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Das Recht des moralisch-evaluativen Unterrichts

Zur pädagogischen Bedeutung der juristischen Auseinandersetzung um den Religionsunterricht, LER und Ethik

 

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Kopftuch & Kruzifix – zwei Fälle

Kopftuchurteil, Kruzifixurteil, LER-Vergleichsvorschlag – diese Schlagworte genügen, um die Bedeutung juristischer Entscheidungen für die Pädagogik schlaglichtartig aufblitzen zu lassen. Wenn in letzter Zeit zunehmend ein Trend festgestellt wird, politische, pädagogische oder auch religiöse Entscheidungen durch juristische Institutionen treffen oder zumindest korrigieren zu lassen (Schieder 2001), so gilt dies wohl in gleicher Weise für den Bereich der Pädagogik. Fereshda Ludin ist mit ihrem Beharren darauf, in Anwesenheit von Männern ein Kopftuch zu tragen, zum jüngsten Anlass einer juristischen Auseinandersetzung um auch pädagogische Sachverhalte geworden. An diesem Streit, den das Verfassungsgericht nicht entschied, sondern an den Gesetzgeber zurückgab, ist vorderhand besonders die Argumentation der konservativen Landesregierung Baden-Württembergs bemerkenswert und wohl für die Zukunft der Bildungslandschaft in der Bundesrepublik von noch kaum absehbarer Bedeutung. Die Argumentationslinie von Kultusministerin Anette Schavan ist von einer streng laizistischen Position der generellen Trennung von Religion und Staat kaum zu unterscheiden. Während dies für Länder wie Frankreich eine Selbstverständlichkeit ist, bedeutet es in einem Land, das sich auf seine negative und positive Religionsfreiheit viel zugute hält, eine Umkehrung der bisherigen Werte. Hätte die baden-württembergische Argumentation vor Gericht Erfolg gehabt, hätte dies nicht nur Folgen für muslimische Kopftuchträgerinnen, sondern wohl für alle Arten religiöser Symbole an staatlichen Schulen.

Die juristische Argumentation für den Ausschluss aus dem Schuldienst von Frau Fereshda Ludin wurde vom Land funktional gewählt, als diejenige, die die meiste Aussicht auf Erfolg hatte. Die „Kollateralschäden“, wie den Ausschluss jeglicher religiöser Symbolik aus der Bekleidung von Lehrern an staatlichen Schulen, hätte man dabei anscheinend billigend in Kauf genommen.[1] Noch jetzt bleibt fraglich, ob die Bundesländer, die das Kopftuch verbieten möchten, eine juristische Formulierung finden, die nur das muslimische Kopftuch verbietet, andere religiöse Symbole aber akzeptiert und im Sinne der positiven Religionsfreiheit sogar fördert. Vor allem fraglich ist, ob ein solcher Gesetzestext, der Angehörige unterschiedlicher Religionen ungleich behandeln würde, vor den zu erwartenden Klagen Bestand hätte.

Beim Kruzifixurteil ging es um ein religiöses Symbol, das in Klassenräumen der staatlichen Institution Schule befestigt ist. Im Unterschied zum Kopftuchstreit fällte das Gericht eine Entscheidung in der Sache. In ihr wird das Freiheitsrecht des Individuums gegen den Staat hoch gewertet (Benner/Tenorth 1996). Eine Entscheidung, gegen deren Umsetzung sich freilich der bayerische Freistaat nach Kräften sträubte. So unterschiedlich beide Entscheidungen sind, so ist ihnen doch gemein, dass es sich um juristische Entscheidungen auf dem Gebiet der Pädagogik handelt. Die Pädagogik ist mitnichten ein rechtsfreier Raum,[2] aber dennoch fällt auf, dass kaum Bemühungen bekannt geworden sind, die auftretenden Probleme als pädagogische Probleme im pädagogischen Bezugsrahmen zu lösen. Die juristische Ebene wurde als die adäquate Lösungsebene angesehen.

 

Grundsätzliche Probleme im Verhältnis von Recht und Pädagogik[3]

Ein solches Verfahren der Verlagerung pädagogischer Probleme in die juristische Ebene hat mindestens zwei Implikationen. Zum einen müssen (gewissenhafte) Juristen, die sich mit solchen Fragen zu befassen haben, sich über pädagogische Sachverhalte und erziehungswissenschaftliche Erkenntnisse informieren und werden so zumindest zu Semiexperten auf diesem Gebiet. Wichtiger aber: Auch bei größtmöglichem Bemühen um die Kenntnis pädagogischer Sachverhalte wird vom Gericht nach juristischen und nicht nach pädagogischen Kriterien entschieden. Wenn jedoch Rechtsstreite mit starkem pädagogischem Bezug vor Gericht nach juristischen Kriterien entschieden werden, so bedeutet dies für die Rolle der Pädagogik dreierlei.

Zum einen dienen pädagogische Argumente als Hintergrundinformationen für die juristische Entscheidungsfindung, spielen jedoch immer dort keine Rolle mehr, wo sie für die juristische Entscheidungsfindung irrelevant sind. Es kommen also nur diejenigen pädagogischen Argumente überhaupt in Betracht, die in die juristische Argumentation passen. Fragestellungen, die für die Behandlung des strittigen Sachverhalts aus pädagogischer Perspektive interessant sein könnten, kommen juristisch dann nicht in den Blick, wenn es für diese Argumentation keine juristische Bedeutung gibt. Im juristischen Diskurs wird also nur noch der Ausschnitt pädagogischen Denkens sichtbar, der juristisch relevant ist.

Zweitens jedoch wird selbst die juristisch verwendbare pädagogische Fragestellung für den juristischen Diskurs in diesen übersetzt und für ihn aufbereitet. Freilich geht eine solche Übersetzung nie verlustlos ab (Schluß/Sattler 2001). Diese Erfahrung hat vermutlich jeder schon gemacht, der mit der Hoffnung auf Klärung einer Rechtsfrage sich an ein Gericht gewandt hat. Auch das sinnfälligste Argument des gesunden Menschenverstandes hat nur dann eine Chance, vor Gericht Gehör zu finden, wenn es dafür ein Äquivalent in den Basistexten der Juristen, in Gesetzen und Musterurteilen gibt.

Drittens ist der Fall vorstellbar, dass es für eine juristische Entscheidung relevante juristische Argumente gibt, die pädagogisch überhaupt nicht von Belang und Interesse sind, ja die (im schlimmsten Falle) selbst den unterschiedlichen pädagogischen Intentionen der Streitparteien zuwiderlaufen. Für eine juristische Entscheidung werden in diesem Falle juristische Kriterien herangezogen, die nicht nur jenseits des pädagogischen Diskurses liegen, sondern denen auch keinerlei pädagogisches Äquivalent entspricht, das in die juristische Sprache übersetzt werden könnte.  Dies kann dazu führen, den Streit auf pädagogischem Gebiet zwar juristisch einwandfrei zu entscheiden, aber dennoch der Sache nach den pädagogischen Diskurs zu beschädigen oder einzuschränken.

 

Die juristische Debatte um den moralisch-evaluativen Unterricht

Was bisher postuliert worden ist, dass der juristische Diskurs pädagogische Fragestellungen zum einen nur ausschnitthaft und zum anderen nur in transformierter Form wahrnehmen kann, soll im Folgenden am Beispiel der juristischen Debatte um LER und den moralisch-evaluativen Unterricht[4] näher untersucht werden.[5] Das Besondere an der Debatte um LER ist, dass sie ursprünglich durchaus auf anderen Ebenen als der juristischen geführt wurde,[6] sich dann jedoch zunehmend auf das Gebiet des juristischen Diskurses verlagerte. Gleichwohl konnte auch in der juristischen LER-Debatte auf Argumente zurückgegriffen werden, die älter als dieses Fach sind und aus der Diskussion um den Ethik- und Religionsunterricht stammen.

Juristisch umstritten war zum einen die Frage, ob der Art. 141 GG, die so genannte „Bremer Klausel“, für die neuen Bundesländer gilt oder nicht. Die Bremer Klausel besagt, dass Länder, in denen vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes am 1.1.1949 eine andere Regelung galt, zur Einführung eines Religionsunterrichtes nach Art. 7 III 1 GG nicht verpflichtet sind. Dies trifft insbesondere für Bremen zu, da hier ein staatlich verantworteter Religionskundeunterricht - „Biblische Unterweisung“ - bestand. Allerdings ist auch das Land Berlin von dieser Regelung betroffen. Inwieweit die ostdeutschen Länder unter diese Klausel fallen, ist juristisch umstritten. Zwar galten auch hier vor dem 1.1.1949 andere Regelungen zum Religionsunterricht, die Mehrzahl der juristischen Kommentatoren ist jedoch der Meinung, dass „Art. 141 GG den neuen Ländern keine Befugnis einräumt, von Art. 7 III 1 GG abzuweichen“ (Goerlich 1998).[7] Akut war diese Frage ohnehin nur für Brandenburg, da die anderen neuen Länder den konfessionellen Religionsunterricht als (Wahl-) Pflichtfach eingeführt hatten.[8]

Mag diese Frage auch diejenige gewesen sein, die von vielen als die juristisch entscheidende Frage eingestuft wurde, so ist sie doch aus erziehungswissenschaftlicher Sicht kaum ergiebig. Pädagogische Argumente können zu dieser Frage, deren Beantwortung zweifellos weitreichende pädagogische Folgen hat, keinerlei Beitrag leisten. Dies bedeutet, pädagogische Argumente für und gegen einen Unterricht, wie ihn LER repräsentiert, können gar nicht zur Geltung kommen, wenn die Diskussion auf der juristischen Ebene um den Geltungshorizont einer Ausnahmeregelung des Grundgesetzes geführt wird. Diese Situation ist vergleichbar der Argumentation des Landes Baden-Württemberg im Kopftuchstreit: Auch hier wurde der Streit auf eine andere als die eigentlich in Frage stehende Ebene verlagert, weil nur so eine Chance auf juristische Klärung bestand. Die „Kollateralschäden“ sind in beiden Fällen deutlich, und es lohnt die Überlegung ob diese nicht bedeutender sind als der erhoffte Zweck, auf den hin das juristische Verfahren angestrengt wurde. Im Falle Baden-Württembergs betraf dies die Abkehr von der positiven Religionsfreiheit, im Falle der Diskussion um LER, sofern sie sich auf die Geltung der Bremer Klausel verschob, die Abkehr von jeglicher inhaltlichen Abwägung hin zu einer formaljuristischen Frage.

Wäre diese zentrale juristische Frage die einzige juristisch zu diskutierende, so wäre das Ergebnis dieser Untersuchung niederschmetternd. Die juristische Debatte hätte dann an diesem Beispiel die pädagogische schlicht abgelöst. Pädagogische Argumente könnten zur Klärung dieses pädagogischen Problems kaum mehr etwas beitragen, denn die Frage des Geltungshorizontes einer Ausnahmeregelung des Grundgesetzes ist keine Frage, die pädagogischen Argumentierens zugänglich wäre.

Allerdings war diese aus juristischer Sicht vielleicht wichtigste dennoch nicht die einzige Frage, mit der sich die Juristen auseinandersetzen mussten. Eine Frage weniger formalen Charakters war, ob und inwiefern ein vom Staat verantwortetes Unterrichtsfach auf „moralisch-evaluativem“ Gebiet als verbindliches Pflichtfach überhaupt angeboten werden darf. Dies ist deshalb umstritten, weil mit einem monopolistischen Unterrichtsfach das Neutralitätsgebot des Staates verletzt werden könnte.[9] Die Konsequenz aus einem wertevermittelnden Pflichtfach scheint in juristischer Hinsicht ein Paradox zu sein, das seinen beinahe schon klassischen Ausdruck in dem Diktum Wolfgang Böckenfördes findet: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Andererseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots, zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat“ (Böckenförde 1967).[10]

Wenn der Staat Werte nicht vermitteln darf, aber aus dem Interesse des Selbsterhaltes auf sie angewiesen ist, wer darf dann Werte vermitteln? Das deutsche Recht kennt im Unterschied zum amerikanischen, französischen oder türkischen zusätzlich zur „negativen“ die „positive Religionsfreiheit“. Während die negative Religionsfreiheit festlegt, dass niemand zu einer bestimmten Religion oder religiösen Handlungen gezwungenen werden kann, geht es in der positiven Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) darum, dass der Staat die Religion unterstützt und befördert. Die Religionsgemeinschaften werden als intermediäre Institutionen zwischen Staat und Gesellschaft verstanden, die subsidiär für die Gesellschaft Aufgaben wahrnehmen können, die der Staat selbst nicht leisten kann. Dazu gehört eben der konfessionelle Religionsunterricht, der nach dieser Argumentation für die Grundlegung von staatserhaltenden Werten notwendig ist, die der Staat, aufgrund seiner Neutralitätspflicht, jedoch nicht übernehmen darf.

Die Angewiesenheit des Staates auf Werte ist gleichwohl verschiedentlich in Frage gestellt worden. So kommt z.B. in der Systemtheorie Niklas Luhmanns (vgl. Luhmann 2002) das politische System ohne so verstandene Wertgrundlagen aus, weil es sich durch seine bipolare Grundstruktur (Macht – Ohnmacht) selbst auf Dauer stellt. Damit ist jedoch keine bestimmte Staatsform gesichert. Andere Überlegungen gehen davon aus, dass der moderne Staat nichts weiter als das Legalitätsprinzip zu seiner Grundlegung braucht und beanspruchen darf. Dieses ist auch ohne eine Wertvermittlung gültig, da Zuwiderhandlungen gegen die Gesetze des Staates bestraft werden.[11] 

Auch wenn also umstritten ist, ob der moderne Staat der Wertevermittlung zu seinem Selbsterhalt überhaupt bedarf, herrscht darüber auch im Streit um LER weitgehende Einigkeit, dass der Staat selbst in der Wertvermittlung neutral sein muss. Inhaltlich geht die Begründung für dies Neutralitätsgebot auf die Position Max Webers im Werturteilsstreit zurück.[12] Sehr verknappt lautet Webers Argument: Da nicht zu erwarten ist, dass die wissenschaftliche Einsicht in der Annäherung an die Wahrheit die Wertefrage implizit mit entscheidet, sondern vielmehr eine Konkurrenz der Weltanschauungen mit verschiedenen Werten zu beobachten ist und diese Wertdifferenzen mitnichten wissenschaftlich auflösbar sind, muss Wissenschaft in ihrem Verfahren von Werturteilen möglichst freigehalten werden oder, wo sie auftreten, muss auf diese ausdrücklich hingewiesen werden. Aus dieser Aussage über Wissenschaft zog Weber auch institutionstheoretische Konsequenzen. Weil der Ort, an dem in Deutschland Wissenschaft betrieben wurde, die staatliche Universität war, die damit quasi über ein Monopol auf Wissenschaft verfügte, musste diese Institution selbst auch wertneutral sein. Anders schätzte Weber die Situation in Ländern, in denen Universitäten z.B. private Stiftungen sind und so konkurrierend unterschiedlichen Wertkonzepten anhängen, ein. Verallgemeinert hieße dies: Da Wertkonzepte plural sind, müssen sie von freien Trägern in Konkurrenz zueinander dargestellt werden können. Geschieht dies nicht, sondern gibt es ein Quasi-Monopol – wie in der staatlichen Schule – so hat sich der Staat als Schul-Monopolist wertneutral zu verhalten.

Juristisch ist dies kein einfaches Kriterium. Zwar gewährleisten Art 4, I und II GG einerseits „ein grundgesetzliches Gebot staatlicher religiös-weltanschaulicher Neutralität“[13], andererseits kennt das Grundgesetz jedoch nicht nur einen elterlichen Erziehungsauftrag, sondern einen gleichberechtigten Erziehungsauftrag des Staates.[14] Die juristische Schwierigkeit besteht nun darin, einerseits die religiös-weltanschauliche Neutralität zu gewährleisten, andererseits aber diesen Erziehungsauftrag des Staates, der eben nicht nur ein „wertfreier“ Bildungsauftrag ist, sondern bestimmte Erziehungsziele festschreibt, zu balancieren. Die Lösung, die für den Ethikunterricht juristisch akzeptiert ist, sieht vor, einen „glaubens- und bekenntnisneutralen Ethikunterricht“[15] einzuführen, und wird ebenfalls von Art. 4 I, II GG abgeleitet. Ethik wird darin nicht als ein bestimmtes zu erwerbendes Ensemble von feststehenden Werten verstanden, sondern als das Bemühen, begründete Aussagen über richtiges und falsches Verhalten zu machen. Der Ethikunterricht darf sogar zu Werten erziehen wollen, solange diese Werte neutral begründet werden können. So z.B. Stefan Huster: „Mit dem erwähnten Indoktrinationsvorbehalt wird man daher sagen können, dass auch gegen einen dezidiert moralpädagogisch orientierten Ethikunterricht in der staatlichen Schule keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, soweit er inhaltlich dem Neutralitätsprinzip genügt“ (Huster 2001, S. 419).

Nicht die Tatsache eines Ethikunterrichts schlechthin verstößt also gegen die geltende Rechtsauffassung. Dieser ist vielmehr von dem staatlichen Erziehungsauftrag abgedeckt. Ein Verstoß liegt lediglich dann vor, wenn der Ethikunterricht gegen das grundgesetzliche Gebot staatlicher religiös-weltanschaulicher Neutralität verstößt. Wenn aber der Ethikunterricht „einen Wahrheits- und Geltungsanspruch bestimmter ethischer oder weltanschaulicher Richtungen nicht behauptet und insbesondere keinen Absolutheitsanspruch erhebt“[16], liegt kein Verstoß gegen diese Neutralitätspflicht vor.

Was bislang recht stringent erscheint, wird dann komplizierter, wenn der Begriff der Neutralität näher bestimmt werden soll. Der Begriff ist juristisch keineswegs so klar definiert, wie es zuweilen erscheint. In der juristischen Literatur finden sich mindestens zwei unterschiedliche Modelle zur Wahrung dieser Neutralität. So wird Neutralität von Huster als etwas verstanden, das gewährleistet ist, wenn sich die in Frage stehenden Werte gleichsam objektiv, also unabhängig von subjektiven partikularen ethischen Grundlagen begründen lassen (vgl. Huster 2001, S. 417). Wird Neutralität dergestalt näher bestimmt, ist auch nichts gegen die Vermittlung von Werten im Unterricht einzuwenden, solange sie sich neutral begründen lassen. Dies deckt dann der Erziehungsauftrag der staatlichen Schule.

Jedoch ist auch ein anderes Verständnis von Neutralität verbreitet, das mit einer erheblichen Skepsis gegen den Versuch der Wertevermittlung an der staatlichen Schule überhaupt einhergeht. Die Aufgabe der Schule sei diesem Verständnis zufolge lediglich, das Vermitteln der Kenntnisse unterschiedlicher Werte, sie könne diese jedoch nicht verbindlich machen.[17]

Beide Positionen schließen sich nicht schlechthin aus, sondern gehen unterschiedliche Kombinationen ein, wie z.B. bei Heckmann. Nach der von ihm vertretenen Auffassung kann die Neutralität durch die „Vermittlung ethischer Vorstellungen und Grundsätze in ihrer pluralistischen Vielfalt“[18] gewährleistet werden. Verbindlichkeit dürften die Aussagen des Ethikunterrichtes nur dort beanspruchen, wo es „um die nach dem Grundgesetz und seinem Menschenbild für das Zusammenleben essentiellen und unerlässlichen Grundwerte, [...] um den Erhalt der eigenen Geltungsbedingungen gehe“[19]. Diese Aussage Heckmanns ist allerdings ebenfalls keineswegs eindeutig. Einerseits gilt doch anscheinend gerade der juristische Konsens, der in dem Böckenförde-Satz seinen klassischen Ausdruck gefunden hat, dass der Staat die ethischen Grundlagen seiner selbst nicht vermitteln könne, ohne die Grundlagen der seiner Freiheitlichkeit selbst zu unterminieren. Worin unterscheidet sich dies jedoch von dem von Heckmann als dem staatlichen Unterricht erlaubten „Erhalt der eigenen Geltungsbedingungen?“ Andererseits scheint hier ein bestimmter Komplex von Werten der strikten Neutralitätspflicht enthoben zu sein. Es fragt sich, ob Heckmann und mit ihm das zitierte Gerichtsurteil hier so etwas wie die Aussage des ersten thüringischen Lehrplans für Sozialkunde nach der Wende im Auge hatte, dass der „Unterricht im Fach […] die Wertvorstellungen des Grundgesetzes vermitteln (muss)“ (Thüringer Kultusministerium 1991, S. 6, vgl. Schluß 2003b Kap. 3.2.2.3.). Dennoch sind die Unterschiede unübersehbar. Während in Thüringen das erklärte Ziel des Sozialkundeunterrichts war, die Werte des Grundgesetzes zu vermitteln, geht es den Richtern um eine Ausnahme im ansonsten plural aufgebauten Ethik-Unterricht. Pluralität meint demnach für die Richter keineswegs Beliebigkeit. Denn einerseits geht es um die Stärkung von Reflexionsfähigkeit und die Begründung von moralischen Urteilen, anderseits um eine Grenze der Toleranz da, wo basale Werte menschlichen Miteinanders in Frage stehen. Das GG erlaube diesbezüglich eine inhaltliche Festlegung, wenn es diese nicht sogar fordere. Das könne auch einen christlichen Bezug einschließen, insofern das Schulgesetz von einer „Verantwortung vor Gott“ ausgeht und die „christliche Nächstenliebe“ thematisiert und selbst das Grundgesetz in seiner Präambel von Gott spricht. Allerdings kann damit kein konkret religiöser oder gar konfessioneller missionarischer Bezug gerechtfertigt werden, sondern es geht um das Christentum als kulturprägende Kraft, auf das hier Bezug genommen werden darf.

Auch wenn somit juristisch keineswegs Einmütigkeit über das Feld, auf dem LER angeboten wird, herrscht, sind doch die das Feld begrenzenden Bezüge hinreichend deutlich geworden: So bedeutet das staatliche Neutralitätsgebot auf religiös-weltanschaulichem Gebiet kein Thematisierungsverbot. Es gibt einen, von dem elterlichen unabhängigen und gleichberechtigten, Erziehungsauftrag des Staates. Dem Neutralitätsgebot kann er in der einen Lesart durch eine Thematisierung pluraler Wertekonzepte entsprechen, in der anderen darf der Staat selbst bestimmte Prioritäten setzen, insofern es sich um kulturprägende Einflüsse handelt. Er darf sogar das Pluralitätsgebot in den Fällen hinter sich lassen, wo es um die nach dem Grundgesetz und seinem Menschenbild für das Zusammenleben essentiellen und unerlässlichen Grundwerte geht. Dieser Erziehungsauftrag kann aus juristischer Perspektive die Wertvermittlung rechtfertigen, sofern diese sich „neutral“ begründen lassen. Insofern lässt sich juristisch ein für alle verbindliches Pflichtfach im „moralisch-evaluativen Bereich“ vertreten, sofern es dem Neutralitätsgebot verpflichtet ist (vgl. Huster 2001 S. 422).[20] All dies ist keineswegs einfach zusammenzubringen.

Fazit

Es gilt nun zu überprüfen, ob sich das Verhältnis von Recht und Pädagogik in dem untersuchten Fall mit Hilfe der zu Beginn postulierten Beziehungen (und ihren problematischen Implikationen) beschreiben lässt.

Als erste Variante des Verhältnisses war der Fall beschrieben, dass pädagogische Argumente in den juristischen Diskurs nicht zu übersetzen sind und deshalb im Streitfalle außen vor bleiben. Dies lässt sich an der LER-Debatte aufzeigen. Bevor sich der Streit zunehmend auf die juristische Ebene verlagerte, waren Fragen umstritten wie „Welcher Erfahrungsbegriff sollte einem moralisch-evaluativem Unterricht zugrunde liegen?“, „Was bedeutet religiöse Alphabetisierung?“, „Erreicht LER die selbstgesteckten Bildungs- und Erziehungsziele?“ (vgl. Schluß 2003a). Diese Fragen lassen sich in den juristischen Diskurs jedoch nicht übersetzen, da sie dort kein Äquivalent haben. Sie müssen also notwendigerweise bei der juristischen Klärung dieses Streites unbeachtet bleiben. Die Rekonstruktion der juristischen Debatte ließ kaum Ansätze erkennen, in denen diese pädagogischen Fragestellungen aufgenommen worden wären.[21]

Die zweite postulierte Variante, die Übersetzung von pädagogischen Problemen in juristische und umgekehrt, lässt sich in dem gewählten Beispiel an der Diskussion um den Neutralitätskriterium zeigen. Unterrichtliche Bemühungen sollen diesem juristischen Kriterium dann entsprechen, wenn dieser Unterricht vom Staat, womöglich sogar monopolistisch, angeboten wird. Was bedeutet jedoch „neutral“? Wie gezeigt, ist die Füllung des Begriffs auch in der juristischen Debatte umstritten. Ist die Neutralität durch Pluralität zu gewährleisten oder durch völlige Werturteilsfreiheit oder durch Rückgriff auf neutral zu begründende, allgemeinverbindliche Werte, deren das Staatswesen um seines Selbsterhalts willen bedarf? Verschiedene Zielstellungen des unterrichtlichen Konzepts von LER lassen sich in dieses juristische Koordinatensystem von Neutralitätsdefinitionen eintragen. So wurde im Modellversuch LER mit dem Konzept von Integrations- und Differenzierungsphasen, von zwei Lehrern in einer Klasse, einem kirchlichen und einem staatlichen, versucht, diese Neutralität durch Pluralität zu gewährleisten. In diesem Sinne kann auch das Konzept der umstrittenen „authentischen Vertreter“ interpretiert werden. Auch ihr authentisches Zeugnis verhalf dem Konzept von LER zu Pluralität. Mit dem Ausscheiden der evangelischen Kirche aus dem Projekt LER ließ sich diese Pluralität so nicht mehr realisieren.[22] Lediglich die authentischen Vertreter repräsentierten nun noch das plurale Konzept. Zunehmend wurde darum die andere Fassung des juristischen Neutralitätsbegriffs hervorgehoben, die sich darauf stützte, dass LER nicht zu bestimmten Werthaltungen im Sinne einer Ideologie oder Konfession erziehen wolle, sondern das Kennenlernen vieler dieser Werthaltungen ermöglichen wolle. Gleichwohl hatte LER jedoch immer einen besonders herausgehobenen Erziehungsauftrag im Rahmen des schulischen Fächerkanons. Dieser besondere Erziehungsauftrag wurde im Sinne des juristischen Neutralitätsgebotes jedoch als einer interpretiert, der sich neutral begründen lasse und daher legitim sei. Es ist viel darüber gestritten worden, ob LER in seinen verschiedenen Phasen durch diese verschiedenen Interpretationen das Neutralitätsgebot nun verletze oder nicht. Dieser Streit soll hier nicht noch einmal dargestellt oder gar bewertet werden. Am Beispiel der Neutralitätsdiskussion soll lediglich deutlich werden, dass die pädagogische Debatte um die Sinnhaftigkeit von authentischen  Vertretern, von Differenzierungs- und Integrationsphasen von Schülern unterschiedlicher Konfessionszugehörigkeit, aber auch die pädagogische Debatte um die Basis des schulischen Erziehungsauftrages generell zwangsläufig dann verengt werden muss, wenn sie nur noch unter dem Blickwinkel des juristischen Neutralitätsbegriffs geführt wird. Für die juristische Debatte ist dies ein handhabbares Kriterium und es ist, wie gezeigt, anschlussfähig an pädagogische Diskussionen, aber die pädagogische Debatte geht nicht restlos in dem juristischen Diskurs über Neutralität auf. Vielmehr gibt es dort andere Fragen, die zu berücksichtigen und die im juristischen Koordinatensystem nicht einzuordnen sind. Die Frage z.B., welchen Einfluss die Lerngemeinschaft von gemischt konfessionellen Gruppen auf Lernerfolge in unterschiedlichen Kompetenzbereichen hat, ist juristisch nicht verrechenbar und gleichwohl pädagogisch höchst relevant. Das Beispiel zeigt demnach deutlich, wie begrenzt sich pädagogische Fragestellungen in juristische übersetzen lassen. Dies gilt freilich auch für die umgekehrte Transformation. Die juristische Vorgabe eines „neutralen“ Unterrichts bedarf der pädagogischen Interpretation und Auslegung. Der juristische Begriff der Neutralität ist demnach zwar zum Teil, aber eben auch nur zum Teil ein Äquivalent der infrage stehenden pädagogischen Problemstellung.[23]

Der dritte potentielle Fall, bei dem es für einen Streitfall juristisch relevante Argumente gibt, die jedoch pädagogisch keinerlei Relevanz haben, lässt sich in dem dargestellten Beispiel an der Frage der Geltung der Bremer Klausel verdeutlichen. Der Artikel 141 GG war ursprünglich zur Bewahrung der Sondersituation des Religionsunterrichtes in einigen Bundesländern, besonders Bremens, in das Grundgesetz aufgenommen worden. Die dortige traditionelle Regelung eines Religionskundeunterrichtes sollte durch das Inkrafttreten des Grundgesetzes nicht aufgehoben werden müssen, sondern sollte Bestand haben. Diese Sondersituation des RU in Bremen hat eine lange pädagogische Debatte im Hintergrund. Die Frage jedoch, die im Falle des Streits um LER anstand, war nicht mehr die pädagogische Frage, die zur Entstehung der Bremer Klausel geführt hatte, sondern hier wurde prinzipiell juristisch darüber gestritten, ob nun der Wortlaut des Artikels 141 oder der hinter ihm vermutete Geist gelten solle. Dem Wortlaut nach konnte sich Brandenburg auf diese Klausel berufen, denn auch auf dem Gebiet des Landes Brandenburg galt am 1. Januar 1949 eine andere Regelung. Dem Geiste nach jedoch, so waren sich die Kommentatoren weitgehend einig, bezog sich diese Klausel nur auf die zum Geltungsgebiet des Grundgesetzes gehörenden Länder mit frei gewählten Regierungen. Beides galt für Brandenburg nicht. Auch wenn also unstrittig ist, dass die Entscheidung nach diesem juristischen Kriterium erhebliche und vielleicht auf lange Dauer bindende pädagogische Folgen gehabt hätte, ist die juristische Abwägung zur Geltung der Bremer Klausel eine, die sich rein im Rahmen des juristischen Koordinatensystems bewegt und pädagogische Kriterien nicht im Entferntesten berücksichtigen kann. Eine Entscheidung nach Anwendung oder Nichtanwendung der Bremer Klausel hätte dazu führen können, dass Kläger wie Beklagte mit einer Situation konfrontiert worden wären, die für Beide, zumindest auf längere Sicht, nicht sinnvoll erscheint. Das Modell, das die Berlin-Brandenburgische Kirche favorisiert, eine Fächergruppe LER, in der Religion und Ethik gleichberechtigte Unterrichtsfächer sind, wäre beispielsweise durch ein Urteil in Frage gestellt worden, das der Klage der Evangelischen Kirche gefolgt wäre. Diese hätte dann wohl den konfessionellen RU als Regelunterricht einrichten müssen. Diese Forderung stellt jedoch bei der kleinen und weiter sinkenden Zahl von Kindern mit konfessionellen Bindungen in Brandenburg eine utopische Überforderung von Kirchen, Schulen und Land dar, die schon mit der Abdeckung des konfessionellen Religionsunterrichtes auf freiwilliger Basis in Brandenburg (und Berlin) erhebliche Probleme haben, obgleich beide Bundesländer diesen Unterricht stark bezuschussen. Anscheinend ist diese Tragweite aber im Laufe des Prozesses den Klägern aus dem Blick geraten, die mit den Kollateralschäden eines solchen „siegreichen“ Urteils hätten leben müssen. Der Vergleich zur Argumentation der Landesregierung Baden-Württembergs im Kopftuchstreit bietet sich an, die ebenfalls auf eine juristisch scheinbar Erfolg versprechende Argumentation setzte, dabei jedoch die weiter reichenden Folgen ausblendete. Es scheint so, als führe die Konzentration auf Erfolg versprechende juristische Mittel mitunter dazu, die eigenen pädagogischen Ziele zu ignorieren und zu sabotieren. Die Brandenburgische Kirche hätte bei einem Sieg ihrer Argumentation das von ihr favorisierte Modell der Fächergruppe nicht initiieren können, die Baden-Württembergische Regierung hätte sich faktisch von der positiven Religionsfreiheit verabschiedet.

In beiden Fällen scheint es so, als sei es letztendlich das Gericht gewesen, das die streitenden Parteien vor den Konsequenzen ihres eigenen Tuns bewahrt hat, indem es eben kein Urteil fällte, sondern im Falle des Kopftuchstreits diesen an die politische Ebene zurückverwies und im Falle von LER jahrelang überhaupt nicht entschied. Es hoffte anscheinend, dass sich auf anderen Wegen Lösungen finden ließen. Als selbst die Regierungsbeteiligung der CDU im Land Brandenburg, die mit gegen das Fach klagte, nicht zu einer einvernehmlichen Lösung führte, fällte das Gericht die Entscheidung, dass die Streitparteien einen Vergleich schließen sollten. Als die Parteien aus eigener Kraft nicht dazu in der Lage waren, legte das Gericht einen Entwurf vor, der pragmatisch Lösungen für die diskutierten Probleme vorschlug, ohne die „großen“ Fragen zu thematisieren (vgl. Schluß 2002).  Leschinsky/Gruehn bewerteten dies Verfahren des Verfassungsgerichts als ambivalent, weil es keine letztgültige Klärung geschaffen habe (Leschinsky/Gruehn 2002). Die vorliegende Analyse erlaubt jedoch auch eine andere Perspektive.

Zwar wurde auf dem vom Verfassungsgericht gewählten Wege eine endgültige juristische Klärung aller offenen Fragen nicht erzielt, aber gerade in der Verweigerung der Rolle einer juristischen Letztinstanz in Fragen, die bildungspolitisch und bildungs- und erziehungstheoretisch zu erörtern und damit nie letztgültigen Lösungen zuzuführen sind[24], könnte die wegweisende Bedeutung dieses Vergleichsvorschlages liegen.[25] Das Verfassungsgericht hat faktisch damit die bildungspolitische Handlungsfreiheit in Fragen des moralisch-evaluativen Unterrichtes gesichert und nicht mit Hilfe von juristischen Argumentationen auf lange Sicht trotz sich rapide verändernder Rahmenbedingungen konserviert. Etwas pathetisch gesprochen ist es der Versuchung der letztinstanzlichen Regelung von Fragen, die letztinstanzlich gar nicht zu regeln sind, nicht erlegen, sondern hat sie als Probleme virulent gehalten und hat mit dem Vergleich zu einer immerhin von beiden Seiten weithin für zustimmungsfähig gehalten Homöostase geführt. Nur so hat die Pädagogik überhaupt eine Chance, auch künftig an Fragen, die elementar ihr Feld betreffen, diskursiv mit zu beraten. Der Gang zum Verfassungsgericht und die Hoffnung auf eine Entscheidung im eigenen Sinne ist aufgrund der aufgezeigten juristischen Entscheidungsmodi immer (nicht nur im Falle des Kopftuchurteils) mit der Inkaufnahme erheblicher „Kollateralschäden“ verbunden. Das Beharren des Verfassungsgerichts auf klaren gesetzlichen Regelungen (Kopftuchstreit) bedeutet ein Zurückverweisen des Diskurses aus der juristischen in die politische Ebene. Der Vergleichsvorschlag des Gerichts für LER bedeutet auch die Aufforderung, eine Klärung in der tatsächlich fraglichen Sache herbeizuführen und nicht in der Frage des Geltungshorizonts eines nachgeordneten Grundgesetzartikels.

Wie oft darf man aber auf so ein Gericht hoffen, das von der Brisanz seiner Entscheidungen für pädagogische Gebiete anscheinend mehr versteht als manche klagende Partei? Die Versuchung, tatsächlich zu entscheiden, eine Entscheidung zu fällen, aus der es nur schwer ein Zurück gibt, mag für ein anderes Gericht verlockender sein.

 

Literatur

 

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[1] DIE ZEIT vom 9.10.03 hat dies ausführlich zum Thema gemacht und z.B. die Folgen der juristischen Argumentation des Landes für die Klosterschule Lichtental deutlich gemacht (Driescher 2003).

[2] Es kann also nicht darum gehen, die Justiz für „Einmischungen in die inneren Angelegenheiten“ der Pädagogik zu geißeln. Es ist gerade das Wesen des demokratischen Rechtsstaates, Konflikte, die in allen gesellschaftlichen Bereichen angesiedelt sind, auch mit Hilfe der Justiz einer Klärung zuführen zu können.

[3] Zu berücksichtigen ist in diesem Problemkomplex die Frage, was die Pädagogik soll, was sie überhaupt kann und ob sie so überhaupt auch kann, was sie soll? Diese Problematik, die schon Schleiermacher unter der Frage der inneren und äußeren Grenzen der Pädagogik bewegte (Schleiermacher 1826), soll hier jedoch nicht erörtert werden, obgleich sie angesichts der hehren Bildungs- und Erziehungsziele in vielen Lehrplänen, Schulgesetzen und ähnlichem dringend zu behandeln ist (vgl. für die SBZ/DDR Gruner/Kluchert 2001, für die Lehrplanentwicklung in den Neuen Ländern Schluß 2003).

[4] Die Begriffsprägung des moralisch-evaluativen Unterrichts stammt von Achim Leschinsky. Diese Bezeichnung greift über das Fach LER hinaus und bezieht sich auf den traditionellen konfessionellen Religionsunterricht (RU) wie auf seine Ersatzfächer. (Vgl. Leschinsky/Schnabel 1996).

[5] Die religiöse Bildung und Erziehung in beiden deutschen Staaten nach 1945 und auch ihre jeweilige rechtliche Situation wurde von Achim Leschinsky, Gerhard Kluchert und anderen untersucht in Leschinsky/Kluchert 1998. Vgl auch Leschinsky 2002.

[6] Maßgeblich verantwortlich für diese sach-orientierte Debatte ist die intensive Begleitung, die schon dem Modellversuch sowohl durch Ministerium, Pädagogisches Landesinstitut und damals auch noch Evangelische Landeskirche, aber vor allem auch durch die wissenschaftliche Begleitung unter Leitung von Achim Leschinsky angedieh. Der Abschlußbericht der wissenschaftlichen Begleitung des Modellversuchs unter dem Titel „Vorleben oder Nachdenken“ (Leschinsky et al. 1996) konnte dabei aufgrund seiner wissenschaftlichen Unbestechlichkeit für alle Seiten in diesem Diskurs immer wieder als Argumentationslieferant herangezogen werden. Trotz dieser integren Vorleistungen verlief die Debatte im Ganzen keineswegs nur sachlich. (Vgl. Schluß 2000, Schweitzer 2001 und Schluß 2001).

[7] Die Begründung für diese Argumentation ist zweifach. Zum einen wird argumentiert, es gebe keine Rechtskontinuität zwischen den alten Ländern auf dem Gebiet der SBZ, die durch die Bezirkskonstituierung am 23. 6. 1952 beseitigt wurden, und den Neugründungen 1990. Somit könne auch Art. 141 für diese Neugründungen nicht gelten. (So z.B. Uhle 1997). Zum anderen wird auf den unterstellten Willen des Parlamentarischen Rates verwiesen, der nur die „freien“ Länder im Blick gehabt habe, nicht jedoch die jenseits der Zonengrenze. Diese Argumentation hat allerdings noch zu erörtern, inwieweit diese historische Begründung eine aktuelle Entscheidung tragen kann. Weiterhin ist auch die historische Vermutung insofern anzufragen, als der Parlamentarische Rat die Vereinigung der deutschen Länder unter dem Grundgesetz gerade nicht vorausgesehen hat, sondern für diesen Fall die Ausarbeitung einer Verfassung vorschrieb. Die Ausdrehung des Art. 7 II 1 GG auf die Neuen Länder ist deshalb keineswegs so selbstverständlich wie oft dargestellt. Mit einer einfacheren Begründung argumentiert Renck gegen die Ausdehnung von Art. 7 Abs. 3 GG auf die neuen Länder. Art. 7 formuliere kein „konstitutionelles Programm“, sondern erlaube „nur den Fortbestand vorkonstitutioneller Verhältnisse in den Ländern, die sich aus historischen Gründen für dieses prinzipienwidrige Verfassungsrecht entschieden haben.“ (Renck 1994, S. 32).

[8] Sachsen-Anhalt hat eine andere Regelung gefunden, indem dort konfessioneller RU und Ethik gleichberechtigte Fächer sind. Auch dies entspricht nach der Mehrheitsmeinung der Juristen nicht den grundgesetzlichen Regelungen. Da diese Übereinkunft jedoch übereinstimmend erzielt wurde, gab es hier keine Verfassungsklage. Als Besonderheit für Sachsen-Anhalt kommt hinzu, dass evangelischer und katholischer RU von einem Lehrer in einer Lerngruppe unterrichtet werden dürfen. Auch dies geschah unspektakulär auf der Grundlage von bi- und trilateralen Vereinbarungen und trägt sowohl der Personaldecke als auch der Schülerzahl Rechnung.

[9] Dieses Neutralitätsgebot des Staates ist im Grundgesetz selbst nicht explizit verankert. Es geht jedoch für den Bereich der Religion vor allem aus dem Artikel 4 GG (Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit) und dem Art. 140 (Recht der Religionsgesellschaften; Glaubensfreiheit; Schutz von Sonn- und Feiertagen) GG hervor. Der Artikel 140 GG nimmt dabei eine Sonderstellung ein, weil in ihm die Fortwirkung der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 festgeschrieben wird. In den Kommentaren zum Grundgesetz wird daraus eine sehr weitgehende Neutralitätspflicht des Staates abgeleitet: „Die Verantwortung der Religionsgemeinschaften für den Religionsunterricht, für den der Staat zu sorgen hat, geht so weit, dass sie ihr Verständnis vom Religionsunterricht auch ändern können und der religiös neutrale Staat das hinnehmen muss“ (Hesselberger 1996 S.112). Allerdings ist auch eine gänzlich andere Lesart des Neutralitätsgebotes denkbar. Zieht man die mehrheitlich areligiöse Mentalität in den neuen Bundesländern in Betracht, und beharrt der Staat dennoch auf einer Einführung des konfessionellen Religionsunterrichts als Pflichtfach, so kann gerade dies als Verstoß gegen die staatliche Neutralität wirken. Insofern kollidieren hier Verfassungsansprüche miteinander und die Höherwertigkeit wäre abzuwägen (vgl. Goerlich S. 821-822).

[10] Gegen den inflationären Gebrauch dieses Zitates wendet sich der scheidende Bischof der Kirchenprovinz Sachsen, Christoph Demke. Denn der dauernde Verweis auf das Zitat könne in der säkularen Situation des Ostens auch nicht helfen, in der die übergroße Mehrheit der SchülerInnen nicht den konfessionellen Religionsunterricht besuche (vgl. Demke 1997, S. 130). Entgegen dem gewöhnlichen Gebrauch des Zitats legt zwar der von Böckenförde verfasste Text im Ganzen, jedoch nicht das Zitat nahe, dass diese Wertevermittlung ausschließlich die Religionsgemeinschaften zu leisten sei. An dieser Stelle wäre Böckenfördes Argumentation zu des vermeintlichen Monopols der Religionen zu hinterfragen.

[11] Allerdings ist in der juristischen Literatur die Auffassung verbreitet, dass die Rechtsgemeinschaft eines Konsenses über die für das Zusammenleben konstitutiven Werte bedarf (vgl. Wimmer 1998, S. 405).

[12] Eine gute und knappe Darstellung dieses Streits auch mit zeitgenössischen Folgerungen findet sich in Albrecht 2001.

[13] DVB1 1998, 1345, zitiert nach Heckmann 1999, S. 230 (dort auch weitere Literatur).

[14] Art. 7, 1 GG und seine Kommentierungen.

[15] DVB1 1998, 1345, zitiert nach Heckmann 1999, S. 230.

[16] DVB1 1998, 1345, zitiert nach Heckmann 1999, S. 230.

[17] Vgl. aus der Vielzahl Heid 1994, Höffe 1979, Höffe 1995, Nipkow 1998a, Lohmann 1998, Martens 1994, Schneider 1998, Fischer, W. 1996, Grammes 2000, Hentig 1999.

[18] DVB1 1998, 1345, zitiert nach Heckmann 1999, S. 230.

[19] Ebd.

[20] Es gilt sogar umgekehrt: „Gibt es nur eine Weltanschauungsethik, so ist ihr Unterricht wie der Religionsunterricht zu behandeln, von dem man sich nach Art. 7 Abs. 2 GG abmelden kann. Gibt es dagegen weltanschauungsfreie Ethik, so ist ihr Unterricht ein gewöhnliches wissenschaftliches Lehrfach, das aus Gründen der Gleichbehandlung allen Schülern erteilt werden muss und von dem nicht diejenigen befreit werden können, die an einem Religionsunterricht teilnehmen“ (Renck 1994). Dieser Logik folgten auch die Kirchen in Brandenburg, die für das Pflichtfach LER eine Abmelde- oder Befreiungsmöglichkeit forderten. Als diese dann (als Befreiungsmöglichkeit) eingeführt wurde, sahen die Kirchen darin das Eingeständnis des Landes, dass es sich doch um ein Weltanschauungsfach handele und ein gleichberechtigter konfessioneller Religionsunterricht eingeführt werden müsse (vgl. Schluss 2000, S. 324f. Kap. 2.4.). In ihrer Schrift zur Werbung für die Einführung des neuen Faches sieht die SPD-Landtagsfraktion das naturgemäß ganz anders: „Diese Befreiungsmöglichkeit setzt ein deutliches Zeichen der Toleranz und Aufgeschlossenheit, durch das die allgemeine Akzeptanz für das neue Fach LER weiter gestärkt werden soll“ (SPD-Landtagsfraktion 1996, S. 30-31).

[21] Für eine Entscheidungsfindung ist diese selektive Sicht vermutlich förderlich. Die Pädagogik ist nicht dafür bekannt, selbst bei der übereinstimmenden Diagnose von Missständen übereinstimmend Lösungen präsentieren zu können. Achim Leschinsky erinnert daran, dass die Misere des Deutschen Bildungswesens in wesentlichen Zügen bereits in den 70er Jahren beinahe gleichlautend zu den PISA-Ergebnissen beschrieben worden ist, ohne dass die pädagogischen Experten sich auch nur annähernd auf Lösungsmöglichkeiten hätten einigen können. (Leschinsky 2003). Allerdings ist die Ablösung der pädagogischen Diskussion durch die juristische macht somit zumindest bei genauerem Zusehen deutlich, dass manche Probleme zwar juristisch entschieden werden können, aber eben keiner eindeutigen Lösung zuzuführen sind, sondern als Probleme erinnert und virulent gehalten werden müssen, um sie zwar nicht lösen, aber bearbeiten zu können.

[22] Ohnehin konnte schon während des Modellversuchs nur in einem Bruchteil der teilnehmenden Schulen überhaupt konfessioneller RU im Rahmen von LER angeboten werden, wofür von den jeweils verantwortlichen Stellen unterschiedliche Gründe genannt wurden. (Leschinsky et al. 1996).

[23] Freilich gibt es auch im juristischen Diskurs über Neutralität vieles, was sich nicht in den pädagogischen Diskurs übersetzen lässt. Diese Transformationsprobleme bestehen also in alle Richtungen, auch wenn diese Problematik hier nicht näher untersucht werden soll.

[24] Wobei es aber zwischen im je aktuellen Kontext besseren und schlechteren Lösungen argumentativ zu unterscheiden gilt.

[25] Dies ist nicht gleichbedeutend damit, dass der Vergleichsvorschlag die optimale Lösung des pädagogischen Problems gewesen wäre. Vergleiche sind meist, und so auch hier, Kompromisse (Leschinsky/Gruehn 2001, dies. 2002, Schluß 2003a, Schluß/Goetz-Guerlin 2003).