mahr'svierteljahrsschriftfürästhetik

3 (2000), Nr.2/Juni

L'art philosophique

3. Hollein mit Lyotard. Annäherung an die Erzählung der Architektur. Dank an Mischa Jäger, der 1985 als Chefredakteur der Wiener Stadtzeitschrift "Falter" mein Angebot eines Essays über Hans Hollein und Jean-François Lyotard willkommen hieß. 37697 Zeichen.

INTRODUKTION

Zweifach ist Wien zu postmodernen Ehren gekommen, zum einen durch die Architektur von Hans Hollein, zum anderen durch die Philosophie Jean-François Lyotards. Denn nicht in Frankfurt oder Berlin ist das Pariser Manifest der postmodernen Philosophie aus dem Jahr 1979 übersetzt und herausgegeben worden, sondern hier: Jean-François Lyotard, Das postmoderne Wissen. Ein Bericht, übers. v. Marianne Kubaczek, Wolfgang Pircher, Otto Pfersmann u. Jean P. Dubost, hg. v. Wolfgang Pircher, = Theatro Machinarum 1 (1982), Nr.3/4; eine zweite Auflage soll demnächst in einem österreichischen Verlag erscheinen (sie ist 1986 im Wiener Passagen Verlag erschienen). Hans Hollein andererseits hat heuer nicht nur "Traum und Wirklichkeit" als eine Ausstellung jenseits der modernen Geschichtswissenschaft und des historistischen Künstlerhauses erstrahlen lassen. Die breite internationale Resonanz hat ihre Basis im Pritzkerpreis, dem Nobelpreis für Architektur, der ihm in erster Linie für sein Museum zeitgenössischer Kunst in Mönchengladbach verliehen wurde.

Inwiefern kann Architektur Sprache und damit Wissen sein? Spezieller gefragt: Welches ist die Sprache der postmodernen Architektur, wenn sie eine ist, die sich auf die moderne Architektur bezieht? Ist sie eine Sprache der Erzählung? Wenn Ludwig Wittgenstein dazu auffordert zu fragen (Philosophische Untersuchungen, Nr.18), "ob unsere Sprache vollständig ist; ob sie es war, ehe ihr der chemische Symbolismus und die Infinitesimalnotation einverleibt wurden; denn dies sind sozusagen Vorstädte unserer Sprache. (Und mit wieviel Häusern, oder Straßen, fängt eine Stadt an, Stadt zu sein?)" und zur Antwort gibt, "Unsere Sprache kann man ansehen als eine alte Stadt: ein Gewinkel aus Gäßchen und Plätzen, alten und neuen Häusern, und Häusern mit Zubauten aus verschiedenen Zeiten; und dies umgeben von einer Menge neuer Vororte mit geraden und regelmäßigen Straßen und mit einförmigen Häusern.", dann heißt das nicht nur, daß neuere, moderne, rationale Teile nicht das Zentrum einnehmen können, sondern daß es vielleicht überhaupt kein Zentrum mehr gibt. Damit gilt aber auch für die kleinsten Einheiten der Stadt, daß ihre Sprachlichkeit diesem Sachverhalt Rechnung tragen muß. Wieso sollte es nicht möglich sein, die materiellen Konfigurationen, die Wittgenstein zur Analogie dienen, selbst als Sprachelemente aufzufassen, als Elemente einer Sprache zweiter Stufe? Aber was wird dann mit ihr gesprochen? So paradox es klingt - eine Erzählung.

LYOTARD

10. Für Lyotard jedenfalls ist der zitierte Passus Wittgensteins der Punkt, an dem das Kapitel 10 von "Das postmoderne Wissen" konstatiert, daß das soziale Band nicht mehr aus einer einzigen Faser gemacht ist und daß genau diese Erkenntnis zu einer Ohnmacht geführt habe, in der die Wissenschaft und ihre vorgebliche eine Sprache von der Emanzipation entkoppelt sowie das System und das Subjekt sich als Illusion enthüllt hätten. Diese Wittgensteinisch gefärbte Einsicht, daß die Legitimierung nicht mehr durch Performativität erfolgen kann, ist Lyotard zufolge postmodern.

1-9. Bestimmt beziehen sich Lyotards Ausführungen auf die Wissenschaften und nicht auf die Künste oder andere technische Artefakte. Gewiß ist die performative Effizienz auf den Status des wissenschaftlichen Wissens gerichtet. Doch wird sich zeigen, daß gerade der Verlust Legitimierung des Wissens, dessen Anderes und die aus dem Verhältnis beider zu ziehende Konsequenz sich auf eine Qualität der Sprache beziehen, in den ästhetischen Spielraum und damit auch zu den Künsten wie die Architektur führen. Was Lyotard bis zu jenem Passus hin einer auf Ohnmacht und Verlust folgenden Trauerarbeit in den Kapiteln 1 bis 9 zeigen will, ist, daß dem wissenschaftlichen Wissen seit dem Ende der 50er Jahre angesichts seiner eigenen Legitimierung eine geschichtlich viel mächtigere Legitimierung gegenübersteht, die der Erzählung, daß aber diese von einer paradoxen Kommunikation abgelöst werden muß.

1-2. Das Wissen muß in Informationsmaschinen übersetzt werden können. Es wird immer mehr von den Gebildeten abgekoppelt und als Informationsware produziert und konsumiert. Dem internationalen Kampf um Informationen antwortet national ein Rauschen des Staates. Wenn Investititionen und Wissen ebenso wie Geldströme und Erkenntnisströme konvergieren, dann muß es nicht wundern, wenn sich, so Lyotard, die öffentliche Gewalt und die Institutionen verändern. Doch mehr noch bringt die Veräußerlichung des Wissens das wissenschaftliche und das erzählende Wissen aus dem Gleichgewicht. Die Informatisierung des Wissens wirft auf den Gegensatz von wissenschaftlichem und erzählendem Wissen zurück und ihre jeweiligen Legitimierbarkeiten. Die universitäre Frustration verschärft das Problem der Legitimation des Wissens noch mehr. Wenn die Konsistenz und die experimentelle Verifikation bei den Naturwissenschaftlern jetzt auch nicht mehr das Wissen legitimieren können - , wer dann schreibt die Bedingungen vor, unter denen das, was wahr ist, die Frage beantwortet, was gerecht ist, und umgekehrt; zeitgenössischer: "wer entscheidet, was Wissen ist, und wer weiß, was es zu entscheiden gilt?" (S.20)

3-4. Werden die Wissenschaften aber auf ihre Sprache hin untersucht, dann zeigt sich daß sich die denotativen Aussagen, in denen die Beschreibung eines Gegenstands von Sendern vorgenommen und vom Empfänger bestätigt oder bezweifelt werden, nicht in einem stablien hierarchischen Verhältnis zu den performativen Aussagen befinden, in denen die Formulierung einer konstatierenden Autorität zugleich eine dem Empfänger mitgeteilte Veränderung des Gegenstands bewirkt, den präskriptiven Aussagen, in denen der ausgesagte Gegenstand eine Veränderung des Empfängers anstrebt, den fragenden, in denen der vom Sender implizit begrenzte Gegenstand vom Empfänger denotativ, performativ oder wiederum fragend ausgesagt wird, und den erzählenden Aussagen. Denn diese Aussagentypen, die Lyotard nach Wittgenstein Sprachspiele nennt, müssen erst, durch die implizierten Regeln ihres Gebrauchs von außen legitimiert werden. Sie offenbaren sich als anzuerkennende Spielzüge innerhalb von Kämpfen, die aber nun zugleich, Kap. 4., den sozialen Zusammenhalt allererst stiften. Daher kann Lyotard das Wissen weder auf eine homogen funktionierende Gesellschaft und ihr Krisenmanagement, noch auf eine duale Gesellschaft und ihre kritische Reflexion abbilden.

5. Ein Anzeichen für diesen Sachverhalt sieht Lyotard in den Experten und ihren Verbänden. Sie verfügen vielleicht über Information, aber sie können das Individuum nicht davor bewahren, sich im 20. Jahrhundert als soziales Atom auf sich selbst zurückgeworfen zu fühlen. Daß es "nur mehr" eine Stelle im Netzdenotativen, performativen, präskriptiven, fragenden und erzählenden Aussagen ist, steigert nicht nur die Performativität des Systems, sondern auch die Chancen des Einzelnen. Denn Lyotards agonistische Sprachspieltheorie des sozialen Bandes distanziert sich sowohl von der Trennung der Sprache in neutrale Nachricht, sprachliche Manipulation, Ausdruck und Dialog, als auch von einer kybernetischen Kommunikationstheorie, in der die Spielzüge immer nur reaktiv sein können. Die Institutionen erlegen nicht mehr nur restriktive Begrenzung von Sprachspielen auf, sondern resultieren aus Spielstrategien, die zum Annehmen oder Verschweigen von Aussagen oder Aussagetypen zwingen.

6. Es ist diese Pragmatik des Wissens, mit der sich narratives und naturwissenschaftliches Wissen unterscheiden lassen. Schon das Wissen des Könnens im Machen, Leben und Hören steht, so Lyotard, den Erkenntnissen denotativer Aussagen gegenüber, die als rekursiv beobachtbar jeweiligen Diskursen angehören. Mehr noch zeigen die Aussagen der Kultur, daß diese Erkenntnisse meistens in narrativen Formen des Wissens eingebettet sind. Das Wissen im weiten Sinn des Könnens wird auch dem modernen Held (Laufbahn) in Naturbeherrschung, Weisheit und ästhetisches Vermögen zugeschrieben. Zugleich flechten die Erzählregeln das soziale Band mittels sprachpragmatischen Regeln und bilden ein dichtes Dispositiv von Sprechakten. Doch die ungebrochene Macht der Erzählung, der Legitimierung in actu, zeigt sich für Lyotard am Rhythmus der Abzählreime ebenso wie im Pop, an "Erzählungsfunken" wie Sprichwörter oder Maximen, die ein Vergessen aufbauen, um sich der Vergangenheit nicht erinnern zu müssen - Charakterisierungen, die auf den zweiten Blick auch auf die Moderne zutreffen. Erst im Lauf der abendländischen Kultur wird sich aus den gespielten Institutionen des Volkes die Legitimität zu einem besonderen Gegenstand des fragenden Spiels herausbilden, wird sich die traditionelle Form des Vollzugs der erzählenden Aussagen verlieren.

7. Dauert die Macht der Erzählung an, so hängen, will Lyotard sagen, die Denotative des wissenschaftlichen Wissens von Präskriptiven ab. Für die Forschung heißt das, daß der Sender mittels Beweis und Widerlegung das Wahre spricht und der Empfänger die Zustimmung geben oder verweigern kann, wobei der Gegenstand in einem unendlichen Regreß ausgedrückt und zum entscheidbaren Streitfall wird; für die Lehre wiederum heißt das, daß der Empfänger zum Sender werden und seine Kompetenzen in der Ausbildung von Gleichen erneuern kann. Die Pragmatik des wissenschaftlichen Wissens ist also auf exklusiv denotative Aussagen aus, ohne sie in Erzählungen aufzulösen. Sie sind nur in der Profession sozial. Dem Menschen als Gegenstand wird aber, anders als beim narrativen Wissen, Kompetenz abgesprochen. Zuerst wundern wir uns über die Vielfalt der diskursiven Arten. Dann wollen wir wissenschaftliches vom narrativen Wissen ableiten. Doch beide sind heterogen. Der Primat narrativen Wissens ist unerreichbar. Es bleibt bei der Unterscheidung. Während das narrative Wissen von einem Unverständnis für die Toleranz gegenüber dem wissenschaftlichen Wissen geprägt ist, ohne dessen Legitimation zu thematisieren, ist das wissenschaftliche Wissen Teil eines kulturellen Imperialismus, dessen Legitimierung auf Intoleranz und Ausschluß auch des narrativen Wissens setzt.

8-10. Das schließt nicht aus, daß die Legitimierung des wissenschaftlichen Wissens auf narrative Formen zurückgreift. Unter der Ägide des Positivismus wird der Staat umso glaubwürdiger, je mehr, im Bedürfnis nach Vergessen, die Wissenschaft zum "Epos" der öffentlichen Zustimmung wird. Wie Lyotard im Kap. 8 zeigt, hat die Erzählung des abendländischen wissenschaftlichen Wissensschon mit Platon eingesetzt, der durch den Dialog allgemein und das Höhlengleichnis das wissenschaftliche Wissen die Erzählung autorisiert, während Aristoteles schon die Regeln etwa der Erzählung von der Metaphysik trennt, in der er den Seinsdiskurs legitimiert. Es bleibt der neuzeitlichen Philosophie ab Descartes vorbehalten, eine Geschichte des Geistes als Bildungsroman oder allein gültiger Methode ohne Metaphysik zu begründen. Es erlaubt, die Frage nach der Emanzipation in ihrem Wer, ihrem Konsens und ihrer Normativierung zu stellen. Die Legitimierungserzählungen des Wissens bestehen in der politisch-emanzipatorischen der Freiheit und der philosophisch-spekulativen des Geistes. In beiden Fällen werden die wahren, denotativen Aussagen an die gerechten, präskriptiven Aussagen zu binden versucht - es geht weder nur um die traditionellen Wissensformen des Volkes, noch nur um die professionellen Fachgebiete der Gelehrten. Das Wissen wird zu einem Moment der enzyklopädischen Geschichte des Geistes. Nach Kant wird dann das wissenschaftliche Wissen wieder auf den Status der Information zurückgestuft, das der Autonomie des Willens dient - eine Aufgabe der Gesellschaft und des Staats, womit die Wissenschaftler legitimiert sind, sich der politischen Macht zu verweigern. Auch hier stand dem wissenschaftlichen Wissen bis in die Moderne immer noch eine narrative Legitimierung zur Seite. Doch mit dem Aufschwung der Technik ohne neue Handlungszwecke nach 1945 und dem des Kapitalismus nach 1960 setzt die Delegimierung voll ein. Im emanzipatorischen Dispositiv ist es der Verlust der Legitimität des theoretischen Wissens, denn durch die Autonomie der Gesprächspartner ist das theoretische Wissen mit praktisch-politischerer Vernunft und ästhetischer Urteilskraft gleichgestellt. Im spekulativen Dispositiv ist es die innere Erosion der Legitimierung durch Selbstanwendung des wissenschaftlichen Wahrheitsanspruchs und die Wissenssprache der positiven Wissenschaften. Auf diese doppelte Delegitimierung folgend werden die Wissenschaften zu einem "'flachen' Netz von Forschungen" (S. 74) auseinander gelegt.

11-14. Wenn nun die Logik als Metasprache und die Alltagssprache universell gelten, so sichert dies für die Spieler ein konsensuelles, formales System der Syntax ab. Damit wird die Sprache zu einem pragmatischen Spiel, dessen Fortschritt nur in einem neuen Spielzug, einer neuen Argumentation oder der Erfindung neuer Regeln bestehen kann. Die Pluralität des System und die Überzeugungsfähigkeit des Paradoxons wandeln im Verein mit der Technik sich also zur allgemeinen, legitimierenden Performativität. Sie wird als richtig wie gerecht angesehen. Der Performativität der Verfahren anstelle der Präskriptivität der Gesetze entspricht die Informatisierung, die wiederum den Regelkreis Wissenschaft, Recht und Effizienz kontrolliert. Lyotard muß also bei der höheren Bildung die Ausbildung für den weltweiten Wettbewerb in der telematischen Bildung, wie er sagt, von der Ausbildung für den inneren sozialen Zusammenhang unterscheiden, in dem es gleichwohl nicht mehr um Ideale oder Emanzipation, sondern pragmatische Spielposten geht. Die zu Datenbanken gewandelte Enzyklopädie sieht Lyotard als "Natur" des postmodernen Menschen an, dessen Fähigkeit im Wechsel der Wissensfelder besteht. Gegen die Universität traditionellen Typs kann es nach der Delegitimierung um und nach 1900 nur einen Empirismus des Brainstorming und der Teamarbeit geben. Lyotard beharrt darauf, die Trennung von Forschung und universitärer Didaktik ebenso wie die der der imaginativen Geister von der "einfachen Reproduktion" der Berufe als verderblich anzusehen. Doch damit nicht genug, stellt sich für Lyotard Frage nach dem Gegenstand nicht nur angesichts der modernen Krise des Determinismus, sondern auch der postmodernen Krise der Performativität der Inputs und Outputs stabiler Systeme. Aus der Tatsache, daß es "Regeln derallgemeinen Agonistik von Reihen, die sich durch die Anzahl der eingebrachten Variablen definieren" (S. 110), gibt, schließt Lyotard, daß die stetige, ableitbare Funktion verschwindet, daß die Legitimierung überhaupt durch Differenz und Paralogie erfolgen muß. Diese neue Legitimierung durch die Paralogie, so Lyotard, soll durch kleine Erzählungen der Natur, der Gesellschaft und der Kultur erfolgen. Die Paralogie ist dabei durch eine offene Systematik, das Lokale und eine antimethodische Haltung gekennzeichnet. Der Konsens wird zum Horizont, der den Dissens für die neuen Forschungen ermöglicht. Derart wird die Wissenschaft zum Antimodell des stabilen Systems. Die Wissenschaft würde in einen sozialen Anarchismus münden, wenn nicht die Trennung von denotativen und präskriptiven Aussagen weiter bestünde. Die Paralogie gibt der Wissenschaft die Metapräskriptive einer Gerechtigkeitsidee ohne Konsens. Zugleich muß auf den lokalen, auflösbaren Konsens gesetzt werden. Genau das ist für Lyotard die Utopie: Die Politik muß dem Wunsch nach Gerechtigkeit, aber auch dem Unbekannten Rechnung tragen.

REKAPITULATION

Es kommt alles darauf an zu klären, wie sich Postmoderne und Erzählung miteinander verhalten. Wenn das Wissen informatisiert und von den kulturell Gebildeten abgekoppelt wird, verändert das insgesamt die Öffentlichkeit und ihre Institutionen, speziell aber das wissenschaftliche Wissen, das sich nun nicht länger im Gleichgewicht mit dem Wissen der Erzählung befindet. - Eine postmoderne Architekturtheorie muß an diesem Wissen einsetzen, denn es ist das wissenschaftliche Wissen, dem die moderne Architektur seit dem späten 18. Jahrhundert immer mehr zu entsprechen versuchte: moderne Baustoffe und Technologien, funktionale Raumbeherrschung, sichtbare Rationalität als ästhetisches Programm. Demgegenüber hat die postmoderne Architektur das Erzählerische wieder aufgenommen: nicht in ihrer Legitimierung, sondern auf der Ebene der konkreten Asussage selbst, der metaphorischen Darstellung, des architekturhistorischen Zitats, der Inszenierung.

Wenn jedoch Lyotard auf eine Pluralität von Sprachspielen setzt, dann geht es ihm nicht um den Primat der Erzählung, sondern um eine Pluralität von Aussagetypen, von Sprachspielen, deren konfliktuelle Natur den sozialen Zusammenhalt erst herstellt. - Inwiefern kann die Sprache der postmodernen Architektur, unter Verwendung des erzählenden Sprachspiels, sozialen Zusammenhalt herstellen: indem die Siedlung, in der Stadt, von Kontrasten und Gegensätzen lebt, indem die Architektur von der Geschichte (der Stadt) erzählt, indem die Architektur sich auf die Geschichte postistisch, historistisch bezieht und dadurch soziale Identität stiftet.

Wenn das Individuum "nur mehr" eine Stelle im Netz der Aussagen ist, dann muß eben dieses Netz das soziale Band knüpfen. Es müssen die verschiedenen Aussagen agonistisch aufeinander wirken und nicht nur performativ-reaktiv, damit sich die Institutionen neu gewinnen können. - Das betrifft das einzelne Gebäude im agonistischen Zusammenhang der anderen (der nicht nur ein performativer auf der Ebene der gewöhlichen Konkurrenz sein darf). Es betrifft das soziale Atom Haus in seinem kontextuellen Zusammenhang des Stadtnetzes. Und es betrifft die Architektur in der Hervorbringung neuer institutioneller Bauaufgaben, Bautypologien als Resultat.

Es ist die knapp umrissene "ethnologische" Voraussetzung der Pragmatik des narrativen Wissens und ihr soziales Band, die vor dem Hintergrund derPragmatik des szientifischen Wissens in ihrer Macht einsichtig wird. Die narrativen stehen den denotativen Aussagen gegenüber, und so ist auch die moderne Architektur in einem postmodernen Kontext rekonstruierbar. Rhythmus, Erzählfunken, Sprichwörtern, Maximen. Sie tragen der Tatsache Rechnung, daß Architektur für die massenhafte Rezeption die Kunst der Zerstreuung ist (W. Benjamin), also die Sichtbarkeit und Durchsichtigkeit der modernen Architektur postmodern nicht mehr erster Wert sein kann. Es bleibt zu klären, inwieweit sich die Architektur - als Problem der Legitimierung - zum Gegenstand des fragenden Spiels herausbildet.

Die Pragmatik des szientifischen Wissens ist exklusiv auf denotative Aussagen aus, ohne sie in Erzählungen aufzulösen. Doch auch die Pragmatik des narrativen Wissens ist nicht imstande, das szientifische Wissen in sie zu integrieren. Wenn beide das andere nicht subordinativ integrieren können, wenn beide nicht aufeinander reduziert werden können, bedeutet das architekturtheoretisch, daß es nicht mehr möglich ist, ein System der Architektur zu begründen - weder technologisch, noch ästhetisch, noch aber auch politisch.

Die narrative Legitimierung des szientifischen Wissens als ein Epos der Wissenschaft geht auf Platon zurück, auf die Figur einer Geschichte des Geistes als Bildungsroman und einer der Emanzipation zur Freiheit, auf das Wissen als Moment in einer enzyklopädischen Geistesgeschichte und die politische Autonomie des wissenschaftlichen Wissens. Die um 1900 einsetzende Delegitimierung der Narration greift dann in den 50er Jahren voll durch im Verlust des Vorrangs des theoretischen Wissens (parallel ästhetische Urteilskraft) und der Erosion des Wahrheitsanspruchs in Selbstanwendung. Damit wird aber auch dem rationalistischen Fortschrittsglauben in der Architektur - Häuser für alle, individuelle Maßschneiderung - der Boden entzogen. Wenn die theoretischen, politisch-praktischen und ästhetischen Rationalitäten sich nicht mehr in ein Legitimierungsgefüge bringen lassen, so muß auch eine Disziplin wie die Architektur die Sprachspiele aller drei gleichzeitig sprechen, ohne daß noch eines den Primat ausüben könnte, etwa die funktional-praktische Perspektive der präskriptiv werdenden Denotation, die aus einer technischen Anwendung des theoretischen Wissens erfolgt. In der Tat sind seit dem postmodernen Einschnitt der 70er Jahre die experimentell-visionäre-diskursive, die zweckdienliche und die ästhetisch-gestalterische Architektur gleich stark angesehen.

Nach Lyotard ist das "Spiele"-System mit Spieleposten und Datenbanken inzwischen universell, setzt performativ auf agonistische Pluralität und die Fähigkeit zur paradoxalen Überzeugung. Es läuft dabei hinsichtlich der Partikularität Spielzüge auf eine Gerechtigkeit ohne Konsens - ohne Internationalismus in der Architektur - , auf umso stärkere lokale Konsense hinaus, deren Paralogie durch kleine Erzählungen der Architektur legitimiert wird. Die architektonische Tätigkeit nimmt damit - unter dem kreativ-innovativen Blickpunkt - auf der räumlichen, ökonomischen, künstlerischen und diskursiven Ebene die Verfassung einer performativen Praxis an, die auf der Ebene jeglicher "Aussage"-Systeme, also nicht nur des narrativen Sprachspiels vor sich gehen muß - narrativ hier für das stark metaphorische Engagement der frühen postmodernen Architektur stehend.

ÜBERGANG

Erstaunlich, daß Lyotard weder um 1979 herum, noch zu einem späteren Zeitpunkt auf die architekturtheoretischen Implikationen der condition postmoderne einging. Als Ästhetiker der 70er Jahre kann ihm die architekturtheoretische und literaturwissenschaftliche Postmoderne der 1970er Jahre nicht unbekannt gewesen sein. Vielleicht hielten ihn seine damalige freudianische De-Semiotik und Energetik ab. Vielleicht war es die Darstellbarkeit, die er zu Ende zu denken versuchte und deren Gegensatz der Nichtdarstellbarkeit ihm vor allem in der abstrakten Malerei auffiel. Dabei hatte es auch in der Architektur Beispiele des Erhabenen gegebenen: der Monumentalismus allgemein, die Revolutionsarchitektur, die modernen Städtebauentwürfe, das Denkmal als architektonische Aufgabe. Nicht zuletzt hätte Lyotards spätere Konzeption des Widerstreits der Vermögen - speziell des erhabenes Pathos und der schönen Gefühls - seine Sprachspielagonistik zu einer Ästhetik auch der Architektur führen können. Hat er sich von den schrillen Reizen der postmodernen Künste abschrecken lassen, deren ästhetisches anything goes mit der kapitalistischen Marktwirtschaft eines immerzu Neuen zusammenhängt, die vom Schweigen des "Geschieht es?" eines Barnett Newman ablenkt?

HOLLEIN

Architektur. 1945 bedeutet für die Architektur einen nachhaltigen Neubeginn. Es werden die zerstörten, alten Häuser der Gründerzeit wieder instandgesetzt, und es werden billige Häuser in einem profillosen International Style errichtet. Das ist eine Moderne, die im massenhaften Entstehen ihre Grundlagen aushöhlt. Aber Anfang der 60er Jahre ist der Wiederaufbau, der die Entwurfskraft ebenso wie die Architekturkritik lähmte, zu Ende. Friedrich Hundertwasser hat 1958 sein Verschimmelungsmanifest vorgetragen. Hans Hollein und der spätere Bildhauer Walter Pichler stellen 1963 thematisch wie künstlerisch "Architektur" aus. Hollein hatte um 1960 mit Fotocollagen begonnen. So werden etwa Wien riesige amorphe Blöcke aufgesetzt, ein überdimensionaler Flugzeugträger liegt gemütlich in Hügelland. Auf solche Weise gewinnt der Künstler die grundlegende architektonische Dimension zurück. Denn die fremdgewordenen, "archäologisch" interpretierten Monumente können nun auf die gestaltete Natur- oder Stadtlandschaft zurückbezogen und eingebunden werden. Es ist ein erster Schritt zur Überwindung der Bauhaus-Moderne. Die schöpferische Phantasie braucht sich nicht mehr auf die Gestaltung von stereometrischen Formen zu beschränken, die den technisch bestimmten Bedürfnissen und Zwecken streng untergeordnet wurden. In den Zeichnungen aus derselben Zeit, etwa mit Walter Pichler, werden zudem symmetrische, technoide Komplexe, die als Landschaftsquerschnitte dargestellt sind, als riesige Plastiken interpretiert. Die Formen werden damit aus der Befangenheit der technisch vorgegebenen Zwecke gelöst, gewinnen skulpturalen Wert. Hollein schreibt demonstrativ: Die Form folgt nicht der Funktion, ebenso wie auch die Gestalt sich aus der spirituellen Bedeutung des Zwecks entwickelt und nicht aus seiner materiellen Organisation.

Ein Geschäft. Aus dieser Anschauung heraus baut Hollein 1965 das Kerzengeschäft Retti am Wiener Kohlmarkt. Er beweist, daß die Moderne, zuvor wörtlich verworfen, "paradoxerweise" aufgehoben bleibt. Die Fassade zunächst, streng durch eine Symmetrieachse mit dem dreigegliederten Innenraum verbunden, weist eine reduzierte, modern technoide Form des Eingangs auf und ist zugleich mit den herausgedrehten Vitrinen zweckmäßigst: der Passant muß hineinsehen.Aber der Eingang gewinnt, zunächst eng und unzweckmäßig erscheinend, doppelt. Hollein setzt seine Anschauung von der Sexualität der Architektur ins Werk. Gestaltet und symbolisiert wird die Vagina - der Zweck auf unbewußter Ebene - , "dargestellt" wird der Phallus - das Symbol auf der unbewußten Ebene. Indem aber die überaus schmale und damit längliche und oben ausgebuchtete Form des Eingangs seinen Zweck einschränkt, kann der Architekt auch unbefangen einen Bezug zum bereits durchgängig symbolisierten und zitierenden Stuck des übrigen Hauses herstellen. Die wohlproportionierte Eingangsform beginnt mit der Schnecke und der Säule der beiden oberen Fenster zu "sprechen". Die Säule wird Hollein schließlich immer wieder bei Fassaden, Environments, der Ausstellung umanesimo - desumanesimo, im Österreichischen Reisebüro bis zur Chicago Tribune Column von Loos beschäftigen, die in "Traum und Wirklichkeit" wiederkehren wird. Mit diesem "Sprechen" ist durch das unentstellte Architekturzitat bereits das Wesentliche der postmodernen Architektur gegeben. Der Innenraum, ebenso wie die Fassade in Aluminium, das billige kühle Silber, sind streng vertikal durchgeführt und zusätzlich mit sich gegenseitig vervielfachenden Spiegeln ausgestattet, beinahe gotisch wie das damalige Kerzendesign Rettis gehalten. Reminiszenz an eine nach innen gestülpte Pop Art. Die Kerze kann von innen "gesehen", erlebt werden. Vor diesem Hintergrund erscheint der Eingang wiederum als Kerze mit Flamme, ein zusätzlicher Vorgang der Resymbolisierung. Aber der Innenraum negiert die Funktion des Verkaufs keineswegs, er verlagert sie nur. Der Käufer ist in einen dichten kirchenähnlichen Kerzenwald eingesponnen, zum Anbeten des Produkts gleichsam gezwungen. Zudem ist die Ware zum Greifen nah, die Kaufhauspsychologie im Miniaturgeschäft wiederholt. Der Packtisch ist frei umgehbar, die gewöhnliche Distanz zwischen Verkäufer, Ware und Käufer durch den äußerst beschränkten Bewegungsspielraum so geschickt zurückgenommen, daß die Interaktion der im Geschäft befindlichen Menschen einer totalisierenden Inszenierung an der Grenze des Rituellen angenähert wird.

Alles Walzer. Mit diesem frühen Beispiel der Totalkonzeption der Raumgestaltung und -erfahrung, in dem das Verdrängte der Moderne vor dem Hintergrund der technischen und formalen Errungenschaften wieder aufgenommen wird, tritt Hollein nicht nur in seine Arbeit "Alles ist Architektur" in der von ihm mitherausgegebenen Zeitschrift "Bau" von 1968. Dort hat er - eher über eine Auswahl verschiedener, aberwitziger macluhanesker Beispiele, etwa einer das Bewußtseinsenvironment verändernden Pille, genannt "Bereitschaftsschachtel zur Herstellung verschiedenster gewünschter Umweltsituationen" - bereits die wesentlichen Dimensionen seiner postmodernen, nicht antimodernen Architektur versammelt. Die Totalisierung des sinnlich erfahrbaren und architektonisch gestalteten Raums wird in einer Reihe von Ausstellungen erforscht: "Macrostructures" in der von Hollein selbst gebauten Feigen Gallery 1967, sein "Österreich-Beitrag" zur Mailänder Triennale 1968, "Papier" in Wien 1971/72, die Media-Lines für das Olympische Dorf München 1972 oder "MANtransFORMS" als Eröffnungsausstellung des New Yorker National Museum of Design 1974-76.

Tod. Mit diesen Raumpräsentationen wird zusehends die Ausstellung konzeptkünstlerisch zur Installation, zum Environment ausgelegt. Dieser Prozeß ist von der Anstrengung begleitet, die von der modernen Architektur ausgeklammerten Phänomene Leben, Verfall, Vergangenheit und Tod bildlich wieder zurückzugewinnen: 1970 das "Grab des Rennfahrers" in Graz sowie "Tod" in Mönchengladbach - beide mit Verweis auf den Leistungssport, beide eine archäologische Ausgrabung einer sinnlos gewordenen Moderne. Diese Motive treten 1972 bei der Biennale in Venedig noch stärker hervor. "Werk undVerhalten - Leben und Tod - Alltägliche Situationen" zeigt in Anspielung an die Schlußszene von Stanley Kubricks "2001 - Odyssee im Weltraum" die Archetypen Stuhl, Wanne, Bett, Tisch, Kasten, Tür, Ablage, die aus uniformen weißen Kuben gestaltet sind. Aber die Ablage ist auch von einem Sprung durchzogen - vergleichbar der rinnsalartigen Goldlinie im schwarzen Marmor des Schmuckgeschäfts Schullin I von 1974 - , so wie der Stuhl dem aufgebahrten toten Vater oder einem toten Huhn gegenüber gestellt ist. Derart erfolgt eine Dramatisierung des neutralen Raums, allgemeiner: wird die Moderne hinsichtlich des geopferten Christus einem Remythologisierungsversuch unterzogen.

Ironie, Metapher, Erzählung, Zitat. Im Kontrast zum nunmehr erreichten totalisiert-funktionalen, dramatisierten Raum wird die Sprache der Architektur nun lauter und setzt mit einer ironischen Erzählung von Metaphern und Zitaten ein. So stellt Hollein in einer Fassade den parallel ineinander geschobenen, wuchtigen, spiegelglatten Säulen die zarten, quadratischen, fensterkrönenden Ornamente nach Wagner oder Hoffmann entgegen. Ein Innenraum im revitalisierten, klassizistischen Bauwerk für den Siemens-Komplex in München 1970-75 erhält eine seltsam verlorene, scheinbar tragende Säule. Und in der Bahnhofshalle - Wagners Wiener Postsparkasse! - des Verkehrsbüros am Wiener Opernring von 1976-78 entwickelt sich ein vielstimmiges Gemurmel. Von der Nähe eines österreichischen Theaterkartenschalters mit Bühnenvorhang weht der Wind über die österreichische Fahne zu den Fernreiseschaltern. Neben dem antiken Gipssäulenstumpf, aus dem ein glatt-moderner Edelstahlzylinder hervorschießt, winken metallene Palmen herbei, hinter denen sich eine ägyptische Pyramide aus der Raumecke vorschiebt. Oder das Schmuckgeschäft Schullin II 1982. Da lädt das als Schmuckring oder Ohrclip gestaltete Schaufenster so freundlich ein, wie die schwere Tür mit zwei symmetrischen Reihen von nach unten hin sich ins Unendliche verkleinernden lichtdurchlässigen Quadraten den Tresor verriegelt. Mythisches Totem-Geschäft, an dessen Fassade wiederum eine scharfe Klinge ausgewachsen ist, nach oben gekehrt und auf zwei schlanken Holzsäulen wie ein Tomahawk lastend: Totem aus dem Waffenarsenal.

Postmoderne. 1982 wird das Städtische Museum Abteiberg Mönchengladbach fertig. Damit ist zugleich die erste Forschungsphase abgeschlossen. Die Momente der Architektur des Kerzengeschäfts werden reorganisiert und gegen die Moderne des geschlossenen Gebäudes mit Mehrfachfunktion in eine Architekturlandschaft ausgefaltet. Auf die barocke Probstei des alten Mönchengladbach antwortend wird auf Serpentinenwegen, durch einen Garten hinauf auf einen mit an den Hang geschmiegten rotbraunen Ziegelmauern befestigten und mit Platten belegten Platz geführt. Um ihn herum sind vier Baukörper angeordnet. Zum einen ist da, erstens, der aufragende, in beigem Marmor gekleidete Quader des Verwaltungstrakts. Aus ihm scheint der zum Platz gewandte Teil wie senkrecht ausgebrochen - der Grundriß eine Wellenlinie wie Tod und Leben. Die sich ergebende wellige Wand ist mit Balkonen und spiegelnden Fensternetzen bestückt. Das gotische Münster von nebenan wird nach Orson Welles mehrfach gespiegelt. Die ironische Erinnerung an die "toten" modernen Skyscraper-Kristalle wie etwa das United Nations Plaza Hotel - es illustriert den Cover von Lyotards Buch - wird zum Monument postmoderner Kunst. Zum anderen beschützt diese "Kirche" zweitens sieben aneinandergereihte, in den Berg gesenkte Würfel, deren Fabriksdächer die "Produktion" der in ihnen befindlichen Kunst andeuten. Drittens erscheint ein auf der anderen Seite gelegener größerer Block durch seine schräg gelagerten Wand-Atrappen in den Berg gequetscht, das eben noch Geduldete symbolisierend, die Wechselausstellungen neuester Kunst. Und viertens wird das Platzgefüge miteinem Eingangstempel abgeschlossen, einem kubischen Glasgehäuse, durchsichtig wie die Moderne - sein Eingang führt hinunter, läßt in die Hölle moderner Kunst hinabsteigen, um die Bodenschätze zu bergen. Nur von dort können die oberen Räume des Museums erfahren werden. Streng an die jeweiligen Exponate der Gruppen- oder Einzelpräsentationen schichten sich auf drei Ebenen mythisch individualisierte Räume, Environments. Indem äußere und innere Natur integriert werden, steigt das Museum zum Totalkunstwerk auf, zum Kunsttempel einer Präsentation, die durch die profaneren Vermittlungsfunktionen von Audiovisionsraum, Unterrichtsraum, Vortragssaal, Cafeteria und Garten ergänzt werden.

Ausstellung als Wirklichkeit. Damit ist das Modell größeren Maßstabs gewonnen, mit dem Hollein in einem räumlich signifikant-signifizierenden Zusammenhang - eben Architektur - die moderne Kunst selbst zur Kunst, zum Material für die Kunst werden lassen kann. Kunst, überhaupt Kultur wird angebaut, eingebaut und inszeniert. Sie wird nur mehr als solche sichtbar. Das erfordert ein Bewußtsein über ihre Ordnung. Weil aber die moderne Kunst ein Vergangenes ist, kann sie nur in ihrer Historizität erscheinen. Tatsächlich hat sich Hollein einer Archäologie der Moderne zugewandt, diesmal, was ihre mittlere Geschichte betrifft. Hatte er 1980 in einer Installation Loos' Entwurf für die Chicago Tribune Column von 1922 rekonstruiert und bei der Biennale in Venedig 1984 die Geschichte des Hoffmannschen Österreichpavillons in in ebendemselben dokumentiert, so werden solche Bemühungen schließlich in der Ausstellung "Traum und Wirklichkeit. Wien 1870 bis 1930" von 1985 konzentriert. Das 1868 gebaute Künstlerhaus wird zum Architekturmaterial, wird nun von vielschichtigen Bedeutungen durchdrungen und umgeben. Hollein transponiert die syntaktische Symmetrie des Hauses in eine scheinbar metaphorische Asymmetrie. Der golden bemalte Seitenteil der linken Hälfte mit dem vergoldeten, dreidimensional gewordenen "leidenden Individuum" aus Klimts "Medizin"-Entwurf steht dem grau-rot bemalten rechten gegenüber, das mit dem orthogonal gespiegelten Turm/Bogen-Motiv des Wiener Karl-Marx-Hofs besetzt ist. Traum - Wirklichkeit. In Ausstellungsstation 4 (von 24) ist der zum Otto-Wagner-Pavillon teilweise umfunktionierte U-Bahn-Eingang eingebettet. Damit ist der Schritt getan zur Einverleibung des realen Wiens in das "Wien von 1870 bis 1930". Die Stadt wird zum Zitat, das, gleich vor dem Haus, noch einmal - als Zitat?, ließe sich ironisch fragen - wiederkehrt. In "Traum und Wirklichkeit" erfährt Holleins kontinuierlich postmodern gewordene Kunst Bestätigung und Zusammenfassung: erstens das Sakrale in der Zentrierung des Todes (die Achse 1.Weltkrieg, Aufbahrung des ermordeten Thronfolger, Beethoven); zweitens das Theatralische in der Inszenierung und im Architekturparlando von Ironie, Metapher, Erzählung und Zitat (die Grundfarben und die Ornamente der Schauräume, die Mahlerposen-Scherenschnitte und der Mittelteil des Karl-Marx-Hofs als Ornament, Klimts "Kuß" als Altar mit Stufe, das Rote Wien homogen rot, ein Wohnungsgrundriß aus dem Karl-Marx-Hof, der Hoffmanns Architektur und die Wiener Werkstätte verbindende schwarz-graue Teppich à la Hoffmann); und drittens die Totalisierung der Architektur in Ausstellung/Environment/Installation (Klimts Beethovenfries, das Selbstzitat Couch mit Fauteuil mit der Unterschrift Sigmund Freuds zur Station "Traumdeutung" im fluoreszierendem Licht, die Interieurs mit Loos' Wohnzimmer und Peter Altenbergs Fotowand).

REKONJUNKTION

Noch bevor sich in Österreich die Moderne durchsetzen konnte, war sie auchschon im Verfallsstadium. Die nach den Kriegszerstörungen erforderlich gewordene Moderne mit Ablaufdatum ging mit denjenigen Zerstörungen geheimnisvoll Hand in Hand, die Charles Jencks in Die Sprache der postmodernen Architektur, 1976, zum Tod der Moderne überhaupt ausrufen wollte. Hollein will dagegen die verschüttete moderne Formkraft gegen die Standards zurückgewinnen und setzt auf spirituelle Bedeutung. Es kommt ein frühmodernes, romantisches, symbolisches Bedürfnis zum Ausdruck, das sich in Anleihen an den Kirchenbau, der Darstellung der Dinge von innen und in der Ritualisierung bzw. Totemisierung des Handels zu befriedigen sucht. Mehr als einmal tritt der Tod in Kunstinstallationen oder architektonischen Symbol in Erscheinung. In diesem Taumel ist es später der Dialog mit Vorgegebenem ebenso wie ein Requisitengemurmel, mit dem Holleins Symbolisierung zum autonom künstlerischen Totalkunstwerk der früheren Jahre zurückfindet.

Man sieht mit Lyotard klar, daß die postmoderne Architekturtheorie wie bei Jencks nicht auf die Sprachpragmatik setzt. Bei Jencks's semiotischem Ansatz geht es um Wörter, Metaphern, um die Semantik und die Syntax. Ein "Wort" stellt ein Bedeutungselement dar wie Tür, Fenster oder Säule, die im physischen Kontext - mit einer annäherungsweise reinen Syntax oder dem des Betrachtercodes stehen. Indexikalische Zeichen oder "Wörter" deuten unmittelbar auf die Anwendung hin, während ikonische Zeichen abbilden und symbolische Zeichen gemischte oder angedeutete Metaphern formulieren. Eine Mischung oder Häufung - "je mehr Metaphern, desto größer die Dramatik" - kann bei Wörtern ebenso erfolgen wie bei den drei Zeichenarten. Eine derartige Sprachkreuzung oder Mehrfachcodierung macht die postmoderne Architektur aus. Dazu kommt die Semantik der Stile mit der Möglichkeit für Stiländerungen auch in einem Bauwerk allein; sie sollte systematisch und als solche deklariert sein - von dort kommt dann die Forderung nach berühmten Stilpluralismus.

Wie immer auch die beiden Peirceschen Triaden Ikon/Symbol/Index sowie Syntax/Semantik(/Pragmatik) miteinander kohärieren, so ist klar, daß Jencks der architektonischen Sprachpragmatik nur eine bescheidene Rolle geben kann. Zu sehr setzt er auf Wirkung, auf eine geschlossene Kombination semiotischer Möglichkeiten im Gebilde, als daß er den sprachlichen Austausch der baulichen Aussagen ins Kalkül ziehen kann. Damit wird die Moderne aber auch zu einer kurzen vorübergehenden Phase der Exklusion genannter Mischungen, die Jencks trotz der strengeren Stilordnungen des vormodernen Abendlands als den breiten Grundstrom der Architektursprache ansieht. Der Blick auf das universalisierende Beharren der Modernen auf Syntax und Indexikalität kann dann aber nur verkennen, wie sehr die moderne Architektur einer Denotation (Wörter) unter performativen (indexikalischen) Auspizien wie das szientifische Wissen von einer Legitimierung abhängt, deren Diskurs die philosophische Selbstreflexion erforderte.

Damit müßte sich nicht nur das Verständnis von Sprache in langue und langage diversifizieren. Es müßte auch, bei Lyotard, die Erzählung schärfer zum einen auf der "Objektebene" einzelner sich wiederholender oder variierender Aussagen in Sprach(kampf)spielen, zum anderen auf die Metaebene der Legitimierung bezogen werden, auf die Regeln jener Spiele, die doch nur von außen legitimiert werden können. Was die Metaerzählung betrifft - kann sich eine Kunst wie die Architektur über ihre Werke legitimieren? Kann ein Gebäude ein Manifest sein? Wenn ja, dann wäre die Architektur nicht nur das Zeichen, das sie auch ist. Sie könnte zur Architekturerzählung in legimierender Funktion avancieren. Ironie, Metapher, Erzählung, Zitat und Bild wären dann nicht nurdas Mittel zu reizen, zu ergötzen, zu orientieren, zu erinnern, sondern auch von einem Sprachspiel zu berichten, in dem ein Sprachspielzug paralogisch zu einem Novum führte. Davon kann Hollein vielleicht mit mehr als einem Werk wie dem Museum Abteiberg in Mönchengladbach zeugen. Dann wäre die Postmoderne als Rekonstruktion der Moderne ein, aber auch nur ein Beitrag zum Architekturdiskurs (Mark Wigley).

So wie die Ab-Bildung, die nicht-zentrale Verwendung der Technik am Centre Pompidou Sprache der modernen Industrie zu transzendieren vermochte, war Holleins Narration des Historismus und dessen Überwindung in Österreich vielleicht einer Romantik geschuldet, die ihre Erzählung, wenn auch retrospektiv, auf die Befreiung des "österreichischen" Volks gründete. Ein Versuch - denn die Historisierung des Wien um 1900 zur antizipierten Postmoderne (oder als Vorgeschichte der Postmoderne oder der Kunst, die nur in ihrer Historizität als Kunstgeschichte erscheinen kann, im Archiv, aus einer Datenbank, die Lyotard als Natur des postmodernen Menschen bezeichnet) konnte vielleicht nicht mehr als paralogischer Spielzug zwischen den Aussagesystemen situiert werden - von der Mythologie der Architektur abgesehen, deren Spuren im Holleinschen Künstlerhausprojekt aufgedeckt werden müßten. Die Geschichte kann vielleicht überhaupt nicht mehr in der narrativen Legitimation zurückgenommen werden. Die Erzählung muß in einem Sprachspiel rekonstruiert werden, an dem mehrere Spieler beteiligt sind, so wie die Architekten unter anderem um "die" Geschichte kämpfen. Hollein hat mehrere Beiträge dazu geliefert.

Lyotard spricht vom Schritt von einer Kultur in narrativer Wissensform und denk dabei an eine kantische Ausgewogenheit von Effizienz, Gerechtigkeit und Schönheit. Gegen das Schwergewicht auf dem Autor oder dem Künstler, daß niemand insbesondere zur Erzählung autorisiert ist, lassen sich auf den Pluralismus der Stile, aber auch den Pluralismus der Kunstformen wie Gebäude, Ausstellung, Environment, Installation, Zeichnung, Collage oder Konzeptkunst setzen, mit denen Hollein zwischen verschiedenen Aussagetypen wechselt. Bei ihm dringen über die Kunst die anschaulichen, narrativen Elemente ein. So wird etwa die Ausstellung zum architektonischen Entwurf wie auch zur Erzählung, deren Macht nicht nur in der Verkörperung eines einzelnen architektonischen Gebildes wiedergewonnen wird. Holleins allgemeine Sprach-Pragmatik findet über das rationalistische Dispositiv der modernen Architektur hinaus zur De/Legitimierung von "Alles ist Architektur", das schon als pop-analoge Parodie und Karikatur der modernen Architektur eine Lyotardsche Postmoderne in nuce enthält.

Alles in allem muß nicht länger stillschweigend vorausgesetzt werden, daß das Wissen zur Kunst und Technik parallel verläuft. Was in der Architektur ein narratives, was ein szientifisches Wissen ist, kann gesehen werden, wenn man Holleins Arbeiten zur Illustration von Lyotards Konzeption der postmodernen Bedingung verwendet. Es wird nicht zuletzt Lyotards Kritik an der Trennung von Forschung und Didaktik, von Reproduktion und Imagination. Architektur, zumal die Holleinsche, ist zu einer Kunst geworden, deren Forschungsstrategien nicht nur die Geschichtswissenschaft, sondern die heutige community of investigators mit ihren verschiedenen Wissensarten in ihrer Dynamik und Vielfalt betrifft.

(c) Peter Mahr 2000

mahr@h2hobel.phl.univie.ac.at

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