Kurt Walter Zeidler


 


Grundriß der transzendentalen LogikGrundriß der transzendentalen Logik

Grundriß der transzendentalen Logik, Cuxhaven (Junghans) 1992, 206 S. 

2. überarb. Aufl.: Cuxhaven-Dartford 1997, 218 S.  ISBN 3-926848-23-5 

3., ergänzte Aufl.: Wien (Ferstl&Perz)  2017, 330 S. ISBN 978-3-902803-22-1

 
 





Rezensionen:

G. Edel, Grundriß der transzendentalen Logik, in: Philosophischer Literaturanzeiger 46, 4 (1993) 
Th. S. Hoffmann, Grundriß der transzendentalen Logik, in: Kant-Studien 83 (1993) 

St. Mathisen, Fornuften som grunn (1), in: SALONGEN. Nettidskrift for filosofi og idéhistorie  (2018)


aus der Einleitung, S. 13ff. [15ff.]: 

„Philosophie ist radikale Reflexion und hat als solche, selbst wenn sie alle sonstige Bedeutung verloren hätte, zumindest ihre kritische Funktion. Sie ist darum gegenwärtig auch nur ‚im Gespräch‘, soweit sie den universellen Ideologieverdacht ausmünzt, auf den sich seit Bacons Idolenlehre das Programm jeglicher ‚Moderne‘ gründet. Eine Gegenwartsphilosophie, die sich nur als Analyse der idola tribus, specus, fori et theatri - also nur evolutionstheoretisch, psychoanalytisch, sprachanalytisch oder ideologiekritisch - meint legitimieren zu können, reduziert sich jedoch zwangsläufig auf den meta-empirischen Überbau ihrer Legitimationsbasis und wird selbst in dem Maße dogmatisch, in dem sie, vom eigenen Wissenschaftsanspruch oder moralischen Pathos ausgehend, die ‚fundamentalistischen‘ Begründungsansprüche einer vormaligen Philosophie bloß distanziert. Hat man die Reduktion des Subjekts möglicher Prädikation auf seine, als Faktum bereits beschreibbaren Rollen (seine biologisch oder zivilisatorisch erworbenen Kompetenzen), erst einmal als beschlossene Sache vorausgesetzt, dann fällt es nicht mehr sonderlich schwer, das metaphysische Denken als systemerhaltenden Objektivismus oder die Transzendentalphilosophie als subjektivistische Bewußtseinstheorie und mythologisierende Psychologie zu entlarven, ist man damit doch von vornherein an der Fragestellung dieser einstigen Philosophie vorbeigegangen: an der Frage nach dem Subjekt möglicher Prädikation oder, anders formuliert, an der Frage nach demjenigen, was nicht bloß vermittelt, sondern die Vermittlung selbst ist. [...] 
Hat man im Sinne des empiristischen Credo erst einmal vorausgesetzt, daß ‚wir‘ Produkte biologischer und historischer Entwicklungen sind, die sich sinnvollerweise nur in biologischen und historischen Kategorien beschreiben lassen, dann läßt sich tatsächlich nicht unabhängig vom jeweiligen Stand dieser Entwicklungen argumentieren. Ein Denken, das auf der Höhe seiner Zeit steht und dort auch stehenbleiben will, kann sich darum in aporetischen Einsichten dieser Art einnisten und durch keinen noch so fein gesponnenen Beweis daraus vertrieben werden: es hat sein Selbstverständnis nun einmal in animalischen, ökonomischen, sozialen und politischen Gegebenheiten und hat daran genug, obwohl es dieses Selbstverständnis als Denken nie tatsächlich haben, sondern es bloß im Für und Wider eines lauen Skeptizismus suchen kann. 
   Dieser Skeptizismus ist unwiderleglich, denn was er in seiner Inkonsequenz sucht, ist seine Widerlegung. Er sucht ein unbezweifelbares Fundament des Wissens außerhalb des Wissens, eine Grundlage, die nicht seine Grundlegung, sondern ein ihm schlechthin Vorgegebenes sein soll. Statt der gesuchten Einfalt eines absoluten Grundes, findet er aber tausenderlei Gründe in denen er sich einnisten und sein Spiel weitertreiben kann. Eben darum liegt in der Inkonsequenz dieses Skeptizismus seine ganze Stärke und Unwiderleglichkeit: er ist der Widerspruch der sich negiert und dadurch als Widerspruch erhält. Dieser Widerspruch ist die Gegenstandserkenntnis. Sie hält daran fest, daß die Erkenntnis des Gegenstandes nicht der Gegenstand des Erkennens ist und will sich dennoch selbst als Gegenstand erkennen. Während die empirische Erkenntnis sich in diesem Widerspruch hält und in ihrer Rastlosigkeit durch ihn gehalten ist, muß die Philosophie - so sie keine empirische Wissenschaft sein soll - durch diesen Widerspruch hindurch. Es genügt nicht, daß sie bei ihm stehenbleibt, bloß eine der beiden Seiten der Gegenstandserkenntnis negiert, und dann so tut als verfüge sie über besondere Gegenstände, die jeden Gegenstand der Erkenntnis, oder über Erkenntnisse, die alle Erkenntnis des Gegenstandes entwerten. Die Philosophie braucht sich bei diesem possierlichen Wechselspiel metaphysischer und skeptizistischer Anmaßungen nicht aufzuhalten, denn sie hat nicht die Aufgabe, die Gegenstandserkenntnis zu entwerten. Sie hat vielmehr die Aufgabe der Begründung. Begründendes Denken aber hat die Aufgabe der Selbstbegründung. 
   Die spekulative Frage, wie das Denken sich und somit ein Selbst denken kann, ist die prinzipientheoretische Grundfrage der Philosophie. In ihr ist auch die transzendentale Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit des Denkens eines Gegenstandes überhaupt enthalten. Wie sie darin enthalten ist und inwiefern die transzendentale Fragestellung auf die spekulative verweist und ihrer bedarf, wird im Anschluß an Kant zu zeigen sein, denn die spekulative Frage ist nicht die Ausgangsfrage Kantens. Kant geht aus von der Antinomie von empiristischem Skeptizismus und ontologischem Dogmatismus und spielt sie an der Differenz von Ding und Denken durch, die dieser Antinomie zugrundeliegt. Die Ontologie wird darum von ihm belehrt, daß sie das Gedankending nicht mit dem Gegenstand der Erfahrung und das Denken nicht mit dem Erkennen verwechseln dürfe. Der Empirismus wird hingegen belehrt, daß die Gegen-stände der Erfahrung und ihre Zusammensetzungen kein Gegebenes, sondern ein vom Denken mit Bezug auf das Anschauungsmaterial Gemachtes sind. Die Differenz von Ding und Denken bleibt solcherart in Kants transzendentaler Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit des Denkens eines Gegenstandes überhaupt aufbewahrt. Sie macht sich in Kants Antworten auf diese Frage aber auch geltend und bleibt als bloße Differenz von Verstandesspontaneität und rezeptiver Sinnlichkeit der blinde Fleck, um den seine Argumentationen kreisen. 
   Die ersten vier Kapitel des vorliegenden Buches folgen diesem Kreisgang der Kantischen Beweisführung. Das Beweisziel: die transzendentallogische Entdeckung der Formen des Denkens eines Gegenstandes überhaupt, versuchen die Kapitel 5 und 6 einzulösen, indem - im Gegensatz zur ‚exoterischen‘ Lehre Kantens und zur nach-idealistischen Standardinterpretation des Kritizismus - die Vereinbarung von transzendentalem Idealismus und empirischem Realismus nicht in einem Apriori gesucht wird, das schlechterdings mit dem ‚Verstande‘ zu identifizieren wäre, sondern das gegenstandskonstitutive Verstandesapriori vielmehr aus ursprünglichen - die Differenz von Verstand und Sinnlichkeit allererst ermöglichenden - Weisen der Synthesis entwickelt wird. Diese genetische Grundlegung des Apriori ist anhand der Prinzipien der klassischen Logik und einer Analyse des Seinssinnes der Kopula “ist” als transzendentallogische Differenzierung der Urteilssynthesis durchzuführen und mit Bezug auf die Gegebenheitsweisen Raum und Zeit durch eine korrespondierende transzendental-phänomenologische Analyse zu vervollständigen. Da das genetische Apriori aber nicht unmittelbar, sondern nur vermittels der reflexiv-synthetischen Bewußtseinsstruktur auf die Kantischen Gegenstandskategorien bezogen werden kann, bleibt in Fortführung des Nachweises der Vollständigkeit der Kantischen Kategorientafel die spekulative Frage zu beantworten, wie Synthesis (Vermittlung) und damit das Denken selbst zu denken ist. Dieser Aufgabe und den damit untrennbar verbundenen Problemen der Verhältnisbestimmung von transzendentaler und formaler Logik, sowie von regulativer und konstitutiver Apriorität, sind die letzten vier Kapitel gewidmet, wobei in diesem Problemzusammenhang der Begriff der Transzendentalphilosophie in Auseinandersetzung mit einigen ihrer vor- und nach-kantischen Positionen noch näher zu klären sein wird. Wollte man das Ergebnis dieser Klärung vorweg zusammenfassen, dann ließe sich in Abwandlung eines oft zitierten Kantischen Satzes sagen, daß die transzendentale Logik seit Platon keinen Schritt rückwärts und mit Kant erst einen Schritt vorwärts hat tun dürfen und folglich schon von den ältesten Zeiten her nahezu vollendet sei. Vordergründig betrachtet, relativiert dieses Resultat den historischen Anspruch, den Kant an seine ‚Revolution der Denkungsart‘ geknüpft hat, es bekräftigt dafür jedoch um so mehr den systematischen Anspruch, den die Transzendentalphilosophie als Prinzipientheorie erheben und auch einlösen muß.“ 
 
 
 

INHALTSVERZEICHNIS   1992/1997 [2017]


[Vorwort zur dritten Auflage 5]

Vorwort zur zweiten Auflage 7 [6]

Einleitung  7/13 [15]

1.  Exposition der Erfahrungs- und Prinzipienproblematik 13/19 [23]
§ 1. Objektivität und subjektive Konstitution der Erfahrung 13/19 [23]
§ 2. Der prinzipientheoretische Zirkel 16/23 [27]
§ 3. Dimensionierung oder Definition des Erfahrungsbegriffs? 21/27 [34]
§ 4. Kritik und System der reinen Vernunft 25/32 [39]

2.  Der ostensive Beweis 29/35 [44]
§ 5. Vernunft und Erfahrung 29/35 [44]
§ 6. Die Voraussetzungen der Deduktion 33/39 [49]
§ 7. Exemplarische Verdeutlichung oder Begründung der Prinzipien? 36/42 [54]
§ 8. Apagogische Rekonstruktion oder ostensiver Beweis? 40/46 [59]
§ 9. Formale und transzendentale Logik 45/51 [65]

3.  Deduktion und Schematismus – Verstand und innerer Sinn  48/54 [69]
§ 10. Die Transzendentale Deduktion 48/54 [69]
§ 11. Das Schematismuskapitel 53/59 [76]
§ 12. Die subjektive Deduktion 56/62 [80]
§ 13. Der Paralogismus des inneren Sinns 60/66 [85]

4.  Das Leitfadenkapitel und die Problematik des Dings an sich 63/69 [89]
§ 14. Die Problematik des Leitfadenkapitels 63/69 [89]
§ 15. Der Beweisgang des Leitfadenkapitels 67/73 [95]
§ 16. Form und Inhalt der Erscheinung 74/80 [103]

5.  Entfaltung der kategorialen Systematik 77/83 [108]
§ 17. Die Funktionen der Einheit unter unseren Vorstellungen 77/83 [108]
§ 18. Verstandesfunktion und Urteilsform 81/87 [114]
§ 19. Der Satz der Identität 85/91 [118]
§ 20. Der Satz vom Widerspruch 92/98 [127]
§ 21. Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten 94/103 [135]

6.  Die Vollständigkeit der Kantischen Kategorientafel 99/110 [142]
§ 22. Einheit von Verstandes- und Gegebenheitsformen 99/110 [142]
§ 23. Reines Schema und Gegenstandsschema 103/114 [149]
§ 24. Die Einheit der Reflexion 108/119 [155]
§ 25. Die reflexiv-synthetische Fundierung der Gegenstandskategorien 117/128 [167]

7.  Idee und Schluß 121/132 [173]
§ 26. Vernunftidee und Vernunftgebrauch 121/132 [173]
§ 27. Aristotelische und aristotelisch-scholastische Logik 125/136 [179]
§ 28. Frage nach der Einheit der Vernunft 132/143 [187]
§ 29. Durchgang durch den Skeptizismus 134/145 [190]
§ 30. Platons Begründung der transzendentalen Logik 141/152 [199]

8.  Transzendentaler Syllogismus und Raumschematismus 145/156 [204]
§ 31. Der vollständig gesetzte Begriff - Hegel 145/156 [204]
§ 32. Die Einheit der Zeichenrepräsentation - Peirce 148/159 [209]
§ 33. Einheit von Subjektivität und Objektivität 153/164 [215]
§ 34. Der Raumschematismus 156/167 [219]

9.  Idee und Wahrheitswert  165/176 [231]
§ 35. Der Logos des Seins: Kant und Platon 165/176 [231]
§ 36. Der Wahrheitswert  171/182 [239]
§ 37. Selbstreflexion des Logikkalküls 176/187 [246]

10.  Die Selbstobjektivierung der Vernunft 186/195 [256]
§ 38. Zusammenfassung 186/195 [256]
§ 39. Erneute Frage nach der Einheit der Vernunft 188/197 [259]
§ 40. Die Maximen der Vernunft  191/200 [263]
§ 41. Was heißt: Sich im Denken orientieren? 195/204 [268]
§ 42. Der reine Idealismus  200/209 [275]

Tafel der Funktionen und Kategorien  184/184 [280]

[Nachtrag zur Metaphysischen Deduktion 283]

Literaturverzeichnis  203/214 [325]