Ära der digitalen Information und Kommunikation

Big Data

Durch die automatische Verarbeitung riesiger Datenmengen werden Antworten auf Fragen ermöglicht und Zusammenhänge aufgedeckt, die
bisher undenkbar waren. Das Konzept "Big Data" wurde 2001 von Doug Laney eingeführt.
Der Begriff Big Data bezeichnet Datenmengen, welche

sind, um sie mit manuellen und herkömmlichen Methoden der Datenverarbeitung auszuwerten.
Im deutschsprachigen Raum ist der traditionellere Begriff Massendaten gebräuchlich.
In der Definition von Big Data bezieht sich das "Big" auf die drei Dimensionen:

Erweitert wird diese Definition um die zwei V's value und validity, welche für einen unternehmerischen Mehrwert und die Sicherstellung der Datenqualität stehen.
Der Begriff "Big Data" unterliegt als Schlagwort einem kontinuierlichen Wandel; so wird mit ihm ergänzend auch oft der Komplex der Technologien beschrieben, die zum Sammeln und Auswerten dieser Datenmengen verwendet werden.

Daten wachsen typischerweise exponentiell. Berechnungen aus dem Jahr 2011 zufolge verdoppelt sich das weltweite erzeugte Datenvolumen alle 2 Jahre. Diese Entwicklung wird vor allem getrieben durch die zunehmende maschinelle Erzeugung von Daten z. B. über Protokolle von Telekommunikationsverbindungen (Call Detail Record, CDR) und Webzugriffen (Logdateien), automatische Erfassungen von RFID-Lesern, Kameras, Mikrofonen und sonstigen Sensoren. Big Data fallen auch in der Finanzindustrie an (Finanztransaktionen, Börsendaten) sowie im Energiesektor (Verbrauchsdaten) und im Gesundheitswesen (Verschreibungen). In der Wissenschaft fallen ebenfalls große Datenmengen an, z. B. in der Geologie, Genetik, Klimaforschung und Kernphysik. Der IT-Branchenverband Bitkom hat Big Data als einen Trend im Jahr 2012 bezeichnet.

Die Folgen können in etwa folgendermaßen zusammengefasst werden:

"Big Data" wird häufig als Sammelbegriff für digitale Technologien verwendet, die in technischer Hinsicht für eine neue Ära digitaler Kommunikation und Verarbeitung und in sozialer Hinsicht für einen gesellschaftlichen Umbruch verantwortlich gemacht werden.

Zeitalter der digitalen Information und Kommunikation: Die pausenlose Gesellschaft

Ohne Strukturierung machen wir uns selbst zum Sklaven einer digitalen Permanenz in einer pausenlosen Gesellschaft. Das Zeitalter der digitalen Information und Kommunikation (ZdIK) ist durch die Möglichkeit des unbegrenzten und permanenten "Update" gekennzeichnet, das zuvor in der "analogen" Welt undenkbar gewesen wäre. So wird Heraklits altes Zitat "Alles fließt" aktueller und treffender als je.

Auf die scheinbare Hetze des ZdIK lässt sich unsere Gesellschaft in eine "Quick and Dirty"-Strategie treiben ("immer schneller und weiter"), statt dass sie sich mehr Zeit für ein kritisches und konstruktives Nachdenken lässt. Es ist die fast unbegrenzte Zahl von Chancen - niemals zuvor öffneten sich uns so viele Wahlmöglichkeiten –, die das Gefühl erweckt, ständig viele andere, vielleicht noch wichtigere, zu verpassen. Ob wir ständig nach ihr greifen oder nicht, bleibt aber unsere eigene Entscheidung und Verantwortung.

Als Alternative einer linearen Entwicklung (immer schneller und weiter) bietet die digitale Permanenz die ruhige Endlosigkeit eines Zeitkreislaufs im ZdIK an. Das "Taktum" (Eins-nach-demanderen), das die Gesellschaft während der Industrialisierungsphase in ein neues Zeitmuster presste, ist heute bereits überwunden. Wörtlich, "das alltägliche Leben im ZdIK ist nicht mehr nach der Uhr getaktet, sondern nach Simultanzugriffen". Zugleich wird die Allgegenwart zur Realität. Mithilfe technischer Dimensionen in der Virtualität öffnen sich ständig Parallelwelten und Parallelzeiten. Nicht, dass die Zeit schneller verginge, sondern dass sie "voller" ist, denn die Inhalte häufen sich ständig. Alles verdichtet sich in der Gegenwart und die Zukunft droht verloren zu gehen. Das Warten verliert damit jegliche positive Bedeutung.

Die digitale Permanenz ist nichts anderes, als der Ausdruck einer neuen Form der Zeitwahrnehmung und des Zeitverständnisses. Die Vielfalt und riesige Menge an Ereignissen bewirken, dass wir heute so wenig Zeit haben. Die Soziologen haben dafür Begriffe wir "Ereignisgesellschaft" oder "Museumstage" (Terminus eingeführt durch den Psychologen John Strelecky: all jene Tage, an die man sich (gerne) erinnert, die präsent bleiben und sich von den vielen gesichtslosen Tagen unterscheiden) geprägt.

Das menschliche Gehirn ist so strukturiert, dass es sich sofort einem neuen Reiz zuwendet und diesem Aufmerksamkeit schenkt. Früher war diese Funktion überlebenswichtig, heute verursacht jedoch jede eintreffende E-Mail, jeder Handy-Anruf oder jede neue SMS einen Reiz, den wir nicht bewusst ausschalten können und der uns ablenkt. Das Fehlen eines Filters ist heute fatal, denn dadurch geraten wir bald an unsere Grenzen. Eine der negativen Folgen ist das gerade institutionalisierte Multitasking.

Die wichtigsten Kommunikationsmedien, wie Fernsehen, Zeitungen, Zeitschriften, etc. haben sich schon an die digitale Ära angepasst haben. Erinnerungen, zum Beispiel an den klassischen FernsehSendeschluss, Kennzeichen der alten "Pausengesellschaft" bis Anfang der 1990-er Jahre, erwecken nur mehr nostalgische Gefühle. Heute kann jeder sein eigenes pausenloses Programm zusammenstellen, was in der Tat eine gewisse Freiheit ist, aber auch eine Sucht werden kann. Diese Freiheit erfordert aber nicht nur einen mündigen Zuschauer, sondern auch die Notwendigkeit einer Strukturierung von Inhalten und deren Abfolge.

Es ist eindeutig, dass sich die Kommunikationsmedien dramatisch verändert haben und darauf müssen auch "scheinbar traditionelle" Institutionen wie Bibliotheken und Archive reagieren und sich neu aufstellen. Der Sprung von den Handschriften zum gedruckten Werk war der bislang größte Paradigmenwechsel der Mediengeschichte, jedoch haben heute die Digitalisierung und die Entstehung von Netzpublikationen und -informationen eine wahrscheinlich noch folgenschwerere Revolution bewirkt. Wörtlich, "das liquide Dokument (liquid PDF) ist die Inkarnation der digitalen Permanenz im ZdIK, und ein sich permanent veränderndes Dokument bedeutet das Ende der klassischen, festen Publikation".
Die Sinnlosigkeit von klarer Strukturierung, Regelmäßigkeit, Redaktionsschluss und Erscheinungsdatum haben das Todesurteil für das klassische Medium ausgesprochen. Dies betrifft vor allem die klassische Struktur der wissenschaftlichen Zeitschriften, die neu überdacht werden muss. Digitale Zeitschriften und Zeitungen mit Webpräsenz sind entstanden. Zeitungen als Sekundenzeiger der Geschichte, nach Arthur Schopenhauers treffenden Worten, wurden heute durch Newsticker, Livestream, Blogs und Twitters abgelöst. Durch die Erstellung, Produktion und Verbreitung einer Zeitung gewannen früher Journalisten Zeit für eine seriöse und eingehende Quellenrecherche und Reflexion des Themas, aber wie soll dies heute in Realtime noch möglich sein?

Wer kann diesen Trend und diese Explosion nur stoppen? Die Daten sprechen für sich: 1995 nutzten bereits 3,7 Millionen Menschen Mobilfunk, im Jahr 2004 waren es schon über 71 Millionen. 2002 gab es weltweit mehr als eine Milliarde Mobiltelefone, allein nur in Deutschland werden jährlich 36 Milliarden SMS verschickt. Die kontinuierliche Handyüberwachung und -ortung hat sich durchgesetzt. Soziale Netzwerke haben unsere Kommunikationsgewohnheiten revolutioniert. Facebook hat seit 2004 eine Milliarde User mit einem Altersdurchschnitt von 30 Jahren erreicht und sich als Prototyp für ein neues digitales Kommunikationstool etabliert. Und es gibt schon eine ganze Reihe Alternativen an sozialen Netzwerken zu Facebook!
Heute unterscheidet man zwischen Menschen, die mit digitalen Technologien aufgewachsen sind und deren Lebenswelt "digital" ist, die sogenannten"digital natives", und den "digital immigrants", jene die sich das Netz und ihre Strukturen als optionalen Teil ihres sonstigen Lebens zunutze machen.

Digitale Permanenz treibt die Menschen ständig in eine Flucht auf der Suche nach Neuem und nach Besserem. Wer ständig zieht, kommt aber nie an! Nur wer genug Selbstkontrolle entwickelt, um ihr standhalten zu können, wird sie produktiv und konstruktiv nutzen können. Auf höherer philosophischer Ebene läuft dann der Diskurs auf die alte Polemik zwischen Platon und Aristoteles zurückgreift. Während Platon die Verschriftlichung der Gedanken und Diskurse strikt ablehnte und seine Schule rein mündlich führte, war es sein Schüler Aristoteles, der gerade mit der schriftlichen Fixierung des Austauschs eine neue Qualität beanspruchte und den Anfang der Wissenschaften im klassischen Sinne signalisierte. Bis jetzt hat sich Aristoteles' Vorstellung durchgesetzt, aber entspricht diese noch den Erfordernissen der neuen Ära?
Mit Gutenberg fing die über 500 Jahre alte Erfolgsstory des Buches, als Leitmedium für Bildung, Wissenschaft und Unterhaltung, an. Die Erfindung des Buchdrucks war auch der erste Schritt zur Gleichzeitigkeit (identische Texte gleichzeitig an viele Leser zu verteilen). Heute, in der digitalen Gesellschaft, ist das aber mit einem einfachen Knopfdruck weltweit machbar! Die aktuelle Urheberrechtsdiskussion (bezüglich "sharing") wäre im Mittelalter unverständlich, als Abschreiben und Verbreitung nicht verboten waren. Sogar im 18. Jahrhundert gab es noch eine Messe für Raubkopien ("Hanauer Bücherumschlag")! Die erste Verlags-Gesetzgebung und die ersten Urheberrechtsregelungen gehen zurück auf Erasmus Reich. In diesem Licht sind die Worte von GoogleDirektor Jens Redmer im Jahr 2013, nach denen es heute für einen Autor weit weniger problematisch sei, raubkopiert zu werden, als im Informationsdschungel nicht gefunden zu werden, nicht so erstaunlich und sehr treffend für unser Zeitalter.

Natürlich entsteht bei vielen Bibliothekarinnen und Informationsspezialistinnen Unbehagen, wenn wir bald vom gedruckten Buch Abschied nehmen sollen, aber die Zukunft weist nicht nur mehr in Richtung Text, sondern auf multimedialen Informationsfluss hin. Neue Studien von Manfred Spitzer zeigen, dass unser Gehirn eigentlich nicht zum Lesen gebaut ist. Digital vernetzte Texte mit multimedialen Elementen wären viel besser und rascher verständlich und werden daher in der Zukunft vorherrschen. Laufen dann wirklich Bibliotheken und Archive in die "Permanenzfalle"?
Moderne wissenschaftliche Bibliotheken können nicht länger die Augen davor verschließen, dass mehr als die Hälfte aller wissenschaftlichen Forschungsergebnisse im Netz frei, kostenlos und ohne die Hilfe der Bibliothek verfügbar sind. Sie müssen verstehen, dass das digitale Wissen heute nicht mehr durch Normen und Standards, sondern durch seine permanente Fluidität charakterisiert ist. Damit ist auch das Ende der intellektuellen klassischen Katalogisierung und Beschlagwortung gekommen. Informationsmassen in Terabyte-Dimensionen können heute schon durch Algorithmen auf Knopfdruck elektronisch verzeichnet und geordnet werden. Dynamik statt Statik und Flexibilisierung sind die Gebote des 21. Jahrhunderts. Das Gleiche gilt auch für Archive. Was für einen Sinn hat heute das Kassieren und Sortieren der Akten, wenn alles per Volltextsuche bei den erstellenden Behörden sofort such-, find- und nutzbar ist?
Das digitale Archiv der Gegenwart ist nicht nur weniger aufwendig, billiger und vollständiger, sondern bedeutet auch einen demokratischen Akt einer transparenten "Liquid Democracy", weil es für jedermann einen einfachen Zugang zu allen Archivmaterialien ermöglicht (Ball, 2014).

Viele Fragen entstehen und bleiben unbeantwortet: Wer sorgt für die Nachhaltigkeit der Information und für die Zertifizierungsfunktion (zitiert zu werden)? Wer ist verantwortlich für die permanente Archivierung? Wie können wir in einem von WebLeichen (nicht "upgedateten" oder falschen Informationen) überlaufenden Informationsdschungel fündig werden? Wer wird entscheiden, welche Informationen relevant sind, und vor Vernichtung oder Manipulation geschützt werden sollen? Können wir einer Daueraktualisierung folgen und diese noch wichtiger rekonstruieren? Wie oft werden wir nach einem Update suchen?
Löschen ist viel leichter geworden. Es genügt bloß ein (unbeabsichtigter) Knopfdruck. Manipulation und Plagiat werden die Plagen der digitalen Zeit sein. Wie werden wir sie kontrollieren können?

Die Revolution geht aber weiter: Die Realität der digitalen Permanenz ist nicht mehr länger gebunden an ein bestimmtes Gerät, wie etwa den Computer oder die schon genannten mobilen Endgeräte, sondern hat sich davon gelöst. Die digitale Permanenz konstituiert sich in den Dingen selbst. Die Dinge des täglichen Lebens werden digitalisiert und mit Mikrochips versehen und erhalten über das Netz Zugang zu Daten. Der Computer wird bald überholt sein, denn das "web of the things" (oder das Internet der Dinge, so genannt vom Physiker Michio Kaku) führt zu einem "ubiquitous computing". Dabei sollte man aber nicht vergessen, dass die Interventionsmöglichkeiten bei selbstgesteuerten Systemen auf der Basis von Sensoren und Mikroprozessoren immer geringer werden, je komplexer und umfangreicher die Automatisierung angelegt ist. Die Industrie bereitet sich unter dem Schlagwort "Industrie 4.0" schon darauf vor. Wahrscheinlich werden wir alle gleich nach der Geburt mit einem Chip versehen werden, der neue permanente Identifier!
Neben der Funktionssicherung des Internets der Dinge muss aber die Frage des Verlusts an Autonomie durch diese Systemabhängigkeit geklärt werden. Erst wenn wir uns darüber verständigt haben, zu welchen Zugeständnissen wir bereit sind und wo unsere Schmerzgrenze liegt, sollten wir das Internet der Dinge auch technisch angehen.
Bis dahin lohnt es sich, die Kommunikation der Dinge und Menschen auch noch auf herkömmliche Weise sicherzustellen". Unserer Meinung nach, gilt dies ebenfalls für Bibliotheken und Archive, so lang die diesbezüglichen Fragen nicht geklärt werden können.

Literatur

Die pausenlose Gesellschaft. Fluch und Segen der digitalen Permanenz / Rafael Ball. Stuttgart: Schattauer / Köln: BalanceBuch-+-Medien-Verl. 2014. - VII, 120 S. – ISBN: 978-3-7945-30809.– ISBN: 978-3-86739-106-1. – ISBN: 3-7945-3080-2. – ISBN: 3-86739-106-8. – (Wissen & Leben).
Für alle Interessierten findet sich auf Youtube ein kurzes Interview mit dem Autor.