Die U-Straßenbahn (1959-1969)

In den 50er Jahren erzeugte das Wirtschaftswunder und das damit steigende Einkommen der Bevölkerung ein großes Verkehrsproblem, da die Automobile immer mehr Platz in Anspruch nahmen. Dabei wurde in blindem Fortschrittsglauben immer wieder die Straßenbahn als Hindernis betrachtet, das über kurz oder lang entfernt werden müsste, um Platz für den Autoverkehr zu schaffen. Ab 1958 wurden daher eine Reihe von Straßenbahnlinien auf Busbetrieb umgestellt; zum Glück hörte dieser Trend wieder auf, als sich herausstellte, dass der Busverkehr nicht nur teurer kam, sondern die Busse genauso im Stau stecken blieben, weswegen Wien auch heute noch eines der größten Straßenbahnnetze Westeuropas vorzuweisen hat (wenngleich in Wien das Netz immer noch eher abgebaut wird, während andere Städte kräftig in ihre Netze investieren).

Zu diesem Zeitpunkt (Ende der 50er Jahre) war die Mehrheit der Stadtregierung noch gegen eine "echte" U-Bahn. Stattdessen wurde beschlossen, dem Beispiel von Brüssel und Stockholm folgend, Teile des Straßenbahnnetzes in Tunnels zu verlegen und sich damit die Möglichkeit einer späteren Umstellung auf Voll-U-Bahn offenzuhalten. Der offizielle Begriff lautete Unterpflasterstraßenbahn, kurz U-Straba (im Ausland wird, abgeleitet vom Brüsseler Modell, oft auch der Begriff Premetro verwendet).

Foto (C) Leif Spangberg
Straßenbahn in der Premetro-Station Kliebergasse

Insgesamt wurden drei Premetro-Strecken gebaut, von denen zwei in der Zwischenzeit auf Voll-U-Bahn umgebaut wurden: der Tunnel unter der so genannten Zweierlinie, der Tunnel am südlichen Gürtel und die Schnellstraßenbahn 64 nach Siebenhirten. Weitere Schnellstraßenbahnlinien sind geplant, haben aber, besonders wegen der übermächtigen Autofahrerlobby, nur geringe Chancen auf Umsetzung.

Die Zweierlinie

Die Straße, die die Grenze des ersten Bezirkes in Wien bildet, wurde zur selben Zeit gebaut wie die parallel dazu verlaufende Ringstraße (ca. 1865), um den Güterverkehr von dem nobleren Boulevard fernzuhalten, sie wurde daher auch als Lastenstraße bezeichnet. Die entlang dieser Straße verlaufenden Straßenbahnlinien trugen alle den Index '2' in der Linienbezeichnung, weswegen sich bald der Ausdruck "Zweierlinie" einbürgerte.

Die Straßenbahn- (und in weiterer Folge U-Bahn-)planung an der Zweierlinie ist ein Musterbeispiel für die Konzeptlosigkeit der Wiener Verkehrsplanung; sie kann in Retrospektive als vollends gescheitertes Projekt betrachtet werden.

Erste Planungen in den 50er Jahren gingen noch davon aus, den Autoverkehr in Tunnels zu verlegen, aus unerfindlichen Gründen wurde aber schließlich die Straßenbahn nach unten verlegt. Die öfters zitierte "Beschleunigung" der Straßenbahn kann die Ursache nicht gewesen sein, da diese auf der gesamten später untertunnelten Strecke einen eigenen Gleiskörper hatte. Im Gegenteil, durch die längeren Zugangswege zu den Zügen verlängerte sich für die meisten Fahrgäste die Fahrzeit!

Mit dem Bau des Tunnels wurde 1963 begonnen. Ursprünglich sollte nur eine unterirdische Station bei der Mariahilfer Straße gebaut werden, aber ohne jedes größere Konzept wurde der Tunnel nach einer Reihe von Verzögerungen immer wieder ein Stück weiter verlängert, bis man beim Landesgericht angekommen war. Die U-Straßenbahn wurde schließlich am 8. Oktober 1966 eröffnet, mit einer Länge von 1,8 km und folgenden Stationen und Linien:

Premetro - Zweierlinie

Dass hinter der U-Straßenbahn keinerlei Konzept stand, war nicht nur daran zu erkennen, dass eine Straßenbahnstrecke mit relativ untergeordneter Bedeutung und eigenem Gleiskörper untertunnelt wurde -- zusätzlich waren beide Tunnelportale auch noch vor, nicht nach, überaus belebten Straßenkreuzungen angelegt worden, sodass etwaige im Tunnel gewonnene Zeit dort rasch wieder verloren ging. Dazu kam noch, dass, obwohl eine Reihe von Großraum- und Gelenkwagen (C3, D, D1, E) extra für die U-Straba entwickelt worden waren, ausgerechnet zweiachsige Wägen vom Typ L4/l3 oder L/l verwendet wurden, die nicht nur laut, sondern auch noch relativ langsam waren. Insgesamt kann man den ganzen Aufwand wohl nur als relativ zweifelhaft bezeichnen.

Foto Wiener Linien
Station Mariahilfer Straße
Foto (C) Karl Holzinger
Lerchenfelder Straße

Doch die Konzeptlosigkeit war noch nicht zuende, denn immerhin besaß die Stadt mit den drei U-Straba-Linien E2, G2 und H2 drei wichtige Durchgangslinien, die die Bezirke 1, 2, 3, 4, 6, 7, 8, 9, 17, 18 und 19 ohne Umsteigen miteinander verbanden. Die Entscheidung, den U-Straba-Tunnel auf U-Bahn umzubauen, kann wohl als die schwerwiegendste Fehlplanung im öV-Netz der Stadt Wien bezeichnet werden. Der Tunnel wurde an beiden Enden zu den Stationen Karlsplatz und Schottenring verlängert; die Verbindungen zum Straßenbahnnetz unwiderruflich gekappt; seither fährt im Tunnel nur noch die Linie U2. Die Linien E2, G2 und H2 wurden im nördlichen Teil durch die Pendellinien 37, 40 und 43 ersetzt, im südlichen Teil wurden sie hingegen zum Teil durch andere Linien mit anderer Linienführung ersetzt (Linien N und O), zum Teil aber auch einfach aufgelassen und die eigenen Gleiskörper in Parkplätze umgewandelt. Wo früher durchgehende Verbindungen bestanden, müssen die Fahrgäste nun bis zu viermal(!) umsteigen.*) Dadurch wurde diese Verbindung nicht nur erheblich langsamer,**), vor allem der 3.Bezirk Wiens wurde dadurch vom Rest der Stadt weitgehend isoliert, was sich unter anderem durch ein ausgedehntes Geschäftesterben bemerkbar machte.

*) Linie E2: heute mit Linie 40 bis Schottentor, U2 bis Karlsplatz, U4 bis Landstraße, O bis Praterstern. Linie G2: heute mit Linie 37 bis Schottentor, U2 bis Karlsplatz, U4 bis Landstraße, O bis Radetzkystraße. Linie H2: heute mit Linie 43 bis Schottentor, U2 bis Karlsplatz, U4 bis Landstraße, O bis Radetzkyplatz, N bis Prater Hauptallee (alternativ über eine andere Strecke: 43 bis Schottentor, 1 bis Schwedenplatz, N bis Prater Hauptallee).

**) Berechnet man optimistischerweise 7 Minuten Zeitverlust pro Umsteigevorgang (4 Minuten Gehweg zum/vom U-Bahn-Bahnsteig und 3 Minuten Wartezeit auf die U-Bahn), so beträgt allein die durch das Umsteigen verlorengegangene Zeit über 20 Minuten! Damit dauert dank der "Beschleunigung" durch die U-Bahn eine Fahrt in der Relation der Linien E2, G2 und H2 heute etwa eineinhalb- bis zweimal so lange wie vor 1980!

Dazu kommt, dass durch die baulichen Vorgaben der ehemaligen Straßenbahntunnels die Linie U2 die langsamste, und durch den Zwang zum Umsteigen die unattraktivste Linie des U-Bahn-Netzes ist. Seit der Inbetriebnahme der Linie U3 verliert die U2 auch ständig Fahrgäste; bei den baubedingten Sperren der U2 im Sommer 2000 konnten die Straßenbahnlinien 1 und 2 problemlos die wenigen Fahrgäste der U2 übernehmen.

Doch dem nicht genug: die nächsten zwei Fehlplanungen an der Strecke sind bereits in Bau. Dabei handelt es sich zum einen um die Verlängerung der bestehenden U2-Bahnsteige für Langzüge. Damit werden die Stationen im Zweierlinien-Tunnel nun bereits zum dritten Mal innerhalb von weniger als 40 Jahren komplett neu gebaut, obwohl angesichts des Fahrgastverlustes der U2 und aller Fahrgastprognosen für die Zukunft keinerlei Bedarf für Langzüge auf dieser Linie besteht!

Zum anderen wird die U2 nun nach längerem Hin und Her über den Praterstern bis nach Stadlau verlängert. Ob es sich dabei um einen krampfhaften Versuch handelt, eine unattraktive Linie aufzuwerten oder ob es primär durch exzessives Lobbying der Bauwirtschaft zustande gekommen ist, ist unklar; fest steht nur, dass es für diese Linie ab dem Praterstern keinen nachvollziehbaren Bedarf gibt, da die geplante Strecke durch weitgehend unbebautes Gebiet und Schrebergärten führt, und auch die Gegend um die geplante Endstation nur sehr dünn besiedelt ist. Um die Strecke auch nur einigermaßen rentabel zu machen, müsste sich die Einwohnerzahl des erschlossenen Gebietes gut verdoppeln bis verdreifachen; das ist jedoch auch bei (derzeit nicht geplanter) überaus reger Bautätigkeit in diesem Gebiet nicht absehbar. Jedenfalls werden für diese Streckenverlängerung derzeit Fahrgastzahlen prognostiziert, die problemlos mit Bussen oder Straßenbahnen bewältigt werden könnten.

Der südliche Gürtel

Der Gürtel (der Begriff wurde im 19. Jahrhundert analog zur Pariser "Ceinture" eingeführt, ebenso wie "Stadtbahn" nur eine Übersetzung der Pariser "Metropolitain" war) ist eine Art "äußere Ringstraße" in Wien -- und außerdem einer der meistbefahrensten Straßen Europas. Am westlichen Gürtel fährt seit 1898 die Stadtbahn (heute U6), während der südliche Gürtel nur von einigen Straßenbahnlinien befahren wurde. Der erste Straßenbahntunnel Wiens wurde hier 1959 am Südtiroler Platz gebaut. Mitte der 60er Jahre wurde der Tunnel dann weiter Richtung Westen verlängert und schließlich 1969 eröffnet. Derzeit wird er von folgenden Straßenbahnlininen befahren:

Plan (C) Horst Prillinger

Hier fahren Straßenbahnen aller derzeit in Wien verwendeten Typen: E auf der Linie 62; E1/c3 und E1/c4 auf der Linie 18; E2/c5 auf den Linien 6, 18 und 65; ULF-A auf der Linie 65 und ULF-B auf der Linie 6. Die Lokalbahn Wien-Baden benützt diese Strecke ebenfalls.

Dies ist die einzige noch verbliebene U-Straßenbahn in Wien. Sie ist nicht allzu beliebt. Obwohl sauber, erzeugen das trübe Licht, die verkachelten Wände und die langen, kafkaesken Gänge nicht gerade eine angenehme Atmosphäre. Dringend angebracht wäre eine stilgerechte Renovierung der an und für sich architektonisch gut gelungenen (und in ihrer Art absolut einzigartigen) Station Südtiroler Platz sowie eine Umgestaltung der übrigen Stationen auf U-Bahn-mäßige Standards. Anfang 2000 wurde ein "Modernisierungsprogramm" für die Stationen angekündigt, dieses erschöpfte sich jedoch im Einbau von Aufzügen und in der Erneuerung der Fliesen durch gleichartige, ohne dass die Stationen in irgendeiner Weise freundlicher gestaltet wurden.

Weitere Details zur Gürtel-U-Straba

Schnellstraßenbahn 64 nach Siebenhirten

In den späten 70er Jahren wurden im Gebiet Am Schöpfwerk, Alterlaa und Siebenhirten große Wohnanlagen gebaut, und es war klar, dass diese durch ein leistungsfähiges öffentliches Verkehrsmittel erschlossen werden mussten. Es wurde beschlossen, eine Schnellstraßenbahn zu bauen, und diese später mit der Linie U6 zu verbinden. Diese Linie wurde 1979 mit folgenden Stationen eröffnet:

Plan (C) Horst Prillinger

Diese Linie wurde von Anfang an mit modernsten Straßenbahnwagen vom Typ E2/c5 betrieben, die von Rotax (nach Duewag-Entwürfen) ab 1978 gebaut wurden.

Auf dieser Linie gab es keine Tunnels, aber mit Ausnahme einiger Kreuzungen im Straßenniveau wurde die Linie zur Gänze auf eigener Strecke betrieben, inklusive einer 800m langen Hochstrecke zwischen Am Schöpfwerk und Rösslergasse.

Foto (C) Wiener Linien
Linie 64 während des Umbaus
Foto (C) Wiener Linien
Die Premetro-Station in Alterlaa

Der Umbau zur Voll-U-Bahn zog sich ziemlich lange hin, da sehr lange Unklarheit über die Ausführung der neuen Strecke herrschte und der Bau erst 1993 begann. Schließlich wurden nur zwei Stationen (Tscherttegasse und Alterlaa) von der Premetro übernommen. Die Stationen Wienerbergstraße, Rösslergasse und Wienerflur wurden aufgelassen und die anderen vier Stationen wurden als Hochstationen komplett neu gebaut. Entgegen den ursprünglichen Plänen, die eine teilweise Führung im Straßenniveau vorsahen, wurde die gesamte Strecke als Hochstrecke ausgeführt. Eine Abstellhalle wurde bei der ehemaligen Station Rösslergasse gebaut. Während des Umbaus war die Linie 64 die gesamte Zeit in Betrieb, wobei sie in den letzten Monaten bereits die neuen Stationen benutzte. Die Strecke wurde im April 1995 von der Linie U6 übernommen.

Auch hier stellte sich die Umstellung auf U-Bahn als verlorener Bauaufwand heraus, da die 120 m langen Züge, die im 5-Minuten-Intervall bis Siebenhirten unterwegs sind, südlich der Philadelphiabrücke praktisch leer sind. Dies stellt nichts weiter als eine gigantische Geldverschwendung für den Betrieb von "Geisterzügen" dar. Die Straßenbahnlinie 64 hat den Verkehr auf dieser Strecke jedenfalls wesentlich effizienter geführt.

Einzig bemerkenswerter Faktor der Strecke ist, wie schon seinerzeit bei der Stadtbahn, die Architektur: im Bestreben, die Baukosten möglichst niedrig zu halten, beauftragten die Verkehrsbetriebe den Architekten Johann Georg Gsteu, der ein Konzept für die Stationsgestaltung unter Zuhilfenahme von verformbaren Aluminiumblechen vorlegte. Gsteus etwas eigenwillige Lösung wurde sehr positiv rezipiert und fand in kürzester Zeit ihren Weg in jeden namhaften Architekturführer.

Übersicht: Unterirdische Straßenbahnstationen

Station Linie
Blechturmgasse 18
Eichenstraße 6, 18, 62, WLB
Erzherzog-Karl-Straße   25
Kliebergasse 18, 62, 65, WLB
Laurenzgasse 62, 65, WLB
Lerchenfelder Straße geschlossen
Matzleinsdorfer Platz 6, 18, 62, 65, WLB
Museumsquartier U2 (Umbau auf Voll-U-Bahn)
Rathaus U2 (Umbau auf Voll-U-Bahn)
Schottentor 37, 38, 40, 41, 42
Südtiroler Platz 18
Volkstheater U2 (Umbau auf Voll-U-Bahn)

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