Nadina König 9603327

Bernhard Binder 9050411

Psychodynamik der Emotionsstörungen

1. Definitorische Grundlagen

 

Zu Beginn einer jeden Beschäftigung mit Affektstörungen sind drei unterscheidbare Aussagen des Affektsystems zu machen:

a) Die Bedeutung der Affekte für die Steuerung des bewussten und
unbewussten Denkens und Handelns.

b) Die Bedeutung der Affekte für das soziale Zusammenleben und die
Interaktionsregulierung.

c) Die Bedeutung der Affekte für die Selbstwahrnehmung und -einschätzung

1.1 Psychiatrische Definitionen

Der Terminus "Affektstörungen" hat in den modernen psychopathologischen Klassifi-kationssystemen eine umschriebene Bedeutung. In Anlehnung an den amerikanischen Begriff "affective disorders" versteht man darunter eine Gruppe von Störungen, bei denen das Hauptmerkmal "eine Beeinträchtigung der Stimmung, begleitet von einem vollständigen oder partiellen manischen oder depressiven Syndrom, das nicht auf irgendeine andere körperliche oder psychische Störung zurückzuführen ist".

Die Einteilung und Klassifikation von Affektstörungen kann daher nicht immer klar abgegrenzt werden. Moser (1985) unterscheidet z. B. zwischen "state"- und "trigger"-Affekten und ordnet daher die "affective disorders" den Störungen der Zustandsaffekte zu, Störungen von "trigger"-Affekten sind in der Katagorie der Angstsyndrome zu finden. Psychiatrische Klassifikationsmanuale unterscheiden z. B. wiederum Wahrnehmungs-störungen von den Denk- und Affektstörungen, diese wiederum von denen des Antriebs. Fest steht jedenfalls, dass gerade im Bereich der psychischen Störungen eine Beschreibung der Erkrankung aufgrund EINER Krankheitsursache selten möglich ist. Im folgenden soll auf 3 Gruppen von Schwierigkeiten verwiesen werden:

1.2.1 Abgrenzung zur Normalität

Bleuer verdeutlicht dies, indem er konstatiert, dass manische oder depressive Verstimmungen häufig so leicht seien, dass von einem "Irresein" und eine "Psychose" nicht gesprochen werden kann. Auch gibt es im affektiven Bereich sehr genaue kulturinvariante Grenzen für die Wahrnehmung und Einschätzung von Verhalten als "gesund" bzw. "gestört". Wieviel "Trauerarbeit" auf einen Todesfall als angepasst und normal gilt, ist kulturabhängig.

 

 

1.2.2 Der Verlust der ganzheitlich prozessualen Sichtweise

Die Beschreibung und Benennung von Störungen nach den betroffenen Funktionen ist problematisch, weil in jedem Fall andere Funktionen mitbetroffen sind. Auch die Verursachungsrichtung vom gestörten Affekt wird unterschiedlich ausgelöst. Einig ist sich die experimentelle Affektforschung dahingehend, dass sie einen Affekt nicht als Zustand, sondern als einen sich in der Zeit entfaltenden Prozess versteht, an dem alle seelischen Funktionen beteiligt sind.

 

1.2.3 Methodenimmanente Schwierigkeiten

Für die Beschreibung von affektiv gefärbten mentalen Innenwelten gibt es gar keine andere Darstellungsmöglichkeit als die "Beschreibung des Gemeinten". Für die Erklärung des Affektes als prozesshaftes Geschehen ist diese Methode nicht ausreichend. Das Erleben des Affektes und seine sprachliche Benennung ist innerhalb dieses Prozesses nur eine und dazuhin nicht einmal stets notwendige Durchlaufstation.

 

 

2. Versuch einer Taxonomie der Affekte

Es gibt Einigkeit darüber, dass das Emotionssystem eine Art Zwischenschaltung zwischen Umwelt und den verschiedenen Subsystemen des Organismus ist.

2.1 Die interne Struktur des Affektsystems

Das Affektsystem umfasst:

a) eine expressive Komponente in der Körperperipherie mit Gesichtsausdrücken
und Vokalisierungen

b) eine physiologische Komponente der Aktivierung bzw. Desaktivierung des
autonomen und endokrinen Systems

c) eine motivationale Komponente mit Verhaltensbahnungen in der Skelett-
muskulatur und der Körperhaltung

d) eine bewusste Wahrnehmung der körperlichen Komponenten

e) eine Benennung und Bewertung der Wahrnehmung, der auslösenden
Situation sowie eine Zuordnung zum Selbst- bzw. zum Objektbereich

Diese Einteilung beruht auf der Beschreibung der Gefühlsreaktionen von gesunden Erwachsenen einerseits, sowie den bei psychischen Störungen beobachtbaren Ausfällen andererseits. Zur Begriffsabgrenzung:

Affekt: körperliche Reaktionen ohne bewusste Repräsentanz und Erleben derselben

Gefühl: bewusstes Wahrnehmen und/oder Erleben der autonomen Anteile ohne
erlebnismässige Zuordnung zur Selbst- oder zur Objektstruktur

Empathie: bewusstes Erleben des autonomen Anteils bei gleichzeitiger Zuordnung
zu einem Objekt bzw. zum Selbst

Alle Funktionen gemeinsam werden als "Affektsystem" bezeichnet.

2.2 Eine soziale Dimensionierung der Affekte

Es gibt eine begrenzte Anzahl von Affekten, die in allen Kulturen auftritt. Relativ sicher ist dies für die mimische Konfiguration:

a) Freude

b) Trauer

c) Wut

d) Ekel

e) Überraschung

f) Furcht

Diese Gefühle werden als "primary motives" (Primäraffekte) bezeichnet. Allerdings sind nur jene Emotionen erfasst, die durch visuelle eindeutige Signale ausgelöst werden können (beziehen sich auf den motorisch-expressiven Signalanteil des Affektsystems), sie werden auch "it-emotions" (Dahl, 1979; De Rivera, 1977) genannt. Die selbstreflexiven "me-emotions" und solche, die der inneren Steuerung des Denkens und Handelns dienen, sind damit nicht erfasst.

 

3. Phylogenetischer Exkurs

Das Affektsystem ist aus dem Instinksystem entstanden. Allerdings ist im Affektsystem etwas Neues aufgetreten. Der soziale Signalteil kann von der motivationalen Ausführungs-handlung entkoppelt werden. Ohne diese biologische Entkoppelung von Ankündigung und Ausführungshandlung wäre der soziale und motivationale Freiraum für intelligentes soziales Problemlösungsverhalten nicht entstanden. Solange die Lebewesen nicht kooperierten, bestand keine Notwendigkeit für eine Zeichenentwicklung. Ein Wutgesicht oder -schrei ist zwar mit einer Intensionsbewegung korreliert, die einen Angriff wahrscheinlicher macht, diese Wahrscheinlichkeit aber durch Benutzung innerartlicher Zeichen verringert wird. Solche Zeichen können z. B. Körpergröße, Vertrautheit des Ortes der Begegnung, Bewegungsgeschwindigkeit, etc. sein. Diese Evaluierungsprozesse setzen soziale Intelligenz voraus. Affekte dienen also neben vielen anderen Funktionen der Verhaltensökonomisierung.

 

 

 

4. Die propositionale Struktur der Affekte

In Anknüpfung an De Rivera (1977) und Suppes und Warren (1975) kann man die Primäraffekte als die Ankündigung von Handlungen charakterisieren. In der Struktur dieser Handlungen gibt es ein Subjekt, ein Objekt und eine gewünschte Interaktion zwischen beiden. Je nachdem WO sich das Objekt in Relation zur Position des Subjekts befindet, WIE das Subjekt Handlungsmacht attribuiert und wie die hedonische Situation (nach Lust, Genuss strebend) wahrgenommen wird, entstehen die Primäremotionen.

In Bezug auf den Ort gibt es vier Möglichkeiten:

a) endomorph: Das Objekt ist im Subjekt, also Mund oder Magen

b) ektomorph: Objekt ist an der Körperperipherie des Subjekts

c) im optische Feld: Objekt ist visuell gegenwärtig

d) mental präsent, aber abwesend (also nur in der Erinnerung)

 

Ort des Objektes endomorph ektomorph im optischen in Erinnerung

in Relation Feld Mentation

zum Subjekt

 

Basalklassifi-

kation + -- + -- + -- + --

 

 

beim beim

Korres- Subjekt Objekt

pondierender

Affekt Freude Ekel Freude Schreck Freude Wut Angst Trauer Freude

 

 

 

Korres-

pondierende

Wunsch- Du hinaus Du weg Du weg Ich weg Du zurück

struktur aus mir von mir von mir von dir zu mir

 

 

 

 

Korres-

pondierende

organismische Sätti- Übel- Gebor- Schmerz Freude Kampf- Flucht- Sehn- Erleich-

mentale Ab- gung keit geheit bereit- bereit- sucht terung

läufe schaft schaft

5. Ontogenese der Affektentwicklung und die sogenannten frühen Störungen

Aufgrund der zuvor erwähnten Affekteinteilung kann man eine Entwicklungspsychologie des motorisch-expressiven Systems, der Affektphysiologie, der Affekthandlungen, der Wahrnehmung und der Bewertung der Gefühle erstellen. Die Entwicklung, Integration und Synchronisierung dieser Teilbereiche des Affektsystems sind keine "naturgegebene Sache", sondern bedarf bestimmter Anregungsbedingungen, Prägungen und Lerner-fahrungen. Man spricht von "frühen" oder "prägenitalen" Störungen, um Psychosen, Borderlinestörungen, schwere narzisstische Persönlichkeitsentwicklungen, schwere Psychosomatosen und Perversionen zu charakterisieren. Meistens stehen die frühen Störungen im Zusammenhang mit "Entgleisungen der Kommunikationsstruktur" der frühen Eltern-Kind-Dyade; daher können alle frühen Störungen als Affektstörungen angesehen werden.

 

5.1 Die "autistische Phase" und die frühen Traumatisierungen

Die Entwicklung eines Kindes kann in einen vorsozialen und sozialen Anteil untergliedert werden. Der vorsoziale wird u. a. "autistische Phase" (Begriff sehr umstritten) genannt und endet mit Beginn des 2. Monats, zugleich mit dem Auftreten des sozialen Lächelns.

 

5.1.1 Empirische Studien zur frühen Dialogstruktur

Verschiedenste Studien beschäftigten sich mit den bei Säuglingen und Kleinkindern konstatierten Affekten. Gaensbauer (1982) filmte ein kleines Mädchen, dem im Alter von 2, 7 und 12 Wochen von seinem Vater mehrere Knochenbrüche und andere Verletzungen zugefügt worden waren, nach der Klinikaufnahme im Alter von drei Monaten. Das Kind hatte zu diesem Zeitpunkt mimisch die fünf Affektausdrücke Trauer, Angst, Wut, Freude und Neugier aufzuweisen. Alle waren in verstehbarer Weise in die Kontexte und in die Lerngeschichte des kleinen Mädchens eingebettet. So taucht die Angstreaktion nur bei Annäherung eines männlichen Fremden zusammen mit Wegdrehen, Blickabwendung und Hinwendung zur Mutter auf. Auf weibliche Fremde reagierte es nicht ängstlich. Diese Unterscheidungsleistung, die diskriminative Merkmale wie Harrlänge und Stimme benutzte, ist bei nicht traumatisierten Kindern ebensowenig zu beobachten, wie die schwere Angst-reaktion. So hat die Unterscheidung männlich/ weiblich in diesem Alter wahrscheinlich höchst störende Rückwirkungen auf die Symbiose.

 

5.1.2 Die Entwicklung des Körperschemas

Im Gegensatz zum Signalteil fehlt für die volle Ausführung von Affekthandlungen bis zum Alter von 12 - 15 Monaten eine integrierte grobmotorische Efferenz zumindest für die Affekthandlungen, die Lokomotionswünsche im optisch-apperzeptiven Raum zum Gegenstand haben (Wut und Angst). Das physikalisch adäquate Erleben des Körpers als gegliedertes Ganzes im Raum beruht teilweise auf Erfahrungen und Lernprozessen an der Haltungsafferenz, am Vestibularapparat und der der Hautsensorik. Erst aufgrund dieser Erfahrungen kommt es zu einem integrierten Körperschema.

5.2 Die "symbiotische" Phase und korrelierte Störungen

In dieser Phase beginnt, parallel zur Entwicklung des Dialogs, die Konstituierung von zweierlei Grenzphänomenen: Einmal die sehr fragile Abgrenzung der Körperperipherie gegen andere lebendige Substanz (die Entwicklung eines dauerhaften Körperschemas) und zum anderen die Konstituierung einer mentalen Abgrenzung in bezug auf die eigenen Gefühle und Handlungen (eines eigenen Fühl- und Handlungszentrums). Störungen der Befähigung, symbiotische Beziehungen einzugehen, sind immer auch Störungen des Affektaustausches.

5.3 Die Entwicklung von Selbst- und Objektpermanenz und ihre Störung

Mit Beginn der Entwicklung der Lokomotion, kommt es zu einer hohen Bedeutsamtkeit der die eigene Selbständigkeit garantierenden Körperfunktionen und einem ersten Höhepunkt der Abgrenzung. Sie spielen im Alter von 10 - 15 Monaten die zentrale Rolle zur Selbst-wert- und Autonomieregulation. Die ersten affektiven Ordnungssysteme liefern Basal-klassifikationen, ob die Welt "gut" oder "schlecht" ist (Urvertrauen) und ob beim Subjekt viel oder wenig Handlungsmacht liegt (Autonomie). Der Ordnung schaffende Organismus versucht, seine beginnende Welt so zu strukturieren, dass alle wiederkehrenden und wichtigen Perzepte unter die positiven affektiven Ordnungen fallen. Das Handeln am Objekt führt zu Schemata, nach denen die Objekte klassifiziert werden können (z. B. alle Objekte, die bewegt werden können), aber gleichzeitig zu affektiven Schemata am Selbst, nämlich ob und was ich alles bewegen kann.

 

6. Die frühen Störungen im Lichte der gegenwärtigen Affekttheorie

Um Theorie und Klinik der "frühen Störungen" zu verbessern sind zwei Betrachtungs-weisen zu unterscheiden: Einerseits die innere Struktur des Affektsystems, andererseits die Folgen einer Hypertrophierung bwz. Ausfalles einer spezifischen Primäremotion.

 

6.1 Störungen des internen Aufbaus des Affektsystems

Bereits in den ersten beiden Lebensjahren ist es möglich, den Signalanteil des Affektsystems unter operante Kontrolle zu bringen. Eine Art der Einflussnahme ist eine kulturell sanktionierte, bewusste Einflussnahme (z. B. frühe Kindererziehung der Azteken).

 

6.1.1 Das Syndrom des falschen Selbst

Pflegepersonen sollten die Primäraffekte dekodieren können, sie empathisch in sich wirken lassen, um dann in einer Art Ichspaltung die geeigneten Abhilfemaßnahmen in Gang zu setzen. Es sind klinische Fälle bekannt, wo die Pflegeperson die gleichen Zustände in Gang setzt wie im Kind selbst. Z. B. depressive Eltern, die auf die Wut des kleinen Kindes entweder selbst mit schweren Attacken antworten oder sich zurückziehen und das Kind "ausschreien" lassen. Unter solchen Bedingungen lernen die Kinder durch Verzicht auf spezifische eigene Affekte die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass der gefährliche Triggeraffekt in den Eltern entsteht.

6.1.2 Die "Psychosomatosen"

Ein anderer Weg ist ein Hypertrophieren des physiologisch-hormonalen Signalanteils der Affekte beim Wegfall des motorisch-expressiven Anteils. Menschen mit psychosoma-tischen Störungen reflektieren beim Sprechen über die eigenen Gefühle eben diese Gefühle nicht, auch laufen Denkprozesse, soweit sie sichtbar werden, ohne Affekte ab. Laut Untersuchungen gibt es aber Konversionsphänomene, die am Signalteil des Ausdruckssystems angreifen. Mimik oder Stimme drücken den unbewussten Interaktions-wunsch und dessen Abwehr aus. Trifft zu für psychogene Tics oder Stottern. Bei diesen Störungen hat sich der Signalanteil des Affektausdrucksgeschehens von der Ausführungs-handlung und von der subjektiven Repräsentanz verselbständigt.

 

6.2 Auswirkungen auf die selbstreflexiven Funktionen

Unklar ist, inwieweit ein Verlust des Signalanteils der Primäraffekte in der frühen Entwicklung auf die selbstreflexiven Funktionen auswirkt. Klinisch gesichert hingegen ist, dass die schweren Psychosomatosen keine Selbstemphatie aufbringen können, vor allem in den Teilen, in denen der Körper defekt ist. Es geht nicht um Prävention, sondern um die Bekämpfung des Schwachen, nicht Funktionierenden.

 

6.3 Die Psychosen

6.3.1 Die Schizophrenien

Die Störung der Affektivität wird für die Schizophrenien als charakteristisch angesehen. Im einzelnen wird darunter der Verlust der affektiven Modulationsfähigkeiten und eine affektive Steifigkeit verstanden. Affekte sind inadäquat zur Realität, wohingegen das Affektleben in Bezug auf die imaginäre Vorstellungswelt recht reichhaltig sein kann. Die kognitive Symptomatik wird als Restitutionsversuch verstanden, um die veränderte affektive Strukturbildung fassbar zu machen. Die Hypochondrie und Megalomanie reflektieren die Ausdehnung des Selbst auf die Objektwelt, der halluzinatorische Beeinflussungswahn den Eingriff der Objektwelt auf die Selbststruktur.

 

6.3.1.1 Empirische Befunde über das affektive Verhalten der Schizophrenen

6.3.1.1.1 Decodierungsfähigkeit

Es gibt eine Fülle von Studien, die zeigen, dass Schizophrene die Affekte anderer "schlechter" decodieren. Steimer (1983) vermutet aber, dass das Problem der Schizophrenen weniger die mangelhafte Affekterkennung ist, sondern die mangelhafte Ausbildung und Akzeptanz sozialer Display-Regeln in Bezug auf das Affekterleben. Auch die klinische Erfahrung zeigt, dass Patienten in Institutionen oder in Psychotherapien in für sie relevanten Bereichen sehr viel mehr bemerken, als Normale. Bei Schizophrenen handelt es sich möglicherweise um Affektansteckungen. Die erlebnismäßige Zuordnung zur Selbst- und Objektstruktur, wie sie für selbst- und fremd-empathische Prozesse vonnöten ist, kann nicht vorausgesetzt werden.

 

6.3.1.1.2 Encodierungsstudien

Drei verschiedene Studien haben die folgenden Ausdruckssyndrome empirisch gefunden:

a) Maskenhaft-natürlich

b) Versunken -bedrängt

c) Ekstatisch-obszön

d) Magisch-verwirrt

e) Das Syndrom der mimischen Desintegration

So repräsentiert das "Maskenhaft-natürliche" die Abwehr, die meistens dazu führt, dass die Sozialpartner den Patienten zwar als merkwürdig, nicht aber als psychotisch klassifizieren. Die mimische Desintegration könnte wiederum die rechts/links Asymmetrien, unorgani-sierte zeitliche Verlaufsstrukturen, sowie ungewöhnliche Übergänge reflektieren.

 

6.4 Die "Borderline Störungen"

Im wesentlichen geht es um die "Unfähigkeit" zur Entwicklung von reiferen Abwehrmecha-nismen im Sinne der Verdrängung, mit deren Hilfe inkompatible Vorstellungen und Affekte durch eine stabile Barriere von Gegenbesetzungen dem bewussten Erleben entzogen werden. An ihre Stelle treten beim Borderline-Patienten archaische Spaltungsmecha-nismen auf, die sich vor allem um die Trennung von guten und bösen Selbst- und Objekt-repräsentanzen zentrieren. Borderline-Patienten weisen ausgeprägte Störungen im Affektsystem auf, so eine extreme affektive Instabilität, eine Hypertrophie von Wut sowie Gefühle von Leere und Langeweile.

 

6.5 Allgemeine Auswirkungen von Störungen der frühen Affektmatrix

Mögliche Folgen:

1. Fähigkeit Affekte zu encodieren ist reduziert ® Patienten werden schwer
verstanden, wirken auf Interaktionspartner unecht, versteinert, hölzern, etc.

2. Physiologischer Anteil des Affektsystems ist hypertrophiert

3. Selbstreflexiven Funktionen sind dadurch eingeschränkt, dass bereits die
körperlichen Emotionsanteile Spezifität vermissen lassen.

4. Statt differenzierter Primäraffekte, kann es zu Simulation von Gefühlen kommen.

5. Sprache über Gefühle kann differenzierter sein, als die Gefühle selbst.

6. Übergangswahrscheinlichkeiten zwischen den einzelnen Affektzuständen werden für
einen "normalen" Erwachsenen schwer verständlich.

7. Statt unvereinbare Gefühle gleichzeitig introspektiv erleben zu können, kommt es zu
"Ambitendenzen".

8. Übergangswahrscheinlichkeiten des Affektaustausches in der Dyade bzw. in der
Gruppe sind verändert.

  1. Da die Affekte nach der Innenseite hin die Struktur von Wünschen haben, fallen die
    den Primäraffekten entsprechenden Wünsche aus.

 

 

 

7. Beschreibung der Störungsbilder aufgrund von Ausfällen und Fixierungen der Primäremotionen

Im Folgenden werden einzelne als abweichend angesehene psychische Erlebnis- und Verhaltensweisen des Menschen, sogenannte Psychopathologien beschrieben, die sich aufgrund von Ausfällen oder Fixierungen der Primäremotionen (Ekel, Wut, Trauer, Überraschung, Freude, Angst) ergeben.

 

7.1 Ekel

Ausfall des Ekelaffekts am Beispiel der Perversion

Unter Perversion versteht man die vom normalen Sexualverhalten abweichende erwachsene Sexualbetätigung (z.B.: Pädophilie, Sodomie, Fetischismus, Transvestismus, Voyeurismus..). Es wird dabei eine sexuelle Beziehung mit einem Objekt eingegangen, das durch die Aufhebung der Ekelschranke dem Selbst zugeordnet wird und ein Gefühl der Ganzheit hervorruft. Manifeste Perversionen, die sich auf die Genitalstellen beziehen, sind bei Frauen seltener zu beobachten als bei Männern, da sich ihre Geschlechtsidentität nicht nur durch die Genitalregion, sondern anhand des Erlebens des gesamten Körpers auszeichnet. Im Gegensatz zu der gesellschaftlich anerkannten Eigenheit der Frau den eigenen Körper zu fetischieren, treten beim Mann Formen der Kleptomanie des Exhibitionismus sowie manifeste Perversionen auf. Den Verletzungs-, und Kastrations-ängsten der Männer steht ein Übermaß an Schamreaktionen (in Bezug auf das Körperschema) der Frauen gegenüber.

 

Hypertrophie der Ekelreaktion

Bei chronifizierten Ekelreaktionen werden Objekte, die geringfügig anders sind als das Ich-Ideal, als fremd und unassimilierbar erlebt und müssen ausgestoßen werden. Diese Menschen weisen eine sehr geringe Anpassungsfähigkeit auf. Die soziale Ableitung des Ekels ist die Verachtung und neben dem Lächeln der häufigste interaktionsregulierende Affekt. Die Verachtung soll Scham beim Interaktionspartner hervorrufen, welche ihn dazu veranlassen soll den eigenen Binnenraum zu verlassen. Dieser Raum weitet sich im Laufe der Entwicklung über die eigene Körperstruktur auf die Umwelt und die zum Selbst erlebten Gebiete wie zum Beispiel die eigene Heimat aus. Das erklärt die übertriebene Fremden-angst. Dem "Fremden" werden oft Attribute zugeschrieben, die das Subjekt selbst hat, mit seinem Ich-Ideal aber nicht vereinen kann. Es werden also zwanghaft externe Objekte gesucht, die das Nichtassimilierbare absorbieren. Dieser Abwehrmechanismus wird als Projektion bezeichnet und dient der Abwehr von konflikthaften Wünschen und Eigenschaften die für die eigene Person ein Problem darstellen. (Bsp.: diskriminierte Menschen müssen den Beweis dafür liefern, dass nur sie die Träger von verpönten Wünschen und Gedanken wären, um diejenigen, die die Urheber solcher Vorurteile sind in ihrem psychischen Gleichgewicht abzustützen.)

Wenn das "Fremde" an Oberhand gewinnt, treten häufig paranoide Reaktionen auf. ("das Weltjudentum hat sich mit dem Kommunismus verschworen, um das gute umzubringen", apokalyptische Heilsvorstellungen..) Klinisch gesehen entspricht diese Störung dem Borderline-Niveau. Das Verhältnis zum anderen Geschlecht ist fast immer gestört, da dieses kaum assimiliert werden kann. Die eigene Geschlechtsidentität und die Selbstidentität sind fragil.

7.2 Trauer

Unfähigkeit zu trauern

Mit dem Ausfall der Trauer sind Bindungslosigkeit und Unmöglichkeit zur mentalen Wiedervergegenwärtigung ehemals geliebter Objekte, sowie die Unfähigkeit neue Objekte zu besetzen verbunden. Die Trauerreaktion vollzieht sich in mehreren Phasen: Herbeirufen und Sehnsucht, Wut und Verzweiflung, Ablösung und Reorganisation. Bei schwerst gestörten Patienten ist das mentale Festhalten des Objekts bei Trennungen nicht möglich, deshalb entsteht auch keine Trauerreaktion.

 

7.3 Wut

Ausfall

Hier muß unterschieden werden welcher Anteil des Wutaffektes ausfällt! Bei Zwangsneurosen fehlt der selbstbeobachtende Aspekt, folglich merkt der Patient nicht, wenn er aggressiv ist. Der Handlungsaspekt bleibt aber erhalten.

Im Unterschied dazu gibt es Störungen, wie z. B. bestimmte Formen schwerer Psychosomatosen, in denen alle Affektkomponenten der Aggression fehlen. Die Wut verwandelt sich in einen autoaggressiven Prozess, wobei sich diese Aggression nicht gegen ein mentales Introjekt wendet, sondern ein bestimmtes Organ angreift.

 

7.4. Die informationsverarbeitenden Affekte Neugier, Interesse, Überraschung

Das Auftreten dieser Gefühle ist fest an erhöhtes Wohlbefinden gebunden. Der Grad des Wohlbefindens ist also ausschlaggebend für die Bereitschaft sich der Welt und ihren Neuheiten zu öffnen. Außerdem macht sich das Entdeckerverhalten nur bemerkbar, wenn die zukommenden Reize assimilierbar erscheinen.

Eine Hypertrophie von Neugier ist als pathologisches Phänomen nicht bekannt.

Der Ausfall von Neugier ist von einer Reduktion der kognitiven Verarbeitungsfähigkeit be-gleitet. Es gibt allerdings ein klinisches Phänomen, das der Neugier sehr ähnlich ist: das "risk-seeking-behaviour". Es zeichnet sich aus durch extreme Ruhelosigkeit und Suchen nach fortlaufender Stimulation von außen, um der inneren Unterstimulierung entgegen-zuwirken.

Diese "boredom-susceptibility" der Personen mit hohem risk-seeking-behaviour sind Ausdruck einer emotionalen Verkümmerung. Das innere Leeregefühl und das Ausbleiben der eigenen Phantasien werden durch das Zuführen äußerer Reize kompensiert. Bei schwer verwahrlosten Erwachsenen konnten folgende Verhaltensweisen beobachtet werden: Stundenlanges Sitzen vor der Waschmaschinentrommel, starren in die Flammen des Ofens, fortlaufende Stimulation durch über den Unterarm laufendes warmes Wasser. Ohne fortlaufende Stimulation werden Gefühle wie Leere, Fragmentierung und Auflösungs-zustände empfunden. Zustände der Langeweile verlangen nach einer Aufklärung, um das klinische Krankheitsbild von der "normalen" Langeweile unterscheiden zu können.

 

 

7.5. Freude

Freude wird als die Abwesenheit negativer Affekte definiert. "Gerade im Zusammenhang mit der eigentlich ungelösten Frage, warum manche Personen unter bestimmten stressauslösenden Randbedingungen nicht erkranken, andere aber sehr wohl, werden psychologische Konzepte wie Lebenswillen, Freude am Dasein und Hoffnung immer bedeutsamer" (Tress, 1986)

Ausfall

Ausfälle von Lachen und Weinen sind immer Anzeichen schwerer psychischer Störungen, die auch durch geistige Behinderungen oder psychische Krankheiten (Depression, Schizo-phrenien, Borderlinestörungen) ausgelöst werden können. Ausfälle des Lächelns bei Klein-kindern sind Anzeichen schwerer Pathologien, die sich bis in die Erwachsenenstörung durchziehen. Mit dem Wegfall des Lächelns entfällt eines der wesentlichen interaktiven Steuerungssysteme. So führt der Verlust der Selbsttröstungsfunktion zu schwerer Depression.

 

7.6 Angst

Ausfälle

Diese Personen leiden meist unter schweren Störungen. Charakteristisch für sie ist ein vermehrtes Auftreten von gefahrenreichem Handeln. Psychiatrisch relevant sind zum Beispiel: Selbstschädigung, Verschwendung, Glücksspiel, Gebrauch psychotroper Substanzen, Exzessives Essen, gefährliche Formen sexueller Interaktionen, Schlägereien u.a. Der Ausfall von Schuldangst führt zur Unfähigkeit, soziale Normen zu akzeptieren.

Zunahme von Angstzuständen

Eine Zunahme des vollständigen Angstaffekts macht sich in Situationen bemerkbar, denen ein traumatischer Zustand vorherging (Posttraumatische Belastungsreaktionen). Traumati-sierungen treten dann auf, wenn zur Zeit der Angstinduktion kein Fluchtverhalten möglich war. Wird der Wunsch sich von dem angstauslösenden Objekt zu entfernen längerfristig verwehrt, löst das ein bestimmtes Zustandsbild aus: lähmende Unbeweg-lichkeit, Hilfs-, und Hoffnungslosigkeit, Ich-Erlebnisstörung, bei der das Gefühl besteht, der eigenen Person beziehungsweise dem eigenen Körper fremd gegenüber zu stehen. Wichtig ist, daß jeder anhaltende negative Affekt (Ekel, Scham) zu traumatischer Angst führen kann.

Besonders schlimm sind die Nachwirkungen von Traumatisierungen aber, wenn die überwältigende Angst durch Menschen ausgelöst wurde. Bleiben diese traumatischen Neurosen unbearbeitet, können sie auf die Kinder übertragen werden. Kinder sind wegen geringerer Verarbeitungsfähigkeit besonders anfällig für die Schaffung traumatischer Situationen.

Kennzeichen der postraumatischen Neurose:

Posttraumatische Belastungsreaktionen treten meist erst nach einer längeren Phase der Erleichterung auf. Sie gehen entweder in Psychoneurosen über, oder sie heilen aus.

8. Die selbstreflexiven Affekte und ihre Störungsbilder

Die selbstreflexiven Wahrnehmungen lassen sich in drei Bereiche unterteilen:

  1. ein materieller Teil mit dem dazugehörigen Körper
  2. ein soziales Selbst als das Selbst in den Augen der anderen
  3. ein spirituelles Selbst (was existiert als Selbst)

Es können Aspekte dieser Selbstidentität gestört sein, so daß das Gefühl eines "falschen Selbst" (Fehlen der Gefühle, falsches Körperselbst) entsteht. So kann zum Beispiel der Körper als Projektionsleinwand für spirituelle und soziale Selbstdefinitionen bewusst oder unbewusst benutzt werden (Askese oder Bodybuilding). Man geht davon aus, dass selbstreflexive Emotionen auf internalisierten Abkömmlingen der Primäremotionen aufbauen.

Diese Affekte sind den Systemen Ich-Ideal und Überich untergeordnet. Bei Regelverletzungen sind die resultierenden Affekte: Schamgefühl und Schuldgefühl. Im Gegensatz dazu werden die positiven Gefühle wie Vollkommenheit, Stolz in dieser Verbindung kaum wahrgenommen. Sie bilden als sogenannte Selbstwertgefühle die Hintergrundmusik unseres Erlebens. Das Erlernen dieser selbstreflexiven Affekte erfolgt durch Verinnerlichungsprozesse wie Inkorporation, Identifikation und Introjektion.

8.1 Die Scham

Die Scham ist eine Reaktion, die sich aus dem Erkennen einer radikalen Andersartigkeit zur idealisierten Person ergibt. Sie ist also die Folge der Ich-Ideal/Ich-Differenzierung. Sie wird von körperlichen Veränderungen (Rotanlaufen, Erhitzen der Haut) begleitet und ist ein Versuch die eigene Identität der Öffentlichkeit zu entziehen. Erkennen ist das Gegenteil des Schamgefühls. Es tritt ein Moment der Identitätsfeststellung ein.

Ausfall

Der Ausfall des Schamgefühls bedeutet eine dauerhafte Fusionierung von Ich-Ideal und Ich. Anzeichen einer solchen Störung sind das andauernde Verletzen der Intimitäts-schranke, das fortwährende Eindringen in den Intimbereich anderer und schamlose Selbstdarstellungen. Außerdem ist die Fähigkeit emotionaler Einfühlung in die Erlebensweise einer fremden Person schwerst behindert. Meist haben diese Patienten auch eine Neigung zu pathologischen Partnerbeziehungen.

Hypertophie von Schamreaktionen

Diese Menschen erleben eine fortlaufende negative Andersartigkeit. Sie fühlen sich sehr häufig beobachtet und befürchten immer in ihrer Nichtigkeit erkannt zu werden. Es handelt sich hierbei unter einer Erkrankung der eigenen Identität. Das chronische Erleben von Schamgefühlen ist bei Frauen häufiger als bei Männern. (Rollenverteilung, Entwertung der Frau)

8.2 Schuldgefühle

Die Ausbildung des Über-Ichs (jene Instanz der Persönlichkeit, die dem Ich gegenüber die moralischen Ge- und Verbote vertritt) ist im wesentlichen dafür verantwortlich welche Triebwünsche zur Befriedigung zugelassen werden und welche nicht. Verbündet sich das Ich mit dem Überich gegen das Es (Triebpol der Persönlichkeit), dann kommt es zu einem psychischen Konflikt, der Angst und Schuldgefühle verursacht.

Hypertrophie und Ausfall von Schuldgefühlen

Diese beiden Phänomene sind klinisch sehr bedeutsam. In der neurotischen Depression, werden starke Vorwürfe gegen ein Liebesobjekt, an dessen Stelle der Depressive sich selbst gestellt hat, erlebt. In der Zwangsneurose kommt es zu einer vergebliche Rebellion gegen unbewußte Vorwürfe. Der Ausfall von Schuldgefühlen kann die Folge von nie zustande gekommenen Liebesbeziehung sein. Ohne eingegangene Bindung fallen auch die Affekte Trauer, Scham, Lachen und Weinen aus.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Literatur:

Scherer,Klaus: Emotion, Enzyklopädie der Psychologie der Motivation und Emotion,

Band 3, Göttingen: Kapitel 10: Psychodynamik der Emotionsstörungen von Rainer Krause