Familienentwicklung im Lebenslauf (FIL):
Familienbezogene
und individuelle Entwicklungsaufgaben und ihre Bewältigung im
Jugendalter
Brigitte
Rollett und Harald Werneck
Das Forschungsprojekt „Familienentwicklung im Lebenslauf (FIL): Familienbezogene und individuelle Entwicklungsaufgaben und ihre Bewältigung im Jugendalter“ stellt die Fortsetzung des Längsschnittsprojekts „Familienentwicklung im Lebenslauf (FIL)“ dar, das vom Jubiläumsfonds der Nationalbank bisher mit folgenden Projekten finanziert wurde: Jubiläumsfondsprojekt Nr. 3722 „Die Bedeutung von Rollenauffassungen junger Eltern für den Übergang zur Elternschaft“ (vgl. den Projektbericht von Rollett & Werneck, 1993), Jubiläumsfondsprojekt Nr. 7518 „Familienentwicklung im Lebenslauf (FIL): Familienentwicklung im Schulalter des Kindes“ (vgl. den Projektbericht von Rollett & Werneck, 2001) und Jubiläumsfondsprojekt Nr. 9416 „Familienentwicklung im Lebenslauf (FIL): Familienentwicklung beim Schulübertritt“ (vgl. den Projektbericht von Rollett, Werneck & Hanfstingl, 2005). Diese Studien führten zu wesentlichen Erkenntnissen über Bewältigungsformen familiärer Übergangsphasen von der Geburt des Kindes bis zu dessen Übertritt in die Sekundarstufe 1.
Ziel des Längsschnittsprojektes „Familienentwicklung im Lebenslauf (FIL)“ ist es, die individuelle Entwicklung von Kindern und ihren Familien in einer Zeit gesellschaftlicher Veränderungen umfassend zu untersuchen und bis zum Erwachsenenalter des Untersuchungskindes zu begleiten und auf diese Weise Informationen über günstige und riskante Entwicklungen und ihre Bedingungen zu gewinnen. Längsschnittuntersuchungen sind dafür unumgänglich notwendig, da nur so Entwicklungslinien eindeutig feststellbar sind. Zielsetzung der sechsten Erhebungswelle ist es, die Familienentwicklung und die kindliche Entwicklung zum Zeitpunkt des Übergangs der Heranwachsenden in die Adoleszenz zu untersuchen und die Resultate unter Einbeziehung der bereits vorliegenden Längsschnittdaten aus den Vorläuferprojekten auszuwerten. Insbesondere soll die Bewältigung der für die Adoleszenz charakteristischen Anforderungen an die Jugendlichen selbst und ihre Familien untersucht werden. Hierbei handelt es sich um die „Entwicklungsaufgaben“ (Havighurst, 1972, S.38, Göppel, 2005), deren Bewältigung bzw. Nichtbewältigung die weitere Entwicklung und damit die zukünftigen Lebenschancen der Betroffenen maßgeblich beeinflussen. Im Einzelnen ist dazu auf Seiten der Eltern eine Neudefinition ihrer partnerschaftlichen und Erzieherrollen und die Bewältigung der familiären Umstrukturierung durch die Zunahme der Autonomie der Heranwachsenden (Rollett & Werneck, 2001) erforderlich. Auf Seiten der Jugendlichen geht es um zentrale Entwicklungsaufgaben, wie z.B. die Vorbereitung auf die Berufswahl bzw. um erste Anbahnungen der Berufs- bzw. Studienwahlentscheidung bei Jugendlichen, die die Sekundarstufe 2 besuchen. Weitere wichtige Bereiche sind die Neugestaltung der Beziehungen zu Gleichaltrigen und zum anderen Geschlecht, die sukzessive Loslösung von den Eltern und die Entwicklung der eigenen Identität (Marcia, Waterman, Matteson, Archer & Orlofsky, 1993).
Methodik und Ergebnisse der
Vorläuferprojekte
Das geplante Projekt baut auf den Ergebnissen der ersten fünf Erhebungswellen der FIL-Studie und den dort entwickelten Erhebungsinstrumenten auf. Sie sollen daher hier kurz beschrieben werden.
Die ersten beiden Erhebungsphasen des Projekts „Familienentwicklung im Lebenslauf“ stellten ein Teilprojekt des von Horst Nickel (Universität Düsseldorf) geleiteten internationalen Forschungsprojektes „Die Bedeutung von Rollenauffassungen junger Eltern für den Übergang zur Elternschaft“ (Nickel & Quaiser-Pohl, 2001) dar. Die Untersuchungsstichprobe der ersten Erhebungswelle des Längsschnittprojektes umfasste 175 Ehepaare, die ihr erstes, zweites oder drittes Kind erwarteten. Sie erfolgte im sechsten Schwangerschaftsmonat der Mutter (t1, N=175). Die zweite Erhebungswelle wurde durchgeführt, als die Kinder drei Monate (t2, N=168), die dritte, als sie drei Jahre (t3; N=152), die vierte, als sie acht Jahre (t4, N=143) und die fünfte, als sie elf Jahre alt waren (t5, N=144). Die unter dem Projekttitel „Die Bedeutung von Rollenauffassungen junger Eltern für den Übergang zur Elternschaft“ durchgeführten ersten beiden Erhebungswellen hatten das Ziel, die Bewältigung der durch den Übergang zur Elternschaft notwendigen Anpassungen und die Auswirkungen auf das familiäre Zusammensein vor dem Hintergrund der heute beobachtbaren, tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen zu untersuchen: Gestaltung der Partnerschaft zwischen Müttern und Vätern, Auseinandersetzungen mit den neuen Rollenvorstellungen und den Formen der familiären Arbeitsteilung und das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern.
Die Phase der Familiengründung bzw. Erweiterung bedeutet für die Eltern eine dramatische Umstellung. Um sie zu erfassen, wurde ein umfangreiches Fragebogeninventar eingesetzt: Der Partnerschaftsfragebogen von Hahlweg (1979), der Elternschaftsfragebogen von Nickel, Grant und Vetter (1990) zur Erfassung der elterlichen Rollenauffassungen sowie ein neu entwickelter Fragebogen zur Erfassung der Gesamtsituation (soziodemographische Daten, Geplantheit des Kindes, Geburtsvorbereitung bzw. Geburtsverlauf, Umgang mit dem Kind, Änderungen durch das Kind, Änderungswünsche bezüglich der neuen familiären Situation, Freizeitverhalten, Bedeutung von Beruf und Familie, Arbeitsteilung zwischen den Partnern, Verhältnis zur Herkunftsfamilie, Freundeskreis, Wohnsituation, usw.). Diese Instrumente wurden zu allen Erhebungszeitpunkten, wenn notwendig, in altersadaptierter Form, vorgegeben.
Bei der zweiten Erhebungswelle, die stattfand, als die Kinder drei Monate alt waren, wurde außer den angeführten Fragebogeninstrumenten zusätzlich weitere eingesetzt, um den Einfluss der kindlichen Individualität auf die Gestaltung des Familienalltags zu erfassen. Im Einzelnen handelte es sich um folgende Verfahren: Die Bayley-Skalen zur Erfassung der mentalen und psychomotorischen Entwicklung des Kindes und ein in Anlehnung an das Konzept von Thomas und Chess (1977) konstruierter und von den Müttern auszufüllender Temperamentsfragebogen zur Erfassung des kindlichen Temperaments, der in jeweils altersadaptierter Form zu allen weiteren Erhebungszeitpunkten vorgegeben wurde.
Die dritte Erhebungswelle erfolgte, als die Kinder drei Jahre alt waren. Sie hatte das Ziel, die familiären Veränderungen im Zuge des Selbstständiger-Werdens des Kindes zu erfassen. Außer den bereits erwähnten Instrumenten, die zu allen Erhebungszeitpunkten vorgegeben wurden, wurden zusätzlich dabei folgende Instrumente eingesetzt: Die „Kaufman Assessment Battery for Children“ (Kaufman-ABC, Melchers & Preuß, 1991) und der Wiener Entwicklungstest (WET, Kastner-Koller & Deimann, 1998), um den Entwicklungsstand der Dreijährigen erheben zu können sowie ein Erhebungsinstrument zur Erfassung der Sicherheit des Kindes in der Wohnumgebung.
Die vierte Erhebungswelle hatte das Ziel, die familiäre und kindliche Entwicklung im Schulalter des Kindes umfassend abzubilden. Neben der bereits bewährten Fragebogenbatterie wurden die Hamburger Erziehungsverhaltensliste (HAMEL, Baumgärtel, 1979), die Bildversion des Anstrengungsvermeidungstests (AVT, Rollett & Bartram, 1998), der Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder (HAWIK III, Tewes, Schallberger & Rossmann, 2000), ein neu entwickelter Persönlichkeitsfragebogen für Schulkinder (Wiener Persönlichkeitsfragebogen für Kinder, WPK), ein neu entwickeltes Erhebungsinstrument zur Erfassung der Bindungssicherheit sowie eine Erhebung der Geschwisterbeziehung mit Hilfe der Critical Incident Technique von Flanagan (1954) administriert. Auf diese Weise konnte ein umfassendes Bild der Anpassung des Kindes und seiner Familie an die Schulsituation und die damit verbundenen Änderungen der familiären Situation sowie günstiger bzw. ungünstiger Konstellationen gewonnen werden.
In der fünften Erhebungswelle ging es darum, die familiäre Entwicklung und die Entwicklung der Kinder in der Zeit des Übergangs zur weiterführenden Schule zu untersuchen. Neben den bereits erwähnten Untersuchungsinstrumenten zur Erfassung der familiären und Partnerschaftssituation und der kindlichen Persönlichkeitsmerkmale wurde den Kindern ein von Sirsch und Ensberger entwickelter Fragebogentest über die Bewältigung des Schulübertritts vorgelegt, der die beiden Aspekte Herausforderung versus Bedrohung in Leistungssituationen bzw. sozialen Situationen enthält, außerdem der NEO-FFI von Borkenau und Ostendorf (1993) zur Erfassung der Persönlichkeitseigenschaften Neurotizismus, Extraversion, Offenheit, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit. Mit Hilfe einer Übersetzung des „Inventory of Parent and Peer Attachment“ von Armsden und Greenberg (1987) wurde die Bindung an die Eltern und die Beziehung zu Freunden erhoben. Ein eigener Fragebogenteil erfasste jeweils getrennt die Beziehung zur Mutter, zum Vater und zu den Geschwistern. Außerdem wurde die Fragebogenversion des AVT (Rollett & Bartram, 19983) administriert, um ein defizitäres bzw. pflichtbewusstes Leistungsverhalten erfassen zu können.
Ergebnisse der
ersten fünf
Erhebungswellen:
Bei den ersten beiden Erhebungswellen, die im sechsten Schwangerschaftsmonat der Mutter und im Alter des Kindes von drei Monaten durchgeführt wurden, fielen in erster Linie die substantiellen Veränderungen im Bereich der Partnerschaftsqualität auf. Vor allem bei Ersteltern kam es sowohl aus Sicht der Mütter als auch der Väter zu einem Anstieg des Streitverhaltens und einer Verringerung der Zärtlichkeit und der positiven Kommunikation bzw. des Gemeinschaftsempfindens. Interessanterweise war dies vor allem der Fall, wenn es sich um ein männliches Kind handelte. Bezüglich der Arbeitsaufteilung im Haushalt und bei der Kinderversorgung hatten die Mütter, entgegen den Aussagen der Väter vor der Geburt des Kindes, die Hauptlast zu tragen. Die sozialen Kontakte nahmen signifikant ab. Dies galt besonders für die Väter, die im Durchschnitt einen kleineren Freundes- und Bekanntenkreis angaben als die Mütter. Sowohl bei den Vätern als auch bei den Müttern lag die tatsächliche Belastung durch das Kind zu t2 wesentlich über der erwarteten Belastung zu t1. Dies war vor allem bei den nicht erwerbstätigen Müttern der Fall. Der zu beiden Zeitpunkten von den Eltern angegebene Wert des Kindes veränderte sich allerdings nicht. Durch Pfadanalysen konnte gezeigt werden, dass die empfundene Belastung durch das Kind einerseits von den Ausprägungen der erhobenen Partnerschaftsvariablen und der positiven Einschätzung von Kindern, andererseits (vor allem bei den Müttern) vom eingeschätzten (schwierigen) Temperament des Kindes abhing. Clusteranalytisch wurden zum zweiten Erhebungszeitpunkt sowohl Väter- als auch Müttertypen ermittelt. Bei den Vätern ließen sich drei Typen nachweisen: „Neue Väter“ (15.9%), „Familienorientierte Väter“ (31.7%) und „Eigenständige Väter“ (52.4%), die sich von den familiären Aufgaben weitgehend zurückzogen. Bei den Müttern resultierten fünf Clustergruppen: „Selbstbewusste, kinderliebende Mütter“ (23.8%), die die Kinderbetreuung als Bereicherung erlebten, „Emanzipierte Mütter, die Kinder nicht als Belastung erleben“ (13.4%), „Emanzipierte Mütter, die ihre Kinder als Belastung erleben“ (31,7%), „Überforderte Mütter, die Kinder als Belastung erleben“ (9.8%) und „Überforderte Mütter, die Kinder als starke Belastung erleben“ (21.3%). Da der verwendete Elternfragebogen prospektiv auch zum ersten Erhebungszeitpunkt vorgegeben worden war, konnten die Veränderungen von t1 zu t2 untersucht werden. Hinsichtlich der Vätercluster ergab sich z.B. eine Reduktion der Gruppe der Neuen Väter vom ersten bis zum zweiten Zeitpunkt, als das Kind drei Monate alt war, fast um die Hälfte, während ein deutlicher Zuwachs des Clusters der Eigenständigen Väter erfolgte. Dieser Trend hielt bei den folgenden Erhebungszeitpunkten weiter an.
Mit Hilfe des Temperamentfragebogens konnten clusteranalytisch Gruppen von Babys identifiziert werden, die den in der klassischen New Yorker Längsschnittstudie von Thomas und Chess (1977) ermittelten drei Temperamentstypen entsprachen: Gut angepasste, pflegeleichte „Easy-Babys“ (47.2%), die auch im Bayley-Test of Infant Development die besten Werte aufwiesen, die langsam reagierenden „Slow-to-warm-up-Babys“ (43.6%), die im Test eine mittlere Position einnahmen, und die schwierigen „Difficult-Babys“ (9.2%), die die niedrigsten Werte zeigten. Zu diesem Zeitpunkt fehlte die bei Thomas und Chess ermittelte Normalgruppe.
Beim dritten Erhebungszeitpunkt im Alter des Kindes von drei Jahren wurde der Temperamentsfragebogen in altersadaptierter Form erneut vorgelegt. Hier ergaben sich vier Temperamentstypen: Introvertierte, kontaktscheue „Zurückgezogene Kinder“ (45.1%), emotional intelligente „Pflegeleichte Kinder“ (17.7%), schwierige „Dominante Kinder“ (8.8%) und eine „Unauffällige Normalgruppe“ (28.3%). Interessant sind in diesem Zusammenhang die Veränderungen der Zugehörigkeit zu den Temperamentsgruppen. So wurden z.B. 90% der schwierigen Babys zum dritten Zeitpunkten dem Typus der Zurückgezogenen Kinder zugeordnet und fast doppelt so viele langsam auftauende Babys als erwartet der Gruppe der Dominanten Kinder. Die Partnerschaftsqualität hatte im Vergleich zum ersten und zweiten Erhebungszeitpunkt weiter abgenommen.
Im Rahmen der vierten Erhebungswelle zeigten sich weitere negative Entwicklungen im Partnerschaftsbereich. Insbesondere die Väter geben im Vergleich zum letzten Zeitpunkt nochmals deutlich niedrigere Werte in den Skalen Zärtlichkeit und Gemeinsamkeit/Kommunikation und höhere Werte in der Skala Streitverhalten des Partnerschaftsfragebogens bei der Einschätzung ihrer Partnerinnen an, als dies zum dritten Erhebungszeitpunkt der Fall war. Diese Einschätzung wurde von den Müttern nicht geteilt: Hier kam es eher zu einer Stabilisierung der Bewertungen. Unter Umständen kann dies dazu führen, dass Probleme in der Partnerschaft von den Müttern zu spät erkannt werden. In der vierten Erhebungswelle wurde außerdem deutlich, dass problematische kindliche Persönlichkeitsentwicklungen, wie sie durch den WPK erfasst werden, in dieser Zeit noch durch ein günstiges elterliches Erziehungsverhalten aufgefangen werden können. Die Resultate der fünften Erhebungswelle wiesen allerdings darauf hin, dass im Alter von elf Jahren bereits eine gewisse Stabilisierung problematischer Persönlichkeitseigenschaften stattfindet (Rollett, 2005). Dasselbe gilt für die Entwicklung eines durch Anstrengungsvermeidung gekennzeichnetes Leistungsverhaltens. Daraus ergibt sich die Konsequenz, dass auf erste Anzeichen eines kindlichen Problemverhaltens im Grundschulalter durch entsprechende Interventionen reagiert werden sollte.
Bei der fünften
Erhebungswelle
elf Jahre nach der Geburt des Kindes waren bereits 18% der Mütter
vom
Kindesvater getrennt oder geschieden. Aufgrund der vorliegenden
Längsschnittdaten konnten folgende Risiken für eine Trennung
bzw. Scheidung
ermittelt werden: Das Risiko ist umso höher, je jünger die
Mutter bzw. der
Vater bei der Geburt des Kindes waren, je kürzer sich die Partner
vor der Geburt
des ersten Kindes kannten und zusammen wohnten, je niedriger der
Schichtindex
des Vaters (gebildet aus den Indikatoren der Ausbildung, des
beruflichen Status
und des Einkommens) desto höher ist das
Scheidungs-/Trennungsrisiko, während
die Schichtzugehörigkeit der Kindesmutter keinen Einfluss hatte.
Eine zu kleine
zur Verfügung stehende Wohnfläche bei der Geburt des Kindes
erhöhte ebenfalls
das Risiko einer Scheidung bzw. Trennung. Die
Partnerschaftsqualität, erhoben
mit Hilfe des Partnerschaftsfragebogen von Hahlweg (1979) erwies sich
allerdings als relativ schlechtes Vorhersagekriterium. Hier fand sich
nur ein
tendenzieller Zusammenhang zwischen dem durch die Väter
eingeschätzten
Streitverhalten der Mütter zum zweiten Erhebungszeitpunkt als die
Kinder drei
Monate alt waren und der Trennung bzw. Scheidung. Wesentlich
aussagekräftiger
ist eine frühe Lebensorientierung der Eltern im Alter von 16
Jahren, die
retrospektiv zum ersten Erhebungszeitpunkt abgefragt wurde. Je weniger
die
Eltern mit 16 Jahren eine gute Berufsausbildung und eine finanzielle
Grundlage
für eine spätere Familiengründung anstrebten, desto eher
kam es zur Trennung.
Eine negative Beurteilung des Klimas in der eigenen Herkunftsfamilie
durch den
Vater bedeutete ebenfalls ein Risiko, während dies bei den
Müttern nicht der
Fall war.
Beim fünften Erhebungszeitpunkt
stellte die Bewältigung des Übergangs des Untersuchungskindes
in die
Sekundarstufe 1 durch das Kind selbst und die Familie einen wichtigen
Untersuchungsschwerpunkt dar. Auf Grund der Skalen des
Schulübertrittsfragebogens (Belastung durch den
Schulübertritt im
Leistungsbereich, Belastung durch den Schulübertritt im sozialen
Bereich,
Schulübertrittsbewältigung im Leistungsbereich,
Schulübertrittsbewältigung im
sozialen Bereich, Bewältigung der veränderten
Unterrichtsorganisation) konnten
vier Schulübertrittstypen identifiziert werden: Unauffällige
Schüler und
Schülerinnen (46.4%), Herausgeforderte (23.2%), Überforderte
(18.8%) und durch
die Anforderungen des Schulübertritts Bedrohte (11.6%), die sich
sowohl in den
NEO-FFI Skalen als auch in ihrer Bindung an die Eltern und der
Beziehung zu den
Freunden unterschieden. Eine gute Beziehung zu den Eltern stellt dabei
einen
Protektivfaktor dar. Das Temperament, das im Rahmen der fünften
Untersuchungswelle
ebenfalls wieder erhoben worden war, spielte bei der Bewältigung
des
Schulübertritts nur eine untergeordnete Rolle.
Bezüglich der
Temperamentsentwicklung zeigte sich erneut, dass das Temperament im
Säuglingsalter nur eine eingeschränkte Stabilität
aufweist: So besteht bei der
Gruppe der pflegeleichten Babys nur eine 59 prozentige Chance, dass sie
im
Alter von elf Jahren noch zu den Pflegeleichten zu zählen sind,
bei der Gruppe
der ursprünglich langsam auftauenden Babys eine 55 prozentige
Chance, dass sie
noch zum selben Typus gehören. Bei der Gruppe der schwierigen
Kinder erfolgte
zum fünften Erhebungszeitpunkt eine weitere Differenzierung, da
nunmehr zwei
unterschiedlich belastete Untergruppen identifiziert werden konnten und
zwar
die „Kontrollierten schwierigen Kinder“ und die „Unkontrollierten
schwierigen
Kinder“. Die zwar als „schwierig“ beurteilten, in ihrem Verhalten aber
eher
kontrollierten Kinder wiesen im NEO-FFI zwar eine geringe
Verträglichkeit und
Offenheit auf, waren aber bezüglich ihrer Neurotizismuswerte
unauffällig. Die
unkontrollierten schwierigen Kinder fielen dagegen durch erhöhte
Neurotizismuswerte und eine extrem geringe Verträglichkeit und
Gewissenhaftigkeit auf. Von den ursprünglich schwierigen Babys war
nur ein
einziges Kind zum fünften Erhebungszeitpunkt der Gruppe der
unkontrollierten
Schwierigen zuzuordnen. Als neue Temperamentgruppe trat die Gruppe der
„Taktierer“, wie wir sie bezeichnet haben, auf. Diese Kinder sind durch
eine
hedonistische Einstellung, niedrige Extraversions- und extrem geringe
Offenheitswerte charakterisiert und verstehen es, Schwierigkeiten mit
ihrer
sozialen Umwelt geschickt zu umschiffen, indem sie ihre Gedanken
für sich
behalten und, wenn immer möglich, ihren eigenen Weg gehen. Von der
Gruppe der
„zurückgezogenen“ Kinder, die erstmals zu t3 auftrat, waren zu t5
nur noch 16%
durch ihre Neigung zum Rückzug auffällig. Insgesamt zeigten
die
Temperamentstypen des Säuglingsalters, vor allem, was die Gruppe
der
„schwierigen Kinder“ betrifft, daher eine relativ geringe
Stabilität. Diese
Resultate sind nicht zuletzt auch für die Beratungspraxis von
Bedeutung, da
Befürchtungen von Eltern, dass ein problematisches Temperament im
Säuglingsalter sich langfristig negativ auswirken müsse,
damit begegnet werden
kann. Die Ergebnisse zur Entwicklung des Temperaments widersprechen
einem
strikten Stabilitätskonzept des Temperaments (siehe dazu z.B.
Werneck &
Rollett, 2001). Insbesondere im Falle eines schwierigen Temperaments
scheint es
daher angebracht, den prädiktiven Wert für spätere
Verhaltenstörungen nicht
überzubewerten, sondern als Signal zu nützen, um durch
entsprechende
erzieherische Maßnahmen rechtzeitig gegenzusteuern.
Grundsätzlich ist es ein
wesentliches Ziel der differentiellen Befunde des Gesamtprojekts,
Möglichkeiten
aufzuzeigen, um negative Entwicklungen in den Familien aufzufangen.
Methodik des
Forschungsprojekts „Familienentwicklung im Lebenslauf (FIL), sechste
Erhebungswelle: Familienbezogene und individuelle Entwicklungsaufgaben
und
ihre Bewältigung im Jugendalter“
Wie dies bereits bei den ersten fünf Erhebungswellen der Fall war, sollen sowohl die Eltern wie die – nunmehr jugendlichen – Kinder erneut im Rahmen von Einzelerhebungen untersucht werden. Eine Gruppe von Erhebungsinstrumenten besteht dabei aus Adaptationen der in den Vorläuferstudien verwendeten Verfahren, um die Vergleichbarkeit mit den bisherigen Resultaten zu sichern, wobei vor allem Anpassungen an die veränderte Alterssituation des Kindes mit entsprechenden Umformulierungen der Items vorzunehmen sind.
Kernstücke der Untersuchungen der sechsten Erhebungswelle bilden folgende Erhebungsverfahren: Die bereits bewährten Skalen zur Erfassung der familiären Gesamtsituation (z. B. betreffend den Umgang mit dem Kind, Änderungswünsche, Freizeitverhalten, Bedeutung von Beruf und Familie, Arbeitsteilung zwischen den Partnern, Verhältnis zur Herkunftsfamilie, Freundeskreis, berufliche Situation, Wohnsituation, soziodemographische Daten usw.), weiters die Erfassung der elterlichen Rollenauffassungen und Einstellungen mit einer Adaptation des Elternschaftsfragebogens von Nickel, Grant und Vetter (1990) und der elterlichen Partnerschaftsqualität mit Hilfe des Partnerschaftsfragebogens von Hahlweg (1979). Zur Erfassung der Qualität der Zweierbeziehung zwischen den Müttern bzw. Vätern und den Jugendlichen soll der Zweierbeziehungsbogen aus den „Familienbögen“ von Cierpka und Frevert (1994) herangezogen werden. Neben einem Fragebogen zur Gesamtsituation (Bewertung der schulischen und Freizeitsituation, Freizeitverhalten, Zukunftsorientierung) sollen folgende Instrumente zur Erfassung wichtiger Entwicklungsbereiche eingesetzt werden: Wie in den Vorläuferstudien, sollen problematische Entwicklungen im Persönlichkeitsbereich durch eine für Jugendliche adaptierte Form des Wiener Persönlichkeitsfragebogens für Kinder (WPK) erfasst werden. Außerdem soll erneut das NEO-Fünf-Faktoren Inventar (NEO-FFI von Borkenau & Ostendorf, 1993) eingesetzt werden. Zur Erfassung des Temperaments soll eine Weiterentwicklung des bei den Vorläuferuntersuchungen bewährten Temperamentfragebogens und zur Erhebung der Bindung an die Eltern und der Beziehung zu Freunden die bereits in der fünften Erhebungswelle verwendete Übersetzung des Verfahrens von Armsden und Greenberg (1987) zur Anwendung kommen. Zur Untersuchung der beginnenden beruflichen Orientierung der Jugendlichen soll der Berufs-Interessen-Test II / free choice Verfahren (BIT-II) von Irle und Allehoff (1988, Skalen: Technisches Handwerk, Gestaltendes Handwerk, Technische und naturwissenschaftliche Berufe, Ernährungs-Handwerk, Land- und Forstwirtschaftliche Berufe, Kaufmännische Berufe, Verwaltende Berufe, Literarische und Geisteswissenschaftliche Berufe, Sozial, Pflege und Erziehung). eingesetzt werden, außerdem eine adaptierte Fassung des Fragebogeninstruments von Pollmann (1993) zur Berufswahlorientierung. Ein weiteres, neu entwickeltes Fragebogeninstrument soll die Beziehung zum anderen Geschlecht erfassen. Der Identitätsstatus soll mit Hilfe eines auf Grund des Konzepts von Marcia (1980, 1983) unter Heranziehung der Fragen des Identity Status Interviews: Early and Middle Adolescent Form (Archer & Waterman, 1993) neu entwickelten Fragebogens ermittelt werden.
Die statistische
Auswertung soll
sowohl univariat als auch, darauf aufbauend, multivariat erfolgen,
wobei
Varianzanalysen, Regressionsanalysen sowie Pfadanalysen zum Einsatz
kommen
sollen. Zur Ermittlung von Typen sollen, wie dies bereits in den
Vorläuferprojekten der Fall war, Clusteranalysen durchgeführt
werden.
zum Forschungsbericht
der vierten Erhebungswelle des FIL-Projekts (2001)
zum Forschungsbericht
der fünften Erhebungswelle des FIL-Projekts (2005)
zum Forschungsbericht
der sechsten Erhebungswelle des FIL-Projekts (2008)