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Don't
let me be missunderstood
Im Gazastreifen spielen arabische Kinder "Palästinenser
gegen Juden"; auf die Frage, wer sie denn lieber sein würden,
antwortet eines: "Jude, denn die sind besser bewaffnet". Und
was sagt uns diese rührende Geschichte? Dass man kaum von antisemitischen
Motiven sprechen könne beim Nachwuchs derer, die in israelischen
Linienbussen möglichst viele jüdische Zivilisten mit in den
Tod zu reißen versuchen. So zumindest deutet John Bunzl die von
ihm ins Treffen geführte Anekdote, und das ist noch nicht das fragwürdigste
seines Beitrages zum "Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte
2005".
MALMOE hat auf diesen Sammelband schon in der letzten Ausgabe im Zusammenhang
mit dem Interview mit Heidemarie Uhl
verwiesen, deren Text zur Erinnerungskultur sich zu einer Reihe anderer
wissenschaftlich anspruchsvoller und lesenswerter Beiträge in dem
450 Seiten starken Band zum Thema "Antisemitismus Antizionismus Israelkritik"
reiht. Die besprochenen Aspekte decken eine sehr große Bandbreite
ab, von der EU, linkem Antisemitismus über Fragen des (Anti-) Zionismus
bis zu (sozial-) psychologischen Themen. An dieser Stelle sei lediglich
auf ein paar Missverständnisse aufmerksam gemacht, die die immer
beliebter werdenden Textkompilationen zum Neuen Antisemtismus häufig
prägen.
Da wäre einmal ein falsch verstandener Pluralismus: Die Frage, ob
jede Kritik an Israel antisemitisch sei, ist in gleichem Maße obsolet,
wie ihr Stellen ideologisch motiviert. Die differenzierten kritischen
Interventionen zum Zionismus sind ja selbst schon Beleg, dass es auch
nicht-antisemitisch geht, völlig verzichtbar ist demnach das rhetorische
Ausreizen der Grenzen dessen, was doch mal gesagt (können/dürfen)
werden muss. Bunzl steuert (mal wieder) das Seine zur Verharmlosung des
Antisemitismus bei, wenn er sich auf eifrige Suche nach seinen "realen
Anlässen" begibt und zur Erkenntnis kommt, dass er natürlich
dem Verhalten des israelischen Staates "geschuldet" ist. Braucht
eine wissenschaftliche Textsammlung zu Antisemitismus Beiträge, die
wörtlich die Schuld daran bei den Juden suchen? Ein gut gemachter
Sammelband kann auch dann pluralistisch sein, wenn er mir solche Interventionen
erspart, wie etwa auch jene von Georg Kreis, der am Vergleich der israelischen
Armee mit der SS nichts Antisemitisches finden kann.
Ein weiteres Missverständnis ist die im deutschen Sprachraum verbreitete
Annahme, dass eine Beschäftigung mit Antisemitismus nicht an einer
Auseinandersetzung mit den sog. Antideutschen vorbei kann. Abgesehen von
einer maßlosen Überschätzung derer Bedeutung ist es natürlich
auch ein Leichtes, sich entlang der Kritik an den Positionen einer verschrobenen
Sekte zu profilieren, statt sich mit dem Antisemitismus der eigenen SympathieträgerInnen
zu befassen, der No Globals etwa, der angeblich "wichtigsten linken
Bewegung", wie es an einer Stelle heißt. Das Konstrukt einer
symmetrischen Konstellation von offen antisemitischen Antiimps auf der
einen Seite und durchgeknallten Antideutschen auf der anderen, inmitten
derer man sich neutral und differenziert auf sicherem Boden bewegen kann,
wurde an dieser Stelle bereits kritisiert. Im Tel Aviver Jahrbuch gefällt
sich Gerhard Hanloser in seinem bis dahin brauchbaren Text zum deutschen
Linksradikalismus und Israel in dieser Rolle und reklamiert die Rede vom
Weltmarkt in den Diskurs: von dem nämlich werde geschwiegen, wenn
man nur über Antisemitismus spricht. Ich denke, es ist wohl genau
umgekehrt, und der Blick gehört auf den antisemitischen Brückenschlag
zwischen Rechts und Links gerichtet, der mitten im Mainstream stattfindet
und nicht an den Rändern. Dieser Antisemitismus richtet sich vorgeblich
gegen die kapitalistische Globalisierung oder den US-Imperialismus, er
geriert sich als antikoloniale Stellungnahme im sog. Nahostkonflikt, in
seiner Substanz aber stellt er - wie Klaus Hödl und Gerald Lamprecht
richtig schreiben - "eine potenzielle Bedrohung für Juden und
Jüdinnen in der gesamten Welt dar".
Die Klage über die Unschärfe des Antisemitismus-Begriffs findet
sich in dem Band weit häufiger als Beiträge zu seiner Schärfung.
Der Nahostkonflikt ist eine identitätsstiftende Projektionsfläche,
in der herkömmliche Zuordenbarkeiten zu verschwinden scheinen. Hanloser
etwa beklagt, dass Antideutsche keine Berührungsängste mit rechten
Freunden Israels hätten. Die Umkehrung dieses Gedankens führt
uns zum letzten, leider sehr verbreiteten Missverständnis: dass eine
Feindschaft zu Israel etwas mit "links" zu tun haben könnte.
Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte XXXIII
(2005) - Herausgegeben von Moshe Zuckermann. Göttingen 2005.
Zu diesem Text gibt es einen Mailwechsel
mit Ralf Schröder, der Kritik an dieser Rezension geäußert hat.
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