mahr'svierteljahrsschriftfürästhetik

3 (2000), Nr.2/Juni

Rezension

9. James Monaco, Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der Medien. Mit einer Einführung in Multimedia, übers. v. Brigitte Westermeier u. Robert Wohlleben, hg. v. Hans-Michael Koch, <3. erw. Aufl.> = rororo Sachbuch 60657, Reinbek: Rowohlt 2000, 699 S., DM 29,90. Die gleichzeitig erschienene 3. englische Auflage hat James Monaco ohne Illustrationen im pdf-Format unter http://www.readfilm.com/HTRbook.html zugänglich gemacht. Zeichen.

In meiner Lehrveranstaltung zur Philosophie der Medienkunst vor einigen Semestern machte mich eine Studentin schüchtern auf James Monacos Filmbuch aufmerksam, einen Titel, der nicht nur nicht in meinem Reader und einer umfangreicheren Literaturliste enthalten war, sondern dessen Autorenname mir eben nur dunkel im Gedächtnis war. Einen solchen Hinweis immer besser ernst, denn er zeigt an, daß, was für diese Studentin als selbstverständlich galt, es auch für andere und damit ziemlich sicher als relevant einzustufen ist.

In der Tat, Monacos "Film verstehen" ("How to Read a Film") geht über eine theoretisch nur durchsetzte Kinoeinführung hinaus. Es behandelt breit die technologische und damit künstlerische Krise des Kinos der letzten Jahre und ist damit für eine Medienkunst, die sich von Video und Computeranimation herleitet, von beträchtlichm Belang. Doch das Überraschende für denjenigen, der die ersten beiden Auflagen von 1977 und 1995 noch nicht kannte und auf die Auslieferung der überarbeiteten Auflage wartete, ist der umfangreiche, theoretisch-, um nicht zu sagen philosophisch-ästhetische Teil, der sich auf nicht weniger als 250 Seiten erstreckt, die Illustrationen abgerechnet, auf 200 Seiten. Gemeint sind 1. Film als Kunst, S.15-63, 3. Filmsprache: Zeichen und Syntax. <a.> Zeichen, S.151-175, 4. Filmgeschichte: Ein Überblick, davon die Einleitung S.229-234 und, nach "Kino: Die Ökonomie" und "Film: Die Politik", auf S.285-409 "Cinéma: Die Ästhetik". Doch damit nicht genug, folgt dem noch ein Abriß der Filmtheorien der letzten hundert Jahre auf S.411-454.

Man kann für ein kurzes Referat des Buchs in theoretischer Hinsicht mit dem Satz beginnen, es "war <!> die Spannung zwischen ... Mise en Scène und Montage der Motor der Filmästhetik, und das seit der Zeit, als die Gebrüder Lumière und Méliès erstmals die praktischen Möglichkeiten jedes dieser beiden Begriffe um die Jahrhundertwende erforschten." (S.176) Zwar erforschten die beiden und andere Filmemacher seither nicht Begriffe, höchstens ausnahmsweise und in der von Monaco nur selten gestreiften Avantgarde abseits der Industrie. Was aber Monaco meint, ist, daß so etwas wie eine Filmsprache am Werk ist, die von Regisseure in den einzelnen Filmen verwendet, geändert oder erweitert wird - bewußterweise handelt es sich dann um Film als Kunst - und die die Zuschauer lesen können, wenn sie sie kennen. Das ganze Buch ist somit praktische Ästhetik im Baumgartenschen Sinne, theoretische in den genannten Abschnitten. Unter Ästhetik versteht Monaco, wie der dritte Teil von Kapitel Vier über die Filmgeschichte sagt, das was die Filmgeschichte chrakterisiert, die sich eben von technisch-formalen Grundelementen her aufrollen läßt. Daß es die filmische Einstellung und der Schnitt sind, ist, wie sich zeigen wird, das Schema, mit dem Monaco dann auch die Filmtheorien behandelt

Der Begriff Ästhetik kommt zwar auch im ersten Kapitel "Film als Kunst" vor. Doch meint er dort die Reaktion im 19. Jahrhundert auf die Begrenzung der Künste durch die Kulturwissenschaften. Neben der Bewegung des L'art pour l'artspeziell der Musik sind es die Ästhetiken der romantischen Künstler, die mit der Imitation der Wissenschaft und Technik eine Avantgarde der Abstraktion vertreten, die sich auf die Suche nach den Quanten ihrer Sprache macht. Monaco nennt die Parodie durch Dada, den Minimalismus der 50er, die Konzeptkunst der 70er Jahre, auf die um 1970 eine Desillusionierung des Fortschrittspathos und eine Hinwendung zu Theorien der Stabilität einer politischen und ökonomischen Kultur erfolgt sei. Wenn nun auf eine Avantgarde der Abstraktion eine mit politischen Zielen und in der letzten Zeit eine der explodierenden Technik gefolgt sei, dann kann auch für den Film die Vergewisserung nur in einer allgemeinen Kunsttheorie erfolgen, die eine formale Kunstevolution von der Urzeit bis zum Medienzeitalter vorschlägt.

Das heißt, die Entwicklung von den darstellenden Medien der Echtzeit (Lied, Erzählung, Schauspiel) über die bildlich wie sprachlich symbolischen, die direkter reproduzierenden (Foto, Film, Tonträger) zu den digitalen Medien (Multimedia) - "wir können unseren Augen und Ohren nicht mehr trauen" (S.21) - findet dann einen Halt in Monacos vereinfachender, aber anregender Kunstklassifikation. Es sind Design, Architektur, Skulptur, Bild, Drama, Epik, Lyrik, Tanz und Musik, die sich in genau dieser Reihenfolge anordnen lassen, wenn man einen abnehmenden Mimetismus und eine zunehmende Abstraktion zugrunde legt. Sogleich drängt sich die Frage nach der Art der Vermittlung auf, nach den Sprachformen, die dem Künstler in den verschiedenen Künste zur Verfügung stehen. Dann finden sich die Künste - erfahrungsmäßig zwischen Produkt und Aufführung, vermittlungsmäßig zwischen Aufzeichnung und Darstellung - einander angenähert. Und es sind die Beziehungen der Produktion und der Rezeption zwischen Künstler, Betrachter und Werk, deren sozialpolitische, psychologische, technische und ökonomische Determinante in Funktion und Kritik vollends ein Kräftefeld freigeben und einen Platz anweisen, mit dem sich der Film nun auch vis à vis den anderen Künsten situieren läßt, und zwar, wie die Photographie, als Aufzeichnungsmedium. Monaco zeigt, wie der Film die Malerei, den Roman, das Drama, die Musik nachmachte, um deren Elemente zu erforschen und anzueignen: "demokratisierend" die Bildkünste in ihrer immer genaueren Mimesis, Roman und Malerei in ihrem "Interesse an der Ästhetik des Gedankens" (S.47), das Theater in seiner Ablehung der Nachahmung bei Artaud und Brecht, die Musik mit ihren Melodie- und Rhythmuszeiten sowie dem Ton, die Architektur, wie sie inzwischen als projizierte Sehumgebung realisiert werden kann.

All das sind spannende Ausführungen. Sie zeigen, daß die Welt der Künste bereits voll entwickelt ist, in der sich schon mit dem kommerziellen Siegeszug ab den 20er Jahren der Film sich als Kunst und somit eine wichtige gesellschaftliche Anerkennung gewinnen mußte, wenn auch damit nicht automatisch als avantgardistische Kunst. Damit liefert Monaco zumindest Material für ein Differenzial, das mehr als 200 Jahre nur der Ästhetik als allgemeiner Kunsttheorie zugeschrieben worden war, nämlich die Künste in ihrer spezifischen Differenz gegeneinander zu gewinnen. Man sieht es deutlich, das ist auch ein sozialer Prozeß der Durchsetzung, ein paragonaler Prozeß im konkreten, dann auch theoretischen Sinn.

Im Rückgriff auf die eingangs dargelegte Kunsttheorie teilt Monaco dann ein in den umgebungsbezogenen, potentiell und immer auch faktisch psycho-politischen Film ("film"; Dokumentarik), die auf die innere Struktur der Kunst bezogene Ästhetik des Cinéma ("cinéma"; Avantgarde) und das ökonomische Kino ("movies"; Narration). Obwohl er seinen antithetischen Überblick mit Hauptaugenmerk aufden marktbeherrschenden narrativen Film ansetzt, macht das Kapitel "Cinéma: Die Ästhetik" (S.285-409) den Löwenanteil seiner Filmgeschichte aus. Daher sollte auch der theoretischen Ästhetik eine gewisse Rolle zukommen. Doch es kommt anders: "cinéma ist erhabene Kunst, mit dem Geruch <nicht von Popcorn, sondern> von Ästhetik" (S.230) und nicht mit den Begriffen der Ästhetik. Mehr noch, das was Monaco als auf die innere Struktur der Kunst bezogen intendiert, verdunstet tatsächlich zum Geruch, zum "Ausdruck ästhetischer Ideen und Empfindungen", zur "ästhetische<n> Dialektik" (S.285), die nichts anderes als eine Stilgeschichte ist, die von homogeneren stilistischen Kategorien und von einer strukturellen Intergration der politischen und ökonomischen Komponente zusammen mit ihren Theorien profitiert hätte. Die faktische Aufspaltung kann durch didaktische Rücksichten entschuldigt werden und damit, daß eine solche Aufgabe eine ungeheure theoretische Anstrenung bedeutete. Der Mangel an Stilistik bleibt unentschuldbar, weil sie einer Beschäftigung mit der Erscheinungsweise immanent ist, als die besonders im Englischen das "Ästhetische" gemeint ist, und nicht nur dem Aspekt des "Sublimen" an der Kunst.

So ergeben sich für Monaco acht ökonomische Perioden (S.232): Vorläufer, die Zeit von Film als Varietéteil und Jahrmarktsattraktion zum ersten Langspielfilm, Stummfilm, ökonomisch-technischer Übergang, Hollywood, Hollywoods Konfrontation mit dem Fernsehen ("Ästhetisch ... verlor Hollywood seine Vorherrschaft"), Nouvelle Vague, postmoderner Film sowie ökonomisch-technische Integration in TV-Kultur. Ihnen stehen aber nur sechs künstlerische Phasen gegenüber. "Ästhetisch" treiben Dichotomien den Film voran - abgesehen davon, daß es markante Sammelbegriffe braucht, um die vielen Regisseure resümieren zu können: Lumière versus Mélies, Realismus gegen Expressionismus (Stummfilm), Genre gegen Auteur (Hollywood gegen Europa). Aber schon der Neorealismus und Folgen müssen ohne Gegensatz auskommen (indirekt und punktuell ist es Hollywood gegen die 16mm-Filmkultur), ebenso die Nouvelle Vague (indirekt Kommunikation gegen Unterhaltung, Gespräch gegen Traum) und die Achtziger und folgende. Erscheint deswegen "das Ende des Films" (S.380) gekommen, wie Monaco konstatiert? Im weiteren zeigt die Lektüre, daß jene "Antithesen" nur gestützt werden, wenn auch das Rüstzeug der Filmtheorien eingesetzt wird. Damit ist aber auch die Frage gestellt, ob Monacos (Referat der) Filmtheorien noch ästhetisch-theoretisch aussagekräftig sein kann.

Die Filmtheorien zeigen sich ihrerseits zu einem beträchtlichen Teil als mit historisch gebundenen Filmauffassungen und -stilen verknüpft. Die Antithetik ihrer Darstellung ist, anders als bei Monacos Filmgeschichte, vorteilshafterweise ungemischter und explizit: ästhetisch - philosophisch, Filmbereiche - Filmteile, Film - Kultur, Film - Individuum, Film - Gesellschaft. Auch hier wird nicht ganz ohne Ressentiment gegen die Theorie als solche die Kritik aufgewertet (in welche die Theorie passe) - wie das Verdikt gegen die Akademieabgänger-Regisseure seit den 60er Jahren zeigt, deren Filme zwar selbstbewußter, dafür aber fader seien (S.414). Leider geht Monaco nur sporadisch auf Künstlertheoreme wie die von D. W. Griffith oder anderer Praktiker ein. Die Eisensteinsche Einteilung in Total-, Halbtotal- und Nah-Theorie, also Film auch im politischen oder sozialen Kontext swie seine menschliche Seite und seine Elemente zu analysieren, wird theoriebezüglich nur genannt, aber nicht fruchtbar gemacht. Zu Monacos Verteidigung: Wer sonst - und für welche Künste - hätte so etwas schon geleistet?

Monaco behandelt auch die Filmtheorien historisch, summativ, ja fastteleologisch, indem er seinem letzten Protagonisten, dem Semiotiker Christian Metz, das größte Gewicht und eine weitgehende Differenzierung zumißt. Zu Beginn der Darstellung finden sich aus den 10er Jahren der Dichter Vachel Lindsay und der Psychologe-Philosoph Hugo Münsterberg gegenübergestellt. Während Lindsays Buch Art of the Moving Pictures vom Theater ausgeht und die Handlung, das Intime und Glanzvolle des Lichtspiels als Elemente der Erzählung, als bildende Kunst mit Bewegung versteht und die Ästhetik ausdrücklich in den Hieroglyphen fundiert, geht Münsterbergs psychologische Studie über das Photoplay in Angleichung von Highbrows und Lowbrows den psychologischen und sozialen Wirkungen nach, die sich in der interaktiven Beziehung von Betrachter und Film ergeben, der aktiven Interpretation der Bilderserien, wobei Aufmerksamkeit, Gedächtnisvorstellungen und Emotionen eine Rolle spielen. Der zweite Teil der Studie über die "Ästhetik des Lichtspiels" wird von Monaco nur genannt.

Konkreter mit künstlerischen Anliegen sind die theoretischen Positionen des Realismus und des Expressionismus verbunden. Während der Realismus das Rohmaterial feiert und in praktischer Hinsicht sich Methoden und Techniken zuwendet sowie an eine unmittelbare Verbindung zum Zuschauer glaubt, setzt der Expressionismus auf die Macht des Regisseurs, konzentriert sich auf visuelle Form und Gestalt und fordert den Zuschauer im Namen der Filmkunst durch Abstraktion wie in den anderen modernen Künsten heraus. So verankert nach Monaco S. Kracauer gegenüber einem theatralischen Filmverständnis die "Errettung der äußeren Wirklichkeit" (1960) in einer als solche gültigen Antikunst Film - mit photographischer Autorität und found storys, um schießlich dem politischen Zweck gesellschaftlicher Umgebung dienen zu können. Dagegen betont R. Arnheim die ästhetische Natur der physikalischen Rahmenbedingungen des Filmbilds als sklavische Wirklichkeitskopie aus, um über die Manipulation des Materials eine Wirkung und eine "Ästhetik" für den Betrachter zu erzielen.

Auch in bezug auf die formalistischen Theorien der Montage und der Analyse der Elemente, die eine expressive Kraft bewirken, geht Monaco von einem Gegensatz aus. So leitet nach Pudovkin die Montage psychologisch die Erzählung durch Kontrast, Parallelität, Symbolik, Simultanität und Leitmotivik, während sie nach Eisenstein die Realität auch der Erzählung transzendiert und Ideen schafft, Schriftzeichen, die die Elemente einer Einstellung zu sogenannten Attraktionen <Attraktoren> dekomponieren und damit erlauben, das Publikum in wissenschaftlich kontrollierter Wirkung mitarbeiten zu lassen. Balázs wird später den Formalismus mit dem Realismus zusammenzudenken versuchen, wenn er von der Lesbarkeit des Gesichts die Mikrodramatik der Großaufnahme als zentral ausgibt.

Es ist keine Frage, daß nach Monaco Eisensteins Position besonders zur Auffassung vom Film als einer Sprache beigetragen hat. So laufen dann auch in der Nachkriegstheorie alle Fäden der Filmtheorie hier zusammen. André Bazins psychologisch-realistisch Funktionalismus (ohne "Ästhetik") erscheint als eine Theorie der Bedeutung, die auf Wirkung und einer anderen Sicherheit wie in Malerei und Photographie beruht, nämlich auf einem filmspezifischen Einbalsamieren der Zeit. Es ist Bazins Erfassen der Mise en Scène - von der Wirkung auf die Nouvelle Vague und deren Filme als "theoretische Essays" abgesehen (S.437) - , deren Mittel von Schärfentiefe und Plansequenzen die Filmsprache einer nicht-denotativen zweideutigen Realität näherbringt sowie eine andere Raumgegenwart als die des Theaterschauspielers erzeugt. NebenAstrucs schreibendem Kamerastift und Truffauts Politik der Autoren durch konkrete Kommunikation und intellektuellen Realismus hat es Monaco besonders Jean-Luc Godard angetan. Mit dessen 1956 vorgeschlagener Synthese von Montage und Mise en Scène erscheint nicht nur das Grundscharnier gefunden, mit dem die Sprache des Films aufgebaut werden kann, sondern auch die Ethik einer ehrlich/unehrlichen, verzerrt/unverzerrten Sprache angesprochen, vor deren Hintergrund Monaco seine beiden letzten Kapitel über Film/Medien und Multimedien abhandeln wird. Monaco zitiert nach Godard mehr als einmal Lenins Diktum: "Die Ethik ist die Ästhetik der Zukunft."

Es ist Christian Metz - "oft ungemein philosophisch" (S.446) - , der, wie immer auch von Monaco modifiziert, erweitert oder vereinfacht, die zentrale Referenz abgibt. Hieroglyphen/Sprache und Interaktion/Wirkung (Lindsay, Münsterberg), Expressionismus und Realismus (Kracauer, Arnheim), Montage in leitender und erkenntnisstiftender Funktion (Pudovkin, Eisenstein), Mise en Scène und Montage - all die daraus entstehenden Dialektiken, wie sie Monaco mehr beansprucht als durchführt, finden ihren sublimierten Niederschlag im Metzschen System. Ihm zufolge spricht und handelt der Film zugleich. Film ist wie Sprache - zweifellos klingt hier das Lacansche Credo vom Unbewußten an, das wie eine Sprache strukturiert ist, wenn auch Metz mehr die langage als die systemische langue meint. Montage, Kurzschlußzeichen (der Film als kurzschließendes Abgefilmtes/Abfilmendes) oder die doppelte Artikulation belegen das. Indem aber Signifikat und Signifikant fast gleich sind, müssen nach Metz spezifische Probleme zum Ausgangspunkt genommen werden: die Montage, wie sie in der Erzählung angewendet wird, die filmischen Zeichen, wie sie in Denotation und Konnotation motivieren.

An diesem Punkt entfaltet Monaco auch Metzs Grundschema. Den syntagmatischen Strukturen der Erzählung in der linear-narrativen Folge der Montage stehen die paradigmatischen Strukturen dessen gegenüber, was in der Mise en Scène zu welchen anderen Teilen paßt. In dieses, wie Monaco sagt, cartesianische Koordinatensystem lassen sich die Codes und ihr System eintragen, Codes von einem Film, von einigen oder allen Filmen, unspezifische, spezifische und von anderen Medien geteilte Codes. Dabei ist alles, was lesbar ist, Code oder Sub-Code: Genres, Karrieren, Studios, Techniker, Beleuchtung. Auch auf dieser Analyseebene zeigt sich, daß Monaco zur Bildung der Filmlektürefähigkeit gut daran getan hätte, Codes in der "Ästhetik", also der Filmgeschichte aufzuzeigen. Nicht nur hätte das Ästhetische in seiner Geschichte eine Verstrebung erfahren, die nicht nur Stilistik ist. Es hätte Monaco auch erlaubt, den Arm der Codes bis in die "Ästhetik" hinein zu zeigen - production code, Hollywoods schwarze Liste - , um damit nicht zuletzt Mittel einer ästhetischen Theorie an die Hand zu geben, die die Politik und die Ökonomie nicht nur als externe Faktoren des Einflusses fixiert.

Daß Monaco von der Zeit nach Metz kaum Theorien referiert, sondern nur mehr nennt - Bellour, Pasolini, "Screen", Wollen, Burch, die marxistiosche Traditon, die feministische Tradition, die kognitive Filmtheorie, cultural studies - , hängt nicht nur mit dem Deskriptivismus in der Kritik heute zusammen, also ihrer theoretischen Interesselosigkeit, wie Monaco wohl zutreffend sagt, sondern geht auf das Monacosche Zentrum "Metz" zurück, von dem aus denn auch mehrere Hinweise auf das strukturelle Kapitel "Filmsprache" erfolgen, dem theoretischen Kern der 700 Seiten.

Gemäß der Filmsemiotik besteht die Filmsprache aus Zeichen. Sie bilden dieQuasisprache des Films, eine langage im Unterschied zur langue von Sprachsystemem. Das heißt, daß wir es mit der Wahrnehmung von visuellen Bildern zu tun haben und mit ihren unterschiedlichen Interpretationen. Damit ist verständlich, daß Monaco Beispiele der Wahrnehmungsphysiologie von optischen Täuschungen bringt wie etwa den Neckerschen Würfel oder die Hillsche Halbporträtzeichnung der jungen Frau, die in den Kopf der alten umkippen kann. Mentale wie optische Erfahrung lassen sich so unterscheiden wie Filmsehen und Filmlesen. Bei letzterem, dem Filmverstehen, wird auch die Beziehung des Betrachters zum Werk und zum Autor aktiviert. Filme lesen erfordert also ein teilweises Verstehen des Systems Film. Auch weil es sich meistens um Erzählungen handelt, erweist sich Film als Sprache.

Dazu kommt nach Monaco: Einerseits ist der Film ein Bedeutungskontinuum (die einzelnen Kader wären ohne Bedeutung), mit dem sich der Film als das aufdrängt, was nicht imaginiert werden kann. Andererseits sind die Zeichen im Film Kurzschlußzeichen (schon das statische Bild ist dem Objekt näher als sein Name), was die Stärke des Films in seiner denotativen Dimension ausmacht. Zugleich machen die zahlreichen Konnotationen die Stärke der Sprache des Films - seiner langage, seines Stils - gegenüber den Denotationen aus. Durch die Verwendbarkeit von Schrift, Bild, Ton, filmischen Mitteln und die Aufzeichenbarkeit anderer Künste ergibt sich eine Resonanzfülle. Hier läßt sich wieder auf Paradigma und Syntagma zurückgreifen. Die bestimmte, ausgewählte Einstellung ist eine paradigmatische Konnotation gegenüber der Einstellung, wie sie im Bezug zu den anderen Einstellungen in syntagmatischer Konnotation eingesetzt wird.

Mit der Erweiterung des Metzschen Ansatzes durch Peter Wollen mithilfe der Peirceschen Trias Ikon/Symbol/Index und einiger rhetorischer Topoi wie Metonymie, Synekdoche und Trope unterstreicht Monaco den semiotischen Ansatz ebenso wie mit einem moderaten Begriff einer Syntax, die linear, aber auch räumlich gesehen werden kann, mit dem Ton, den er mit Metz bedeutungsvoll in Musik und Geräusch neben die restlichen drei der fünf Informationskanäle, also Dialog, Schrift und Bild stellt, sowie mit der Montage, die noch einal in Hollywood-Grammatik, Jump Cut, Parallelmontage, match cut oder mit Metzs acht Montage-Typen aufgefächert wird. Damit kann Monaco die Frage nach dem, was gefilmt wird, das heißt nach der Bildkomposition der filmischen Photographie, und die Frage danach, wie etwas gefilmt wird - die diachronische Aufnahme in Distanz, Schärfe, Perspektive und Blickpunkt - auf die Mise en Scène beziehen. Die Frage nach der Art der Präsentation dagegen muß mit der Montage beantwortet werden. Hier verweist Monaco dann auf eine binäre (Bazin) und integrale (Godard) Filmtheorie der aufeinander angewiesenen und möglicherweise einander nachahmenden Montage und Mise en Scène. Noch einmal, es "war die Spannung zwischen den Zwillingsbegriffen Mise en Scène und Montage der Motor der Filmästhetik, und das seit der Zeit, als die Gebrüder Lumière und Méliès erstmals die praktischen Möglichkeiten jedes dieser beiden Begriffe um die Jahrhundertwende erforschten." (S.176)

Daß diese komplizierten theoretischen Bestimmungen etwas trocken daher kommen - wenn auch lange nicht so trocken, wie es bei anderen Autoren der Fall wäre - , könnte nicht nur damit zu tun haben, daß Monaco den filmsemiotischen Teil nur partiell mit Beispielen ausstattet und den filmgeschichtlichen so gut wie nie filmsemiotisch akzentuiert. Es hat auch damit zu tun, daß der Ästhetiker wohl Kritiker sein kann (S.208), aber eben auch Philosoph. Und kommt Monaco, hier fest der angelsächsichen Tradition verpflichtet, leider erst gar nicht inden Sinn. Dabei ist es genau das Denken der continental philosophy, das solche Bestimmungen zum Schwingen bringen könnte.

Es muß also beklagt werden, daß Stanley Cavells The World Viewed mit dem Prädikat "empfehlenswert" sowie die vom deutschen Bibliographen aufgenommenen zwei Bände Kino von Gilles Deleuze im 130 Seiten starken Anhang wohl gelistet werden, von Monaco aber mit keinem Wort behandelt werden. Bei der Lektüre eines derart anspruchsvollen, theoretisch weit ausgreifendem Buchs wie demjenigen von Monaco ist es schmerzlich, die zwei großen Filmästhetiker vermissen zu müssen. Für Monaco selbst wäre es nicht zuletzt die Herausforderung gewesen, die französische Theorie einmal auf ihre philosophischen Voraussetzungen hin zu befragen, wie sie etwa an Bazin von Monaco erwähnt werden, sowie die amerikanische Kunstphilosophie an der Wende zur Postanalytik und hier speziell im Blick auf das Ende des Films zur Erhellung heranzuziehen. Uns Lesern selbst aber gibt das reichhaltige Werk Monacos einige Mittel an die Hand, um uns eben jenen Philosophien des Films mit ihren theoretischen und empirischen Voraussetzungen stellen zu können.

(c) Peter Mahr 2000

mahr@h2hobel.phl.univie.ac.at

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