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Wir machen uns einen Begriff
Das Unbehagen an der Kultur sorgt für Diskussionen
Wer an der Uni Wien, sagen wir, Germanistik studieren
will oder Geschichte, landet in einer der beiden
„kulturwissenschaftlichen“ Fakultäten; wer sich aber für Soziologie
oder Publizistik interessiert, landet in Fakultäten, die ganz anders
heißen. Bedeutet das also, dass „Gesellschaft“ nichts mit „Kultur“ zu
tun hat, dass Massenmedien kein Gegenstand von cultural studies
sind? Wohl kaum. Was zunächst nur eine Frage des universitären
Labelings zu sein scheint, bringt ein tieferes Problem zum Ausdruck:
„Kultur“ ist ein gern eingesetztes Modewort geworden und seine
inflationäre Verwendung hat den Begriff zwangsläufig unscharf werden
lassen. Nicht alle aber, die das augenscheinlich nicht einzugrenzende
Feld der Kulturwissenschaften beackern, scheinen sich von diesem
Problem irritieren zu lassen: Ohne ihren Gegenstand, „die Kultur“,
genau zu vermessen und zu definieren, haben sie Anteil an dem, was der
Philosoph Wolfgang Fritz Haug einmal das „Schauspiel einer
Kulturwissenschaft ohne Kulturbegriff“ genannt hat.
Es gibt
also genug Anlässe, das „Unbehagen an der Kultur“ zu teilen, das Ingo
Schneider und Martin Sexl von der Universität Innsbruck vor zwei Jahren
in den Mittelpunkt einer Konferenz gestellt haben. Sie spielen damit
klarerweise auf Freuds berühmte Schrift an, in der es noch um „Das
Unbehagen in der Kultur“ gegangen war. Ausgewählte Beiträge dieser
Tagung sind nun in Buchform erschienen: Die beiden Herausgeber
begründen ihr Unbehagen nicht nur mit dem sinnentleerenden Boom des
Kulturbegriffs in den Geistes- und Sozialwissenschaften, sondern auch
mit einer Instrumentalisierung von „Kultur“ in Gesellschaft, Politik
und Wirtschaft, mit der bestehende Verhältnisse naturalisiert sowie
Macht, Herrschaft und Gewalt legitimiert werden sollen. Gleichzeitig
formulieren sie die These, „dass der Kulturbegriff per se die Gefahr
der Essenzialisierung des mit ihm Gefassten beinhaltet und somit die
Hoffnung auf die Gestaltbarkeit sozialer Wirklichkeiten untergräbt“.
Die britischen cultural studies,
denen es nicht zuletzt gerade um dieses gesellschaftliche Eingreifen
ihrer Wissenschaft gegangen ist, sind mit dem Beitrag von John Storey
vertreten, einem der besten Raymond Williams-Kenner überhaupt, der die
Tragweite von dessen Neudefinition des Kulturbegriffs nachzeichnet, die
nach der Aufnahme von Gramscis Hegemonie-Konzept eine neue Wendung
genommen hat. Terry Eagleton wiederum erteilt in seinem gewohnt
heiteren Beitrag dem Kulturbegriff eine ironische Absage, während der
bereits zitierte W.F. Haug einen Schritt zurücktritt und nach dem
„Kulturellen an der Kultur“ fragt. Neben einer Reihe weiterer Beiträge,
die aktuelle Fragen wie „Kulturkonflikte“ oder „Alteritätsdiskurse“ in
den Blick nehmen, steuern die Herausgeber selbst einen ausführlichen
Grundlagentext bei, dem bereits mehrere Rezensionen das Zeug zur
Basislektüre in einschlägigen Seminaren attestiert haben.
Ingo Schneider, Martin Sexl (Hg.): „Das Unbehagen an der Kultur“, Argument Verlag, Hamburg 2015
Erschienen in MALMOE 76 (2016)
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