Universität Wien

Wimmer: Vorlesung WS 2012/13

180054 VO-L Interkulturelle Philosophie - Einführung in die Hauptthemen

4. und 5. Einheit: 7. und 14. November


a) Wiederholung und Anschluss an vorige Vorlesungen, Besprechung von Fragen

b) THEMA: Philosophiehistorie, insbesondere Frage der Selektion, Periodisierung und Klassifizierung

Terminologisches: "Geschichte" | "Philosophiegeschichte"
"Philosophiehistorie" | Historisches | "literarische" Gattungen | Problematisches | Literaturhinweise

Terminologisches:
Vergangenheit selbst wird im Deutschen - wie auch im Englischen,  Französischen und anderen Sprachen - mit dem Wort Geschichte (history, histoire etc.) bezeichnet. Entsprechend dem gängigen Sprachgebrauch bezeichnet Geschichte jedoch nicht "Vergangenheit" überhaupt, sondern  lediglich einen kleinen Teil davon, nämlich:
-- nur Vergangenheit, in der Menschen eine Rolle gespielt haben;
-- davon wiederum nur, soweit Kenntnis darüber besteht und
-- sofern irgend eine Bedeutsamkeit für oder Fortwirkung in die Gegenwart angenommen wird.
Ceteris paribus sind diese Merkmale wie für andere Bereiche menschlicher Vergangenheit auch für Geschichte der Philosophie (bzw. Philosophiegeschichte) zu formulieren (s.u.).
WARNUNG: Verwechseln Sie nie "Geschichte der Philosophie" (bzw. "Philosophiegeschichte") mit "Philosophie der Geschichte" (bzw. "Geschichtsphilosophie") - das entspräche der Verwechslung von "Gasthaus" mit "Hausgast".

Die zweite Bedeutung von Geschichte - das Wort hier  in der Einzahl zu verwenden ist im Deutschen seit dem 17. Jahrhundert üblich geworden -, bezieht sich auf etwas, das jemand in einer Schule unterrichten oder auch als Hobby betreiben kann. Es handelt sich um einen gedanklich geordneten Umgang mit Zeugnissen aus menschlicher  Vergangenheit. Wer in diesem Sinn "geschichtlich interessiert" ist, wird sich mit geistigen  Produkten von Menschen beschäftigen, die Geschichte betrieben haben oder wird selbst Geschichte treiben.

Was dabei genau zu tun und nicht zu tun ist, kann an der Universität studiert werden: Geschichte bezeichnet also drittens eine Wissenschaft. Im allgemeinsten Sinn ist es die Wissenschaft von menschlicher Vergangenheit und deren methodisch gesicherter Kenntnis.
Wie für die erste Bedeutung sind auch für diese beiden Bedeutungen analoge Gesichtspunkte für den Bereich der Philosophie zu formulieren.
Um sprachlich weniger missverständlich zu sein, können wir für die zweite und dritte Bedeutung den Ausdruck "Philosophiehistorie" verwenden.

Als Geschichte bezeichnen wir schließlich viertens den Inhalt irgendeiner Erzählung,  unabhängig davon ob dieser irgendeiner Realität außerhalb  der Erzählung entspricht oder nicht. Das Englische und andere Sprachen unterscheiden hier sprachlich, englisch also "story", nicht  "history".
Dieser deutsche Sprachgebrauch macht auf den Umstand aufmerksam, dass "Geschichte" auch in den anderen Bedeutungen wesentlich davon abhängig ist, ob und wie sie mitgeteilt/erzählt/verstanden wird.
Unterschiedliche Zugangsweisen der Philosophiehistorie erzählen auch unterschiedliche "Geschichten" im vierten Wortsinn. Vgl. dazu meine Vorlesungen zur Geschichte der Philosophiehistorie

Alle vier genannten Bedeutungen von "Geschichte" können auch in der Philosophiegeschichte eine Rolle spielen. Darunter kann verstanden werden:
  1. (Teil von) vergangene(n) Philosophien
  2. Bericht über (Teile von) vergangenen Philosophien
  3. eine (historische) Wissenschaft
  4. story über vergangene Philosophien
Alle vier Bedeutungen sind zu reflektieren, wenn man sich in einer "interkulturellen" Zielsetzung mit philosophiegeschichtlichen Fragen befasst. Näherhin fragen wir uns hier nach Bedingungen und Merkmalen einer interkulturell orientierten


also nach den oben angeführten Bedeutungskomponenten 2-4 und legen definitorisch fest, dass unter diesem Term Texte über Gegenstände verstanden werden sollen, die
Nähere Ausführungen siehe VO zur Geschichte der Philosophiegeschichte, Einführung

Historisches:
Literarische Gattungen:
a) Philosophiehistorische Gattungen, sofern sie sich in ihrer Gegenstandsauffassung unterscheiden
Bibliographie
Doxographie
Problemgeschichte
Biographie
Institutionengeschichte
b) Philosophiehistorische Gattungen, sofern sie sich in ihrer Darstellungsform unterscheiden
chronologische
entwicklungsmäßige
kanonische
systematische Darstellung
c) Philosophiehistorische Gattungen, sofern sie sich in ihrer Funktion unterscheiden
Heuristik
Wissenschaftsplanung
Traditionsbildung
Wertorientierung
Auch diese Gattungen werden näher beschrieben in der VO zur Geschichte der Philosophiehistorie, hier
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Problematisches:
Mit solchen Zielsetzungen ergeben sich Fragen; sie betreffen vor allem angemessene
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Auswahl weiterer TEXTE zum Nachlesen zum Thema:
Randall Collins: The Sociology of Philosophies. A Global Theory of Intellectual Change. Cambridge, Mass.: Belknap Press of Harvard Univ. Pr., 2000.
Alois Dempf: Selbstkritik der Philosophie und vergleichende Philosophiegeschichte im Umriß. Wien: Herder, 1947.
Raúl Fornet-Betancourt: Zur interkulturellen Transformation der Philosophie in Lateinamerika. Frankfurt/M.: IKO - Verlag für Interkulturelle Kommunikation, 2002.
David L. Hall: The Uncertain Phoenix: Adventures in Post-Cultural Sensibility. New York: Fordham Univ. Pr., 1982.
Christoph Helferich: Geschichte der Philosophie. Von den Anfängen bis zur Gegenwart und Östliches Denken. 3. Aufl. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1999.
Karl Jaspers: Weltgeschichte der Philosophie. Einleitung. Hg.: Hans Saner. München: R. Piper, 1982.
Heinz Kimmerle: Philosophie in Afrika - afrikanische Philosophie. Annäherungen an einen interkulturellen Philosophiebegriff. Frankfurt/M.: Campus, 1991.
Gerald James Larson und Eliot Deutsch (Hg.): Interpreting Across Boundaries. New Essays in Comparative Philosophy. Delhi: Motilal Banarsidass, 1989.
Ram Adhar Mall und Heinz Hülsmann: Die drei Geburtsorte der Philosophie. China, Indien, Europa. Bonn: Bouvier, 1989.
Ralf Moritz, Hiltrud Rüstau und Gerd-Rüdiger Hoffmann (Hg.): Wie und warum entstand Philosophie in verschiedenen Regionen der Erde? Berlin: Akademie-Verlag, 1988.
Hajime Nakamura: Parallel Developments. A Comparative History of Ideas. Tokyo: Kodansha, 1975.
St.E. Naumann: Dictionary of Asian Philosophies. London, 1979.
Howard L. Parsons: Man East and West: Essays in East-West-Philosophy. Amsterdam: Grüner, 1975.
Gregor Paul: Asien und Europa - Philosophien im Vergleich. Frankfurt/M.: Diesterweg, 1984.
———: Philosophie in Japan. Von den Anfängen bis zur Heian-Zeit. Eine kritische Untersuchung. München: iudicium, 1993.
John C. Plott: Global History of Philosophy. Vol. 1-5. Delhi: Motilal Banarsidass, 1977 - 89.
Ninian Smart: Weltgeschichte des Denkens. Die geistigen Traditionen der Menschheit. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2002.
Hans Joachim Störig: Kleine Weltgeschichte der Philosophie. Frankfurt/M.: Fischer, 2000.
Franz Martin Wimmer: "Vergleichende Philosophiegeschichte als Postulat und Realität." In: CONCEPTUS. Zeitschrift für Philosophie 17, Nr. 42 (1983): 93-101.
———: "Zur Aufgabe des Kulturvergleichs in der Philosophiehistorie. Ein Nachwort." In Vier Fragen zur Philosophie in Afrika, Asien und Lateinamerika, Hg.: Franz Martin Wimmer,  S. 145-62. Wien: Passagen Verlag, 1988.
———: Interkulturelle Philosophie. Theorie und Geschichte. Wien: Passagen, 1990.
———: "Philosophiehistorie in interkultureller Orientierung." In: Polylog. Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren 2, Nr. 3 (1999): 8-20.
Hamid Reza Yousefi: Interkulturalität und Geschichte. Perspektiven für eine globale Philosophie. Reinbek: Lau-Verlag, 2010.


Allgemeine Literatur:
Franz-Martin Wimmer: Interkulturelle Philosophie. Eine Einführung. Wien: WUV, 2004

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