mahr'svierteljahrsschriftfürästhetik

3 (2000), Nr.2/Juni

Commented Criticism

6. Besondere Objekte, Judd '65. 6677 Zeichen.

Wäre es nicht in einer Kunstpublikation gewesen und nicht Donald Judd, specific objects hätten gut und gerne auch irgendwelche UFOs sein können - Sputnik und andere Raumkapseln waren so phantastische Objekte, wie die Bereitschaft zur sensationalistischen Transzendenz in magischen, wie technischen Dingen sehr ausgebildet war: "pop", und schon wieder haben wir die Welt neu erfunden.

Aber nein, der Künstler Judd, der schon einige Jahre eine ebenso klare wie gnadenlose Kunstkritik an vorderster Avantgarde betreibt - zu Lawrence Weiner heißt es einmal am Schluß von 30 Zeilen: "he isn't on his own yet" - will in diesen theorieträchtigen mittleren 1960er Jahren einen mindestens so relevanten Diskursbeitrag in der Kunstwelt liefern wie Richard Wollheim im Jänner 1965 und Michael Fried im Mai desselben Jahres. Doch wenn überhaupt, dann antwortet Judd nur untergründig auf Wollheims unfreiwillig gruppenbildende Attacke auf Duchamp, Ad Reinhardt und andere sowie auf Frieds greenbergianischen Katalog-Essay Three American Painters.

Specific Objects - im Arts' Yearbook 8 (1965) im November des Jahres erschienen (und mit einer Übersetzung abgedruckt in: Gerd de Vries (Hg.), On Art/Über Kunst, Köln: Dumont 1974, S.121-135) - besetzen, wie der erste Satz trocken konstatiert, einen neuen Bereich, lassen sich schon von ihrer Gattung her nicht auf Tradition reduzieren: Half or more of the best new work in the last few years has been neither painting nor sculpture. Dreidimensionale Arbeiten sind es, sagt Judd, ohne damit nur einen Geometrismus zu meinen, wie er mit seinen Arbeiten und den seiner Freunde Andre, Sol Lewitt, Flavin so unverwechselbar zur Erscheinung kommen sollte. Because the nature of three dimensions isn't set, given beforehand, something credible can be made, almost anything. Diese Arbeiten sind nach allen Seiten hin offen, methodisch nimmt sich Judd aber vor, eher positive als negative Gründe für seine Aufstellung zu formulieren.

Wenn Judd im folgenden vor dem Hintergrund der Abstraktion zunächst gegen die Malerei schreibt, so meint er, durchaus noch greenbergianisch das Medium der Malerei, das aber nun von seinen materiellen, äußeren Dimensionen und nicht von flatness oder opticality her als für den neuen Schritt zur Freiheit zu eingeschränkt verstanden wird. Eine rechteckige Fläche, die flach an der Wand hängt, zeigt nun (1965) vielmehr die Determination einer Ganzheit - The thing as a whole, its quality as a whole, is what is interesting - , wie sie erst nach 1946 in der Malerei durch die Betonung des Rechtecks (Pollock, Rothko, Still, Newman, Reinhardt, Noland) und der Präsentation von nur wenigen Teilen im Bild zur Auffasssung kommt. Indem das Flache insbesondere als Wandparallele betont wird, zeigt sich die Form als ein Spezifisches. Und indem es gerade eben nur Stella und Klein gelingt, darstellungsmäßig nichträumliche Bilder zu malen, zeigt sich umso mehr die Schwierigkeit, den Antiillusionismus der Abstraktion zu vollenden.

Es wird klar, daß die Malerei ihre Objekthaftigkeit, eine Gegenständlichkeit der eigenen Art, nolens volens entbirgt. The new work obviously resembles sculpture more than it does painting, but it is nearer to painting. Somit muß Judd auch die neuere Skulptur durchgehen. Auch sie erinnert noch an dieErhabenen der abstrakt expressionistischen Maler, was das große Format, das stärker betonte und trotzdem nicht autonome Material, eine strukturell durchschlagende Ähnlichkeit (menschliche Körpergröße, Maschinengestalten) und das Additiv-Entwurfshafte des Objekts betrifft. Demgegenüber ist die Abgrenzung der spezifischen Objekte von ihrer Umgebung nicht wesentlich - schon allein als Hintergrund werden sie, etwa in der eben kommenden Land Art, wichtig. Als besondere Formen lösen sich Skulpturen auf, wenn sie stark verändert werden. Und: Three dimensions are real space. That gets rid of the problem of illusionism and of literal space, space in and around marks and colors - which is riddance of one of the most objectionable relics of European art.

Judd, der in den 50er Jahren an der Columbia University einige Semester Philosophie studierte, wußte höchstwahrscheinlich von der "Aesthetic of the Specific", als welche Georg Lukács' einschlägige Beiträge in "Über die Besonderheit als Kategorie der Ästhetik" (1955) und "Die Eigenart des Ästhetischen" gerade rechtzeitig übersetzt worden waren. Somit ist die Abstraktion des Juddschen "specific" auch gegen das Besondere gerichtet, wie von der realistischen Kunst erreicht werden soll, die das Individuum in seinem Fühlen, Denken und Handeln durch das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse hindurch repräsentiert. Somit heißt es nicht nur gegen die Pop Art, sondern einmal mehr gegen jeglichen Illusionismus lakonisch: If a hamburger were painted it would retain something of the traditional anthropomorphism.

Die Conclusio erhebt einen starken Anspruch. Die neuen Arbeiten stellen den Raum nicht dar, sie sind Raum; Form, Farbe und Oberfläche erweisen sich als im Ding aufgelöst - was eine Annäherung an die Verflüssigtheit aller Dinge-in-sich (siehe Hegel) und das Ready-Made bedeutet - ; die ananthropomorphe Produktion ist in Form (Serialität) und Material (Neonröhren, Formica, Aluminium, Kaltwalzstahl) der industriellen ähnlich. Mithin kann Judd die besprochenen neuen Arbeiten von Lee Bontecou, Yves Klein (nicht die anderen nouveau réalistes) oder Oldenburg als spezifisch, objektiv und sogar etwas ausgeben, das nicht von vornherein den Anspruch auf Kunst erhebt, das seinen Wert also erst aus seiner besonderen Qualität entwickelt. A work needs only to be interesting. Most works finally have one quality.

Das wird in drei historischen Etappen verankert. In earlier art the complexity was displayed and built the quality. In recent painting the complexity was in the format and the few main shapes, which had been made according to various interests and problems. A painting by Newman is finally no simpler than one by Cézanne. In the three-dimensional work the whole thing is made according to complex purposes, and these are not scattered but asserted by one form.

Der Anspruch hat sich in der künstlerischen Praxis als Bewegung nominell nicht durchgesetzt. Keine specific oder dimensional art, dafür aber minimal art. Heute läßt sich der reduktionistische, auf ästhetische Minima zielende Materialismus Donald Judds jedoch besser verstehen. Es geht nicht mehr nur um die Einbeziehung des materialspezifischen Postminimal einer Hesse, eines Morris oder Serra, einer arte povera. Es fallen uns nicht mehr nur die form- und institutionsspezifischen Eingriffe der Land und Conceptual Art zu Judds Anlauf ein. Daß selbst die frühen Arbeiten Paiks aus den mittleren 60er Jahren es auf das Besondere des technologischen Zusammenhangs (die M.....) angelegt hatten, erweist sich heute als wesentlich.

Allgemein steht Specific Objects in der Tradition taktischer, innovatorischer Kunstkritik. Es ist eine Zusammenfassung und Positionierung des Tagesgeschäfts mehrerer Jahre. Dabei geht es natürlich - New York! - auch um den Markt, der noch vom abstrakten Expressionismus, Moore und Caro und schon von der Pop Art geprägt ist - die marktverweigernden Fluxisten/Protokonzeptualisten waren evidentermaßen kein Faktor und für den als Künstler von der abstrakten Malerei kommenden Judd auch keine wahrnehmbare Größe. Daß Specific Objects in seinem thetischen Charakter ein Manifest darstellt, ist selbstverständlich. Doch der noch immer aktuelle Kampfwert zeigt sich erst, als Lucy Lippards schon historischer Blick Six Years of Dematerialization (1973) erscheint. Mit der Frage nach dem Besonderen bleibt die Frage nach der Qualität aufgegeben, die an die sinnlichen Eigenschaften materieller Gestaltung gebunden bleibt.

(c) Peter Mahr 2000

mahr@h2hobel.phl.univie.ac.at

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