Vorschlag für eine Diskussionsrunde zu einem Videomitschnitt einer Schulstunde zum Mauerbau

 

Die Errichtung der „Berliner Mauer“ war für den Geschichtsunterricht in der DDR gewiß eines der schwierigsten, wenn nicht das schwierigste Thema überhaupt. Ein gängiges Sprichwort sagte, daß 20 Uhr mit der „Tagesschau“ der Hauptnachrichtensendung des bundesdeutschen Fernsehens, 90% der DDR-Bürger jeden Tag auswanderten. DDR-Bürger und auch die Jugendlichen waren mit dem Alltag im Westen via Fernsehen und über Verwandte ziemlich gut informiert. Der westliche Lebensstil zog sie an und sie praktizierten ihn selber, so weit es die Verhältnisse erlaubten.

Gleichzeitig hatte die Schule den Auftrag, eben diese bundesrepublikanische Wirklichkeit, die für die meisten Jugendlichen in der DDR starke orientierende Funktionen erfüllte, als abschreckend, böse, ja feindlich darstellen zu sollen. Diese Darstellung des bedrohlichen Charakters der BRD mußte so weit gehen, daß der Mauerbau im August 61 als eine plausible Maßnahme des Selbstschutzes erschien. Das war eigentlich eine paradoxe Aufgabe, die sich nur mit der schizophrenen Situation des DDR-Alltages im ganzen halbwegs nachvollziehen läßt. Weil diese Aufgabe mit zunehmendem Abstand immer absurder erscheint – Tilman Grammes hat das Fach Staatsbürgerkunde mit einigem Recht deshalb als „unmögliches Fach“ bezeichnet, ist es um so bedeutender, Dokumente dieser schizophrenen unterrichtlichen Bemühungen zu finden. Fast alle nachträglichen Interviews, sowohl mit ehemaligen Schülern, als auch mit LehrerInnen geben verschleiern den Double bind- Charakter dieser Situationen in hohem Maße. Solche Dokumente sind jedoch kaum vorhanden.

An der Humboldt-Universität Berlin gab es ein Videokabinett in dem zu didaktischen Zwecken sehr früh Aufzeichnungen von kompletten Unterrichtsstunden angefertigt wurden. Darunter ist eine komplette Stunde zum Thema „Sicherung der Staatsgrenze“ im August 61. In einem Forschungsprojekt habe ich dies Video auf ein gängiges Format überspielt, die Hintergründe und Kontexte, den „Sitz im Leben“ dieser Aufnahme rekonstruiert. Es handelt sich um ein einmaliges Dokument aufgezeichneten Unterrichts. Freilich ist auch dieser aufgezeichnete Unterricht nicht frei von Inszenierungen, aber das ist Unterricht nie. Insofern erlaubt das Dokument tiefe Einblicke in die inszenierte Unterrichtswirklichkeit an einem eigentlich unmöglichen Thema.

Auf dem Kongreß möchte ich die Hintergründe, Entstehungskontexte, den „Sitz im Leben“ und den „Sitz im Lehrplan“ dieses Dokuments knapp erläutern und sodann das Dokument selbst vorführen. Ich bin überzeugt, daß es eine interessierte und interessante Fachdiskussion auslösen wird.