Lehre

Da Wahrheit ist da drinnen

Die Polizei-Opfer von Genua sind möglicherweise in etwas Grosses geraten: In Italien zeichnet sich abermals eine Achse von neofaschistischen Politikern über Geheimdienste zur Exekutive ab.


Für den Cobas-Gewerkschafter Giacomo Mondovì gibt es überhaupt keinen Zweifel, dass es um eine politische Provokation ging; seine Tochter war aus der Schule gekommen und hatte erzählt, dass sie gefragt wurde, ob ihr Vater wirklich beim Black Block sei. Der Hintergrund: in einer genueser Tageszeitung war am 7.Jänner eine bezahlte Anzeige erschienen, in der um Mithilfe bei den polizeilichen Ermittlungen rund um die Verwüstungen im Rahmen der Anti-G8-Proteste im Sommer 2001 gebeten wurde. Auf einem Foto waren Mondovì und eine weitere Gewerkschafterin zu erkennen, umgeben von Vermummten. Die beiden stellten sich der Polizei und wurden verhört, zum x-ten Mal ging es um die Konstruktion eines Zusammenhanges zwischen dem "Black Block" und der linken Gewerkschaftsbewegung Cobas.
Letztere deutet dies als einen weiteren Versuch ihrer Diskreditierung und Kriminalisierung, eine etwas weniger naheliegende aber nicht weniger plausible Erklärung, warum auf solche nie dagewesene Polizeiarbeit rekurriert wurde, ist folgende: Die Behörden in Genua waren sich nicht sicher, ob es sich bei den beiden Personen nicht um staatliche Infiltrierte handelte, zumal die Staatspolizei nicht imstande oder eben willens war, die Personen ohne aufsehenerregendes Inserat zu identifizieren, obwohl beide in Rom durchaus prominent in der Öffentlichkeit stehen.

In den letzten Wochen ist Bewegung in die Genua-Thematik gekommen, und die geschilderten Vorkommnisse sind bei weitem nicht die einzigen Hinweise auf beunruhigende Zusammenhänge, die über die bekannten polizeilichen Gewaltexzesse hinausgehen. Auslösendes Moment war die Veröffentlichung der Verhörungsprotokolle der Polizisten, die an der Stürmung der Diaz-Schule beteiligt waren, bei der 93 Personen grundlos festgenommen und 61 von ihnen zum Teil schwer misshandelt und verletzt wurden. Sogar bis in die hiesige Medienlandschaft schaffte es die zentrale, wenn auch wenig überraschende Pointe in diesen Protokollen: Die Gewaltanwendung war auch aus Sicht der Polizisten ungerechtfertigt und exzessiv, der verletzte Kollege fingiert und die angeblich vorgefundenen Molotow-Cocktails von der Polizei selbst mitgebracht.

Was an der Sache besonders interessant ist: Der mit-beschuldigte ranghohe Polizist Franco Gratteri spricht in Zusammenhang mit den polizeilichen Straftaten davon, dass er über die Motive "einer Komponente der Polizei", die er für "nicht repräsentativ" hält, keine Auskunft geben könne, und nicht wenige sehen darin eine Andeutung auf Verbindungen in höchste Kreise, die sich der Kontrolle der relativ kleinen nun angezeigten Fische entziehen. Auf Gratteri wächst nun der Druck, deutlicher zu werden, weil sich andere Offiziere manch Geschehnis und manche Befehlskette in jener Nacht auf glaubwürdige Weise selbst nicht erklären können, und keiner von ihnen will - trotz der eigenen eingestandenen Übergriffe - das Bauernopfer sein.
So ergibt es sich, dass sich Mitte Jänner ausgerechnet Teile der Polizei der oppositionellen Forderung nach einer parlamentarischen Untersuchungskommission anschlossen, die die rechte Berlusconi-Mehrheit beharrlich verweigert. Einer von ihnen ist Vincenzo Canterini, selbst wegen Körperverletzung und Beweisfälschung angezeigt und teilgeständig, der zu ahnen beginnt, dass eine rein strafrechtliche Verfolgung der "Schlächter" von der Diaz-Schule die politischen Hintermänner, die das Ganze erst eingefädelt haben, ungeschoren davonkommen und Fragen nach plötzlich anwesenden Politikern der Fini-Partei AN und den ominösen "nicht repräsentativen Teilen der Polizei" unbeantwortet liesse.

Und so gehen die Ermittlungen "in die andere Richtung" plötzlich verstärkt weiter, und die Argumente sind in schlechtester Genua-Tradition haarsträubend: Die GewerkschafterInnen der Cobas, die auf einem Video zu sehen sind, wie sie versuchen, Vermummte, die unmittelbar danach eine Bankfiliale zerstörten, vom Cobas-Block fernzuhalten, werden nun der Zugehörigkeit zu ebendiesen Vermummten beschuldigt, weil auffällig sei, dass letztere auf ihre Anweisungen zu hören schienen. Und wieder kommt der für AktivistInnen gefährlichste juristische Kniff zum Einsatz: Durch eine unterstellte "geistige" Komplizenschaft sollen harmlose DemonstrantInnen für Zerstörungen und Plünderungen, die andere begangen haben, mitverantwortlich gemacht werden. Und wer die begangen hat, ist angesichts der Erkenntnisse rund um die Diaz-Schule fraglicher denn je.