiter bei FM4 ausschlaggebend. Sie kennen sich wie Pioniere in einem Schlüsselgebiet der musikalischen Jugendkultur aus, das gerade aus den Ländern jener community kommt (Frankreich und Deutschland spielen ja praktisch keine Rolle).

    <11> Musik (Gästezimmer vs. FM4-Ideologie). Sicher ist die FM4-Ideologie notwendig. Soll man denn alles von Jail House Rock bis Prodigy's Breathe auf und ab spielen? Natürlich: Schon der Druck der Plattenfirmen mit neuen CDs, das Alter, die Vorlieben und die Kenntnis der FM4-Beteiligten garantieren, daß kein objektiver Historismus den Ton angibt. Aber muß denn wirklich alles, was älter als 1980 ist, verdammt werden, besonders wenn es nicht gerade Techno-Vorläufer oder der zur Saurieralternative hochgespielt Glam-Rock sind (frühe Uriah Heep wären für House of Pain genauso legitim wie Kraftwerk oder Can für Techno)? Daß die Welt - die Zuhörer (Jugendzimmer), die Musiker selbst (Gästezimmer) - das relaxeder sieht, ist nicht nur skurril, sondern auch beruhigend. Wenn am 10. 9. 95 Massive Attacks Youssoun' d Our/Neneh Cherry, 7 Seconds of Waiting bringen, dann bringt das schmerzlich in Erinnerung, daß W. Geier (oder Blumenau, oder Mießgang) auch dieses Ö3-Stück spielten und damit wachhielten, daß es auch eine brauchbare Verbindung zur Welt der/des "Normalen" gibt. In der selben Sendung, und das nicht nur weil kurios, "Saturday Night Fever" von den Bee Gees, Beatles' Come Together, Pink Floyds Schleicher von Dark Side of the Moon!!! Oder am 6.1.96 Jean <?> mit Marvin Gaye's What's going on? oder Bob Marley. Am 6. 1. 97 Barry Adamson: Henry Manzini (Easy Listening, o.k.), Can (Techno-Prähistorie, o.k.), aber dann Charles Mingus, (Album Mingus, Mingus, Mingus, Mingus), Freedom Song? oder Oh Happy Day ? (George Harrison winkt.)

    <12> Jugendkultur. Inline-Skating, Computer, Liebe, Streiks, Sneakers, Kleider, Drogen. Das wärs? Daß es da noch Zusammenhänge darüber hinaus gibt, ist schwer auszumachen. Weniger, daß von Österreich wenig ausgeht und daß viele FM-Redakteure mittlerweile auch schon seit längerer Zeit das Erwachsenenalter erreicht haben. Es ist mit dem Verklingen der Rave- und HipHop-Kultur noch nichts an deren Stelle getreten. (noch?) Wird es je wieder eine Jugendkultur geben? Braucht FM4 Jugendkultur und wir mit ihm? Hier schweigt sich der impartial spectator aus - denn er müßte von der Jugend als Konstante menschlicher Kultur unabhängig vom Alter zu sprechen beginnen, und das schenkt er sich hier.

    <13> Homebase - die Illustrierte, das Radio-MTV mit Wortbeiträgen. Aber auch In Deep (Musikfeature) und Scanner (Themenfeature), die nicht wesentlich von Home Base verschieden sind. Die Abende, 7 bis 10 Uhr, hängen offensichtlich sehr vom Engagement des oder der Moderator(s)(in) ab, dann auch von den einzelnen Beitragsgestaltern, dem Material für Beitragsthemen. Bei letzterem hapert es mitunter. Der Vorteil von Zick Zack war, daß es immer auch um Sachthemen ging. Jetzt wirken die Beiträge manchmal wie Ornamente, Auflockerungsmittel. Entpolitisierung! Für die Musik ist der Spielraum vielleicht nicht so groß. Unger, Czesch, Pieper haben das Heft in der Hand. Wenn Claudia Czesch beim Moderieren ißt, dann paßt das für den eben angesagten Beitrag über Kaugummi. Was mir bei Czesch auffällt, ist, daß eigentlich jeder Moderator seinen eigenen Stil ausbildet. "Blur oder Oasis ... so sinnloser Vergleich wie Rapid oder Austria" (2.7.96) sehr gute Hits, gut moderiert, gute Gesamtschwingung, Rhythmus der Moderation gelungen. Nummern sagen etwas, stehen für etwas. Czesch scheint sich musikalisch auf den Abend vorbereitet zu haben. Wieso dagegen Martin Pieper nie Techno in der HomeBase spielt, wenn er doch lang die graue Eminenz von La Boume de luxe war? Pieper läßt nur Bands gelten, die den Sprung von den 80er Jahren in die 90er Jahre geschafft haben. Etwa U2's neue Single + Madonna + Depeche Mode's neue Single. Bei ihm gibt es viel Musik, seine Stärke ist die enorme breite Begleitinformation zu leidenschaftlich übertragener Musik. --- Es ist schwer, eine HomeBase zu beschreiben. Wie 3 Stunden verbaler und musikalischer Information überhaupt verarbeiten? Geht es da nicht wesentlich auch ums Vorbeihören. 8. 1. 97. Florian Horwath, Claudia Czesch und Miriam Unger (Moderation). PROGRAMMansage. Neue Generation der Spielautomaten; Tarantino → Chungking Express → Fallen Angels; 62. Geburtstag von Presley; Einbußen bei Amnesty International um 20%. Das sind schon einmal vier Beiträge. Aber es kommt darauf an, einen Bogen zu schaffen, ein Ganzes, das doch auch die Moderatorin/den Moderator zufrieden stellt. BEITRAG 1 (Mathias Schönauer): Digital Wonderland - Spielautomat "Photoplay 2000": Fun Quiz zum Thema Europa (paar Sekunden) "knowledge dart", Puzzle: Landschaften, auch Pin Ups. In Oberösterreich verboten. MUSIK: Cora A (Unger spielt, Gott sei dank, mehr Musikerinnen); Offspring, All I want (up tempo); Bush (kommen im Februar nach Österreich); Neneh Cherry, Woman (It is a Woman's World, it is my world ...); Tricky/Cherry, Crack Baby (Cherry mit 17 in Bristol erste Single); <Hip Hop Zeilen in Schlager>, Skubie Snack; Smashing Pumpkins, Tomorrow is Just an Excuse (Unger bringt fast zu jeder Nummer interessante Hintergrundinformationen, manchmal auch ein Interviewpartikel. Dadurch hat man um 8 Uhr nicht das Gefühl, daß bisher erst ein Beitrag gekommen ist); Jimmy Tenor, Take me Baby; Fugees, Ready or Not Here I come (Remix); (Hinweis auf Beitrag zu Wong Kar-wai, Fallen Angels), Skunk Anansie, Amerika me (wie Björk tolle Stimme, da sind einige Breaks in der Nummer, eines davon täuscht die Moderatorin, zeigt aber zugleich die Grenze an, die die breakreiche, wahrscheinlich überhaupt kontrastreiche Musik auf Radio kaum mehr spielen läßt. Schon das Pop-Museum hatte Schwierigkeiten damit. Speziell bei Unger: gutes Hineinmoderieren mit kurzen abgebrochenen Wortgruppen); Gravity Kills, Guilty (Vorgruppe von Skunk Anansie, 12. Februar); Stereo Total, (neue Single, "kommen nach Österreich, weiter gehts mit High School Rock"); KRS 1, Highschool...; (und dann noch Nachtrag zur unselig dumm-affirmativen Umfragebewertung "Jugendliche für Geld" Mädchen rief an: das Wichtigste ist Singen, worauf prompt ein Anruf von einem Burschen aus Freilassing, der sie für seine RockBand haben will ... glänzend auf den Boden der Realität geholt, Frau Unger!); Butthole Surfers,; BEITRAG 2 (Petra Erdmann): Lieblingsregisseur, weil Neonlicht, verlorene Figuren Ende 20. Jahrhunderts ... 1,95 cm groß. Gangster, verrückter Stummer "bei uns sind die U-Bahnen so schnell, daß nur Zeit für Comics bleibt", Masturbation des Opfers, = Frau, die den Killer liebt, ich selbst DJ, Tötung mit Sound ähnlich wie Massive Attack's KamaKoma<?> (Beitrag ein bißchen kurz im Vergleich zur Einleitung von Unger); MUSIK: Massive Attack, Tree; (Ungers Intro für Beitrag: Elvis' Großzügigkeit, FanClubs in USA sammelten Geld und spenden es für Spital, soll das seine Drogenexzesse kaschieren?) BEITRAG 3 über Elvis Presley (Harald Waiglein): 16. August 20. Todestag, heute Geburtstag. Erste Revolution in der Pop Musik, independent Label Sun Record, erste Aufnahme: Lied für Großmutter (bei Sam Philipps). Elvis mit Black und Moore. Erste Single: That's all Right Mama. Kontakte mit Schwarzen, später nicht mehr. Künstlerischer Tod von Elvis 1958 mit Abgang zum Militär nach Deutschland? BEITRAG 4 (junge Frau): Amnesty International, warum 20% weniger? Credit Card war kein Erfolg. Schließung von Büros in Bundesländern. Österrreicher spenden 3 Mrd. Schilling pro Jahr. Man muß in Spendenaquirierung immer konkreter, immer genauer sein. MUSIK: REM, <letzter Hit>; Funky DreamDogs, . Bei Mirjam Unger ziehen die Nummern einander richtiggehend durch die drei Stunden. Unger kann auch aus weniger etwas machen, im Vergleich zu ihren ersten Sendungen nach der Geburt ihres Kindes <woher weiß ich das?>, wo noch vieles am Programm stand. Das wird von einem ausgeprägten Zeitgefühl getragen. Auch kommt den Beiträgen durch ihre etwas längeren Intros mehr Aufmerksamkeit zu - die Beiträge müssen dann auch halten. --- Es kann vorkommen, 3 Stunden Homebase - und man ist erledigt! Die Musik zu laut, Wortbeitrag zu leise. Ob die Erschöpfung vom unsäglichen Über-die-Musik-Drübersprechen kommt? Genaue Zeitangaben der Beiträge um 7 oder auch um 8 und 9 Uhr, vielleicht überhaupt eine stärkere Strukturierung würde ich mir wünschen. Manchmal hat man einfach keine Lust, drei Stunden auf einen Beitrag zu warten, etwa von Roland Schöny (den sich FM4 nicht mehr leisten kann oder will?). Ideologisch ist die Musik nach Rock getrimmt, wenn nicht selten House eingesprengt wird. Techno gibt es so gut wie nie, warum? HipHop immer öfter, seit er in diesen zwei Jahren alternativkultur- und kommerzfähig geworden ist. --- Ob von innen oder außen wahrgenommen, an der Homebase muß einem gefallen, daß aus einem Bereich der Gesellschaft - ob Jugendkultur oder nicht, egal! - berichtet wird, der aufgrund der generalisierenden Tendenz der Nachrichtensendungen unbekannt bliebe. Aber ich bin nicht damit einverstanden, daß so viel O-Ton ist. Als ob dort gewesen zu sein - Streik am Gymnasium in der Hegelgasse - , schon alles wäre (12. 9. 95.) Wenn Ostermayer sich aus dem Off meldet, zum Beispiel bei Claudia Czesch in der Homebase, dann nehme ich das wie vieles bei O. mit gemischten Gefühlen auf. Kann der Sack nicht einmal seinen Mund halten, denke ich, um gleich darauf diese Lebendigkeit des Moderierens wieder toll zu finden. Außerdem wird die räumliche Dimension der Vorstellungskraft herausgefordert, wie auch durch das kleine Publikum in Radio Blume. --- Attwenger - hier regt sich ganz meine klassizistische Ästhetik: Müssen Talent, gute Ideen, Volkswave einfach auspowern und abdanken? Ostermayer hätte wohl nicht beim ersten Interview 1990, wohl aber beim letzten (um Frankensteine wie Weber oder Urini zu verhindern) spätesten die Frage nach der musikalischen Qualität stellen sollen. Wachstum, Reife wären allenfalls angesagt und, sich davor zu hüten, sich selbst und die insgesamt leider doch immer wieder sehr wenig bedeutsame Szene zu beweihräuchern. Techno nur so als Gerücht anzutragen, ist leider viel zu wenig. Das hätte ernsthaft, mit echter Autorität diskutiert werden müssen. Ebenso wenig auskommen lassen dürfen hätte er Falkner/Binder in bezug auf die Vorwürfe im Falter ... Und bitte, lieber Fritz Ostermayer, bitte Leuten nicht ins Wort fallen! Danke. Anläßlich der Premiere vom Attwenger-Film am 12. 9. 95. --- Die Guten: über Ambergers Institut für Schulbuchforschung, die neuere Geschichte des Kaugummis, zu kurz über die billigsten Spiele-Klassiker mit dem Hinweis auf CD-ROM-Zeitschriften (Wu), über Grazer "Future Music Rave" mit Drum&Bass, Intelligent Techno (Christian Lehner), über das Transportsystem in Dakar (Elisabeth Scharang, Lichtblick!), Diskussion zu Afrika-Schwerpunkt Sura za Africa mit 3 Afrikan(er)(iste)n: Kritik an Afrikanern, wieso nicht auch an Europäern (Thomas Edlinger, trotzdem gut, schon allein wegen der Form der Diskussion, selten!), über marokkanische Bruderschaft (Waiglein), Interview mit den Wiener Aphrodelics (Schönauer), Happy Birthday David Bowie (Ostermayer; sehr gehaltvoll, wenn auch emotionell unausgewogen), über den 5-Jahresplan von Madonna (ein brillanter Glossist Blumenau), Diskussion über Ecstasy und Drogenpolitik - Scanner am 6. 1. 96 (Stefan Pollach/Thomas Rottenberg), über die Frage des Aussterbens der Gitarre am 3. 7. 96. (Miriam Unger mit Marimba, Böastab, Alex, Hans Wu, Roman - phantastisch, auch die Hörer) --- Die weniger Guten: über légère gekleidete Bankbeamten für Jugendliche, die verpackten O-Töne aus dem Mururoa-Atoll, die Live-Schaltung nach Wiesen (Horr-Stadion) als billige Kontrastfolie der gestern erschienenen neuen LP von Blur, zu kurze, schlecht gesprochene, journalistisch niveaulose Verarschung von Heintje-Techno von Hans Wu mit Unterstützung von Fritz Ostermayer aus dem Off, am 13. 9. 95 über Diedrich Diedrichsens DJing unter dem Motto "Vokal, Instrumental, International" (ohne Hinweise auf Walter R. Langers legendäre Sendung), über Hi-Tech-Oropax/Sound-Savers (Christian Moser), Joe Henry - In Deep 6. 7. 96 (Eva Umbauer; musikalisch nicht überzeugend), Drogen Report Magic Mushrooms - Scanner (nett und harmlos wie die Schwammerl selber?), Sura Za Afrika, speziell Dakar - Scanner am 6. 7. 96 (Elisabeth Scharang und Thomas Edlinger; profunde Recherche, FM4-unvermittelt, unvorbereitete Diskussion: "es ist schade, daß die Europäer sich nicht mehr anstrengen."), Massive Attack - In Deep (runde Sache), über französische Hip-Hop-Szene - In Deep am 6. 1. 96. 21 Uhr (Wiederholung, viel Hintergrund, Kontroversielles, nett gestaltet, von Heinz Reich).

    <14> Im Sumpf mit Graue Lagune (Pop Museum). Zu einem veritablen Team sind in den ersten zwei FM4-Jahren Fritz Ostermayer und Thomas Edlinger zusammengewachsen. Es ist der Pflichttermin, das Magazin der Woche, denn Diagonal wiederholt zu oft, und dessen gemischte Sendungen lohnen die zwei Stunden nicht immer. Etwa "Fressen und Saufen" mit der Signation von Der Koch, der Dieb, seine Frau ... (es muß da nichts erläutert werden) mit Florian Holzer (Falter, auch Kurier), Wagner (anfänglich Kurier; heute Chefredaktion von Gault-Millaut Österreich) und Rolf Schwendter; Verschwörung im Internet; Meike Schmidt-Gleim wiederholt Gespräche mit Freundinnen, die die Surrealisten in den 30er Jahren führten und als "Recherchen im Reich der Sinne" herausgegeben wurden; Prof. Andre Dus<i>l<ow>s Wettervorhersagekünste und genial vorbestellte Publikumsfragen (mit Sehnsucht nach Led Zeppelins Rain Song während der Perestroika). Sehr gut die gelungene Balance zwischen Humor und Intellektualität zu der sich E. und O. wechselsetig herausfordern. Den Kampf Edlingers gegen den weitverbreiteten Antiintellektualismus (der Spaßfraktion?) kann ich nur loben. Hier gibt es noch das kritische Interview, auch wenn vielleicht Baijlics nicht der Richtige dafür ist. --- Ostermayer spielt seine ganze Erfahrung aus, hat - nach anfänglichen Identitätsproblemen, die mit seinem Scheitelkämmen zusammenhängen - gewiß mit der diagonalesken Sendung Sumpf und dem kongenialen Partner die interessanteste und freieste Form gefunden, Radio zu machen: Absolut Radio. Auch wichtig, weil sie damit die Musikboxtradition herüberrretten. Mit Selbstironie und -mitleid, Kult des Dilettantismus, als ob nur mehr hier das Authentische zu finden wäre. Aber: bitte nicht immer die gleiche Art Literatur! Vorsicht vor dem Einrasten von Schleichwerbung (ist nicht nur Mißbrauch, sondern auch conflict of interest). Dafür, daß ihr euch für geringe Honorare schadlos halten wollt, können wir ZuhörerInnen nichts. --- Die graue Lagune. Wunderbar, daß es noch eine Stunde Musik ununterbochen gibt. Musik davor, um, nach 1980 - als Sommerserie: Throbbing Gristle - unverzichtbarer Nachhilfeunterricht für mich, allererstes Bildungsgut! Amüsantes Alternativprogramm zur unseligen Wiederholung der Kos'schen Farbenlehre. Und die aktuellen Musikfeatures wie Die Mäuse sind auch nicht ohne. Überhaupt gefällt mir die ständige Pionierarbeit im österreichischen Sumpf mit ihrer Blütenernte. Diese Pionierarbeit - Underground! - geht der Homebase und anderen Sendungen leider irgendwie ab. Sind die anderen fauler, lassen sich nur mit CDs beschicken und von Musikern besuchen? Öfters: kurzes Umschalten auf Ö3, werde halt auf Kos verzichten. Unumgänglich das Umschalten auf Ö3 am 12. Jänner: Kos' Last Waltz - eine letzte grandiose Demostration radiojournalistischen Könnens, Wissens und Gefühls. Respekt! Nur Ö3 hat ihn nicht: eine Geisterfahrermeldung mitten in die Moderation hinein. Freunde: Der Kampf um Radiokultur ist ein politischer Kampf. Ich wiederhole: Der Kampf um Radiokultur ist ein politischer Kampf. Man muß Kos sagen, daß er die Manuskripte zu seinem Pop-Museum zu einem Buch verarbeitet. Und Im Sumpf wird dann das Interview aller Interviews geführt.

    <15> Eine der besten Sendungen von FM4 ist das Jugendzimmer. Elisabeth Scharang führt ein FM4-Publikum vor, wie es der Sender eigentlich nicht oder kaum von sich aus entwirft. Aber das gilt nun gar nicht nur für die Nastie Girlie Show, die in Hofstätten nächst St. Pölten nicht für gut befunden wird, sondern zunächst für die erbarmungslose Geschwindigkeit, in der etwa HomeBase präsentiert wird. Erstaunlich, wie sehr auch Burschen eine Schüchternheit und Offenheit zum Ausdruck bringen, wie sie für Teenies wohl typisch ist. Das ist rührend, und zugleich verhilft Scharang in ihrer Natürlichkeit allen Widersprüchen zum Ausdruck, der Menschen Hinfälligkeit und Groteske in ihrer besten Form. Dabei geht es auch um Bildung: nie hat jemand im österreichischen Radio so frei gesprochen wie sie, und das zu lernen und dabei zugleich etwas zu sagen, ist doch allemal ein Bildungs- ja sogar ein politischer Auftrag: Aufklärung. Die Themen könnten weiter sein, aber das ist sicher sehr schwierig zu regulieren, am Land wahrscheinlich am schwierigsten: Girlies (selbstbewußt, schlampenhaft, romantisch, hat keinen Freund, nach außen wie Tussie?), Phettbergs Anruf, Motorräder, Klassensprecher, Trennung von Eltern, Klassengrüße. Und die Musik darf mit ihrer verzögerten Mode erfrischend kommerziell sein: Red Hot Chili Peppers, Nirvana, Kravitz, Fugees - der Rand zum Kommerz. In der Übergangsphase mit Stermann und Grissemann ist dann Scharang wie die aufgeklärte Heilige, die weiß, was gut und böse ist; und den Teufeln, die in Versuchung führen, wird jedesmal mit dem Weihwasser der natürlichen Schlagfertigkeit getrotzt. Ich weiß nicht, ob diese Rolle Scharang gut tut. Ein (ländliches!) katholisches Muster wird so bestimmt affirmiert.

    <16> Vieleicht andere nicht, aber ich mochte die Mitternachtseinlage The Nasty Girlie Show. Pixie und Rosie brachten das Duo, das eben nicht über andere sprach, nicht über andere Mehrwert schöpfte, nicht andere zum Opfer stempelte, sondern sich selbst zum Gegenstand in einer Weise machte, die nicht anders als rückhaltlos bezeichnet werden kann. Sehr gut, wie vom gespielten Ernst auf den reellen aggressiven Ernst umgestiegen wurde. Sehr mutig auch, über Sex und Männer so frei und goschert zu reden wie die beiden. Können das nur Frauen, ohne vorwiegend sexistisch zu sein. Auch die "privaten" Welten der beiden bringen eine Differenz. Einmal abgesehen von Frauenstimmen, dann abgesehen von den sehr wenigen weiblichen FM4-GestalterInnen. Vielleicht erschöpft zu langes Reden? - Daß Martin Blumenaus Talente mit dem Sonntag abend nicht erschöpft würden, war abzusehen, auch, daß er sich vom Titel Zimmer-Service gedemütigt fühlen würde. Aber ist es nicht merkwürdig, daß der Hintergrundmann, der die hervorragende Musik bei Rosie (mit der schönen Deutschschwäche) und Pixie auflegte, die beiden dann ersetzte - schade! Was hätte man nicht alles aus der Show machen können? Beide Damen hätten doch einiges sonst noch zu bieten gehabt - es war doch von Anfang an klar, daß Girlies und Sex nicht für alle Zeiten Themen bleiben konnten. Aber nein, Hilfe hat ihnen keiner angeboten. Und was hinter den Kulissen gelaufen ist, will ich gar nicht wissen.

    <17> Zimmer Service, Bonus Track. FM4-Moderatoren können keine Ö3-Wunschkonzert-und-Hitparadentypen sein. Besonders wenn sie überqualifiziert wirken wie Martin Blumenau. Ungewiß, ob es Fachgebiete wie Fußball oder Musikwissenschaft sind. Blumenau scheint seine soziale Kompetenz in einer leitenden Ebene einer Firma erworben zu haben, aber nur wo? Der Eindruck entsteht weniger wegen der Überhobenheit (nicht Überheblichkeit!), sondern wegen seiner guten Manieren. Manieren einer noch wenig mündigen Zuhörerschaft zu vermitteln, ist nicht die geringste Aufgabe eines Jugendsenders. Daneben geht es auch darum, im Radio locker zu werden (auch die US-Amerikaner lernen ihre Gewandtheit, in den Medien aufzutreten). Leider hat aber Blumenaus Widerborstigkeit abgenommen, mit ihr auch die Unkonventionalität der Ansichten - die Warnung vor den unerwünschten Nebenwirkungen dieses Medikaments als Djingle (" ... werden Sie manchmal etwas härter angepackt. Zuhören auf eigene Gefahr") ist überflüssig. War Blumenaus Intervention, wie sie sich für eine eigene Sendung anzubieten schien, von vornherein einem größeren Test- und Ausbildungscamp zugeordnet, das zur Rekrutierung des Nachwuchses für Ö3 eingerichtet wurde? Also in diesem Fall für das seit zwei Wochen von 2 Stunden auf eine reduzierte Talk Radio zugeschnitten? Die Probleme sind aber hier wie dort die gleichen. Wohl mehr als die Hälfte der Zeit vergeht mit sich verweigernden, sogar sabotierenden youngsters, was wieder gar nicht so unsympathisch (österreichisch?) ist. Ist ja wahr, wieso soll man denn "dauernd" über Gott und die Welt quasseln? --- Auch beim Wunschkonzert geht es um diese Art von Kommunikation, wenn auch Martin Blumenau nur mit den Wünschen in Form von Schreibwerken zu tun hat. Vielleicht hat die FM4-Wohnung ein wenig zu viele "Zimmer" (Verbiedermeierisierung? Rückzug aus Öffentlichkeit?), zumindest als Sendungstitel: Jugendzimmer, Gästezimmer, Zimmerservice. Das wäre etwa zu bedenken, wenn (7. 7. 96) Bernadette, die ins Jugendzimmer eingeladen ist, sich irrtümlich im Zimmerservice meldet. Musik ist erst ab Sex Pistols erlaubt, besondere Lobpreisung erfuhren Hüsker Dü, während dafür die Doors dann ins Jugendzimmer dürfen. Aber ein Orgelriff von Nice's Keith Emerson (über dessen oder Richards's Blutaustausch sich Drahdiwaberl vor zehn Jahren schon lustig machten) dürfen Kinderzimmer-Productions schon abkupfern (oder ist sampeln hier nicht genau das?)! Und wenn Oasis und Blur auf Beatles machen, dann ist das auch nicht weiter einer Bemerkung wert? Oder Newton-John's Upside Down, Stevie Wonder's Pastime Paradise im Remix? Wenn schon historische Grenzziehung, dann bitte ab den späten 80ern. Hüsker-Dü-Fans sind heute auch schon 30, und die zählen nicht zur Kern-Klientel von FM4.

    <18> Die Spartenteilung und das verschieden Ranking-Verfahren (bei Techno anders als bei House oder Indie) lassen an der Sinnhaftigkeit von allgemeinen Charts zweifeln. La boume hat denn auch kurzfristig eigene Charts versucht. Dazu kommt die Willkürlichkeit der privaten (FM4-intern undiskutierten?) Vorlieben der Redakteure, deren zeitweiser Überredungs- oder nur Gewinnungsdruck zu spüren ist. Privates Lobbying? Ausrichten an internationalen Charts? Direkte oder indirekte Bestechung durch Plattenfirmen? Verzerrung durch des Moderators Geschmack und seine Kommunikation mit den die Charts bestimmenden Redakteuren? Die letztlich kommerziell orientierte Orientierungshilfe für den Käufer setzt die Lieferbarkeit von CDs, Maxi-Singles etc. voraus. Hier haben aber nicht nur die aus älteren Produktions- und Distributionsstrukturen kommenden neueren Musikbranchen wie "Rock", Indie oder (kommerzieller) Hip Hop einen Vorteil. Auch die (für DJs notwendig kontinuierbare) Vinylmusik wie House, Techno oder Drum&Bass ist auf Grund der kleineren Auflagen kommerziell mit ersterem Markt inkompatibel. So hat etwa House/Disco wie die von BTO Spider zurecht als großartig bezeichneten Masters at Work gar keine Chance. Mein Vorschlag daher: Die drei Besten aller fünf/sechs Genres mit oder ohne Drum&Bass sollen von jeweils zugehörigen Gruppen (Moderatoren, ständige Gast-DJs) gekürt werden. Wo zu wenige Juroren sind, sollen für befristete Zeiträume kompetente Gäste eingeladen werden. Und dann kann man immer noch eine Form für allgemein-konsensfähige Durchstarter, für allgemeine Charts wie jetzt finden. --- Sehr ungenau gesprochene Ansagen mußten im Falter nachgeschlagen werden (auch zur Ergänzung der Charts letzter Woche).

    <19> Radio Blume, ein schöner Titel, islamisierend (dahinter ein neuer Katholizismus?): die Väter Christoph Grissemann und Dirk Stermann verkuppeln ihre unberührten Töchter (die natürlich kaum was zu sagen haben, wenn sie sich nicht mit Entschlossenheit gegen die Wachhunde durchsetzen) - das heißt Ödipalkonflikt, aber in des Radios herrscherhaften Position des machtkonservierenden Vaters und nicht eines großzügigen Vergebens von jugendlich-promiskuitärer Lust. Daher schon vom Ansatz her die Unmöglichkeit, die Rollen der Geschlechter umzudrehen. Ein Sendetermin mit zwei Frauen anstelle von Gr./St., die einen Mann anboten, scheiterte, weil die anrufenden Frauen es so genau wissen wollten, wie es die ModeratorInnen auch zuließen. Das war dann auch kein Spaß, denn natürlich wurde den anrufenden Frauen auch kein Blech in die Ohren geknallt ("Blume oder Blech"), wie es Grissemann mit besonderem Genuß zu tun scheint (und das besonders bei "Prolos", Leuten aus Trandanubien, vom Land, mit starkem Dialekt). Anfänglich war noch Stermann die Funktion des Fürsprechers der Anrufer zugekommen, um die auf die (drohende) Ablehnung folgende Enttäuschung und Schadenfreude einzuschränken. Jetzt herrscht nur mehr Schenkelklopfen über die Angepissten, die Verlierer, die zur Verwunderung die ganze Sache noch ernst nehmen. Aber auch die eingeladenen Frauen werden immer mehr durch systematisches Ignoriertwerden zum unmündigen Objekt von St./Gr.'s Machenschaften degradiert. Kein Wunder, daß sich im Laufe der vergangenen zwei Jahre immer wenige Frauen melden, manche schon ein zweites Mal dran kommen, einige aus dem Freundeskreis von St./Gr. stammen dürften. --- Dabei gab es immer wieder großartige Dialoge. So ist auch die Typisierung der Anrufer - z.B. Knallcharge - manchmal erschreckend und notfalls abschreckend wahr, die zum Ausdruck kommende Menschenkenntnis, die Spontanität ohnehin beeindruckend. - Halten sich Grissemann und Stermann für das Brav-Sein bei öden Typen auf Ö3's Talk Radio schadlos? Kompensiert und reflektiert hier FM4 nolens volens die allgemeine Lügnerei von Ö3. --- Mein Vorschlag: Gender statt Sex. Frauen sollen Frauen anrufen können, Männer sollen angerufen werden können. Daß Phettberg immer wieder anruft, wegen der schlanken Mädchen, weil er mindmäßig wenn auch nicht altersmäßig derselben Generation angehört - warum soll man nicht gerade angesichts individueller "Sexualität" nicht das strenge Sex-Setting von Radio-Blume aufgeben? Emotional verunsicherte oder gestörte Männer fertigmachen - "das ist genau, was Frauen heute brauchen" - dagegen brauche ich genauso wenig extra nach Gründen zu suchen, als klar ist, daß die Alternative zum therapeutischen Radio der Gefühle auf Ö3 nicht das terroristische Radio leichtfertigen Spasses mit Gefühlen ist. - Witze auf Kosten anderer ist noch kein Humor! Diese Kosten sind nämlich bei weitem höher, als die der Telefongebühr oder der Taxirechnung, die FM4 der Gästin nicht bezahlen kann.

    <20> Im wöchentlichen Wortgeplänkel mit Elisabeth Scharang zeigt sich, wie wenig die Salonisten urban sind! Daß Phettberg hier gleich hinter der Ecke lauert, ist klar. Stermann und Grissemann zielen auf kleinbürgerliche, kleinstädtische, kleinfamiliäre Themen, wie sie nur in einem provinziellen Friseur-Salon Helga zur Sprache kommen können. Verdeckte Auseinandersetzung mit dramatisch-kindlicher Situationen, Pennälerspäße (Ferngespräche), das Spielen mit Papas Welt (die SprecherInnenstimmen von Ö1), die trotzigen Aggressionen, die unter anderen Bedingungen zu faschistischer Gesinnung führende Leere der ländlicher Jugend, deutsche (keine österreichische) Musik. Sexismus kommt noch dazu: "haben wir einen Hörer in der Leitung" sagt Grissemann, dann spricht aber eine Hörerin, was er auch korrigierenderweise bemerken könnte; die unaufhörliche Selbstnennung -mann: Angst vor dem Verlust von Männnlichkeit? --- Allgemein verwehre ich mich gegen Witz auf Kosten anderer: TelefonistInnen - das alter ego des Radiomoderators? (ja, hier sind sie die Opfer, die Frauen, ob es um die Bestellung eines Tisches geht wie bei einem frechen Bayern (Minus! = Im Sumpf), ob der Bild-Zeitung ein Photo der oberen Etage des ORF bei einer privaten Weihnachtsfeier angeboten wird. Dann: es wird mir zu viel von den Moderatoren selbst gelacht (gab es am Anfang nicht) - machen die Salonisten die Show für sich selber oder für ein Publikum? Meine ursprünglichen Sympathien für das Duo sind aber wegen einer anderen Enttäuschung (unwiederbringlich?) dahin: fingierte Ermordung des Bruders Stermanns und ORF-Geldgeschichte. Das war in seiner Perfektion keine Unterhaltung mehr, sondern Psychoterror am FM4-Publikum. Ich lasse mich nicht gerne zum Opfer einer Publikumstäuschung machen, unter keinen Bedingungen (schon Dusilows Wettervorhersagen Im <letzten> Sumpf sind da an der Grenze des Zumutbaren), schon gar nicht im unerkennbaren Kippen von Spaß in Ernst. Das ist ein grober Verstoß gegen die Grundregel öffentlicher Medien: Transparenz. Indiskutabel.

    <21> Gerald Votavas Projekt X, die Sendung für Grenzdebile? Zumindest am Anfang schien es so. Dann hat sich auch der surrealistisch angehauchte Non-Sense-Talk von Fürst Reinier und Lockenwickler über die Monate der Übung professionalisiert. Ein gewisser Geschmack hat sich eingestellt = die gepflegte Haltung der Distanz gegenüber Parteinahme. Hier merkt man auch die Arbeit der Vorbereitung. Die Stimmen - Votava, Haipl, Knötzl - sind einer genauen Führung unterworfen. Die rezitierten Texte sind ausgearbeitet. Die Sendung ist durch den grandiosen Knötzl (Dialekt) am einfachen Wiener der Elterngeneration orientiert. Dazu passen die immer wieder gespielten Abba (sonst ja Radioverbot). Trotzdem: Wie kann man nur soviel Unsinn reden und nichts sagen? Sicher eine Kunst. Aber ist's auch lustig? --- Gerald Votava beweist am besten die Abhängigkeit FM4s vom ORF (Ö3). Und das ist nicht nur einmal als Faktum anzunehmen, sondern auch als Zeichen der nächsten Jahre: wechselweise Werbung, personeller Austausch, Fluktuieren des Nachwuchses, Stildifferenzierung in den Sendern intern wie extern. Wie immer also die musikalische, inhaltsprogrammatische, moderative und last not least politische Selbständigkeit von FM4 bewahrt werden soll - , ein behutsamer und vor allem auch on air zu reflektierender Umgang mit den Verknüpfungen zum Rest des ORF einschließlich Blue Danube Radio ist sicher angeraten. Es gilt, über die Perspektive hinauszukommen, daß Votava nur egoistischer Grenzgänger zwischen den Sendern ohne FM4-Identiät ist, aber auch Widerstand dagegen zu leisten, daß Radiomachen nur Nettsein ohne Kompetenz und Anliegen bedeutet.

    <22> Im Lauf der Zeit haben sich die (auch unmoderierten) Kompilationen und Übertragungen angenehm bemerkbar gemacht. Mit Ausnahme von Silly Solid Swound System, dort bleibt der Eindruck, daß am Samstag abend niemand mehr Lust hat, wirklich etwas auf die Beine zu stellen. (Ähnliches gilt für Open Mic.) Das war schon klar, bevor am 11. 1. 97 das Band nicht laufen wollte - "bis dahin verzeiht die Stille" (Ist Stille etwas Böses, das Böse? Hier ist nicht der Ort, auf die Überwindung des historistischen horror vacui einzugehen oder einen cageischen Diskurs zu führen). Der Charakter der Vorproduziertheit stellte sich heraus. Wieso mußte aber dann am 6. 7. 96 kurz vor 12 die Platte hängen bleiben, wieso konnte das nicht ausgebessert werden? Besonders wo spoken words die Sendung "live" werden lassen - Täuschung, Lüge, Notwendigkeit? Musik in einer seltsamen Mischung von Rock, Techno, Reggae. Umso angenehmer dann, daß am 6. 1. 96 besonders lang, von 22-4 Uhr "95 auf 45" gesendet wurde - 100 dance floor tracks, gemixt von Bad J, Demon flowers und Makossa. Was den Übergang zwischen Stilen, genauer zwei: Hip Hop und Techno (mit wenig House, einem Fenster Djungle, das ja von allen drei Di, Do, Fr gehätschelt wird, Formulierung 6. 1. 96) ausmachte, wurde ein Jahr später von den Ressortführenden übernommen, allerdings noch immer ohne Metal und Indie. Sollte diese Musik der Bedingung metrischer Kontinuität nicht genügen können? Zwischen Silly und FM4-Nachtschatten (am 6. 7. 96 vom Beobachter erstmals verzeichnet, ein anderes Mal spät in der früh heim kommend einen sehr angefressenen Moderator gehört) Open Mic. Ob hier nicht gute Sendungen wie "Alien Bass" am falschen Sendetermin ausgestrahlt werden? Auch der "Oasis Tag" am 11. 1. 1997 - man merkt die Lustlosigkeit zu senden, also eine Wiederholung! Wieso aber kann diese nicht als solche kenntlich gemacht werden, muß immer wieder auf "live" hingewiesen werden, was einfach eine Lüge ist, wenn man weiß, daß es Knebworth nur im Sommer gibt, daß das Konzert (live?) schon im Sommer von FM4 gesendet wurde (Band auf Platte besser!). Das "Noel-Gallagher-Interview" könnte aufgrund des Akzents manchmal übersetzt werden, oder ist jeder so britisch beschlagen wie Eva Umbauer, Robert Rotifer oder Harald Waiglein? Wieso kann das Interview nicht kommentiert werden? Kritisches Porträt. Oder wird hier wieder einmal eine Band verheizt wie Nirvana? Während sonst Tag für Tag Gitarren und erst recht Soli gebasht werden - , hier darf nun einem ewig langen Fade-out mit flächigem, d.h. verwaschenem Gitarren-Solo wie von den Sauriers Pink Floyd gefrönt werden. Für den "Live-Act" also gut genug. Sonst aber wird in der Home Base Oasis so gut wie nie gespielt, wie überhaupt sehr selten Indie-Bands, außer Eva Umbauer ist gerade im Studio? Für mich erschreckend, wie schnell der Verfall einer solchen Band vor sich geht, die der Markt erfordert und seine Rezeptoren wie RadiojournalistInnen etc. bestätigen. 96 on 45 von 1-7 wieder am 11. 1. 97. DJs Makossa, Functionist, Demon Flowers, BTO Spider, Slack Hippie legen eine reife, wenn auch nicht überragende Leistung hin. Werner Geier moderiert ein: "Techno rückläufig, House stabil, Hip Hop ging unter, Djungle war der Gewinner." So prägnant hätte man es gern öfter.

    <23> Technik/Moderation. Kleine Elemente. Warum telefonieren nur Rotifer und Umbauer aus London, wieso nicht auch Geier aus einem Drum&Bass Club von dort? Könnte es nicht einen freieren Umgang mit den technischen Möglichkeiten geben: Live-Übertragungen von High Spirits, HomeBases, moderiertes Liquid Radio, Techno-Zimmerservice - natürlich als Ausnahmen gedacht? Wieso kann ein Gruppengespräch auf Tribe Vibes nicht mit vier oder fünf Mikrofonen gleichmäßig bestückt werden? --- Könnte man nicht weniger talken vor dahinter laufender Musik, oft dann noch zu laut (meist Rockmusik, Musik mit Rap-Einschlägen)? Besonders bei La boume de luxe ist das sehr bedauerlich, zumal Abraxas nicht immer background spielt. --- Film-Jingles, gerade die neuen, zeigen die Schwierigkeit der jungen Generation, mit Geschichte, vorwiegend der ihrer Elterngeneration oder was sie dafür halten, zurechtzukommen. Aber nicht nur sie. Wenn Harald Waiglein die Elvis-Generation als Eltern der jetzigen Kids (im Elvis-Beitrag am 8. 1. 96) anzeigt, dann hat er sich zumindest im Alter der Generationen verrechnet. --- am 5. 1. 96: zu viele Jingles im Vergleich zu vor vier Monaten. Und es ist ja wahr: wieso denn überhaupt? Ist einesteils langweilig, andererseits entmündigend. Dann: Wieso so oft diese Filmausschnitte, wieso nicht selbst eingespielte Jingles. Film-Jingles dann gut, wenn sie dann so klingen oder eine message liefern, als ob ihr Träger nicht einem Film entnommen worden wäre, z. B. "vous aimez de la music, ... Jazz ... ah bon ... musique classique" "you are at home baby F M 4". Gut, weil komplex im Verhältnis von Vortrag und Inhalt: "don't be sqare, be wise - FM4" von Rosie Washington. Legende: "Es gibt kein richtiges Leben im falschen" und "... ja ja ja Herr Geier ..." von Buben und Klara Ostermayer. --- FM4-Update könnte wie FM4-News, konstant im Design und zur gleichen Uhrzeit gespielt, die (Informations)Stütze für die ganze Sendefläche bilden. --- Achtung! Grundlautstärke der Sendungen konstant halten! Zum Beispiel: Moderatoren klingen nicht immer gleich laut.

    <24> Gesamtkonzept programmatisch (nach des ORF Untergang, der schon besiegelt ist, ja seinen point of no return überschritten hat). Das FM4 Programmschema: x → it 1 (Beilage zu Falter 14/95, 7.-13.4.95): "Czesch, Lang, Pieper, Unger - Home Base. Heartbeat: Indie, Alternative. High Spirits: Soul, Acid Jazz, Reggae & Funk. House of Pain: Metal, Hardcore & Heavy Rock. Tribe Vibes: Hip Hop. La Boum de luxe: FM4-Party mit House. Silly Solid Swound System: Alternative, Indie. Liquid Radio: chill-out-zone." Hier ist eine Parallele zum Fahrrad auch historisch aufschlußreich. Hat nicht BMX mit seinen dickeren Reifen als Hinweis auf gelandegängigeres Gelände (Break Dance der Räder; Mountain-Bike) in den frühen 80er Jahren eine Neubewertung des Mediums Fahrrad gebracht: glänzend, jugendlich, sportlich, artistisch, was später kommerziell symbolischen Mehrwert eintragen sollte? -- das andere volle Rad (: die Scheibe) hat sich in derselben Zeit ebenfalls diversifiziert. Ebenso silbrig glänzend, wurde die CD einerseits von Sony 1982 eingeführt. Vinyl reagierte bekanntermaßen (vorwegnehmend in den späten 70er Jahren) mit bunten, farbig gegossenen und bemalten (New Wave) oder zerschnittenen und neu zusammengesetzten Scheiben (Christian Marclay; Rap?). Die Erschütterung des Rockmediums Vinyl und die innermusikalischen Entwicklungen seit 1977 könnten nach meiner Beobachtung seit den späteren 80er Jahren zu einem permanenten Zustand beständiger Neuerschaffung von Genres geführt haben, die den subkulturellen Alternativsektor seither um seine Einheit bangen lassen. FM Einheit? FM4 hat wie schon MTV auf diese Dynamik der Mehrfältigkeit der Genres reagiert. Als Klassifikation, als Einteilung. Einheit als Einteilung. Solche Einheiten können nur verworfen werden. Ob das Kontinuitäten erlaubt? Die Gefahr geht damit einher, daß die Brüche als Ideologie des Neuen ausgegeben werden. Was ist das Neue heute noch? --- Es war nur eine Frage der Zeit, bis Werbung auftauchen würde: Nirvana, dann Falter, "Obsession"-Rave in Kärnten, Hyperstring, Heaven, SummerStage. Doch aus dem Anfang wurde nichts. Weil das von Ö3 verordnete Werbeverbot für FM4 unumstößlich ist? Wird doch auch auf den meisten anderen Sendungen unter wohl beträchtlichem (auch selbst auferlegten?) kommerziellen Druck Werbung für das gerade Aktuelle gemacht! Oder anders herum, Aktualitätsanspruch führt gefährlich in eine Eintopf-Werbeästhetik, das heißt in den Anpreisungsstil, der die journalistische Anstrengung auflöst.

    <25> Gesamtkonzept wirtschaftlich (nach des ORF Untergang, der schon besiegelt ist, ja seinen point of no return überschritten hat). FM4 muß 1. kommerzielle Einnahmen erwirtschaften (smells like teens' spirit), 2. Mitgliederbeiträge einheben (amerikanisches Modell) 3. öffentliche Subventionen lukrieren, 4. auf einer öffentlichen Grundfinanzierung/-organisation beruhen (etwa analog zur Bewerbung der Nachtautobusse durch den Bürgermeister auf Plakaten). ad 1.: Freikarten, -exemplare, Gutscheine etc. sind die Schleichwege der Werbewirtschaft; ein Werbekonzept ist in Abstimmung der Erfordernisse und Interessen von 2 bis 4 zu entwickeln. Das schlechte Equipment von FM4 muß durch ein werbemäßig von den Elektronik-Firmen finanziertes Equipment ersetzt werden. ad 2.: Das amerikanische Modell der donors und das österreichische Vereinsmodell ist zu adaptieren. ad 3.: Basis- und projektorientierte Spezialsubventionen müssen sich einpendeln. ad 4.: Eine öffentliche Grundfinanzierung ist über die (zumindest organisatorisch-rechtliche) Anbindung an Institutionen des Gemeinwesens zu gewährleisten: Bundestheater (wenn schon, denn schon), Bundesmuseen, öffentliche Schulen, Müllabfuhr, öffentliche Verkehrssysteme wie Post, ÖBB, Bundesstraßen, österreichisches Internet, städtische Verkehrsbetriebe, Jugendämter, Polizei etc. - Die Vorbereitung und Durchführung dieser Maßnahmen sind vom ORF schon jetzt zu garantieren, hinsichtlich der Übergangsphase, die schon vor einigen Jahren begonnen hat und deren Ende sich rasant nähert. Anzeichen dafür sind schon seit längerem sichtbar. Etwa Lisa Klauhs, Das Reservat für`s Schräge, in: Free Party Magazine 1995, p.13: Frequenz-Deponie, "Vorbeugen sollte FM4 einem Privatradioprojekt namens Kanal4."

    <26> Ö3 (Ö1, Ö2). Daß Ö3 die Schiene FM4 mitverursachte, ist Leistung und Schande zugleich. Zick-Zack und Music-Box zu erweitern, hieß, der alternativen Szene mehr Raum zu gewähren, zugleich der Blauen Donau das wahre Englisch zu geben. Dann aber war nur wieder ein Stück interessanter Kultur auf der Insel der Alibi-Internationalität von Blue Danube deponiert, so wie es vor langer Zeit Walter Richard Langer's Jazzsendung Vokal Instrumental Ineternational, dann House of Pain, Silly Solid Swound System, Help und zuletzt dem Pop-Museum und dem Nacht-Express erging, ohne daß die letzten beiden eine andere Heimstatt fanden. Personell blieben jedoch die Bande eher bestehen. Die Grenzgänger Grissemann, Stermann, Votava, Czesch (und Lang) zeigen das Nachwuchs- und Innovationsproblem von Ö3 auf. Zumindest schien es noch vor kurzem Ö3-Chef Bogdan Roscic so zu wollen. Doch im Zuge der fatalen andauernden Krise von Ö3 analog zur österreichischen Innenpolitik scheint eine Reform alle Kommerzqualität zu opfern (und auf Ö2, etwa Radio Wien, zu vertreiben), die dem Sender nach der Privatiserung geholfen hätte. Tatsächlich ist gerade seit einem Jahr auch Roscics Qualitätsforderung punkto Musik abhanden gekommen. Zur ernsten Alternative, die FM4 und Ö1 musikalisch sein sollten, wurde Ö3 zum billigen Abwasserkanal abkommandiert. Aber FM4 - zumindest die HomeBase - ist auf dem besten Weg, bald schlimmer als der ClubÖ3 (ehem. Sport und Musik) zu werden, Musik nun ebenso als Tapete für Gelabere von Freikarten, Charts, Tips, Wortspenden und Plattenwünschen zu degradieren. Was aber bei Ö3 schon fast im Endstadium eines entropischen Prozesses angekommen ist und auch bei Ö1 schon zu merken ist, sollte FM4 Warnung sein: die Entmischung/Entdifferenzierung der Sendungsformen. Von Tag zu Tag (außer Radiodoktor Enenkel), Menschenbilder, Journal-Panorama, Im Gespräch, Diagonal, Help - alles geht immer mehr ineinander über. Doch was musikalisch zu einer Erfindung führen kann, verkommt hier zum kontinuierlichen Geräusch, das nicht mehr gehört wird: die Auflösung der Genres. Ich verstehe Bogdan Roscic, der für die HomeBase und (?) überhaupt für FM4 verantwortlich ist, als jenen römischen Kaiser, der Rom in Flammen aufgehen ließ und mit sich in den Abgrund riß. Sein unglückliches Bewußtsein macht Werbung für die Eigenproduktion von Gruppen/Musikern im ORF (Album, Single, Maxi, Remix CD) - andererseits soll dann das Loch zwischen Stefanie Werger und ... (auf Cassette, DAT) unter dem Kennwort "Ich will auch" ("erkennbare Musik") gestopft und FM4 zum Ö3-Nachrichten-Versuchskanichen werden. (3. 7. 96, 23.00 Uhr: BTO Spider erfrischend: "Laßt's die Platte laufen, in der Zwischenzeit gibts die Nachrichten.") - von irgendwelchen lästigen, unnedigen Band-Contests abgesehen, die einmal mehr vorauseilender EU- und Globalgehorsam sind. Es ist mir ein großen Rätsel, wie Roscic über die "Gesellschaftstheorie als Kritische Theorie des Subjekts. Zur Gesellschaftstheorie Th. W.Adornos" dissertieren konnte (1988, Universitätsbibliothek Wien, Signatur: D 26.245), ohne auch nur mit einem einzigen Wort auf Adornos Theorie der Massenkultur, geschweige denn dessen ästhetische Theorie einzugehen, die doch wesentlich die Subjekttheorie mitbestimmt. Ist dieser Mangel Indikator einer grundlegenden Verdrängung kritischer Ästhetik in populärkultureller Musik? Doch Roscics Psychologie zu analysieren, würde nicht reichen. Mit aller Kraft ist darauf hinzuweisen, daß es für die Rettung des öffentlich-rechtlichen Radios zu wenig ist, wenn sich der Staat darauf einigt, wie andere private Intiativen auch Ö1 (und FM4) zu subventionieren. Radio ist nicht nur wesentlich an demokratischer Öffentlichkeit beteiligt (Presseförderung), sondern gehört wesentlich dem Bildungsauftrag des Staates zu, ohne damit gleich in einer Bildungssschiene zu verkümmern. Radio (Wellen) ist wesentlich Bildung (auch zu Manieren, zum Sprechen - jawohl Herr Blumenau!) - und sei es, daß die allgemein bildenden Schulen (von Volks- bis Hochschulen) das öffentlich-rechtliche Radio reorganisieren. Kein Gemeinwesen wird ohne allgemein bildende Schulen, wohl aber (illusionär) ohne öffentlich-rechtliches Radio auskommen. In den USA gibt es letzteres nicht, merkwürdigerweise auch kein College- oder Universitätenradio.

    <27 (neu 2015)> Verwundertes Nachwort. Kann ich zum runden Geburtstag mit mehr aufwarten als der Sentimentalität eines Hörers, der sich erinnert? - - - Hier meine schönsten Erlebnisse von FM4-Sendungen: Robert Rotifers grandios recherchierte, o-tönende und reflektierte Sendung zu Syd Barrett unmittelbar nach dessen Tod von (in jenem Sommer 2006 hörte ich eine Woche lang FM4-Spätabendssendungen im Dunklen bei offenem Fenster, welch Genuss), * Elisabeth Scharangs viele, viele souveräne LIVE-Jugendzimmer all over the country, * Scharangs Doppelzimmer mit Elfriede Jelinek, dann auch ihre Doppelzimmer mit Armin Wolf („Ich sehe nicht fern.“), Doris Knecht (Vibes einer Generation) und Konrad Liessmann in Adabsurdumführung jeglicher Wagner-Begeisterung durch Alpha Beta Gaga von Air, * Stermann/Grissemanns Blech oder Blume mit Nadja Abdelkader, * Rotifers insistierendes Interview mit einer englischen Nachwuchsband, sodass sogar mein englischer Gast von soviel Engagement und Sprachkompetenz beeindruckt war, * Rotifers Mitteilung, dass BBC im EU-Wahlkampf 2014 Nigel Farrages United Kingdom Independence Party unterstützt und viele andere politische Informationen, die sich immer bruchlos in die Musik von Heart Beat einfügen, * Rotifers Heart Beat im Gespräch mit dem kritischen Konzertagenten Berthold Seliger, * die High Spirits Club Essentials vom Jänner 1998 und überhaupt die Club Essentials des Jahres 1998, * viele La boum de luxe Sendungen (mit Tina 303s „schönen Grüßen an die Tante, den Landhund und den Stadthund“) mit den Interviews in der Anfangszeit, * das Gothic Special inklusive reichhaltiger Begleitung auf der Webseite im April 2014 im House of Pain (und seine vielen anderen Schwerpunkte), * Martin Blumenau 2001 mit einem jungen weiblichen Fan telefonierend, der Marilyn Manson off stage treffen konnte: „da hamma sich aufgführt“, Tribe Vibes mit dem unnachahmlich determinierten, auch im besten Sinne intellektuellen Werner Geier, etwa seine Sendung mit Falco und dem Schönheitsfeler im Sommer 1996 und * Mirjam Ungers überzeugende Strukturierungen der Home Base einst. - - - Meine Verwunderung ist doppelt: dass zum Einen die Schematisierung alternativer Popmusik in Indie/Alternativrock, House (heute inklusive Soul, Rhythm & Blues etc.), Metal, Hip Hop und Techno seit 20 Jahren hält und dass zum Anderen mit Ausnahme von Hip Hop alle Musikrichtungen seit 20 Jahren von den gleichen Hosts betreut wird. In diesen beiden Punkten bin ich versucht, Konservatives zu sagen. - - - Man kann heute sagen und ich sage es nicht nur, weil ich anders als 1997 und 2000 und danach heute außer Elisabeth Scharangs Doppelzimmer nur mehr Sendungen nach 22 Uhr höre, dass das Programm seit 2000 wochentags vor 19 Uhr geblieben ist, ein Zusatz zum alten Stamm von 1995-2000 (mit impact factor fast gleich Null, wie leider auch fast durchwegs bei den FM4-Autor/-innen), die sich nicht mit der Abendleiste durchdrungen hat: musikalisch (Alternativkommerz vs. Connoisseurmusik), personell (die ModeratorInnen mit ihren Qualitäten haben vor 19 Uhr keine Chancen bekommen), ideell (der Spirit der Persönlichkeiten widerspricht dem Streamlining des Tages mit seinen mehr oder weniger 120 bpm). Derart schleppt sich die merkwürdige Spaltung von englischsprachigem Blaue Donau und englisch gemeintem FM4 fort (als vierte Dimension nach Ö1, Radio Bundesland und Ö3). Das kann man als Austriacum besonderer Art oder als bewährte Tradition ansehen. Das Wellenradio mit seinem expliziten (Bayern) und impliziten territorialen Anspruch zeigt seine resistente Kompetenz, allen „Pflicht“-Übungen von Webseite mit der unseligen /radio/stories/webcam (kapiere nicht, wem das wirklich ein Bedürnis ist außer drei, vier Spechtler- oder ExhibitionistInnen), Sozialmedium, skripturaler Zusatzselbstausbeutung, dem Prosumiming über den FM4-Soundpark seit Herbst 2001 mit mehr als 6.700 „Künstlern“ (Artists) und 7-Tages-Archiv zum Trotz, nicht zuletzt auch gebenüber einer mehr eingebildeten als realen Privatradiokonkurrenz. („zwischen dem personalisierten Soundstreaming von Spotify, weltweiter Konkurrenz durch hochspezialisierte Webradios und dem prätentiös schmerzfreien Boulevard von Vice; darüber hinaus: gefesselt von einem ORF-Gesetz, das innovative Internetaktivitäten untersagt?“ http://www.thegap.at/musikstories/artikel/je-cooler-man-heute-ist-desto-uncooler-findet-man-fm4/seite-3/ 16.1.2015) Es gilt daher, besser zu vertreten, dass sich das Abendsendeschema wochentags erfolgreich behauptet, mit inzwischen großen, auch besser zu bezahlenden ModeratorInnen wie Robert Rotifer, Eva Umbauer, BTO Spider, Christian Fuchs und Truppe, den LaBoumisten mit Aahhrr!-j'aime-de-la-musique-classique-Heinz-Reich im Hintergrund. – – – Anders gesagt, die technischen Entwicklungen 1.) seit zehn Jahren sollten beherzt analysiert und kreativ eingesetzt werden, ohne das Medium Radio, das mit großer Moderation steht und fällt, über Bord zu werfen. 2.) habe ich noch nie etwas auf der Webseite gefunden, was mich in Sendungen vor 22 Uhr hineinhören hätte lassen (so gibt es im Sendeschema keine Angaben über die Existenz der FM4-Nachrichten; auch die anderen Wortbeiträge sind nirgendwo repräsentiert); und ich bin sicher, da gäbe es eine Menge, das es durchaus mit den Wortbeiträgen von Ö1 aufnehmen ließe. Aber das bedeutete, einen Teil der Energie von FM4 Hauspatschen GELB (http://shop.orf.at/1/index.tmpl?ARTIKEL=6436&SHOP=fm4&CART=1421492495122922705&ID=[ID]&lang=DE&SEITE=artikel-detail&startat=1&page=1&suchtext=&kommt=suche&such_shop=fm4&AG01=[AG01]&AG02=[AG02]&sortid=[sortid]) und den fast durchwegs individualistisch schreibenden FM4-AutorInnen auf die Arbeit der Erschließung der Sendebeiträge umzuschichten – mit Zeitangaben, wenn es nicht anders geht (das ewige Archiv ist ja da!). 3.) Was durch Christian Fuchs und einigen wenigen anderen ModeratorInnen schon lange Praxis ist, sollte auch im Sendeschema Ausdruck finden: das Feindbild classic rock in die Rumpelkammer stellen und von Ö1 (das nicht nur den ehemaligen Ö3-Nachtexpress um 0.05 Uhr wochentags adaptiert, sondern auch, leider, mit unter anderem Elisabeth Scharang eine schwächere Talkshow macht, als es Jugendzimmer und Doppelzimmer je waren.) endlich das Publikum übernehmen, das dem „Kultursender“ Ö1 gar nicht zusteht, das heißt, sich der Tatsache zu stellen, dass die langsam alt werdenden „Alten“ auch bei FM4 aufgehoben sein könnten und wollen: die heute 70jährigen. 4.) Gegen den Umzug auf den Küniglberg muss die Forderung erhoben werden, das Funkhaus mit Zubauten zu erweitern und mit mehr Liebe zu den Artists auch, die oft weither aus Österreich extra anreisen und eine schnelle Abfertigung wie in Tribe Vibes nicht verdienen. - - - Ich traure der Webseite der ersten Jahre nach. Sie war bunter, auch im individualistischen Sinn, und liess die gute Portion Anarchie zu, die FM4 gut zu Gesicht steht. Auf die Konterfeis von FM4-MitarbeiterInnen konnten alle gut verzichten. Denn es geht beim Radio nicht um Bilder, sondern Stimmen. Die optische Schönheit ihrer BesitzerInnen bilde ich lieber selber, passend zur Qualität der Sendungen (tatsächlich gutes Aussehen im Radio macht mich nur skeptisch). O.k., die Webseite enthält seit dem Relaunch 2000 die Kommentarfunktion, an der sich auch die betroffenen ModeratorInnen beteiligen und sogar KollegInnen, dann das Streamingfenster mit dem Trackservice (muss von mir aus nicht immer funktionieren, besonders wenn er durch einen Link auf die Playlisten ersetzt werden kann), den FM4-Soundpark und vieles anderes mehr bis hin zu den Webcams (ein fundamentales Selbstmißverständnis punkto Radio genauso wie eventuelle 24h-Mikros aus den Studios). Ein behutsamer Einsatz von Farben und Formen zusätzlich zum Dunkelbraun-Gelb-Weiß könnte aber eine auch inhaltliche Öffnung signalisieren. - - - FM4 ist wenn nicht umstritten, immer wieder in der Kritik, anders als Ö3 (die angebliche ORF-Cash-Cow) und Ö1 (das stilisierte ORF-Feigenblatt für die Nacktheit des ORF punkto Bildungsauftrag, das längst löchrig geworden ist), vom ORF Fernsehen zu schweigen. Dabei ist in der Branche anerkannt, dass – wie beim Falter für den Printbereich – Personen und Elemente hervorgebracht werden, die dann abwandern: der Reality Check (von ZIB-MacherInnen übernommen), Elisabeth Scharang (heute Film-Regie und Ö1-Moderatorin), Produzenten (Mischa Zickler), Stermann-Grissemann (nun bereits in der Strom-Werbung angekommen), der neue Pop des Popfests (wann wird das nicht-zuständige Ö1 zugreifen?) und viele(s) andere(s) mehr. Diese betrüblichen Effekte sollten FM4, weil anders als der Falter Teil einer Firmengruppe, gutgeschrieben werden und unter den Titel der Langfristausbildung auch einen finanziellen Ausstattungsbonus eintragen. Frau Eigensperger, setzen Sie sich mit der WU in Verbindung zwecks Einholung des Know-How, wie ein solcher Bonus zu beschreiben und beim Generaldirektorium des ORF durchzusetzen ist! - - - Es scheint evident zu sein, dass die meisten Funkhausarbeiter im vierten Bezirk bleiben wollen. Nur, fast niemand traut es sich zu sagen, jedenfalls bei FM4. Weil sich Chefin Eigensperger öffentlich für einen Umzug auf den Küniglberg ausgesprochen hat? Man würde glauben, dass ein Sender ALTERNATIVER Musik politisch mündig ist. Das „Manifest für den <das> Rundfunk<haus>“ mit seinen 1900 Unterzeichnenden (Stand: 16.1.2015) und das dieses Manifest unterstützende „Fest für den Rundfunk“ am 14. 6. 2014 trat quasi vor der Haustüre am Karlsplatz in Aktion und wurde mehrheitlich von MusikerInnen beworben, die vorwiegend auf FM4 gespielt und promotet werden. Dennoch sind unter den Unterzeichnenden ganze zwei (!) FM4-Mitarbeiter zu finden, nämlich Thomas Edlinger und Gerald Votava: http://rdrfh2.enif.uberspace.de/unterstutzerinnen-2/. Chapeau den beiden Herren! - - - FM4 ist am späteren Abend Hochkultur, bringt die hochstehendsten Musiken seiner Bereiche. FM4 ist Subkultur, denn es bringt zu dieser Sendezeit die musikalischen Ausdrücke der Widerständigen und ihrer reellen oder potenziellen Unterdrückung. FM4 ist Popkultur in dem Sinn, dass diese dem Mainstream und dem Kommerz einmal zeigen darf, wie Musik gegen die Verlogenheit von Mainstream und Kommerz auch klingen könnte. So gesehen, nimmt FM4 kulturell die zentrale Stellung unter den real existierenden Radioprogrammen des öffentlich-rechtlichen Österreich ein. Wenn sich genau daraus ein Selbstbewußtsein bildet, das die spezifischen medialen Möglichkeiten von Radio erforscht sowie originell und ohne Anbiederung an die neuerdings ideologisch beschworene Multimedialität einsetzt, dann könnten FM4 die multos annos sicher sein, die ihm heute zu wünschen sind. - - - Würde sich FM4 dafür einsetzen, dass es in Österreich ein wichtiges Rockfestival mit einer einzigen Bühne gibt?


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