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Helmut Satzinger

Kunst — Kunstgeschichte — Ägyptische Kunst


Einleitung


Definitionen:

Was ist Kunst ?

Etymologische und historische Erklärungen


Abstraktum von können
Meyer:  eine Fertigkeit, das richtig Erfasste mit Leichtigkeit & Sicherheit in Handlung umzusetzen; 
eine Fertigkeit, die allein um ihrer ästhetischen Wirkung willen geübt wird (aisthesis Empfindung;  nicht Schönheit).

Webster:  The quality, production, or expression, according to aesthetic principles,
of what is beautiful, appealing, or of more than ordinary significance....

Encyclopædia Britannica:
Arts, the:  modes of expression that use skill or imagination in the creation of aesthetic objects,
environments, or experiences that can be shared with others.
Art:  a visual object or experience consciously created through an expression of skill or imagination...


LATEIN
ars, artis, f. 
'Kunst', auch 'Fügsamkeit'; gehört zu griech. arariskô, Wurzel ar-, 'füge' (H. Eichner).
1.  Geschicklichkeit;
2.  Handwerk;
3.  Kunst, Wissenschaft;
4.  Theorie, Lehrbuch [ars amandi];  Kunstwerk;  Kunstwert;   Kunstgöttin;
5,  Eigenschaft, Verhalten, Art;  pl. Mittel..., Art & Weise;  Listen, Kunstgriffe;
6.  Künstlichkeit, künstliches Wesen.


Kunst im traditionellen Sinn (die „Künste“):              [Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Kunst]


Für Ägyptologie:  nur bildende Kunst und teilw. angewandte Kunst – Bildhauerei, Malerei, Graphik


Terminologisch kein Unterschied zw. Kunst und Handwerk
(äg. Hmw.w  "Handwerk";  Hmw.t  "Kunstfertigkeit"; 
Hmw.t  "Handwerkerschaft";  Hmw.w  "Kunstfertiger"; 
Hmw.tj  "Handwerker; Schreiner")

Was ist Kunstgeschichte ?


(Wikipedia:)  Die Kunstgeschichte oder Kunstwissenschaft ist die Wissenschaft von der historischen Entwicklung der bildenden Künste und ihrer ikonographischen, ikonologischen wie auch materiellen Bestimmung. Sie untersucht und beschreibt ebenso die kulturelle Funktion der Kunst hinsichtlich ihrer künstlerisch-anschaulichen Gegebenheiten, wie auch den Schaffensprozess des Künstlers.

Ziel des Faches ist es, die künstlerischen Objekte nach ihren Inhalten zu befragen (Ikonographie), die Werke in Raum und Zeit einzuordnen und ihrer Rezeption nachzugehen; dabei werden einerseits stilistische Zusammenhänge besprochen, andererseits wird versucht, den historischen Kontext als Voraussetzung eines Kunstwerks zu verstehen oder ihn zum Verständnis des Werks mit einzubeziehen.

Was ist ägyptische Kunst ?

(insbes. im Zusammenhang mit Kunstgeschichte)

= bildende Kunst, konkret:

2dimensionale Kunst...................Malerei, Relief;  Zeichnung


3dimensionale Kunst....................Rundplastik



Was ist im Zusammenhang "ägyptisch" ?

Der Gegenstand der Ägyptologie – also:  pharaonische Geschichte



Was ist „schön“ ?

Schönheit spielt traditionell für den Kunstbegriff eine große Rolle;  gilt weder für die Gegenwartskunst noch für die vorgriechische Kunst ohne weiteres.

Schön ist ein verhältnismäßig junger Begriff;  „für Afrika gilt:  schön heißt nützlich, brauchtbar“.  Vgl. äg. nfr, Grundbedeutung „nicht sein = vollkommen sein“;  > „jung“;  „gut“;  „schön“;  deutsch schön bedeutet ursprünglich „rein“; pulcher bedeutet ursprünglich “glatt” (vgl. polire);  spätlatein/vulgärlatein bellus aus ben(e)-lus.

Schmuck (schön !) ist im Ursprung Amulett (nützlich !).

Erst im Zug der Intellektualisierung menschlicher Kultur(en) wird unterschieden zwischen der inneren Qualität (nützlich usw. > gut) und der äußeren Qualität (glatt usw. > schön).
Die begriffliche Trennung von der Güte des inneren Wesens und der Güte der äußeren Erscheinung:  Ergebnis kultureller Entwicklung.


Schönheitssinn, Qualitätssinn ist dem Menschen immanent.


         


Ägyptische Kunst spricht den modernen Menschen stark und unmittelbar an;  wird als schön empfunden.  Wir haben die Empfindung, diese Kunst zu verstehen.  Aber Vorsicht:  Die Voraussetzungen – sie haben sich auch in der jüngeren Vergangenheit stark gewandelt – sind in höchstem Maß unterschiedlich.


      


Altes Ägypten:
Neuzeitliches Abendland:
Kunstwerk ist zweckbestimmt
Kunstwerk ist Selbstzweck

Gemeinsamkeit:  bild. Kunst ist ein gestaltendes Sich-Bemächtigen der Welt.  Auch wenn die Voraussetzungen unterschiedlich sind:  der Drang zum Schaffen ist zutiefst menschlich.



Ägyptische Kunst ist unverwechselbar:   „typisch ägyptisch...“ [nicht nur die Kunst !]. 

Sie ist daher nicht einfach das Produkt kultureller (& materieller) Gegebenheiten, wie frühe Hochkultur, Werkstoffe, Herstellungsmethoden usw.:  diese Bedingungen waren auch anderswo gegeben.  Dennoch in jeder Region eine andere Ausprägung;  vgl. Mesopotamien, Indien, China, Mexiko...

           
Menschenköpfiger geflügelter Stier (assyrisch)
(1)         Siegesstele des Naram-sin (2)     

     
Shiva (indisch)                         Buddha (chinesisch)                        Kopf (olmekisch)

(1) Human-headed winged bull facing. Bas-relief from the m wall, k door, of king Sargon II's palace at Dur Sharrukin in Assyria (now Khorsabad in Iraq), c. 713–716 BC. From Paul-Émile Botta's excavations in 1843–1844.  Paris, Musée du Louvre.
(2)
(2) Victory Stela of Naram-Sin. Limestone. Brought back from Sippar to Susa as war prize in the 12th century BC.  Paris, Musée du Louvre.

Markante Abgrenzung der Kunst der pharaonischen Zeit von

   vorausgehenden und

    nachfolgenden Perioden:















Prähistorische Periode Frühchristliche (koptische) Periode



Ägyptische Kunst:

Idealistisch – Darstellung für die Ewigkeit, ewige Dauer.

Gegenstand ist prinzipiell der Mensch – der König;  die Gottheit in Menschen-, Tier- oder Mischgestalt.




Formale Charakteristika der ägyptischen Kunst


Rundplastik aus Stein:  kubische/quaderförmige Grundform; 




    



        


In der Flachkunst:  rektangulare (orthogonale) Grundform und Registergliederung;  Raumtiefe nur sekundär.



From Explore Ancient Egypt:
(Rita Freed, Boston MFA website, former version)


“What makes it look Egyptian ?”


The artist who carved the three-dimensional statue on the right could show the human figure from all angles -- front, back, and sides. But representing a figure on a flat surface, as in the wall relief at the left, is a more complicated problem. Look at the statue from different angles to see which view the Egyptian artist used for each part of the body in the relief.

        Frontal      


   Dreiviertelansicht


   Seitenansicht     


This woman sits before an offering table loaded with cone-shaped loaves of bread. The Egyptian artist's goal was to show the key figure and objects as clearly as possible, so he combines profile and frontal views.

This contemporary drawing uses perspective to create the illusion of looking at an actual space from one particular viewpoint.




Take a close look at the carved procession from ancient Rome. Some bodies are shown clearly, some are hidden behind others. Some are turned partly toward us; others are in profile.

In contrast, the Egyptian artist displays parts of the body as clearly as possible, almost like a diagram. Here the figures butchering cattle bend and twist. However, their heads and legs are always shown in profile and their chests always turned fully toward the viewer.

Even in a freestanding sculpture like this offering procession, Egyptian figures are usually shown in a limited number of symmetrical, upright poses. Compare this to the Roman procession that features a variety of lively gestures and positions. What mood does the body language of each procession communicate?


Funktion / Zweck:

                   Verewigung der Existenz für
  • den Toten

  • den König

  • einen Gott

  • die Beziehung König — Gott

  • die Beziehung Mensch — Gott


Die Statue ist ein zusätzlicher Leib, ein physisches Medium, ein Sitz für die Seele für spezielle Funktionen.


Durch seine Statue kann

    •  der König göttliche Gnaden empfangen

    •  der König / jeder Mensch Opfergaben und Opfergebete empfangen


Die Statue ist ein zusätzlicher Leib:  sie muss von idealen Eigenschaften sein —

    •  idealisiert

    •  frei von jeder Zufälligkeit,

                nicht einem bestimmten Augenblick, einer bestimmten Situation verhaftet.


Idealistische Darstellung  – für die Ewigkeit, für ewige Dauer und Wirkung – keine beiläufigen oder zufälligen Züge.

  1. Kein bestimmtes Lebensalter:  weder alt noch jung

  2. Keine besondere Stimmung:  weder freudig noch traurig

  3. Keine nebensächliche Tätigkeit

  4. Idealisiertes Portrait.



Stilistische Norm:  Idealisierung — wie die Dinge sein sollten, nicht wie sie sind — Idealzustand


ABER:  zu allen Zeiten auch Abweichungen von der Norm:  dicke bzw. alte Personen


                                     






Produktionsmethoden

  • Holz & weicher Stein:  Meißel, Sägen aus Kupfer;  Bohrer

  • Harter Stein:  Klopfsteine aus härtestem Material als Hämmer


„Summarische“ Wiedergabe:  “Hochrelief", Büsten, Würfel, Kegel


Formale Lösungen für die Kombination inkompatibler Elemente – Menschen mit Tierköpfen (oder eine Frau mit Kuhohren), Tiere mit Menschenköpfen (Sphinx !);  vgl. auch anthropoide (oder vielmehr: mumiengestaltige) Särge & Sarkophage




Wo befanden sich die Werke der Bildenden Kunst im Alten Ägypten ?


  • im Tempel

  • im Wohnhaus (Palast)

  • im Grab






1.a.  Das Kultbild im Allerheiligsten ist der Leib des Gottes, dem der Tempel gewidmet ist. 
Sie ermöglicht ihm die Anwesenheit im Allerheiligsten (Naos).

Der Tempelkult besteht in der Pflege (cultus) der Kultbild-Statuette, alltäglich und zu den Festen,
durch die ḥm.w-ntr, wtl. “Gottesdiener”.





Naos im Allerheiligsten des Tempels

(Edfu)

1.b.  Statuen anderer Götter

Im Tempel können auf weitere Götter mittels Statuen präsent sein (theòi sýnnaoi):  solche, die eine Gruppe mit dem Tempelherrn bilden, oder Götter von lokaler Bedeutung, oder „Reichsgötter“.

Triade von Memphis:  Ptah, Sachmet u. Nefertem
Triade von Theben:  Amun, Mut und Chons

1.c.  Statuen des regierenden Königs

Der König ist der Sohn Gottes: 
Sohn des Osiris (= Horus), Sohn der Sonne.
Der König ist der Vertreter der Götterwelt auf Erden.

Der König ist der Gastgeber des Gottes.
Primär ist er für den Kult verantwortlich, er ist der eigentliche Kultpriester.

Durch das Aufstellen seiner Statue kann er permanent im Tempel anwesend sein.




Sesostris I. (Osirisstatue) New York, Metropolitan Museum of Art



























Hatschepsut, knieend

Rosengranit   H. 87 cm

Dêr el-Bahari
Berlin 22883



1.d.  Votivstatuen privilegierter Privatleute








Zum Allerheiligsten haben nur der König und die Priester Zutritt.  Die hypostyle Querhalle ist die Veranda des Gottes (eingeschränkter Zugang), der davor liegende Säulenhof sein Garten (allgemein zugänglich).  Hier können sich auch andere Personen aufhalten.  Sie tun es, um der göttlichen Gnade teilhaftig zu werden und um dem Gott persönliche Bitten zu unterbreiten.


Wenn sie die Erlaubnis haben, hier ihre Statue aufzustellen, können sie immer in der Nähe Gottes sein.


Zum Allerheiligsten haben nur der König und die Priester Zutritt.  Die hypostyle Querhalle ist die Veranda des Gottes (eingeschränkter Zugang), der davor liegende Hof sein Garten (allgemein zugänglich).  Hier können sich auch andere Personen aufhalten.  Sie tun es, um der göttlichen Gnade teilhaftig zu werden und um dem Gott persönliche Bitten zu unterbreiten.






Metropolitan Museum, New York





Wohnhäuser in Omdurman

Privatstatuen aus Tempeln:





   


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