Der Siegi unterm Glassturz Der "Siegfriedskopf" wurde zu einer künstlerischen Installation und steht damit in einem "neuen Kontext" – der seinerseits aber alten Subtext erkennen lässt EIN SCHELM (oder doch ein/e
Kenner/in österreichischer Zustände?) wer Böses dabei denkt:
Mitten in der sommerlichen Lethargie und Leergefegtheit wurde an der Universität
Wien zu Stande gebracht, was eigentlich schon seit 16 Jahren beschlossene
Sache ist und von einer so reaktionären wie effizienten Lobby verhindert
wurde: Der Siegfriedskopf wurde von der Aula in den Arkadenhof verlegt.
Ob damit gröberen Auseinandersetzungen aus dem Weg gegangen werden
sollte, sei dahingestellt, offiziell waren es natürlich dem Umbau
des ganzen Bereiches geschuldete Sachzwänge, die den beinah klandestinen
Vollzug der Übersiedlung notwendig machten. Bemerkenswert auch die
Auflage an die beiden KünstlerInnen, die mit der künstlerischen
Umgestaltung des Schädels betraut wurden: Jede Veränderung muss
rückgängig machbar, der Siegfriedskopf also theoretisch in alter
Form, im alten Kontext also wieder herstellbar sein. Man weiß ja
nie, wohin die Zeiten sich wenden... PROBLEMATISCH DARAN SIND EHER DIE DISKURSE,
die im Zuge dieser "Vergangenheitsbewältigung" zum Tragen
kommen, wie „Herrschaftszeiten“, die Zeitung der Studienvertretung
Politikwissenschaft nach der Eröffnungsveranstaltung im Sommer schon
feststellte. In der Tat ist die online nachzulesende Eröffnungsrede
der Kunstmanagerin Angelica Bäumer eine Fundgrube von Belegen für
die österreichische Vergessenssehnsucht. So nennt sie den Siegfriedskopf
etwa das Werk "eines zu Recht vergessenen Bildhauers" –
vergessen ist der aber nur für jene, die vielleicht nicht daran erinnern
wollen, wofür das Denkmal von Anfang an stand: geschaffen hat es
ein Josef Müllner, der sich auch durch eine Hitlerbüste in der
Akademie der Bildenden Künste verewigt hat. Dieses Detail ist symptomatisch
für das ganze Verständnis der Neugestaltung: Der Siegfriedskopf
soll nicht etwa ein Denkmal von Rechtsextremen für Deutschnationale
gewesen sein, sondern ein an sich unschuldiges Kriegerdenkmal, das ominös
"vielschichtige Vorgänge" ausgelöst hat und "von
links oder rechts" vereinnahmt wurde. Der Tod aber, so Bäumer,
"nivelliert alle gesellschaftlichen Unterschiede und politischen
Ansichten". Bei einer Präsentation im Oktober betont Gilles
Mussard folgerichtig, dass links oder rechts keine Rolle mehr spielen,
wo doch der Mensch zählt: Zwei Weltkriege haben einen ernormen Druck
ausgeübt, und zwar "für jeden Menschen". Damit sind
wir beim gut eingeübten Refrain des vergangenen Jubiläumsjahres
angelangt: Sind wir nicht alle irgendwie Opfer? Das "archäologisierte
Denkmal", freut sich Bäumer, ist nun zu einem "Signal gegen
jede Form von Rassismus, Aggression und Radikalität, von welcher
Seite auch immer, geworden". BEMERKENSWERT IST DIE IDEE, bei
der Anbringung dieses Textes eine Technik anzuwenden, die bewirkt, dass
die Schrift beim nicht gerade unwahrscheinlichen Versuch des zerstörerischen
Einwirkens von außen nur umso stärker hervorträte: Die
Schrift würde "antworten", die Skulptur sich gewissermaßen
selbst verteidigen. Fragwürdiger schon die andere gefinkelte Besonderheit
des Materials: Die sandgestrahlte Schrift wirft bei Sonnenlicht Schatten
und projiziert die Erinnerung so auf unterschiedliche(n) Ebenen, bei Regen
hingegen füllt sie sich mit Wasser und verschwindet. Die Metapher
für den kontingenten Charakter von gesellschaftlicher Erinnerung
hat einen entscheidenden Haken: Sie überlässt ihre Präsenz
den Wetterverhältnissen und spricht die gesellschaftlichen AkteurInnen
somit von ihrem Zutun frei. MIT DER LEGENDE VOM NEUTRALEN DENKMAL für gefallene Studenten, das von den Rechten lediglich vereinnahmt worden sei, wird explizit nicht gebrochen. Gilles Mussard drückt den armen Jungs im Schützengraben sogar sein Mitgefühl wegen der "heroisierenden" Instrumentalisierung aus, und es fällt völlig unter den Tisch, dass diese sich größtenteils freiwillig und national hoch motiviert zu diesem Krieg gemeldet hatten. Der Tod dieser Menschen, meint Bäumer noch, sei missbraucht worden, und erst durch die Neugestaltung werden sie nun angemessen geehrt. Doch wenn es wirklich darum gegangen sein sollte, hätte man den Siegfriedskopf gleich belassen können, wo und wie er war. Erschienen in MALMOE #35 (November 2006) |