...und sie verstummten doch nicht!
Rudolf Sarközi, Geburtsort: Konzentrationslager

Rudolf Sarközi ist Obmann des Kulturvereins der österreichischen Roma. Geboren wurde Sarközi am 11. November 1944 im Konzentrationslager Lackenbach. Sarközi schildert aus Erzählungen seiner Mutter, wie es zu ihrer Einweisung in das Konzentrationslager Ravensbrück und zu ihrer späteren Überstellung in das Konzentrationslager Lackenbach gekommen ist und wie sie in weiterer Folge nach seiner Geburt mit ihm dies alles überlebt hat:
"Es gab 1938 einen Erlaß des burgenländischen Gauleiters Thobias Portschy, demzufolge alle Roma des Burgenlandes der Vernichtung zugeführt werden sollten. Meine Mutter, die damals 14 Jahre alt war, und ihre Leute wurden aufgrund dieses Erlasses zu einem 'Arbeitseinsatz' abgeholt und dachten zu Anfang, daß sie nach diesem 'Arbeitseinsatz' wieder nach Hause gebracht würden. Erst als sie nach einigen Tagen Bahnfahrt im Konzentrationslager Ravensbrück landeten, erkannten sie das Ausmaß dieses Erlasses und was da vor sich ging. Im Lager wurden sie blockweise in Baracken eingeteilt. In einem Block wurden bis zu 300 Frauen untergebracht. Eine Frau wurde als Blockälteste bestimmt und mußte für Ordnung sorgen. Die jungen und kräftigen Leute wurden in der Industrie und der Landwirtschaft eingesetzt. Unter anderem mußten sie für Frontsoldaten Patronen und Socken herstellen. Zum Frühstück gab es Kaffee, den man als warmes gefärbtes Wasser bezeichnen konnte. Dann ging es zur Arbeit. Das Mittagessen bestand hauptsächlich aus Kartoffeln minderwertiger Qualität und Steckrüben. Am Abend gab es nichts anderes. Das war ihre Ernährung. Es war nicht die Ernährung, die ein Mensch zum Überleben brauchte. Im Winter mußten die Menschen bei offenem Fenster schlafen. Meine Mutter erzählte mir, daß sie oft des nachts durch die Kälte erwachte und Rauhreif am Kopf spürte. Es war eine unmenschliche Behandlung. Immer mehr Leute wurden krank. Die ärztliche Versorgung war mangelhaft bzw. katastrophal. Wenn Menschen starben, wurden sie einfach durch Neue ersetzt. Das war der eigentliche Sinn des Nationalsozialismus: 'Tod durch Arbeit'. Die Menschen wurden wie eine 'Ware' behandelt. Wenn sie nichts mehr taugte, wurde sie abgelegt und durch 'neue Ware' ersetzt. Wenn jemand etwas anstellte, meistens handelte es sich um ein paar Kartoffeln, die man aus der Küche mitnahm, und man wurde erwischt, gab es gleich Sanktionen. Es gab dann Bunker ohne Licht, mit Wasser bis an die Knie. Meine Mutter mußte zwei mal je 24 Stunden in die 'Mauer' schauen. Gerade, daß man sie ihre Notdurft verrichten ließ. Danach mußte sie sich wieder an die Mauer stellen. Beaufsichtigt wurde Ravensbrück von SS-Frauen. Sie waren mit Hunden und Peitschen im Gelände des Lagers unterwegs. Wegen kleinster Vergehen gab es Peitschenhiebe oder die Hunde wurden auf die Menschen gehetzt. Manche der Frauen wurden von den Hunden zu Tode gebissen. Dementsprechend hatten die Frauen vor den Wächterinnen mit ihren großen Hunden und den Lederpeitschen große Angst. Eine von ihnen hat sich besonders durch erbarmungslose Quälerei ausgezeichnet. Es war eine gewisse Hermine Braunsteiner. Sie hatte den Spitznamen die 'Stute'. In der Zwischenzeit ist sie abgeurteilt worden und war einige Jahre in Haft. Meine Mutter wurde 1944 nach Lackenbach überstellt. In Lackenbach lernte sie dann meinen Vater kennen. Lackenbach liegt in der Nähe von Oberpullendorf im Burgenland. Hier wurden die burgenländischen Roma und die Wiener Sinti zusammengebracht. Lackenbach war sozusagen der Vorhof zum Vernichtungslager Auschwitz, Dachau und Mauthausen. In den Jahren 1943/44 wurden hier ca. 4.000 Roma des Burgenlandes und auch von Wien in die Konzentrationslager gebracht. 1944 wurde ich in Lackenbach geboren. Trotz der Schwangerschaft mußte meine Mutter ihrer Arbeit nachgehen. Man nahm auf sie keine Rücksicht in ihrer Situation. Bei meiner Geburt war weder ein Arzt noch eine Hebamme anwesend. Der Bruder meiner Mutter, mein Onkel, leistete Geburtshilfe. Dazu muß noch erwähnt werden, daß in Lackenbach sehr viele Kinder geboren wurden, aber auch sehr viele Kinder mangels schlechter Ernährung und mangels Hygiene gestorben sind. Da ich im Winter geboren wurde, es war der 11. November, kam in meinem Fall noch die Kälte hinzu. Nach meiner Geburt gab es für meine Mutter keine Erholungsphase. Ich wurde in Lumpen gehüllt, die meine Mutter von Bauern bekam und in einem Leinentuch band mich meine Mutter auf ihren Rücken. So ging sie zur Arbeit. Wenn jemand gegen die Ordnung verstieß, in der Regel waren es Kleinigkeiten, bekam er oder sie von den Aufsehern 25 Stockhiebe. 1945 wurden die Lagerinsassen von der Roten Armee befreit. Die Häftlinge wurden sich selbst überlassen. Sie flüchteten wahllos in die umliegenden Wälder und suchten sich zu verstecken. In den Wäldern stießen sie auf deutsche Soldaten und SS-Männer, die sich unter sie mischten. Sie versuchten von den ehemaligen Lagerinsassen Kleider zu bekommen. In der Regel wurden sie ihrer Kleider beraubt, die speziell die SS-Männer zu ihrem Schutz benötigten, um nicht erkannt zu werden. Der Lagerleiter wurde nach dem Krieg zu einer sehr geringen Strafe verurteilt, sodaß an der Justiz Zweifel bei den ehemaligen Lagerinsassen aufkam. Der damalige Gauleiter des Burgenlandes bekam 15 Jahre schweren verschärften Kerker. Nach zwei Jahren Haft, wurde er vom Bundespräsidenten begnadigt. Eine schwere Enttäuschung für die leidgeprüften ehemaligen Lagerinsassen, die Verbitterung aufkommen ließ. Die Familie meiner Mutter umfaßte 28 Personen, von denen 1945 nur drei zurückkamen".

Regie, Gestaltung: Roman Kotzina, Bea Thiemard
Kamera: Thomas Wildner
Schnitt: Elfi Oberhuber
S-VHS, 22 Min., Wien 1994, Videoarchiv No 285


Ein Videoprojekt im Rahmen der
Lehrveranstaltung "Kommunikationswissenschaftliche Methodenlehre (Oral History)"
Leitung: Univ.-Ass. Dr. Manfred Bobrowsky
Für den Inhalt verantwortlich: Roman Kotzina