mahr'svierteljahrsschriftfürästhetik

4 (2001), Nr.1/März

Übersetzung

13. <anon.,> Mikel Dufrennes Verteidigung seiner Thèse principale und seiner Thèse secondaire . Übersetzung von: Soutenance de thèse, in: Revue de la Métaphysique et de Morale 58 (1953), S.432-436, mit freundlicher Genehmingung der Revue de la Métaphysique et de Morale. 22036 Zeichen.

 

 

Referat der Verteidigung der Thèse principale Phénoménologie de l'expérience esthétique von MIKEL DUFRENNE an der Sorbonne am 6. Juni 1953.

Herr Dufrenne beginnt, indem er erkennen läßt, daß die Idee der Wechselseitigkeit von Subjekt und Objekt, die im Mittelpunkt seiner kleinen Thèse steht, auch als Leitfaden seiner Thèse principale diente. Wenn diese fest entschlossen die Erfahrung des Betrachters gegenüber der des Schöpfers bevorzugt, dann deswegen, sagt Herr Dufrenne, weil sie der Erfahrung entsprossen ist, die dem Beobachter eignet, vor allem aber deswegen, weil ihm die Erfahrung des modernen Betrachters als Gelegenheit erschien, über die Beziehung von Subjekt und Objekt und über deren Probleme nachzudenken. Das ästhetische Objekt existiert wechselseitig nur, sofern es für und von einem Bewußtsein, nicht aber als in ihm selbst empfunden wird. Diesem ist der eigentliche Sinn des ästhetischen Objekts immanent, er ist nichts anderes als seine Form im aristotelischen Sinn. Und Herr Dufrenne geht so weit zu sagen, daß das ästhetische Objekt in dieser Perspektive ein "Quasi-Fürsichsein" ist. Weit davon entfernt, sich in die Welt einzuschreiben, gehört das ästhetische Objekt andererseits prinzipiell einer eigenen Welt an, die sich uns im Ausdruck öffnet. Es eröffnet sich uns eine Welt, indem wir sprechen. Aber dieser Logos des ästhetischen Objekts ist erklärtermaßen nicht rationell, es ist ein affektiver Logos. Es sind die Kategorien der Affektivität, durch die man ihn erklärt. Das ästhetische Objekt ist wahr (sofern es die Wahrheit des Autors ausdrückt und die Wahrheit einer Welt erarbeitet), aber diese doppelte Wahrheit kann nur in der Empfindung geerntet werden. Der Autor unterscheidet daher in der Wahrnehmung das Moment der Präsenz oder des Gelebten im Sinn von Herrn Merleau-Ponty, sodann das der Vorstellung oder des Noetischen oder auch des Verstands im Sinn von Kant und schließlich das der Empfindung oder des Affektiven. Die Empfindung ist der Weg, auf dem sich die Wahrnehmung engagiert, wenn sie aufhört, vorstellend zu sein, ist das Moment, bei dem die Wahrnehmung, anstatt das Objekt zu beherrschen, mit ihm kommunizieren will. Daher hat die Theorie der Wechselseitigkeit von Subjekt und Objekt, als Leitfaden dienend, im Ausgang von einer Analyse des "ästhetischen Objekts" quer durch ihre noetisch-noematischen Strukturen eine "Analyse der " ästhetischen Wahrnehmung" zur Folge. Die Affektivität, die in den Rang einer noetischen Funktion vorrückt, forderts Aprioris. Das "affektive Apriori" ist zugleich "kosmologisch" und "existenziell". Es eröffnet eine Welt - ohne dieses Projekt gäbe es kein Reales. Aber es ist ebensosehr "existenziell", was gleichzeitig an der Beziehung von Werk und Autor und derjenigen von Werk und Betrachter gezeigt wird. Damit die Wahrheit der Affektivität erscheint, muß das Apriori zur Struktur der Subjektivität des Betrachters gehören. Dieser zugleich kosmologische wie existenzielle Charakter des affektiven Aprioris erlaubt Herrn Dufrenne einmal mehr, die Wechselseitigkeit des Subjekts und des Objekts ins rechte Licht zu rücken. Die Verpflichtung des Existenziellen und des Kosmologischen hat viel eher einen ontologischen als einen idealistischen Sinn. Das Apriori ist der Ausdruck eines Sinns, der zum Sein gehört. Die affektive Qualität manifestiert einen ursprünglichen Augenblick, und sie ruft das Werk und den Betrachter für eine Sache hervor, die diese beiden Momente überwindet und begründet.

Herr Souriau beglückwünscht Herrn Dufrenne zu seiner einwandfreien Kenntnis der modernen Kunst und Literatur, zu seiner architektonischen Anstrengung im Aufbau seines Werks und vor allem zur Kraft seines Denkens. Diese Kraft, sagt er, funktioniert nicht ohne das Training der persönlichen Teilnehmer, die zur Diskussion hier aufrufen. Herr Souriau greift sofort einen Teil des Ganzen an, der, wie er sagt, eine Begründung der Thèse Herrn Dufrennes ausmacht, aber auch den zerbrechlichsten Teil darstellt. Es ist jener Teil, der das ästhetische Problem vor allem unter dem Gesichtspunkt des Betrachters behandelt. Diese platonische und traditionelle Position wird von den Zeitgenossen aufgegeben, die dazu im Gegensatz den Akzent auf die künstlerische Schöpfung legen. Herr Dufrenne befindet sich also im Gegensatz zur jüngsten Entwicklung der Ästhetik. Aber das Schwerstwiegende ist, daß er "vielen der Gründe recht gab, die eine Position angenommen haben, die zu seiner eigenen umgekehrt ist". Daraufhin fragt er Herrn Dufrenne: "Sie gehen von der Erfahrung des Betrachters aus, aber gegenüber was? Dem Kunstwerk. Sie schließen insgeheim die ästhetische Wahrnehmung an die Kunst an." Auch beschuldigt Herr Souriau Herrn Dufrenne, dem Problem des natürlichen Schönen ausgewichen zu sein. Die Zeitgenossen haben ein Recht, dieses Problem als untergeordnet zu betrachten, da sie sich für die Schöpfung interessieren. Aber warum spricht der, der vom anderen Aspekt der ästhetischen Erfahrung ausgeht, nicht von der Kontemplation der Landschaft, vom natürlichen ästhetischen Objekt? Er beschäftigt sich nur mit der Erfahrung des Betrachters, aber er autorisiert ihn nicht dazu, von dieser Erfahrung Gebrauch zu machen, die dem Kunstwerk vorausgeht. Er beraubt sich der Hauptkraft des kontemplativen Standpunkts. Herr Dufrenne schaltet, nachdem er geantwortet hat, daß ihm seine Erfahrung nicht die notwendige Kompetenz gibt, um vom natürlichen Schönen zu sprechen, den Einbezug der Methode ein. Er habe von Null ausgehen wollen, um sich zu fragen: Was ist ein ästhetisches Objekt? Er habe sich entschlossen, nur vom Kunstwerk zu sprechen, weil dort die entscheidende Erfahrung gefunden werden könne. Die Erfahrung einer Betrachtung der Landschaft zum Beispiel riskiert den Nachteil, unrein zu sein, mit Sensationen anderer Art vermischt zu sein. Diesem letzten Argument antwortet Herr Souriau, daß das ebenso beim Kunstwerk funktioniert. Was die Grundfrage der Konstitution des ästhetischen Objekts betrifft, ist es leicht, letzteres im Kunstwerk zu beschreiben. Aber in der Künstlerbetrachtung eines Phänomens, das ihn ästhetisch interessiert, gibt es sehr interessante Probleme der Konstitution, die Herr Dufrenne beiseite gelassen habe. Seine Methode sei paradox. Zuerst analysiere er das Objekt, dann die ästhetische Wahrnehmung. "Aber konstituiert sich das Objekt nicht in der ästhetischen Wahrnehmung? Wie wird das ästhetische Objekt gemacht? Sie geben es sich als ganz fertig!" - "Da wende ich mich wieder dem Künstler zu", antwortet Herr Dufrenne. Und Herr Souriau ruft aus: "Sie geben mir also recht! Entweder Sie wenden sich wieder dem Künstler zu, oder Ihr kontemplativer Standpunkt hat eine Besonderheit, aber dann müßte er von der Konstitution des Objekts ausgehen. Sie sind verpflichtet, dem Künstler ein Privileg zuzugestehen, aber Sie achten auf eine schräge Einstellung, die der Kunst gegenüber mißtraut. Sie haben eine Neigung, ihre geistige Kraft zu begrenzen." Zugleich wirft er Herrn Dufrenne den Hang vor, bestimmte große Probleme zu minimieren und sie etwas zu schnell zu behandeln. Umgekehrt bedauert er beim Problem der Wahrheit des Kunstwerks, dem Herr Dufrenne einen so großen Platz eingeräumt hat, gewisse Schwankungen. Das hat damit zu tun, antwortet Herr Dufrenne, daß es zwei Wahrheiten des Kunstwerks gibt. Man muß von der Echtheit des Künstlers ausgehen, um bei der veritas in essendo des Werks anzukommen (das in sich wahr ist). Auf den Einwand Herrn Souriaus "Aber die Wahrheit des Künstlers überläßt der Wahrheit des Werks den Vorrang, das allein gerade dank der Selbstverleugnung des Künstlers wichtig ist" antwortet Herr Dufrenne: "Aber es ist doch dadurch, daß er sich dem Werk gibt, daß er die Wahrheit verwirklicht." Herr Souriau schließt mit Lob auf den Stil Herrn Dufrennes und auf seine Sorgfalt des Ausdrucks.

Auch Herr Bachelard findet Gefallen daran, das Angenehme zu unterstreichen, das die Lektüre des Werks von Herrn Dufrenne bietet. "Ich habe alle meine Freizeit", sagt er, "dazu verbracht, Sie zu lesen." Aber diese Lektüre von der Hand in den Mund habe ihm erlaubt festzustellen, daß sich Herr Dufrenne von der einfachen Beschreibung absorbieren läßt. Man warte zu lange auf die phänomenologische Analyse, wie sie vom Titel angekündigt wird. Dennoch wäre Herr Dufrenne gut dazu geeignet, sie durchzuführen, wählt er doch die Position des Betrachters vor dem Kunstwerk. Diese gibt uns die Möglichkeit der Einsamkeit, jenes Terrain, das auch die Phänomenologie wählt. Aber Herr Dufrenne ist von dieser Einsamkeit abgekommen. "Sie wissen, was die Phänomenologie ist", ruft Herr Bachelard aus, "und dennoch lassen Sie sich von einer Kontemplation absorbieren, die von den Kunstwerken zu sehr und zu verschieden bestimmt wird." Herr Dufrenne räumt ein, daß er einen deskriptiven Teil zu lang gemacht habe. Aber er beansprucht dabei den Begriff der Phänomenologie um nichts weniger, weil er danach geforscht habe, hinsichtlich der Verschiedenheit der Kunst deren gemeinsames Sein einzukreisen. Dieses gemeinsame Sein existiert aber, antwortet Herr Dufrenne, im Künstler und nicht im Objekt, das nicht zusammenpasse. Herr Dufrenne rechtfertigt sich, indem er zugibt, daß wenn er danach getrachtet habe, verschiedene Objekte mitspielen zu lassen, dann er es deswegen getan habe um zu zeigen, daß sie etwas gemeinsam hätten. "Ja," ruft Herr Bachelard aus, "ein Ministerium der schönen Künste!" Und er kommt noch einmal auf seinen Angriff zurück (nachdem er die Möglichkleit einer Phänomenologie des Theaters bestreitet, die ihmzufolge die Abwesenheit der Einsamkeit untersagt), indem er Herrn Dufrenne entrüstet vorwirft, von den Tänzen gesprochen zu haben. "Wie wollen Sie denn eine Phänomenologie der Tänze betreiben? Da geht man nicht hin, um sich vor einem Kunstwerk zu amüsieren! Sie können sich nicht der Phänomenologie einer Kunst ausliefern, die Sie als einzelne nicht in betracht zu ziehen vermögen!" Sein anklagender Finger zeigt auf Herrn Dufrenne: "Wollen Sie Phänomenologie vor Tänzern betreiben? Wie denken Sie über den Tanz nach? Mit einem Opernglas?" Herr Dufrenne verteidigt sich schüchtern, indem er den Irrtum des mit einem Operglas bewaffneten Tanzbetrachters mit jenem des Musikhörers gleichstellt, der eine melodische Phrase vom Ganzen isoliert und sich ausschließlich darauf fixiert. "Wie sind Sie doch unschuldig!", ruft Herr Bachelard aus und hebt die Arme zum Himmel. Er kommt auf die Dichtung zu sprechen und macht auch hier Hernn Dufrenne den Vorwurf einer Verwechslung. Er sei nicht bei einer Ontologie des Poetischen angekommen. Er habe eine schreckliche Idee abgesondert: Ein Dichter könnte vollständig nur gewürdigt werden, wenn seine Verse rezitiert und nicht nur gelesen würden. "Wenn man Ihnen Gedichte vorläse," fragt er Herrn Dufrenne, "wie würden Sie die phänomenologische Übung anstellen?" - "Ich würde Sie nur machen, antwortet Herr Dufrenne, wenn ich beim Rezitieren hören würde." Herr Bachelard hebt erneut die Arme zum Himmel: "Sie sind nur ein Ohr!" ruft er aus. "Sie amüsieren sich, indem Sie beim Rezitieren von Dichtung zuhören so, wie Sie einen Tanz anschauen gehen! Sie haben Beschreibungen angehäuft; sehr gut! Aber von Zeit zu Zeit müßten Sie dann vor einem Bild oder einem Gedicht in der Einsamkeit Phänomenologie betreiben." Herr Bachelard beglückwünscht aber Herrn Dufrenne nichtsdestoweniger dazu, auf manchen Seiten die große Linie der Phänomenologie wiedergefunden zu haben. Er gibt als Beispiel die Seite über die Empfindung der Tiefe. "Hier ist große Phänomenologie.", schließt er und wendet sich zu Herrn Dufrenne: "Das ist es, was man von Ihnen erwarten muß."

Herr Jankélévitch beginnt, indem er sagt, daß wenn der Plan des Werks auch dank des kontinuierlichen Gleichgewichts von Subjekt und Objekt sehr klar ist, es doch ein bißchen zu viel des Guten sei. Man hat ihn von der ersten Zeile an verstanden. Was den Stil betrifft, so "würde er den jungen Leuten sicher sehr gefallen." Das Vokabular von Herrn Dufrenne sei "ganz auf dem Laufenden", es entspreche einer Mode, die heute in Frankreich aktuell ist, wie sie es vor einem halben Jahrhundert in Mitteleuropa war. Herr Jankélévitch fragt sich, ob die Idee der Korrelation von Subjekt und Objekt nicht eine alte, extrem klassische Idee ist, die man sich aber ehedem zufriedengab auszudrücken, ohne vom Ziel der Noesis und des Noemas zu sprechen. Er denkt auch, daß diese Idee Herrn Dufrenne dazu hinreiße, sich mit zu einfachen Lösungen zufrieden zu geben, insbesondere den Standpunkt des Betrachters zu privilegieren. "Sie hätten mit diesem Teufel der Korrelation Antwort auf alles, aber es bleibt, daß Sie den Hang haben, dieses der Betrachtung sowie die Ethik der Ästhetik unterzuordnen. Ihr Werk ist die Aufwertung des Betrachters, der ein schlechtes Gewissen hat und der wohl gern für irgend etwas im Kunstwerk wäre." Er beschuldigt Herrn Dufrenne, heimlich vom Bildlichen zum Eigentlichen überzugehen, vom Geist zum Buchstaben, wenn er zugibt, daß das Werk den Betrachter braucht. Hier sei eine brillante metaphorische Redensart gegeben, von der man aber nicht das Recht hätte, daraus metaphysische Schlüsse zu ziehen. Herr Dufrenne antwortet, es handle sich um nichts als Phänomenologie. "Die Stellung des Kunstwerks will es, daß es nur für jene existiert, die es wahrnehmen, und zum Beispiel nicht für die Hausfrau, die das Bild abstaubt. Es handelt sich ganz um das philosophische Problem der Stellung des wahrgenommenen Seins." Herr Jankélévitch ist nicht überzeugt und beschuldigt Herrn Dufrenne weiterhin des "Betrachterkomplexes" sowie dessen, "den Unterschied zwischen Ethik und Ästhetik zu verbergen" (die Ronde de Nuit, sagt er, verdankt mir gleichwohl nicht im selben Maß wie ich ihr) und die Kooperationsrolle des Interpreten zu übertreiben. Er vergesse, daß es Werke gibt, die von der Ausführung unabhängig sind oder die bei ihr verlieren. Er sagt den Ideen Herrn Dufrennes über den Konsens der Öffentlichkeit einen schönen Erfolg voraus, der zur Vollendung des Werks notwendig sei. Sie gäben der Mehrheit ein gutes ästhetisches Gewissen. "Sie sind jünger als ich", sagt Herr Jankélévitch zu Herrn Dufrenne. "Sie bewundern das Publikum und seine demiurgische Rolle." Aber dieser Begriff des "Publikums" sei ein leichtsinniger Begriff. Was die Einheit des Publikums ausmacht, ist allein das gute Gewissen, zur Elite zu gehören.

Nachdem er die Ideen Herrn Dufrennes über den spielerischen Charakter des Kunstwerks angefochten und seine Befürchtungen zum Ausdruck gebracht hat, in ihm eine uneingestandene Vorliebe für eine Ästhetik der Redegewandtheit und des Hübschen zu finden, das dazu führen könnte, Musiker wie Saint-Saëns zu bewundern, geht Herr Jankélévitch zur Kritik des Kapitels über die affektiven Aprioris über. Er findet in letzteren einen metaphorischen Charakter und befürchtet, daß die Analyse der Empfindung die Nuancen nutzloserweise vervielfacht und zu keinen verbalen Lösungen führt. Es ist auch ihr metaphorischer Charakter, den er an Herrn Dufrennes Seiten über die Räumlichkeit und die Zeitlichkeit des Kunstwerks tadelt. Hat er sich nicht zum Beispiel beeinflussen lassen von der Räumlichkeit des linierten Papiers oder des Werkzeugs? Herr Dufrenne verteidigt sich, indem er daran erinnert, daß Herr Souriau ihm im Gegenteil vorgeworfen hat, in diesem Kapitel nicht weit genug gegangen zu sein, und behauptet, daß die Idee einer Räumlichkeit und einer Zeitlichkeit, wie sie dem Kunstwerk eigen ist, nicht metaphorisch ist, sondern von der phänomenologischen Analyse aufgezwungen wird.

Indem man auf dieser Korrelation insistiert - beutet man nicht einfach nur eine Banalität zur Hilfe von psychologischen oder metaphorischen Beschreibungen und von Innovationen des Vokabulars aus, oder hat man der Analyse ein fruchtbares Terrain geöffnet? Das ist die allgemeine Frage, die man beantworten müßte, um das Werk Herrn Dufrennes zu beurteilen.

Die Thèse secondaire von MIKEL DUFRENNE: Der Begriff der Grundpersönlichkeit sein Kontext in der amerikanischen Anthropologie .

Nachdem sich Herr Dufrenne bei Herrn Davy für die Ermutigungen und die Hinweise bedankt hat, die den Ursprung und das Verfolgen seiner Forschungen umgaben, sagt er, daß es die ursprüngliche Eingebung seiner Reflexion über die amerikanische Anthropologie bei Abram Kardiner und Ralph Linton und über die Basic Personality war. Indem er dem schönen Risiko der formellen Philosophie und der transzendentalen Reflexion entkommen wollte, suchte er dabei nach dem Gleichgewicht eines positiven anthropologischen Wissens. Sein anfänglicher Entwurf war es, eine philosophische Reflexion an den Begriffsapparat zu knüpfen, wie er von der amerikanischen Anthropologie ausgearbeitet wurde. Es ist die Phänomenologie, von der er glaubte, die philosophische Schutzherrschaft zu dieser Konfrontation einer Humanwissenschaft und einer metaphysischen Befragung beanspruchen zu müssen. Denn hat sich die Phänomenologie nicht manchmal als philosophische Anthropologie vorgestellt? Es ist also die Konfrontation zwischen einer philosophischen und einer wissenschaftlichen Anthropologie, der Herr Dufrenne die Möglichkeit einer unmittelbaren Kommunikation, einer Zusammenarbeit dieser beiden Zugänge zum Humanen entziehen wollte. Vielleicht könnte man sich daher davor bewahren, was die eine oder die andere der beiden Anthropologien riskierte zu untersagen oder zu bestreiten: den Begriff einer ursprünglichen Totalität des Individuums und des Milieus, die Besonderheit des Menschlichen, die Idee eines der genetischen Entwicklung des Individuums immanenten Sinnes, das heißt die Idee, die von einer Finalität erneuert ist, die sich in den Augen Herrn Dufrennes vom persönlichen Projekt und der ursprünglichen Wahl zu einem historischen Logos ausdehnen würde.

Der Begriff der "Grundpersönlichkeit", der Kardiner und Linton entliehen ist, ist in den Mittelpunkt der Arbeit Herrn Dufrennes gestellt. Er erscheint ihm geeignet, die objektivistische und die phänomenologische Versuchung der Humanwissenschaften zu versöhnen, und dafür empfänglich, das heute klassische Problem der "Kultur" und der "Persönlichkeit" aufzulösen.

Herr Davy beglückwünscht Herrn Dufrenne und bringt dessen universitäre Karriere zur Sprache. Den allgemeinen Linien der Thèse zustimmend, bedauert er jedoch, daß ihr Autor "zu sehr Philosoph" ist, und vor allem, daß er die Deutung der amerikanischen Autoren zu sehr mit "seiner" Philosophie imprägniert. Und setzt er nicht auch den Akzent zu sehr auf die soziologische Psychologie, die Phänomenologie oder die Fassungskraft auf Kosten der objektiven Psychologie und der Erklärung? Hat er nicht die psychiatrischen oder ethnologischen Voraussetzungen Kardiners und Lintons ein wenig vernachlässigt? Warum hat er sich in den Schatten der Gestaltpsychologie ziehen lassen, der Theorie des Felds oder der Ideen Malinowskis ebenso wie der Vorläufer des Begriffs der Grundpersönlichkeit. Ist es nicht eine Voreingenommenheit des Phänomenologen, den es dazu drängt, die Determinante auf Kosten des Determinierten systematisch zu bevorzugen, in der Grundpersönlichkeit nur einen Begriff "im Dienst einer Interpretation der Kultur" zu sehen und dem genetischen Standpunkt als einen zu unphilosophischen zu mißtrauen? Solch ein Wille zur philosophischen Unabhängigkeit hat der architektonischen Festigkeit schaden können. Herr Davy befürchtet schließlich, daß die Versöhnung, wie aufrichtig auch immer der Versuch wäre, künstlich und theoretisch bleibt.

Herr Dufrenne macht deutlich, daß sein Ehrgeiz darauf beschränkt sei, das einfache Territorium einer möglichen Versöhnung bestimmen zu wollen. Andererseits gesteht er dem genetischen Standpunkt die größte Glaubwürdigkeit zu, aber es liegt in der Natur seines Themas, die ihn gezwungen hat, sich mehr über die phänomenologische Soziologie auszubreiten. Zuletzt glaubt er, die Grundintention der Autoren nicht verraten zu haben, die ihn inspiriert hat.

Herr Davy würde gern einen zu engen Begriff der objektiven Humanwissenschaften bekämpfen. Man müßte, denkt er, die Grundpersönlichkeit wieder in die objektive Soziologie integrieren. Es müsse eine objektive Anthropologie möglich sein, die die Determinante, einmal analysiert und erklärt, in das Determinierte einschließt. Herr Davy empfindet mehr und mehr das größte Mißtrauen gegenüber den "existenziellen Aprioris" und den universellen Strukturen, wie sie Herr Dufrenne beschwört, der einen guten Teil der Freiheit, der Erfindung und der Vernunft widmet.

Nachdem Herr Gurvitch Herrn Dufrenne zur Genauigkeit seines Exposés der Ideen Kardiner und Lintons im zweiten Bucb seiner Thèse beglückwüscht hat, wirft er ihm vor, dieses Exposé mit Betrachtungen versehen zu haben (die Bücher II und III), die nicht immer auf die diskutierten Themen zurückbezogen sind und die manchmal durch die Untiefen punkto soziologischer Information erstaunen (Beispiele: wenn der Begriff der "Wissenschaft des Menschen" den Amrikanern zugeschrieben wird, der von Saint-Simon stammt; die Auslassung von "L. Lévy-Bruhls Primitiver Seele, die den Blick geöffnet hat" auf Linton mit der Idee, daß die Struktur der Persönlichkeit in den archaischen Gesellschaften der unseren unvergleichbar ist, auch wenn sie in der Vernunft der mystischen Erscheinungen stärker ist; die Zuordnung der berühmten These von Sumner Maine über die Entwicklung der Gesellschaften vom Status zum Vertrag). - Indem er das Grundsätzliche der Debatte streift, bittet Herr Gurvitch Herrn Dufrenne zu erklären, wie er die Grundpersönlichkeit manchmal als Abstraktion bestimmter gemeinsamer psychologischer Züge erklären kann, manchmal aber als eine Art der Norm oder des von der Gesellschaft dem Individuum vorgeschlagenen Ideals und manchmal als Sein des Individuums selbst. "Die Singularität und die Geschichtlichkeit " könnten nur einer wirklich konkreten Individualität zugeschrieben werden und nicht einer Grundpersönlichkeit in den beiden anderen Bedeutungen. Herr Dufrenne antwortet, daß es der normative Charakter der Grundpersönlichkeit ist, das als Band dienen könnte. Herr Gurvitch macht die Bemerkung, daß zum einen jede Norm sich der Wirklichkeit gemäß verdeutlicht, der sie als Hindernis begegnet, daß zum andereren Herr Dufrenne durch das Akzentuieren des Normativen dazu gezwungen sei, die psychoanalytische Position der Autoren von der Grundpersönlichkeit aufzugeben. - Weiters zieht Herr Gurvitch in betracht, daß Herr Dufrenne trotz seines Existenzialismus nicht die inneren Widersprüche herausstellt, die jedes Individuum überwinden muß, um seine Persönlichkeit zu bilden; man müßte anstelle der Grundpersönlichkeit von den vielfältigen Kriterien sprechen, die die verschiedenen Typen der Gesellschaft dem Individuum im Blick darauf vorschlagen, die immer einzeln bleibende Anstrengung zu erleichtern, die jenes beitragen muß, um seine kohärente Persönlichkeit einzurichten. Herr Dufrenne antwortet, daß eine solche Konzeption nicht mehr zulassen würde, die Grundpersönlichkeit weiter bestehen zu lassen.

Herr Gurvitch bedauert, daß Herr Dufrenne all seine Betrachtungen auf den Gegensatz zwischen Institution - die Grundlage der "objektiven Psychologie" - und Gelebtem - die Grundlage der psychologischen Soziologie - gründet. Wenn man auch den Term "Institution" ohne Kritik annehmen könnte, dessen Stärke bezweifelbar ist (der Begriff "Strukturierung" wäre zugleich breiter und genauer), so scheint es, daß die Institution nicht existieren könnte, ohne gelebt zu sein, und daß das Gelebte sich nicht ohne die "Werke" und die "Strukturierungen" bejahen könnte. Das Mittelbare und das Unmittelbare sind zumindest in der Soziologie und in der Psychologie vollkommen relativ geworden. Sodann stellen die Konzeptionen Herrn Dufrennes nicht nur in bezug auf die gegenwärtige Situation einen Schritt zurück dar, sondern auch in bezug auf die "totalen sozialen Phänomene" von Mauss, wo sich richtigerweise die Gegensätze von Subjektivem und Objektivem, Gelebtem und sogenanntem Institutionellem, Fassungskraft und Erklärung überwunden finden. Herr Dufremme antwortet, daß er ein einziges Mittel der Versöhnung des Institutionellen und des Gelebten sieht, und das ist, die objektive Soziologie und die psychologische Soziologie zu einer Zusammenarbeit zu bringen, wie sie im Vorspiel der vorbereiteten Wissenschaften beschaffen sind.

Herr Gurvitch bedauert, daß obwohl Herr Dufrenne, ganz indem er von Hegel die dialektische Methode ablösen wollte, diese als eine Art der synkretistischen Vermittlung aller geronnenen und in der Soziologie wie Psychologie geläufigen Begriffe verstanden und ohne Kritik angenommen hätte, dabei vergessend, daß die Kraft jeglicher Dialektik zuerst in der Zerstörung der überkommenen Begriffe besteht. Die verschiedenen Techniken einer empirischen Dialektik erweisen Abschottungen als unmöglich, denen verbale Synthesen folgen. Diese Techniken überprüfen eine unendliche Vielfalt an Graden und Betonungen, die zur stets erneuten Erfahrung einladen. Herr Dufrenne antwortet, daß Herrn Gurvitchs Deutung der Dialektik ihm den traditionellen dialektischen Synthesen näher erscheint als seine eigene. Herr Gurvitch schlußfolgert, daß er auf jeden Fall glaubt, daß seine Deutung wohl bescheidener sei, denn sie hat nicht den Ehrgeiz, mittels "existenzieller Apriori" (ein Term, dessen Sinn ihm nicht klar ist) die Existenz mit der Vernunft zu versöhnen, die konkrete Einzelheit der Person mit den Normen, die Geschichtsphilosophie mit der Psychosoziologie, die Psychoanalyse mit dem Kantianismus.

(c) Peter Mahr 2001

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