Erschienen
in: Bildung und Erziehung,
link
zur zitierfähigen Druckversion
Henning Schluß/Stefanie Lachmann
Raum als pädagogische Dimension?
– Untersuchungen am Joachimsthalschen Gymnasium
Summary: In the current literature about the relationship of pedagogy
and space (The German article uses the word „Raum“ which means “space” as well
as “room”.), it is often speculated about the effects of the spatial dimension.
It is
oftentimes not difficult to reconstruct the intention of the building and the
effect assumed by the designer. But it
is more problematic to say something about the actual effects of the
pedagogical space, which is constructed with a specific educational intention.
In the worst case, the difference between assumed and actual effects is
ignored, so that the first is taken for the second.
This essay deals with the question which possibilities are thinkable to
determine long-term pedagogical effects of the dimension of space and also
examines the boundaries of these possibilities with having a look at the
Joachimsthalsche Gymnasium in Templin.
In der aktuellen Literatur zum Verhältnis von Pädagogik und Raum werden häufig Vermutungen über die Wirkungen der räumlichen Dimension angestellt. Problematisch daran ist, dass sich zwar die Absichten der Gestaltung und die vermuteten Wirkungen seitens der Gestalter des Raumes häufig recht gut rekonstruieren lassen, dass aber über die tatsächlichen Wirkungen des mit pädagogischen Absichten gestalteten Raumes nur weniges gesagt werden kann. Im schlimmsten Falle wird diese Differenz zwischen vermuteten und tatsächlichen Wirkungen so ignoriert, dass die ersteren für die letzteren genommen werden. Dieser Aufsatz widmet sich der Frage, welche Möglichkeiten denkbar wären, langfristige pädagogischen Wirkungen des Raumes zu ermitteln und untersucht diese Möglichkeiten auch auf ihre Grenzen.
Während die durch
Lehr-Lern-Prozesse vermittelten Bildungserfahrungen zumindest durch autobiographische
Reflexionen zugänglich werden, ist dies für die Wirkungen des pädagogischen
Raumes komplizierter. Zwar fehlt es in Autobiographien und Selbstdokumenten
nicht an Beschreibungen des pädagogischen Raumes – aber diese werden kaum
isoliert von den sonstigen Kontexten wahrgenommen (vgl. Klika
Die wilhelminischen Schulbauten z. B.,
werden häufig mit dem Geist preußischer Bildung identifiziert. Die
Hoffmannschen Schulbauten in Berlin erinnern an eine seltsame Mischung aus
Schlössern und Kasernen (vgl. Kemnitz
Dabei rückt der Raum als eine Dimension des Pädagogischen jüngst verstärkt in die erziehungswissenschaftliche Aufmerksamkeit.[2] Meist werden Räume, Orte, Gebäude, Parks, Einrichtungen vorgestellt, die mit einem zumindest auch pädagogischen Anspruch errichtet wurden. In der aktuellen Literatur zum Verhältnis von Raum und Pädagogik wird diese Differenz von Absicht und Wirkung des Raumes in der und auf die Pädagogik häufig gesehen und problematisiert.[3] Nur ausnahmsweise werden Versuche unternommen, Kriterien für die Ermittlung und Messung der Wirkungen von pädagogischen Räumen zu entwickeln.[4] Allerdings geht es bei diesem Versuch einer Kriterienermittlung meist um aktuelle Wirkungen von Räumen.
Die Untersuchung von Wirkungen des Raumes in pädagogischen Kontexten stützt sich zumeist auf die Analyse der Gestaltung des Raumes in pädagogischer Absicht. Diese Analyse von pädagogischen Räumen zeigt jedoch, dass sich die Gestaltungskomponente von der Komponente der Interaktion in pädagogischer Absicht kaum trennen lässt. Die Absichten der Konstruktion des Raumes sprechen stark in die untersuchten Wirkungsannahmen hinein. Eine Möglichkeit der Isolierung der räumlichen Dimension der Pädagogik scheint es, einen Fall aufzusuchen, bei dem die pädagogische Absicht der Raumgestaltung und die Absicht der pädagogischen Interaktion nicht übereinstimmen. Dies mutet zunächst unwahrscheinlich an, denn es ist doch anzunehmen, dass pädagogische Räume korrespondierend und unterstützend zu der sie motivierenden pädagogischen Idee gestaltet werden. Zu Hilfe kommt bei der Suche nach einem solchen Fall eine weitere Dimension, die in pädagogischen Zusammenhängen eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielt, die Zeit. In pädagogischer Absicht gestaltete Räume haben zunächst, wie andere Räume auch, die Eigenschaft relativer Dauer an sich. Zwar unterliegen auch sie dem zweiten thermodynamischen Hauptsatz, nach dem die Entropie grundsätzlich zunimmt, also auch der sorgsamst gestaltete pädagogische Raum irgendwann zerfällt, jedoch ist diese Zeitspanne mitunter größer, als die, die dem sie fundierenden pädagogischen System beschieden war. In einem solchen Falle fragt sich, was mit einem Raum zu tun ist, der einst aufwendig gestaltet wurde, und der nun nicht mehr den Ideen des neuen Systems entspricht? In Einzelfällen mag zur Abrissbirne gegriffen werden. Mehr noch als für explizit pädagogische Räume gilt dies für Gebäude, deren Gestaltung die Macht der jeweils Mächtigen symbolisieren soll. Allein aus ökonomischen Gründen lässt es sich kaum vermeiden, auch Räume zu nutzen, die unter anderem pädagogischen Vorzeichen errichtet wurden, und die insofern einen anderen pädagogischen Geist atmen sollten.[5] Wenn diese Räume weiterhin als pädagogische Räume genutzt werden, dann müssen die Zielrichtung der pädagogischen Interaktion und die Zielrichtung der Gestaltung des pädagogischen Raums miteinander im Widerstreit liegen. Die Annahme leuchtet ein, dass sich in so einem Fall die pädagogische Wirkung des Raumes am besten isoliert betrachten ließe, weil sie nicht (mehr) die Intention der pädagogischen Interaktion unterstützt.
Solche Fälle sind zahlreich. Die meisten Schulgebäude, die in der DDR genutzt wurden, hatten eine Geschichte, die lange vor der DDR begann. Wir möchten die pädagogische Wirkung des Raumes an einem besonders exponierten Fall untersuchen, dem Gebäude des Joachimsthalschen Gymnasiums in Templin. Nach einer Darstellung der Geschichte des Gebäudes werden in einem weiteren Abschnitt ehemalige Schüler und LehrerInnen zu Worte kommen, die über ihre Erfahrungen mit diesem pädagogischen Raum berichten. Abschließend soll dann noch einmal gefragt werden, ob und inwiefern sich die pädagogische Dimension des Raumes von der pädagogischen Interaktion isolieren lässt.
Kurfürst Joachim Friedrich stiftete 1607 eine Fürstenschule mit Alumnat in der Stadt Joachimsthal in der Uckermark. Der Kurfürst wollte mit seiner Stiftung dem geringen Bildungsgrad in Brandenburg entgegentreten, und der 1539 gegründeten Universität Frankfurt/Oder Studenten zuführen. Die Stiftung hatte die Aufgabe, „brauchbare evangelische Kirchen- und Staatsdiener“ (Kegel/Tobler 1929, S. 3) heranzubilden. Die Schüler setzten sich aus Söhnen bedürftiger adliger Familien, unvermögender Hofbeamter und Pastoren, sowie aus Jungen aus dem städtischen Bürgertum zusammen (vgl. Joost 1982, S. 6), die kostenfrei unterhalten und unterrichtet werden sollten. Zur Beschaffung der Geldmittel wurden der Anstalt reiche ländliche Besitzungen und zahlreiche sonst an den Landesherren gezahlte Abgaben zugewiesen. Allerdings gingen die Einkünfte daraus nur zögernd ein, so dass eine kostenlose Unterbringung der Schüler selten möglich war.
Nach einer sehr wechselvollen
Geschichte, Plünderungen im dreißigjährigen
Krieg und Umzügen nach Berlin und innerhalb Berlins erfolgte
Abb.1: Gelände des Joachimsthalschen Gymnasiums in Templin
Zentral gelegen sind die sechs Alumnatsgebäude, die sich bis heute unverändert um einen grünen Hof gruppieren. In dessen Mitte stand das bronzene Standbild des Gründers der Stiftung. Die Häuser des Alumnats bestehen aus drei Doppelwohnhäusern im bürgerlichen Landhausstil (Abb. 2),.
Abb.2: Alumnatshof mit Rundbogen
An den Schmalseiten sind Wohnungen für die Lehrer bzw. Stiftsinspektoren angegliedert.
Der
imposanteste Raum im Schulgebäude selbst war die Aula, mit einer Empore und
einer großen Bühne, die von einem Bildnis „Paulus auf dem Areopag“ gekrönt
wurde (Abb. 6). Die Klassenräume schlossen sich in einem dreigeschossigen
Flügel an, an dessen anderen Ende sich die vierstöckige Schulbibliothek (Abb. 3)
und danach die Turnhalle (Abb. 4) befindet. Das ganze Ensemble wurde überragt
von einem Turm, der den preußischen Adler trug.
Abb. 3: Amalienbibliothek Abb. 4: Turnhalle
Das Gymnasium hatte im Vergleich zu Berlin
eine andere Gestalt bekommen, in der sich die Kritik am Wilmersdorfer Gymnasium
als Massenalumnat und der dort herrschenden militärischen Disziplin niederschlug.
Nebe schuf das Templiner „Familienalumnat“ nach englischem Vorbild in dem
Lehrer und Schüler zusammen lebten und arbeiteten. Das Gesamtalumnat war in
sechs Einzelhäuser zu je
Die Niederlage im Ersten
Weltkrieg, in den ältere Schüler wie auch eine Anzahl Lehrer, als Freiwillige
zogen – wobei
Als im Mai
1947 hatte die Schule 856 SchülerInnen. Die Familienalumnate mit Alumnatsinspektoren, Adjunkten, Hausdamen lebten wieder auf, die christlich-humanistische Wertorientierung jedoch wurde unterbunden. Der Kampf zwischen FDJ und Junger Gemeinde wirkte sich auch in der Landesschule aus. 1949 dann wurden die Hausdamen, Verwalter und Stiftsobermeister entlassen. Seitdem war der Unterricht primär naturwissenschaftlich ausgerichtet. Die Zahl der Kinder aus bürgerlichen Familien wurde reduziert. Schon 1950 kamen 75% der neu aufgenommenen SchülerInnen aus Arbeiter- und Bauernfamilien. In einer Nacht wurde das bronzene Standbild von Kürfürst Joachim Friedrich zerstört. Die Schule existierte bis 1955 und wurde dann nach Lychen verlegt. Der Leiter der Schule stellte den Antrag, die Stiftung aufzulösen, weil nach §1 der Satzung von 1947 der Auftrag den „Söhnen minderbemittelter Eltern die Erziehung und Ausbildung auf der Anstalt“ zu ermöglichen, hinfällig geworden sei. Im gleichen Jahr wurde das Institut für Lehrerbildung (LehrerInnen für die Klassen 1.- 4.) gegründet.[8] 1988 wurde das IfL nach Neubrandenburg verlegt. Im gleichen Jahr zog die Pädagogische Schule für Kindergärtnerinnen „Käthe Niederkirchner“, die vormals in Seewalde angesiedelt war, in das Gebäude ein.
Nach der Wiedervereinigung wurde die Schule in eine sozialpädagogische
Fachschule umgewandelt, bis sie
Frau Siegmund hat direkt nach ihrem Pädagogikstudium in Potsdam am Institut für Lehrerbildung in Templin als Dozentin gearbeitet. Noch heute wohnt sie auf dem Gelände in einem der Lehrerhäuser. Wenn man sie fragt, wie es damals war, in dieser räumlichen Umgebung zu lehren, sagt sie, das war für sie das IfL. Man hätte sich keine großen Gedanken um die Herkunft und die Geschichte der Anlage gemacht. Das sei auch bei ihren Studenten so gewesen.
Für den heutigen Besucher ist das schwer vorstellbar. In der Kleinstadt Templin ist das Joachimsthalsche Gymnasium einer der größten Gebäudekomplexe. Das müsste doch auch den StudentInnen aufgefallen sein? Ist es nicht offensichtlich, dass dies Gebäude nicht als IfL in den fünfziger Jahren gebaut worden ist? Aber nicht nur die großartige Anlage hätte die Studierenden fragen lassen können, was sich vormals in diesen Häusern zugetragen hat, sondern auch die vielen kleinen Details, die noch heute die Gebäude schmücken. Unter beinahe jedem Fenster befindet sich ein Flachrelief mit der Darstellung von Klassikern von Platon bis Herder (Abb. 5).
Abb. 5: Herder-Relief
Der gesamte Gebäudekomplex ist in seiner Außenansicht fast unverändert geblieben. Im inneren der Schule wurde das zentrale Gemälde in der Aula, das Paulus auf dem Areopag darstellt, übertüncht (Abb. 6). Wie konnte es also sein, dass den Studentinnen die Geschichte des Ortes so gänzlich verschlossen blieb?
Abb. 6: Wandbild: „Paulus auf dem Areopag“
Die deutlichsten Veränderungen gab es im
Inneren der Wohngebäude. Während in dem vormaligen prächtigen Direktorenhaus nun
vier Lehrerfamilien unterkamen, zog der Direktor in ein Lehrerhaus auf der
gegenüberliegenden Straßenseite. Die Wohnungsnot nach dem Krieg korrespondierte
hier mit der Ideologie der neuen Staatsführung, das Großbürgertum zu
beschneiden, und stattdessen vielen angemessenen Wohnraum zur Verfügung zu
stellen. Der Verschlechterung der Wohnsituation der Lehrer entsprach eine
Veränderung der Wohnsituation der Schüler. Die Trennwände, die in Joachimsthalschen
Zeiten nur zweidrittelhoch gemauert waren, damit die Adjunkten und Hausdamen den
Geräuschpegel überprüfen konnten, wurden geschlossen. Es lässt sich so für das
System, das offiziell auf die Kollektivierung der Individuen setzte, an der räumlichen
Umgestaltung der Alumnate ein Zugewinn an Individualisierung und Privatsphäre
ablesen. Andererseits wurde das Templiner Gebäude im Gegensatz zum
Wilmersdorfer schon als eines empfunden, das weniger militärisch gestaltet war.
Möglicherweise zeigt sich an diesen räumlichen Umgestaltungen die Relativität
des Empfindens räumlicher Gestaltung. Was
Das Institut für Lehrerbildung schuf sich
seine eigene Geschichte und Tradition. Schon zum fünfjährigen Bestehen gab es
eine Festschrift. ‚Wir hatten selbst etwas, auf das wir stolz sein konnten’
merkt man Frau Siegmund noch heute an. Es ist ihr nicht recht, wenn die
Geschichte des Joachimsthalschen Gymnasiums auf die Zeit vor `
Frau Siegmund weiß inzwischen viel über die Geschichte des Joachimsthalschen Gymnasiums. Seit dem das Gebäude leer steht, ist sie eine der wenigen, die noch auf dem Gelände ausharren. Nun will auch sie wegziehen. Sie sagt, das fällt ihr nicht schwer, denn wenn sie wegzieht, zieht wieder neues Leben in die Mauern ein – so hofft sie.
Anders Herr Schmedemann. Er war
Schüler an der Landesschule nach
Herr Dr. Gerhardt war auch Lehrer
am IfL. Er hat dort Naturwissenschaften unterrichtet. Vor der allgemeinen
Einführung der zehnklassigen Polytechnischen Oberschule hatten die Studentinnen
oft nur die achte Klasse absolviert und mussten so in Templin den naturwissenschaftlichen
Unterricht der oberen Jahrgänge nachholen. Dr. Gerhardts Steckenpferd ist die
Botanik. Erst nach der Wende hat er darin seine Aufgabe gefunden. Zu dieser
Zeit arbeitete er an einem Templiner Gymnasium als Biologielehrer. Er
entdeckte, dass es früher neben der Turnhalle einen botanischen Garten gab. Er
erinnerte sich noch daran, dass dieses ca.
Eine frühere Perspektive auf das
Joachimsthalsche Gymnasium haben der Tierarzt Dr. Seidler und seine Frau. Dr.
Seidler hat bereits
Die meisten „Alten
Joachimsthaler“ wohnen freilich nicht am Ort. Zu ihren jährlichen Treffen kommen
sie von überall her, meist aus den Ländern der alten Bundesrepublik. Klangvolle
Namen versammeln sich zu solchen Treffen. Obwohl die Herrschaften inzwischen zu
den betagteren Jahrgängen gehören, geht von diesen Treffen, von ihrem Verein,
noch immer beachtliches Leben aus. Zum Jahrestreffen gastiert nicht nur das
Preußische Kammerorchester aus Prenzlau, sondern es werden auch renommierte
Pädagogen eingeladen, die darüber berichten, wie Elitebildung heute aussehen
könnte. Prof. Dr. med. Klaus Norpoth, der Vorsitzende des Vereins, leitet die
Versammlung eloquent und zielstrebig.[11] Der
Verein der alten Joachimsthaler stellt das einzig verbliebene Konzept zu einer
Neunutzung des Gebäudes. Die Hochglanzbroschüre liegt vor (Vereinigung Alter Joachimsthaler
e.V.). Die
Der Durchgang durch die Geschichte und die
Geschichten des Joachimsthalschen Gymnasiums zeigt, dass es nicht gelungen ist,
den Raum als eine unabhängige Variable im pädagogischen Prozess zu isolieren.
Der Raum bleibt abhängig von seinem jeweiligen Kontext. Selbst in dem Fall, da
der gestaltete und umbaute Raum eine so eindeutige Sprache zu sprechen scheint,
wie es an diesem Ort ehemaliger preußischer Elitebildung der Fall war, lassen
sich Wirkungen des Raumes in einem anderen politischen System nicht
fortschreiben. Allerdings zeigen die Interviews, dass dieser besondere Raum
keinem der Interviewten gleichgültig war. Noch heute fordert der Raum zum Engagement
heraus. Die alten Joachimsthaler haben nicht in den alten Bundesländern ein
neues Joachimsthalsches Gymnasium gegründet.[13] Nach
der Wende jedoch erwachte das Engagement der alten Herren zur Wiederbelebung
des „Genius Loci“. Es zeigte sich, dass der Raum pädagogische Bemühungen
unterstützt. Er tut das auch dann, wenn diese pädagogischen Bemühungen höchst
unterschiedlich waren. Die IfL-StudentInnen berichten von einer heiteren
Studienzeit, wie es die ehemaligen Joachimsthaler tun, und die ehemaligen LehrerInnen
sind bis heute diesem Raum verbunden. Es ist zu vermuten, dass eine solche
intensive Bindung zu einem pädagogischen Raum sich nicht in einer x-beliebigen
Neubau-Plattenschule ergeben hätte.
Aufschlussreich ist die seismographische Genauigkeit der Registrierung von Entwicklungen, die sich in räumlichen Veränderungen niederschlagen, wie es das Beispiel der hoch gemauerten Trennwände im Alumnat zeigte. Hier wurde sichtbar, dass der offiziellen Ideologie der Kollektivierung der Trend zur Individualisierung moderner Gesellschaften auch in der DDR entgegenstand, der gleichwohl durch die offizielle Doktrin, wie auch durch den synchronen Vergleich zur bundesrepublikanischen Gesellschaft unsichtbar blieb. Erst durch den diachronen Vergleich, der sich an Umbaumaßnahmen gut anstellen lässt, werden solche Trends aufspürbar. Dennoch ist es auch im Falle dieser räumlichen Umgestaltungsmaßnahme so, dass sie Wirkung einer Veränderung ist. Inwiefern diese Umgestaltung des Raumes selbst Anlass anderer pädagogischer Wirkungen war, lässt sich mit unserer Methodik nicht sicher rekonstruieren. So bleibt es als Resümee dieser Untersuchung zum Raum als pädagogischer Dimension vorläufig nur bei der trivial scheinenden Vermutung, dass pädagogische Wirkungen des Raums vorhanden sind, dass sie sich jedoch nur schwer von pädagogischen und anderen Interaktionen isolieren lassen. Eine unabhängige „Eigenlogik“ des pädagogischen Raumes, die über Extremfälle hinausgeht, wird sich nur schwer konstruieren lassen. Wenn diese trivial scheinende Einsicht jedoch zutrifft, so ist es um so wichtiger, empirische Verfahren zu entwickeln, die die Unablösbarkeit der pädagogischen Wirkungen von Räumen von erfahrenen Interaktionen in ihre Untersuchungsmethoden integrieren. Der bislang häufig beschrittene Weg, die nicht sicher zu erforschenden tatsächlichen Wirkungen der Gestaltung des pädagogischen Raumes durch die vermuteten Wirkungen ihrer Gestalter mehr oder weniger umstandslos zu substituieren, konnte an dem von uns untersuchten Beispiel als unzulässig erwiesen werden. Die Gleichsetzung von pädagogischen Absichten der Gestaltung des Raums mit den Wirkungen des Raums – ist wie auch sonst in pädagogischen Zusammenhängen – eine unzutreffende Verkürzung. Die Absichten der Erbauer des Templiner Gebäudes zur preußischen Elitebildung waren sicher nicht mit denen der späteren Nutzer im IfL identisch. Dennoch konnte dies Gebäude anscheinend problemlos, mit nur relativ geringen räumlichen Umgestaltungen, vom Institut „Dr. Theodor Neubauer“ genutzt werden. Im Bewusstsein der ehemaligen SchülerInnen und StudentInnen bleibt die Spezifik des pädagogischen Verhältnisses jedoch mit dem speziellen Raum verbunden. Für die Alten Joachimsthaler ist Templin der Ort, wo auch die neue Schule eröffnet werden soll. Ein anderer Ort kam für dies Vorhaben nicht in Frage. Die ehemaligen LehrerInnen und StudentInnen des IfL fühlen sich auch noch heute mit diesem Ort verbunden, auch wenn er für sie eine andere pädagogische Geschichte symbolisiert.
Anmerkungen
Apel, Hans Jürgen: „Steinerne Imperative“ der Erziehung – Das „Haus der Deutschen Erziehung“ in Bayreuth (NS) und das „Haus des Lehrers“ in Berlin (DDR). In: Jelich, Franz-Josef/Kemnitz, Heidemarie (Hrsg.): Die pädagogische Gestaltung des Raums – Geschichte und Modernität. Bad Heilbrunn 2003, S. 479-498.
Bächer, Max: Nichts als Raum. Annäherungen an den Raum. In: Jelich/Kemnitz (a.a.O.): S. 15-30.
Deringer, Arved:
Das Joachimsthalsche Gymnasium. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, oder was es
einmal war, was es heute ist, was es in Zukunft wieder werden könnte.
Denkschrift der Vereinigung Alter Joachimsthaler. Stuttgart
Dörpinghaus,
Andreas/Helmer, Karl (Hrsg.): Topik und Argumentation. Würzburg: Königshausen
& Neumann
Ecarius,
Jutta/Löw, Martina (Hrsg.): Raumbildung – Bildungsräume. Über die Verräumlichung
sozialer Prozesse. Opladen
Feustel, Jan: Wilhelminisches Lächeln. Bauten von Hoffmann und Messel im Bezirk Friedrichshain. Berlin 1994.
Göhlich, Michael: Die pädagogische Umgebung – Eine Geschichte des Schulraums seit dem Mittelalter. Weinheim 1993.
IfL (Hrsg.): Festschrift zum fünfjährigen Bestehen des Instituts für Lehrerbildung Templin. Templin 1960.
IfL (Hrsg.): Festschrift zum zehnjährigen Bestehen des Instituts für Lehrerbildung Templin. Templin 1965.
IfL (Hrsg.): Beiträge zur sozialistischen Lehrerbildung. Templin 1975.
Jelich, Franz-Josef/Kemnitz, Heidemarie: Die pädagogische Gestaltung des Raums – Zur Einleitung in diesen Band. In: Dies. (a.a.O.): S. 9-14.
Jochinke, Ute: Paläste für die sozialistische Erziehung – DDR-Schulbauten der frühen 50er Jahre. In: Jelich/Kemnitz (a.a.O.):, S. 287-301.
Jochinke, Ute: Der Schulbau in der DDR. 1949-1989. Studien zum Verhältnis von Architektur und Pädagogik. (Dissertationsvorhaben an der TU-Berlin 2004.)
Joost, Siegfried: Das Joachimsthalsche Gymnasium. Wittich 1982.
Kegel, M. und Tobler, R.: Alma mater Joachimica. Templin 1929.
Kemnitz, Heidemarie: „Neuzeitlicher Schulaufbau“ für eine „moderne Pädagogik“ – Das Beispiel der Berliner Dammwegschule. In: Jelich/Kemnitz (a.a.O.): S. 249-268.
Kieckbusch, (o.V. – Direktor des IfL): Einige Daten aus der Geschichte des Instituts. In: IfL 1960 (a.a.O.).
Klika, Dorle: Erlaubte und verbotene Räume. Der erinnerte Raum in Autobiographien. In: Jelich/Kemnitz (a.a.O.): S. 207-220.
Pollack, Detlef: Das Ende einer Organisationsgesellschaft. Systemtheoretische Überlegungen zum gesellschaftlichen Umbruch in der DDR. In: Zeitschrift für Soziologie, 19 (1990) 4, S. 292-307.
Rittelmeyer, Christian: Schulbauten positiv gestalten. Wie Schüler Farben und Formen erleben. Wiesbaden und Berlin 1994.
Rittelmeyer, Christian (2004): Zur Rhetorik von Schulbauten. Über die schülergerechte Gestaltung des architektonischen Ausdrucks. In: Die Deutsche Schule, Heft 2, S. 201-208.
Schultze, Otto: Das Joachimsthalsche Gymnasium. Prenzlau 1912.
Vereinigung Alter Joachimsthaler e.V. (Hrsg.): Joachimsthalsches Gymnasium Templin. (O. J. und Ort.)
Wetzel, Erich: Die Geschichte des königlichen Joachimsthalschen Gymnasiums 1607 bis 1907. 2 Bd. Halle 1907.
Wigger, Lothar/Meder, Norbert (Hrsg.): Raum und Räumlichkeit in der Pädagogik. Festschrift für Harm Paschen. Bielefeld 2002.
- Abb. 1 und 2: Vereinigung Alter Joachimsthaler e.V.: Joachimsthalsches Gymnasium. (O. J. und Ort).
- Alle übrigen: Henning Schluß.
Kurzbiographien
Henning Schluß,
Jahrgang
Stefanie Lachmann, Jahrgang 1969, ist Magister der Literaturwissenschaften sowie Bau- und Kunstgeschichte. Sie schloss ihr einjähriges Auslandsstudium an der Angelo State University/USA mit dem Bachelor of Arts ab. Derzeit studiert sie Erwachsenenbildung/Weiterbildung an der Humboldt-Universität zu Berlin. Arbeitschwerpunkte ihrer Studienarbeiten sind die kulturellen sowie interkulturellen Dimensionen der Pädagogik. Sie ist Mitarbeiterin des Projekt KUSTOS an der Humboldt-Universität, das sich mit dem Thema der Interkulturalität innerhalb der Universität auseinandersetzt und Hilfestellungen für internationale Studierende anbietet. Zudem ist sie im Bereich der kulturellen Erwachsenenbildung tätig. Anschrift: Wiener Str. 46, 10999 Berlin. E-mail: S_lachmann@hotmail.com.
[1] Beides hängt miteinander
zusammen und soll deshalb hier nicht streng geschieden werden, obgleich beides
in analytischer Hinsicht keineswegs identisch ist (vgl. Ecarius/Löw
[2] So die Tagung der Sektion
Historische Bildungsforschung der DGfE im September
[3] Der größte Teil der
Einleitung in den von Jelich/Kemnitz
[4] Vgl. Rittelmeyer
[5] In seltenen Fällen gibt es
jedoch auch Gebäude mit einer Doppelbedeutung. Sie sind sowohl pädagogische
Gebäude, als auch Gebäude, die die Macht einer herrschenden Ideologie symbolisieren
sollen. Dies ist z.B. beim Ostberliner „Haus des Lehrers“ der Fall, das direkt
am Alexanderplatz steht und nun komplett saniert und umgebaut wird. Ähnlich
bedeutsam für das NS-Regime war das „Haus der Deutschen Erziehung“ in Bayreuth,
das zum Kriegsende jedoch teilweise zerstört wurde. Ein Vergleich beider Architekturen
liegt vor in: Apel
[6] Vgl. zur Zeit bis 1945: Wetzel 1907, Joost 1982, Schultze 1912, Deringer 1995, Kegel/Tobler 1929.
[7] Die Schulbibliothek des
Joachimsthalschen Gymnasiums war zu der Zeit die größte Deutschlands.
[8] Im zehnten Jahr seines Bestehens erhielt es den Namen: „Dr. Theodor Neubauer“ (vgl. IfL 1975, S. 2).
[9] Ähnlich beschreibt es Ute Jochinke, wenn sie ihren Artikel
über die Schulbauten in der DDR der frühen
[10] Prof. Lehmann übrigens liegt tatsächlich unweit von hier, auf dem weitläufigen Gelände des Gymnasiums an einer Wegkreuzung von zwei Waldwegen, begraben.
[11] Prof. Norpoth hat uns nicht nur viel Material zur Verfügung gestellt, sondern uns auch die Türen zum besonderen Archiv des Joachimsthalschen Gymnasiums im Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz geöffnet. Ihm sei an dieser Stelle noch einmal herzlich gedankt.
[12] Für diese
„Erinnerungsräume“ gibt es eine eigene Zeitschrift: Alma Mater Joachimica.
Zeitschrift der Vereinigung Alter Joachimsthaler e.V.. Seit dem
[13] Wie z. B. eine andere Elitebildungsstätte in Berlin, das „Graue Kloster“ das nach der Teilung der Stadt im Westteil neu eröffnet wurde.