mahr'svierteljahrsschriftfürästhetik

3 (2000), N.4/Dezember

Rezension

10. Günther Pöltner (Hg.), Phänomenologie der Kunst. Wiener Tagungen zur Phänomenologie 1999, = Reihe der Österreichischen Gesellschaft für Phänomenologie, hg. v. Helmuth Vetter, Bd. 5, Frankfurt am Main ...: Peter Lang. Europäischer Verlag der Wissenschaften 2000, 229 S., DM 68,-. 30699 Zeichen.

Heute der Phänomenologie der Kunst eine Tagung zu widmen, ist kein einfaches Unterfangen. Die Phänomenologie hat es so schwer wie die Kunst, rein als Disziplin aufzutreten. Beide haben, ob angesichts der theoretischen Stärke in den Wissenschaften oder durch die Kommerzialisierung von zumindest Literatur und bildender Kunst, einen Teil ihres hohen Anspruchs zurückstecken müssen. Überhaupt scheint ein einfacher, gesicherter Bezug einer theoretischen Disziplin - der Kunstphilosophie - auf eine von ihr unabhängige und klar scheidbare ästhetische Profession immer weniger glaubhaft. Was die Kunstphilosophie betrifft so liegen systematische Monographien Jahrhzehnte zurück, was die Kunst betrifft ist fraglich, ob der Singularbegriff nicht schon seit geraumer Zeit abgedankt hat und nur noch als Veredelungsprädikat beziehungsweise hohe Technik oder Übung in Gebrauch ist. Daß dem entgegen ein phänomenologisches Philosophieren über die Künste sich vielfältiger Lebendigkeit erfreut, beweist der größte Teil der vorliegende Texte.

Iris Buchheims These in "Martin Heidegger. Wider ein Phänomenologie der Kunst" ist, daß der Kunstwerkaufsatz, besonders auch dessen 3. Teil, keine Phänomenologie der Kunst, auch nicht der Dichtung ist, auf die er zuläuft, sondern allein den Hymnen Hölderlins gilt. Buchheim konstatiert ein pseudophänomenologisches Vorgehen, wie es auch "Die Kunst und der Raum" bestimme. Dort ist vom Räumen als vom Hören auf die Sprache die Rede. Das Ding versperre den Zugang zum Werk. Das Denken Hölderlins dagegen ist Bewahrung, die ein zeitraumloses Werk sein könnte. Hölderlins Werk allein sei "gewählt" (von welcher Instanz?). Es geht dabei darum, die Grundstellung unseres Daseins zur Kunst zu wandeln. Buchheim kommt bei einem "verrückten" Denken an, das eine Entrückung leiste, eine Verrückung als Bewahrung, in der allein Stiftung wirklich ist. Anders gesagt, geht es, gegen die Entfremdung, um die Versetzung unser in die Not der Kunstlosigkeit - es ist für Heidegger immerhin das Stadium der Überwindung von Ästhetik wie Metaphysik. Buchheim verweist auf ihr Buch "Wegbereitung in die Kunstlosigkeit". Die Versetzung in die Kunstlosigkeit hat damit zu tun, daß die Wahrheit des Seins nicht in der Zeitlichkeit des Daseins liegt. Es kann keine phämenologische Hermeneutik der Faktizität geben - eine Feststellung, die "Sein und Zeit" betrifft, von welcher Abhandlung nun allerdings bekannt ist, daß ihr Autor die Wende nicht nur zur Hermeneutik, sonder auch zu einer Fundamentalontologie sowie einer philosophischen Anthropologie vollzogen hat. Worin besteht also die Stellung der nach "Sein und Zeit" gehaltenen Vorträge über das Kunstwerk von ihrer philosophischen Stellung her - und was daran könnte noch bei gutem Willen als phänomenologisch gelten? - Buchheim meint jedenfalls, das wesentliche Wesen ist kein Gattungsbegriff wie etwa "die Kunst". Zum Schluß müsse die Entscheidung fallen zwischen der Kunst im Vor- und Ursprung und der Nicht-Kunst im Sinne des Nachtrags, für welch letztere sich Buchheim als Werden der Kunst in der Bereitung des Raums des Hörens Hölderlins entscheidet, in dem die Kunst allein stattfinden kann. Hölderlins Nennen allein ist Nennen - nicht das Goethes und Schillers (warum genau?). Daher falle Hölderlin aus Metaphysik (noeton, Vorbild) und Kunst (aistheton, Sinnbild) heraus - im Sinne einer dennoch "künftigen, von Hölderlin angestifteten Kunst" (S.107).

Christoph Jamme geht in seinem Beitrag "'Malerei der Blindheit'. Phänomenologische Philosophie und Malerei" von dem Faktum aus, daß sich die phänomenologische Philosophie wenn mit Kunst, dann vorwiegend mit der Dichtung, besonders aber mit der bildenden Kunst beschäftigt hat - letzteres in bezug auf die Malerei allerdings erst spät. Die Vorgeschichte setze ab 1880 mit Konrad Fiedlers Hinwendung zu kunstimmanenten Kriterien ein und erreiche Höhepunkte in Merleau-Pontys "Cézannes Zweifel" (1944) und Heideggers 1950 publiziertem Kunstwerkaufsatz. Vorher seien die Dichotomien von Schein und Sein beziehungsweise äußerem und innerem Sehen für die Erfahrung ihrer Differenz im Mittelpunkt gestanden. Die Phänomenologie charakterisiere im Vergleich zu anderen Theorien wegen der "Privilegierung des Sehens" (S.111) ein angemesseneres Verhältnis zur Kunst (eine Behauptung, die unausgeführt bleibt). So sei es Merleau-Ponty gelungen, den Ausweg aus der Krise künstlerischer Wiedergabe einzuholen in der Beschreibung von Cézannes Malerei, die den Gegenstand ebenso wie die impressionistische "Ästhetik" festhalte und zwar gegen die wissenschaftlich-geometrische ebenso wie die photographische Perspektive. Der Künstler stößt das Werk wie ein erstes Werk hervor. Das Aufdecken der Farbe ist Resultat, auch eine primordiale Wahrnehmung des Dings, das als Zentrum der Ausstrahlung von Sinnesdaten begreiflich werde, sowie eine Welt ohne Vertraulichkeit an Natur, wie sie vor der Spaltung von Leib und Seele existiert. Die Wende zu den Sinnen betont Jamme auch am späteren Merleau-Ponty, an deren Auge in den Dingen, die den Raum, gegen Descartes, von innen erleben läßt. Sehen und Malen werden zu Mitteln der Abwesenheit. Doch auch an Lyotard und Derrida läßt sich eine Anknüpfung an die Phänomenologie feststellen. Jener deckt an Dispositiven eine Phänomenalität des Sichtbaren auf, erkennt in Auseinandersetzung mit Duchamps Großem Glas und Barnett Newmann, über Merleau-Ponty hinausgehend, eine Malerei der Blindheit, des geblendeten Auges. Dem Derrida von dessen Louvre-Ausstellung "Erinnerungen eines Blinden" (nicht dem der "Wahrheit der Malerei") geht es dagegen eher um die Rhetorik der Blindheit. Die Präsenz von Ausdruck und Sinn, die immer schon abwesend sei und nur Spuren erlaube, wird von Derrida in Blindenzeichnungen, die blind für das Sujet sind, sowie der Ruinenlandschaft als Selbstporträt bestätigt. Jamme biegt Derridas Frage, wie die Wahrheit der Malerei wiedergegeben sei, auf Merleau-Pontys Begriff der Ausdruckshandlung zurück, der die Wahrheit im Material der Oberfläche ansiedelt. Jamme schließt mit Verweisen auf Lambert Wiesing und dessen Arbeit über die Autonomie der reinen Sichtbarkeit, auf Husserls Behandlung des Streits von Darstellung und Darstellendes und endet mit einer Kritik an Lyotard, weil dieser nicht nahe genug am Kunstwerk sei. Jamme bringt eine Menge Hinweise, die den Wunsch nach einer systematischeren Perspektive auf die Phänomenologie aufkommen läßt. In diese Perspektive gehörte auch Lacan (siehe unten zu Iris Därmanns Beitrag), aber auch Deleuze's Lektüre des Malers Francis Bacon "Die Logik der Sensation". Und wenn wir schon so unbescheiden sind, dann bitten wir als die, die Waldenfels und Descombes nicht gelesen haben, auch um eine knappe Darstellung des phänomenologischen Kontexts, aus dem Lyotard und Derrida heraus kommen (immerhin stammt von Lyotard eine Einführung in die Phänomenologie).

Einen Brückenschlag unternimmt Lambert Wiesing. Wie selbstverständlich verknüpft er in "Phänomenologie und die Frage 'Wann ist Kunst?'" (sprach)analytische Philosophie und Phänomenologie. Entlang Nelson Goodman stellt er die Frage "Was ist wann und warum ein Kunstwerk?". Goodman trat gegen eine traditionelle, substanzialistische Werkästhetik auf, weil Kunst nicht anschauliche, formale Werkqualitäten habe wie die Qualitäten der Komposition, der Aussagekraft, der Wahrheit. Diese führen in die Nähe der Phänomenologie, die, hier der Tradition verbunden, die Sache selbst, die originäre Anschauung des Werks anstrebt. Das Ready-made erweist aber die Oppositionen Werk/Umgebung, Kunst/Leben, Gestaltung/Zufall und Stil/Beliebigkeit als ungültig. Demgegenüber bleibt die Phänomenologie unentschieden, sie reflektiert die jüngere Kunst nicht. Wo die philosophische Erkenntnis nicht hinreicht, so Heidegger, nämlich bei der Kunst, müsse ihr Gegenstand, das Werk zum Thema einer regionalen Ontologie gemacht werden. Doch für Wiesing entziehen sich die Künste tendenziell einer phänomenologischen Analyse. Wenn Goodman dagegen fragt, wann Kunst sei, wann sie als solche fungiere, dann kann sich diese Frage aber auf alle Dinge beziehen - so wie alles zum Geschenk gemacht werden kann. Das Fungieren-als weist also Kunstwerke als Zeichen auf, die nach Goodman für abwesende Dinge (Denotation) oder Eigenschaften (Exemplifikation) stehen können. Damit ist die Orientierung an einem Gegnstand als Norm ausgeschlossen. Der dadurch erwachsenden Gefahr eines Gegensatzes von phänomenologischer und analytischer Ästhetik begegnet Wiesing nun gerade mit Sartres "Was ist Literatur?". Diesem Ansatz zufolge sind ästhetische Gegenstände nicht Zeichen - bei denen es nur pragmatische Kommunikation gäbe - , sondern es zeigen etwa Bilder, daß sie zwar aus Öl auf Leinwand bestehen, aber nicht als solche gesehen werden. Gedichte bestehen zwar aus Zeichen, werden aber nicht als Zeichenwerke gelesen. Wenn ein Wort als Ding wie ein Medium angesehen wird, dann, so beobachtet Wiesing, erscheint Poesie auf die Seite von Malerei, Musik und Skulptur gezogen. Phänomenologisch gesehen wird damit das Zeichen in seiner Zeichenfunktion transparent. Das Kunstwerk ist dann, nach Sartre und gegen Goodman, ein immaterielles Phänomen. Wiesing schlägt daher einen Mittelweg vor, der den Sachverhalten Rechnung trägt, daß Kunstwerke nicht auf objektiven, materiellen Eigenschaften, aber auch nicht auf Zeichen als Gehalte selbst beruhen. Laut Sartre erscheinen ästhetische Gegenstände als präsente Sinngebilde. Zeichen werden hier aufgrund ihres Sinnes gesetzt. Was an Husserls Bildobjekt erinnert, ist bei Sartre der imaginäre Gegenstand. Tatsächlich wäre ein Gegenstand als Zeichen nicht kunstspezifisch, wie Kult- oder Spekulationsobjekte zeigen. Wiesing schlägt daher eine doppelte Relation vor, nämlich etwas als etwas für den Gegenstand und etwas für etwas als Zeichen zusammenzudenken. Damit könnte das phänomenologisch relevante Etwas-in-Etwas und das analytisch-philosophisch untersuchte nichtpräsentische Zeichen zusammengedacht werden. Ein Schmerzensgesang ist ein Zeichen für den Schmerz und etwas anderes. Oder Ölfarbe kann auch als (dargestellter, aber nicht unbedingt als dargestellt gesehener) Blitz und der wiederum als (ausgedrückte, wenn auch nicht nur als Audruck von) Angst gesehen werden. Wie Sartre sagt, wird die Leidenschaft von Wörtern ergriffen und verwandelt. Oder wie Husserl sagt, wird das Bildobjekt als (wie im Fern-Sehen) abwesend und als anwesend (künstlich, virtuell) gesehen. Dieses Sehen-als - wie treffend wäre hier eine Diskussion des späten Wittgensteins als Phänomenologe! - streift Wiesing auch anläßlich der Erwähnung der Religionswelt, der Kinderspielwelt, der Souvenirwelt oder von Botho Strauß' nach George Steiner geäußerte Ansicht, daß die Kunstlehre hinsichtlich von realen Gegenwarten nur eine um Kunst erweiterte Sakramentenlehre sei. Doch Wiesing geht noch einen Schritt in eine andere Richtung weiter. Er will Kunst und phänomenologische Philosophie überhaupt als verwandt aufzeigen. Beiden gehe es um die Erforschung von Etwas-als-Etwas, des Dinges, "als was es sich gibt" (Husserl, Ideen, Par.24). Nach Fellmann will Wiesing sagen: "Es gibt für den Phänomenologen nur Kunst"(S.146). Zumindest die Kunst des 20. Jahrhunderts bestätige diese Tatsache, ermögliche eine wechselseitige Erhellung zur Phänomenologie. Damit lenkt Wiesing in eine Gegenüberstellung Sartres mit Danto ein. Er wundert sich tatsächlich zurecht, daß Danto in seiner Kunsttheorie sich nicht mehr auf Sartre beziehe, was die die kunstweltstiftende Funktion der Sartreschen Verkörperung betreffe. Doch liegen auch sofort die Unterschiede beider Anschauungen auf der Hand. Während Sartres Etwas-als-Etwas der traditionellen Kunst auch zum Ready-made erweitert werden kann, projiziert Danto das Ready-made auf die klassische Kunst zurück. Während Danto vom Gegenstand als Kunstwerk zum Gegenstand als Zeichen übergehen will - was aber, weil sprachunabhängig, keine Verklärung mehr wäre - , beharrt Sartre auf dem unzeichenhaften Charakter des Kunstwerks. Wie auch immer, kann Wiesing negative Kritiken gegen das Ready-made abwehren. Punkto Heideggers Kunstwerkaufsatz bleibt es bei Andeutungen - Farben als Bauernschuhe sehen - , wogegen der Sartresche Topos der Heimsuchung des Gemäldes etc. vom Irrealem unterstrichen wird. Sowohl in Kunst wie auch in Wissenschaft - daher die Parallele von Kunst und Phänomenologie - werden die ermöglichenden (Farb- etc.)Strukturen anschaulich erforscht, wobei es sich um einen Prozeß handelt, der abgeschlossen werden kann (Kunstwerk!) und somit wiederum Neues, neue Forschungen ermöglicht. Das Etwas-für-Etwas der Zeichen kann dagegen nicht einem Forschungsprozeß geöffnet werden, womit Wiesing zuletzt eindeutig für die Phänomenologie Partei ergreift. "Kunst betreibt mit nicht-begrifflichen Mitteln Phänomenologie."(S.149) Es geht beiden um die Präsentation der Präsentation, um das Etwas-als-Etwas, um die Möglichkeiten und Grenzen des Verklärungsvorgangs. Alle Kunst könne wie ein Ready-Made untersucht werden. Ein wahres Furioso von Gedanken und Verbindungen, das Wiesing hier querfeldein entfacht! Das ist nach dessen Buch über die Sichtbarkeit des Bildes und den Formbegriff Anzeichen für weitere größere Würfe!

Es ist Günther Pöltner, der als hier als Einziger die Tradition der Phänomenologie in Methode und Stil fortführt. Es geht ihm in der Charakterisierung einer kunstspezifischen Sprache der Musik in seinem Beitrag "Sprache der Musik" um die Kontrastierung des Ausgangs vom Sagen gegen den von der Verlautung. Bei letzterem sieht er die klassisch metaphysische Auffassung am Werk, wie sie von Aristoteles herkommt - Sachen stellen sich in Eindrücken oder Zuständen der Seele dar und lassen sich zu Laut-, Schrift- oder nonverbalen Zeichen formieren - , in der Musikpsychologie aufgefangen wird (Peter Faltin) - die Artikulation und Vermittlung des Gedankens durch die Musik - und noch bei Adorno in dessen Auffassung von der Musik als Sprache der Hoffnung auf Versöhnung weiterwirkt. Adorno, so zeigt Pöltner in einem komprimierten Abschnitt, bindet dabei die klassisch-metaphysische Auffassung der Sprache als Zeichen, die im Bestimmen nach Gattungen und Arten auf ein Nichtgegenständliches als Einzelnes, als nennbaren Namen abzielt, mit einer naturalistischen Geschichtsphilosophie zusammen. Dagegen wäre aber zu sehen, daß der Name nicht konstitutiere, sondern nur in einer Entsprechung fungiere, daß die ungegenständliche Dimension des Sprechens nicht adressiert sei und die musikalische Sprache geschichtsphilosophisch überfrachtet. Nimmt man aber nicht von der Verlautung, sondern vom Sagen den Ausgang zur Beantwortung der Frage, inwiefern Musik Sprache ist, dann zeigt sich das Sagen nicht von einem Sprechen her, sondern von einem Hören-Können. Das Sagen ist dann ein Antworten im Sinn der ganzen Relation der Entsprechung. Pöltner geht daher vom Sagbaren aus, das die Dinge, das Sein betrifft, die Dinge in ihrem Wortcharakter, die Sprache der Phänomene. Die Sprachlichkeit der Dinge ist also von vornherein als nichtmetaphorisch zu denken, wie das Finden des rechten Wortes zeige. Demgemäß ist die Sprache als Verlautung nur ein Spezialfall des Ent-Sprechens; das Sagen ist ihm gegenüber umfassender. Das betrifft auch die Künste, die von ihrem nichtmetaphorischen Charakter her begriffen werden sollten, vom Hören her, das das Sagen als ein Hören vom Offenen der Welt aufschließt. Pöltner will damit vom Primat des Sehens der bildenden Künste in der Kunstphilosophie wegkommen. Ontologisch läßt sich das punkto Gegsnständlichkeit genauer fassen. Vom direkten Gegenstandsbezug läßt sich eine (ungegenständliche) Welt unterscheiden, deren wir innewerden können, und zwar im Modus der Befindlichkeit oder dem der Gestimmtheit. Während erstere vorschnell zur Partikularität der Gefühle und dessen Ausdruck mittels Musik führe, ist es die Gestimmtheit, die die Gegenständlichkeit und die Ungegenständlichkeit zugleich als ein Durchstimmtsein von etwas begreifen lassen. Im Streifen von Böhmes Begriff der Atmosphäre entwickelt Pöltner dieses Durchstimmtsein in Absetzung von Bestimmtheit, von Spezifiziertheit. Wenn Stimme und Leib Symbol für die Offenheit sind, deren Möglichkeit der Mensch einräumt, dann muß es auch Modifikationen des Offenhaltens geben, das die Welt und das Innerweltiche verschränkt. Pöltner hebt denn auch das Sagen als primäres Meinen, das im wortsprachlichen Worüber etwas zu verstehen gibt, vom Sagen als primäres Durchstimmen ab. Es ist genau dieses "Durchstimmen", das die gegenständliche Dimension in der Musik zurücknimmt. Also: Töne haben keine Bedeutung, sie haben nur in Beziehung (auf etwas, aufeinander?) Sinn, sind insofern nicht den Lauten, sondern den Geräuschen nahe, die uns auf etwas hinweisen, etwas lokalisieren und zu verstehen geben. Aus dieser Rücknahme der Gegenständlichkeit folgt ein Unterschied von wortsprachlicher Sprache und Musik, wie die Verfahren der Interpretation zeigen. Nur die Musik aber bringt zu Gehör. Ein derartiges Durchstimmen kann nach Pöltner nie ausschließlich sein. Denn es ist im Lautlichen symbolisiert, zeitlich gegliedert und intentional ausgerichtet. Anders gesagt, sind Nachahmung, Assoziation und Verständnis möglich, ein Kennen, das das Erklingen der Musik als Erschließung, ja Umwandlung der Gestimmtheit ausweist. Erst so ereignet sich der Weltbezug in der Gestimmtheit, der Atmosphäre. Es kann auf diese Weise auch beim Meinen ein indirektes Mitgesagtes eröffnet werden. Somit erscheint Musik als "ausdrückliches Symbol der ungegenständlichen Welt" (S.168). Sie ist also nicht Ausdruck etwa von Gefühlen - ein Motiv ist als sehnsuchtsvoll etc. nur analog zu nehmen, etwa zur Gestimmtheit eines Texts - . Die Macht im Erklingen ist überlegen, "gewährt sich", entwindet sich der Verfügung, wie das gelingende Musizieren erfahren läßt. Das ist der Moment, in dem Pöltner das Ergreifende, das Nicht-Fixierbare der Musik hereinholt. Die Macht der Musik zeigt sich "darin, daß ihre intentionslosen Töne das Ungegenständliche einer Welt auf ausgezeichnete Weise erfahrbar machen." (S.169). Die Musik selbst ist identifizierbar mit einer unvergleichlichen Welt, mit einer Mit-Gegenwart durch das Gehörte hindurch, wobei die Zeit selbst als Zukunft (Möglichkeit), Vergangenheit (das Neue, das Alte) und ihrer beider Gegenwartsverhältnis als Offenheit gegeben wird. Pöltners Beitrag, ähnlich wie der Wiesings, ist als Aufsatz schon kaum mehr zu fassen. Mehr als bei allen anderen Beiträgen haben wir es mit einem Entwurf oder einem Konzentrat von einem Buch zu tun, von dem interessant sein wird, wie Pöltner die Bezüge zu Alfred Schütz oder Günther Anders expliziert. Pöltner spricht auch noch nicht von der intermittierenden Pause, dem Schweigen (insofern es nicht nur ein Zuhören ist), der Zeit, die gerade hier parallel zur Dichtung erschlossen werden könnte. Es ist klar, daß Pöltners Option für die Musik am zeitlichen Vollziehen der Aufführung und dadurch am Durchstimmen ausgerichtet ist. Ist damit die Notation, die für die abendländische Musik so zentral war, und mit ihr auch die bezeichenbare Struktur adressierbar?

Noch kritischer gegenüber Adorno ist Richard Klein in seinem Beitrag "Historie, Progreß, Augenblicklichkeit. Zur Hermeneutik musikalischer Erfahrung in der Moderne". Er versucht eine Hermeneutik der musikalischen Erfahrung im Anschluß an Gadamer. Gadamer kommt es auf die Kunst in ihrer Gleichzeitigkeit von Vergangenem und Gegenwärtigem an. Während das Vergangene als fortschrittliche Vorstufe zu einer Zukunft im geschichtsphilosophischen Sinn gedeutet werden kann, kann das Gegenwärtige auch als Entartung gegenüber der Tradition gesehen werden (Gadamer, Die Aktualität des Schönen, Salzburger Vorlesungen 1974, Reclam, S.60f.). Das will Klein abseits der historischen und soziologischen Reduktion im einzelnen an Adornos Musikphilosophie überprüfen, insbesondere an der Denkfigur der Aufhebung der Zeit, indem das Kunstwerk als Augenblick gefaßt wird. Es erscheint dabei eigenartig, wenn zum einen Adornos begriffliche Mittel als unzureichend gerügt werden, zum anderen Adorno sehr stark an den musikwissenschaftlich geprägten musikphilosophischen Schriften geprüft wird, wo doch Adorno selbst einen philosophischen Zusammenhang in der empirisch gesättigten "Ästhetischen Theorie" entfaltet sowie eine komplexe, manchmal vielleicht auch komplizierte Stellung zur Philosophie seiner Zeit einnimmt. In erster Linie ist an die frühe und mittlere Auseinandersetzung mit Husserl zu denken, wenn man schon nicht seine Kritik an Heideggers Ontologie als in bezug auf Gadamer hermeneutikrelevant und -aufschließend in betracht zieht. Es bleibt zu bedauern, daß Kleins kenntnis- und in bezug auf Adorno materialreicher Versuch einer Verbindung kritischer Dialektik - worin immer die philosophische Postion einer solchen bestünde - und einer ontologischen Hermeneutik nicht in dem vom Tagungstitel vorgegebenen Rahmen einer Phänomenologie der Kunst stattfindet. Wie kann man zwischen Begriffen, die phänomenologischen Analysen zugrundeliegen, und solchen Analysen selbst unterscheiden und sich dann, S.172, ersteren zuwenden? Auch wird nicht klar, ob Adorno wirklich die kategorialen Mittel abgehen, die Präsenz vergangener Werke ohne den aktuellen Stand der musikalischen Mittel zu reflektieren (S.183).

Die Kandinsky-Forscherin Jelena Hahl-Fontaine "Von abstrakter und konkreter Kunst zum Minimalismus" spricht in bezug auf Dmitrij Tschizewsky, Michel Herny, Rolf Kühn und Dominique Janicaud von einer Sammlung von Fragen an die Phänomenologie. Welche Antworten hat sie schon bekommen, daß sie eine befriedigende Beantwortung gerade von seiten der Phänomenologie erwartet, zumal allen voran die Künstler das oberste Maß bleiben? Hahl-Fontaine spricht auch von einer Ästhetik vor der Ästhetik als theoretischer Disziplin. Ist damit das unproblematisierte Alltagasverständnis der "Ästhetik" von Dingen gemeint? Wenn Hahl-Fontaine frägt, ob weiß eine Farbe oder der Verzicht auf Farbe oder was der Zufall in der Kunst ist - , wie könnten diese Fragen dann aber wirklich phänomenologisch formuliert und einer Behandlung unterzogen werden? Leider bleibt Hahl-Fontaine darauf einiges schuldig, so sehr sie nicht nur die kunst- und musikhistorischen Mittel dazu in der Hand hält, sondern auch mit der einschlägigen theoretischen Literatur vertraut ist. Dabei wäre gerade von Husserls "Ursprung der Geometrie" oder Merleau-Pontys Auseinandersetzung mit der Gestaltpsychologie Wesentliches aus dem Unterschied von abstrakter und konkreter Kunst oder über die Basis der Abstraktion in der Malerei und Skulptur in der geometrischen Form oder Gestalt zu ziehen.

Janos Békési will "Mit Dufrenne in den Cyberspace. Elemente einer phänomenologischen Ästhetik Neuer Medien" - damit ist eigentlich nur ein Element gemeint, nämlich Virtualität. Es geht dabei - phänomenologisch gesprochen - um das Element in seiner konstitutiven und nicht genetischen Rolle. Békési will ohne Baudrillard und den Konstruktivismus von der Phänomenologie Husserls aus und besonders der Dufrennes die Räumlich-/Zeitlichkeit des Kunstwerks als ästhetisches Objekt so in den Griff bekommen, daß beide Aspekte, der des virtuellen Bilds im Sinn des 19. Jahrhunderts und der des virtuellen Photons - das irreale Bild, das mögliche Bild des So-gut-wie - auch in der fortgeschrittenen Technik gewahrt bleiben. Dabei gibt es drei Konzeptionen Dufrennes zu verschiedenen Denkphasen. Die erste (1956) meint beim Virtuellen das, was jeder Aktualisierung in der Erfahrung des ästhetischen Objekts vorausgeht. Das Virtuelle ist das apriorische Wissen im Subjekt - die Traditon, die Erinnerung, der Vergleich. Das ästhetische Objekt erscheint als ein Quasi-Subjekt in Raum und Zeit, wobei die internen Relationen dieser Welt die Expressivität dieser Welt, ihre Bedeutung ausmachen. Diese Expressivität beruht wiederum auf affektiven Qualitäten im Status des existenziellen Apriorischen. Die zweite Konzeption des Virtuellen (1987) ist als Vorsinnliches das Imaginierte zwischen Objekt und Subjekt, ein den Sinnen immanentes Imaginaäres, das in der Synästhese nicht und nur dann besteht, wenn der Reiz eines Sinnes vom Bild eines anderen Sinnes begleitet wird ("Musik eines Gemäldes"). Es geht um das, was zwischen Anwesendem und Abwesendem im Schatten des Gefühlten vorgefühlt werden kann. Anders gesagt, hier erscheint das Virtuelle am Gegenstand. Eine Zwischenstellung nimmt eine dritte Konzeption ein, die von Békési nicht am Textkorpus Dufrennes ausgewiesen wird. Sie soll sich als virtuelles Bild nicht in der Region der Konstitution befinden, soll eher die Wahrnehmung bei zunehmender Bedeutung verfolgen und ein unerkanntes Innewohnen enthalten. Békési Anwendung auf die "Neuen", das heißt digitalen Medien ergibt die Konstatierung einer automatisierten Interaktivität, wie angeblich schon in den Happenings angelegt sei und die das Virtuelle der ersten beiden Konzeptionen bestätigt, und einer immersiven Umgebung, bei welch letzterer die Substitution der verschiedenen Sinnesregister sich auf das einschließende Bild und die vorempfundene Umgebung bezieht. Dem daraus gebildeten Virtuellen werden von Békési selbstreferenzielle generative Muster und die Kollaboration der Medienkunstproduzenten an die Seite gestellt, die er allerdings einer Phänomenologie für unzugänglich hält - nur eine Wissenschaft der Kreativität sei beiden Tatsachen adäquat. Diese Ansätze sind umso interessanter, als Dufrenne im deutschen Sprachraum bis jetzt überhaupt nicht rezipiert wurde, aber eine interessante Mischung aus kantischem Apriorismus und Sinnesphänomenologie darstellt. Um jedoch einen starken Begriff von Virtualität zu erreichen, müssten die verschiedenen Versionen des Virtuellen bei Dufrenne eingeschmolzen werden und noch stärker zum Gegenstand der neuen Medien entwickelt werden.

Eine ähnliches Defizit der Synthese ist für Severin Müller auszumachen. Ihm geht es um die Phänomenologie des Phantastischen bei Husserl und Arno Schmidt. Dem hat Husserl bekanntlich (Hua XXIII, erst 1980 erschienen) breite Aufmerksamkeit gewidmet. Müller will nun auf den Spuren Husserls das Mehr der Phantasie, ihr Nicht-Existentes, Ersatzhaftes gegenüber der Wirklichkeit anhand der Literatur demonstrieren. Ist Phantasie ein Vorgang? ein Entwurf? eine Gebildebewegung? Welcher Art von Realität ist sie? Kann sie verbindlich sein? - Weil Husserl Phantasie als allgemeinen Gegenstand untersuchte und nur partiell auf Kunst bezog, will Müller nun an einem Beispiel die Triftigkeit der Phänomenologie unter Beweis stellen. "Gadir" von Arno Schmidt ist der Beleg. Aber was zeigt Müller? Sicher in aller Detailliertheit die Husserlschen Bestimmungen anhand einer Erzählung im Bewußtseinsstrom, als die er den Schmidtschen Text liest. Wird aber dabei nicht übersprungen, daß es sich dabei um einen Text der Literatur handelt? Dann müßte aber auch seine literarische Form zur Sprache kommen und das, was die Phantasie in der Literatur zu einer spezifisch literarischen macht. Auch Freud kommt herein, der Freud der Traumdeutung, weil auch Husserl anläßlich der Phantasie sich mit dem Traum beschäftigte. Wo aber dann wirklich "siedelt der Erzähler in seien imaginationen"(S.82), zu der nun noch eine conditio humana dazukommen soll? So sehr auch Müller mit den klar umgrenzten, schwierigen Texten umzugehen in der Lage ist, ebenso sehr bleibt fraglich, ob er überhaupt zur Literatur und damit auch zu einer Phänomenologie der Kunst vorstößt. So wie Müller Schmidt mit Husserl liest, geht es lediglich um die Entfaltung der im Schmidtschen Text enthaltenen Erfahrung, nicht aber um die Literatur selbst.

Dagegen scheint Iris Därmann mit "Unter dem Blick bildlicher Medien" nur bei ganz oberflächlichem Blick am Thema einer Phänomenologie der Kunst vorbeizugehen. Der Fall liegt anders. Es handelt sich um eine Lektüre des zweiten von vier Kapiteln aus dem "Seminar XI" von Jacques Lacan. Därmanns Frage ist, ob es neue Bildmedien ab der Erfindung der Fotografie gibt und ob sie einer Ethik des pikturalen Mediums zugänglich sind. Anders gesagt, gibt es eine Einheit von ethos und techné? Mit Lacan, aber auch Derrida, zielt sie auf die Klärung der Adäquation von Triebschicksal und Unverfügbarkeit des Anderen, auf die Erhellung der Schautriebsublimierung, die das Subjekt in den Stand des Gesetzes bringt. Es geht dabei um die fragwürdige Differenz zwischen Technik (Photographie) und Kunst (Malerei) in Richtung auf den Status des Mediums. Beide sind nicht so sehr medial unterschieden, als sie von der Technik des Haben-Wollens und den Gesetzen des Sein-Sollens geprägt sind. Jedenfalls behebt die Frage nach der Medialität, Därmann zufolge, die Defizite der ästhetischen (und technischen) Theorie der Künste. Das Bild - hier der Sprung weg von der Tradition der Ästhetik - ist weder autonom, noch instrumentell, womit Därmann ausdrücklich an Heideggers Frage nach der Technik anknüpfen möchte. Das Bild als Medium ist ein Seinsentbergen wie die Kunst auch, zugleich eine Herausforderung des Menschen. Was bringt hier nun die Differenz von Ethik und Technik? Die Lektüre von Därmanns Beitrag - der einen Ausschnitt aus ihrem von anderen Symposiumsteilnehmern genannten Buch "Tod und Bild" zusammenfassen könnte - als eine Phänomenologie der Kunst ergibt folgende Anhaltspunkte. Därmann sieht Lacan mehrere Bildbegriffe diskutieren und verwerfen, was darauf hinausläuft, "daß das Dispositiv von Malerei und Photographie hinsichtlich der Sublimierung des Schautriebs und der Einschreibung des Subjekts ins Tableau zueinander in Beziehung gesetzt wird." (S.21) An Sartres Sehen und Vor-dem-Blick-Verbergen, auf das sich Lacan verdeckt mehrmals bezieht, erkennt Därmann ein Dazwischentreten der Kamera, das besonders für die Frühzeit der Photographie mit ihrer stundenlangen Belichtungzeit - dem zeitlich ausgedehnten "Blick" - relevant ist. Därmann geht es entlang Lacan um die fundamentale Entwicklung der perspektivischen Malerei, um die geometrale Perspektive, die Lochkamera, die Stockmetapher für die Lichtübertragung bei Descartes (die übrigens von Fechner so treffend als Nachtansicht zurückgewiesen wurde), die Welt als subjectum - die zu einer Subjektlosigkeit im späteren Sinn führte - , die Anamorphose - die dieses spätere Subjekt zumindest lokalisiert und einen Überschuß des trompe l'oeil enthält, das heißt, die das Subjekt markiert - , der Blick der Dinge - der nach und wie bei Cézanne und Klee aus dem Gemälde kommt - , das Foto als Naturstift, das Bild als Geschoß. All das sind phänomenologisch relevante, teils phänomenologisch explizierte Sachverhalte, die zurecht den Eindruck erwecken, daß "Lacan die Malerei nachträglich von der Photographie heimsuchen läßt"(S.32), allerdings mit dem Gewinn, eben jene Sublimierungsleistung herauszustellen, die sich unterhalb des phänomenologischen Dispositivs psychologisch heranbildet. Der Gewinn dabei ist die "Umkehrung des aus dem Gemälde kommenden Blicks"(zit. Derrida, Kraft der Trauer, in: Wetzel/Wolf (Hg.) 1994), wodurch das Subjekt sich selbt erfaßt. Därmann erkennt hieran die Stillung des Schautriebs angesichts der Nichtigkeit des Objekts a, zugleich eine Sublimierung im Sinn eines interesselosen Wohlgefallens an der Existenz/dem Blick des Anderen in seiner Unverfügbarkeit (S.35). Das ist der Punkt, an dem Därmann in die Lektüre des Seminar XI in einem Absatz und mit nicht weniger als 21 Verweisen Freud über die soziale Verfaßtheit der Sublimierung und der Kunst hineinschüttelt. Es ist aber Merleau-Ponty, an dessen kontingenter Leibverfaßtheit der Malerei Lacan und mit ihm Därmann anknüpft. Eines macht diese Lacan-Lektüre klar - wenn es denn eines Beweises noch bedurft hätte: Lacan verwendet, fixiert, entwickelt weiter Phänomenologeme, die schon von Sartre und Merleau-Ponty gedacht oder angedacht wurden. Der Antrieb ist dabei evidentermaßen die Psychoanalyse. Doch was Därmann vorschlägt, ist mehr, ist eine Wende zur "Medienwissenschaft". Damit ist aber noch nicht die Kunst eingeholt, - gesetzt, man vollzieht die Gleichsetzung von Medium und Kunst in der kaum begründeten Weise nicht mit. So bleibt neben der souveränen Lektüre eines nicht zuletzt phänomenologisch zentralen Kapitels im Werk Lacans unausgeschöpft, was nun wirklich die komplexe Subjekt-Objekt-Beziehung der Malerei hinsichtlich der Kunst, scilicet der ästhetischen Kunst ausmacht. Von ihr spricht Därmann ja wenig. Ist es das über die Sublimierung hereingeholte interesselose Wohlgefallen, das aber im selben Moment als für Kommunikation überhaupt wesentlich bestimmt wird? Wenn es eine Ethik des pikturalen Mediums gibt - , wie wäre es dann mit einer Ästhetik des pikturalen Mediums, zumal es ohne ein solches ohnehin nicht gehen wird? Ist es, klassisch-freudisch, der soziale Wert des Schaffens des Künstlers, in dem die Dispositive der Phänomenalität von Photographie und Malerei münden?

Wie bei Iris Därmann zeigt der ganz Band die aktuelle Situation der phänomenologischen Philosophie auf. Es hat sich die Phänomenologie zu einer äußerst mischungsfreudigen philosophischen Herangehensweise besonders auch gegenüber der Kunst entwickelt. An den postistischen Ansätzen Derridas und Lyotards (Jamme) zeigt sich dies ebenso wie an den psychoanalytisch basierten Überlegungen Lacans (Därmann). Schon bei Merleau-Ponty (Jamme), Sartre (Wiesing), aber auch bei Dufrenne zeigt sich, wie sehr die Vertiefung in ein Phänomen anhand einer bestimmten Sache oder eines bestimmten "Beispiels" wie (die eigene?) Literatur bei Sartre, Cézanne bei Merleau-Ponty oder Holbein bei Lacan, aber auch eines Textes wie demjenigen von Arno Schmidt der Konkretisierung der hohen Komplexität der phänomenologischen Untersuchung zugute kommt, deren Standard Husserl bis heute spürbar vorgegeben hat. Es fällt auf, daß es sich dabei fast ausschließlich um französische Philosophen handelt. Allein Lambert Wiesing sieht solche Potenziale in der neben der Phänomenologie anderen Hauptströmung der Philosophie des 20. Jahrhunderts, der (sprach-)analytischen Philosophie etwa derjenigen Goodmans oder Dantos - sei es begrenzend, sei es überschreitend - am Werk. Hier scheint noch einiges zu holen. Wenn auch aus Austins linguistischer Phänomenologie bis jetzt keine ästhetischen Beiträge bekannt sind, so ist es der spätere Wittgenstein, dessen kunstphilosophische Gedanken auch in einer phänomenologischen Perspektive Früchte zeitigten, die noch nicht geerntet sind. Überhaupt steht ja die systematischere Überprüfung der sogenannten postanalytischen Philosophie, die man heute schon mit den "Two Dogmas ..." beginnen läßt, auch unter kunstphänomenologischen Auspizien an: Danto, Cavell, A. Benjamin, die analytischer orientierten RepräsentantInnen der Continental Philosophy. Aber selbst in der deutschsprachigen Philosophie beginnt eine Neubewertung. Daß Adornos Kunstphilosophie zweimal am Prüfstand der Phänomenologie (bzw. Hermeneutik) steht, zeigt an, daß (wie bei Benjamin andernorts) die soziologische Philosophie der Frankfurter Schule in ihrem philosophischen Anteil auch "von außen" wahrgenommen wird. Nicht zuletzt erweist sich die Phänomenologie für einzelne Bereiche der Kunst als äußerst entwicklungsfähig (Pöltner). Daß selbst innerhalb der Phänomenologie die einzelnen Klassiker der Kunstphilosphie grundsätzlich nicht unumstritten sind, läßt sich an Heideggers Kunstwerkaufsatz zeigen (Buchheim). Summa summarum dokumentiert dieser Band eindrücklich, daß auch aus einer methodisch mehr oder weniger verpflichteten und sich bekennenden Philosophie eine vitale Diskussion im Gange ist, die nicht zuletzt einer Disziplin wie der Kunstphilosophie auf Dauer weiterhelfen wird.

(c) Peter Mahr 2000

mahr@h2hobel.phl.univie.ac.at

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