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IDEOLOGISCHE INTERFERENZEN
Unter dem Titel Antisemitismus und Sexismus: Historisch-gesellschaftliche Konstellationen
hat Karin Stögner eine ausführliche Analyse der Affinitäten zweier
Ideologien vorgelegt, die eine widersprüchliche, aber wirkungsvolle
Verbindung eingehen. Im Interview gibt die Autorin Einblick in die
theoretischen Grundlagen und einige der von ihr identifizierten
Strukturen, die untenstehende Rezension erläutert Anliegen und
Grundzüge des Buchs aus der ‚Außenperspektive’.
MALMOE:Mit welchem Interesse hast Du dich dem Thema genähert?
Karin
Stögner: In den langjährigen Recherchen zu Antisemitismus und Sexismus
ist mir aufgefallen, dass fast nur auf der deskriptiven Ebene über
dieses Thema geschrieben wird. An unterschiedlichem Material wird
verhandelt, wie Antisemitismus und Sexismus ineinander verwoben sind,
wie also etwa Antisemitismus mit sexistischen Stereotypen arbeitet.
Diese Beschreibungen bieten aber keine Erklärung, warum die Dinge sich
so verhalten und woher das kommt. Mich interessierten also vor allem
der ideologische Aspekt dieser Interferenzen und ihre Einbettung in
einen gesellschaftstheoretischen Rahmen.
Was war denn Dein theoretischer Zugang?
Mein
theoretischer Teil stützt sich zentral auf die ältere Kritische
Theorie. Als wesentliche Elemente für mein Thema haben sich das
Verhältnis zur Natur und der ‚Druck zur Einheit‘ herausgestellt.
Naturbeherrschung ist ein Prozess, der vereinheitlichend wirkt – Natur
soll in die Arbeitsprozesse eingeordnet werden. Gleichzeitig geht es
darum, das Unbekannte, das Angsteinflößende zu integrieren und so
handhabbar zu machen: Das Nichtidentische ist auf negative Weise Teil
des Identischen. Der Prozess der Zivilisation ist ein Prozess des
Identifizierens: Das Unbekannte wird in das Bekannte hereingeholt und
dient dort als Folie für die Herstellung jener Einheit, die etwa vom
völkischen Kollektiv vorgegeben wird. Diese Einheit aber ist kein
bloßes Hirngespinst, sondern auch eine Reaktion auf die
Vereinheitlichung, die die kapitalistische Produktionsweise und die
Massenkultur tatsächlich kennzeichnen. Dass Natur damit aber sukzessive
zum Material erniedrigt wurde und Subjektivität sich so auf der
Grundlage der Objektivierung der Natur gebildet hat, erzeugt nach
Horkheimer und Adorno eine Ambivalenz in den Subjekten. Um die
Naturbeherrschung nach innen aufrecht erhalten zu können, wird das
Nichtidentische in bestimmten Gruppen personalisiert: Sie werden
exkludiert, gehören nicht dazu. Davon sind – in unterschiedlicher Weise
– Frauen und Juden/Jüdinnen betroffen: sie werden auf sehr verquere
Weise mit Natur identifiziert.
Der
Topos der Identifizierung mit Natur ist aber auch Teil rassistischer
Diskurse; wie unterscheidet sich die sexistische Durchtränkung des
Antisemitismus von der des Rassismus?
Anders als im
Rassismus gibt es sowohl im Antisemitismus als auch im Sexismus eine
extreme Widersprüchlichkeit, auch der Stereotypen selbst. Während der
Rassismus sein Objekt viel eindeutiger zeichnet, werden Juden
gleichzeitig als schwach und als übermächtig dargestellt, und das
findet sich auch im Antifeminismus: emanzipierte oder intellektuelle
Frauen, die (Geschlechter-)Grenzen niederreißen, werden auf ähnlich
ambivalente Weise gezeichnet. Zudem gibt es in der Moderne eine
bemerkenswerte Hinwendung des sexistischen Diskurses zur
Prostituierten. Diese Figur bringt wie kaum eine andere das
Tauschprinzip als Grundlage der Moderne zum Ausdruck: Sie ist der
besondere, übersteigerte Ausdruck für etwas ganz Allgemeines.
Ich
fand in diesem Zusammenhang die Bezugnahme auf Gayle Rubins kanonischen
Text Frauentausch – Zur ‚politischen Ökonomie‘ von Geschlecht
interessant.
Bei der sozioökonomischen Fundierung von
Antisemitismus und Sexismus habe ich auch Ansätze der
Sozialanthropologie einbezogen. Der Aufsatz von Gayle Rubin ist sehr
aufschlussreich dafür, wie sich der Frauentausch in der heutigen
Ökonomie nach wie vor ausdrückt. Spannend für mich war, die Dichotomie
von Frauen als Getauschte und Männern als Tauschende umzulegen: In der
Moderne wird durch die Verwischung der Geschlechtergrenzen und das
Aufweichen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung auch diese
Zweiteilung durchbrochen. Eine der Frauenfiguren, die von einer
Position auf die andere wechseln, ist eben die Prostituierte, die sich
selbst tauscht. Frauen waren aber sehr lange aus der Sphäre der
Produktion ausgeschlossen, auch bürgerliche Frauen hatten nur über die
Konsumtion Teil an der Öffentlichkeit. Und da zeigt sich eine
Gemeinsamkeit mit dem Antisemitismus, der das Jüdische mit der
Zirkulationssphäre identifiziert: Eine Zwischenposition – egal, ob nun
real eingenommen oder unterstellt – wird mit Ressentiment belegt, doch
für die Aufrechterhaltung der Eindeutigkeit braucht es wen, der/die
diese Zwischenposition einnimmt.
Du
bezeichnest Antisemitismus und Sexismus häufig als „Ideologeme“, also
als Elemente einer Ideologie. Gibt es ein ideologisches Dach, unter dem
sie vereint sind?
Ja: Ich würde von einem
antidemokratischen ideologischen Syndrom sprechen, das sich aus
unterschiedlichen ideologischen Momenten zusammensetzt. Aber
klarerweise sind unter diesem ‚Dach‘ nicht nur Antisemitismus und
Sexismus vereint, sondern auch Nationalismus, Ethnozentrismus,
Homophobie usw. Man kann die Eigenarten jeder dieser Ideologien besser
erkennen, wenn man auch die Gemeinsamkeiten mit anderen Ideologien
sieht. Auf diese Weise sind dann auch ihre Funktionen in der
Gesellschaft besser zu erkennen, denn sie sind ja kein Selbstzweck.
Dabei ist es aber wichtig zu betonen, dass es unterschiedliche
Ideologeme sind – gerade auch vor dem Hintergrund realer Betroffenheit;
doch zusammengenommen und in ihrer Wechselwirkung haben sie in der
Gesellschaft eine besondere Wirkmächtigkeit. Und gleichzeitig ist
dieses antidemokratische ideologische Syndrom ohne Heteronormativität
und ohne die ideologische Überfrachtung des Nationalstaats nicht zu
denken.
Der von Dir
verwendete Ideologie-Begriff hat einerseits eine Nähe zum ‚falschen
Bewusstsein‘, aus dem Vorurteile und Ressentiments hervorgehen,
andererseits betonst Du die massive strukturelle Verankerung von
Antisemitismus und Sexismus. Das führt zur alten Frage, wie dem
falschen Bewusstsein zu begegnen ist: Kann es hier überhaupt eine
aufklärerische Wirkung geben?
Selbstverständlich
kann es die geben, auch wenn sie Ideologien nicht aus der Welt schaffen
wird, die sich gegenüber ihren Träger/innen sehr verselbständigt haben:
Viele, die sich antisemitisch äußern, tun das gar nicht intentional,
sondern sie bedienen einen Antisemitismus, der auf der strukturellen
Ebene, auch in sprachlichen Konventionen fest verankert ist.
Genau
das spräche doch dafür, dass der Antisemitismus aufklärungsresistent
ist. Antisemit/innen sind ja, wie wir wissen, nicht durch Fakten zu
überzeugen.
Vorurteile beruhen auch auf falschen
Projektionen, die nicht einfach aus der Welt zu schaffen sind, da sie
selbst ein Symptom sind. Diese manifeste Ebene ist Ausdruck des
Ideologischen, jedoch nicht das Ideologische selbst. Aber trotzdem muss
man Aufklärung betreiben! Nur weil es nicht fruchtet, den
Antisemit/innen zu sagen, dass es nicht stimmt, was sie behaupten, darf
man doch nicht aufhören es zu sagen. Es kommt darauf an zu zeigen,
woher diese Ideologien und Vorurteile kommen und wodurch sie permanent
reproduziert werden. Hinzu kommt, dass der heutige Antisemitismus in
Österreich nicht der gleiche ist wie vor hundert Jahren. Die massive
Tabuisierung nach 1945 zeigt sehr wohl Wirkung. Auch die härtesten
FPÖ-Politiker/innen würden sich nicht öffentlich zu ihrem
Antisemitismus bekennen. Und in meinem Buch zeige ich auf, dass eine
sexistische Argumentation auch den Weg öffnen kann, das Tabu des
manifesten Antisemitismus aufzubrechen.
Du hast auch Interviews mit jüdischen Frauen geführt: Belegen sie die Thesen des theoretischen Teils?
Auf
dieser erlebensanalytischen Ebene ließ sich gut aufzeigen, wie zäh,
aber auch wie anpassungsfähig diese alten Stereotypen sind. All diese
Frauen berichten von Fremdheits- und Ausgrenzungserfahrungen, die mit
Geschlechtervorstellungen zusammenhängen. Der theoretische und der
Interview-Teil des Buches gehören also zusammen, die Interviews sind
nur in dieser Zusammenschau verständlich. Denn mir ist es wichtig, auf
diese Gegenwart zu verweisen: Gerade auch in der sogenannten
aufgeklärten Linken wird der Antisemitismus gern wie ein Museumsstück
behandelt. Um dem etwas entgegnen zu können, braucht es auch
empirisches Material, mit dem gezeigt werden kann, dass hier nicht nur
die Vergangenheit fortlebt, sondern dass auch die Strukturen der
Gegenwartsgesellschaft nach wie vor Antisemitismus und Sexismus
regelrecht benötigen, da der eigentliche Antagonismus, der verkehrt in
den Ideologien wiederkehrt, ja nicht gelöst ist.
Erschienen in MALMOE 70 (2015) Nach
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