Universität Wien

Wimmer: Vorlesung WS 2005/06
180210 Philosophie im 20. Jahrhundert

6. Vorlesung 15. November 2005:
Existenzphilosophie

An diesem Termin wurde besprochen:
Karl Jaspers | Martin Heidegger | Jean-Paul Sartre
Da es mir aus Zeitgründen nicht möglich war, die Beschreibung der Vorlesung hier verfügbar zu machen, haben sich spontan zwei HörerInnen bereit erklärt, diese Ausarbeitung aus ihren Mitschriften und anderen Quellen zu erstellen. Ich mache beide Bearbeitungen hier zugänglich, weil jede ihre besonderen Qualitäten hat und bedanke mich sehr herzlich dafür. Sie finden hier also:

Hiltraut Ludwig:

Existenzphilosophie: Jaspers, Heidegger, Sartre

 

Es gibt eine deutsche Variante (Existenzphilosophie) und eine französische (Existentialismus). Der Terminus Existentialismus setzt sich nach dem 2. Weltkrieg durch.

Was ist Existenz, was Existenzphilosophie?

Jaspers nennt in Die Psychologie der Weltanschauungen, 1919, einerseits Menschsein im Augenblick, im Jetzt-sein, und dann gibt es Situationen, die er als „Grenzsituationen“ bezeichnet.

Otto F. Bollnow, deutscher Philosoph und Pädagoge, schreibt 1953: „Existenz bedeutet jenen innersten Kern im Menschen, der auch dann noch unberührt bleibt, wenn alles was der Mensch besitzen kann oder an dem sein Herz hängt, verloren geht.“

Die Existenzphilosophie ist ein Denken, das seinen Ausgangspunkt in der menschlichen Existenz nimmt. Es geht immer um das Individuum, das Ich-Selbst, den Einzelnen, seinen uneingeschränkten Willen zu Wahrhaftigkeit.

Existenzphilosophie bricht mit den Traditionen – führt zur Entfremdung.

 

Wurzeln der Existenzphilosophie

Einer der Vordenker ist Søren Kierkegaard. Er analysiert Augenblickserfahrungen, wie Erfahrung der Angst. Furcht und Zittern, Die Krankheit zum Tode, Der Begriff Angst sind Beispiele seiner Werktitel. Ein weiterer Vordenker ist Friedrich Nietzsche: Individuum als etwas Ungesichertes. Nicht gesicherte Existenz des bürgerlichen Individuums.

 
Deutscher Zweig: Karl Jaspers, Martin Heidegger, Otto Friedrich Bollnow, Peter Wust sind prominente christliche Existenzphilosophen, die anderen nehmen von traditionellen Religionen Abschied. Französischer Zweig: Jean-Paul Sartre, Albert Camus, Simone de Beauvoir, Gabriel Marcel ua.

 

Karl Jaspers 1883-1969

Leben:

Jaspers studiert kurz Jura, dann Medizin, 1913 Habilitation in Psychologie, von 1921-1937 Professur in Philosophie an Uni Heidelberg. Ab 1937 Schreibverbot, Jaspers bleibt aber in Deutschland. 1945-1948 wieder an Uni Heidelberg, danach in Basel. Nach 1945 nimmt Jaspers auch immer wieder zu zeitgeschichtlichen politischen Fragen Stellung (Atombombe, Zukunft des Menschen).

 Wichtigste Werke:

1919: Psychologie der Weltanschauungen. Für Jaspers gilt, dass das Individuum nur „Selbst“ werden kann in Grenzsituationen, in die er notwendigerweise gerät und andrereseits in der Kommunikation. Die vier Grenzsituationen sind Tod, Kampf, Schuld, Leiden, in ihnen zerbrechen gewohnte Denkhaltungen und wird die Fragwürdigkeit des Lebens erfahren.

1932: Philosophie in 3 Bänden.

1. Band: Philosophische Weltorientierung. Wissenschaft reduziert alles Sein auf „Objektsein“, aber „wissenschaftliche Sacherkenntnis ist nicht Seinserkenntnis“.
2. Band: Existenzerhellung. Existenzphilosophie ist „das alle Sachkunde nutzende, aber überschreitende Denken, durch das der Mensch er selbst werden möchte. Dieses Denken erkennt nicht Gegenstände, sondern erhellt und erwirkt in einem das Sein dessen, der so denkt.“ In Grenzsituationen kann der Mensch verzweifeln, oder eine neue Dimension der Freiheit entdecken, die Jaspers Transzendenz nennt.
3. Band: Metaphysik. Das Bewusstsein der Transzendenz ist ein existenzielles – wer in eine Grenzsituation kommt, transzendiert die Grenze zunächst im Verlangen, doch noch einen Grund zur Lebensbejahung zu finden. Freiheit als Erfahrung, mit der Eigenart eines „Glaubens“ angesichts der radikalen Endlichkeit.  

1931 Die geistige Situation der Zeit. Jaspers analysiert die geistigen Grundlagen und die Daseinsordnung der Moderne. Zwei Faktoren wirken zusammen: die Herrschaft der modernen Technik und das Massendasein. Daseinsordnung ist auf Versorgung der Masse und Errichtung eines Kontrollapparates ausgerichtet. Die Zerstörung der eigentlichen Daseinswelt führt zu geistiger Nivellierung, Mechanisierung der Arbeit, Bürokratisierung; und zur beliebigen Austauschbarkeit jedes Einzelnen. Dies entspricht nicht dem eigentlichen Lebensverständnis, dem Selbstsein, der Menschen und führt daher zum Widerspruch: „Nichtintegrieren des Einzelnen in den Apparat“. Soziologie, Psychologie, Anthropologie sehen Menschen als Objekt. Auch Einfindung in Gesellschaft bietet nur trügerische Sicherheit, Jaspers: „Als soziales Ich bin ich nicht ich selbst.“


Martin Heidegger 1889-1976

Leben:

studiert in Freiburg bei Edmund Husserl, Professur in Marburg, danach wieder Freiburg. 1933 Rektor der Universität Freiburg. Heidegger ist Parteigänger des Nationalsozialismus, verbietet Husserl das Betreten der Universität. Nach 1945 mit Lehrverbot belegt. (vgl. zu dieser Thematik allgemein: Franz M. Wimmer: „Rassismus und Kulturphilosophie“, Der geistige „Anschluß“)

Heideggers Bedeutung für die Existenzphilosophie ist nur eine Facette seines vielseitigen Einflusses (vgl. Phänomenologie, Hermeneutik, Literaturtheorie, Philosophiegeschichtsschreibung ua). Heidegger, ein blendender Pädagoge mit außergewöhnlichem Sprachvermögen publiziert ursprünglich in Latein, später in Griechisch und dann in Deutsch. Beispiel für seine esoterische Sprache in Sein und Zeit: „Dasein“ statt „Mensch“.

Hauptwerk

Sein und Zeit  1927, sehr fragmentarisch, sollten eigentlich 6 Bücher werden.

Anders als die traditionelle Philosophie sieht Heidegger den Ursprung der Philosophie im Seinsverständnis. Die Weise des Menschen zu sein nennt Heidegger Dasein. Zum Dasein gehört, dass man das eigene Sein erfährt. Der 1. Abschnitt ist daher eine „Fundamentalanalyse des Daseins“. Der 2. Abschnitt widmet sich der „Eigentlichkeit“ des Daseins in der Zeitlichkeit, die Zeit ist der Horizont des Seinsverständnisses. Der Tod ist stets möglich, Dasein ist daher „Vorlaufen zum Tod“, eine radikale Möglichkeitserfahrung. Der 3. Abschnitt wird nicht publiziert, Heidegger sagt, er habe ihn verbrannt.

Heidegger selbst will Sein und Zeit nicht als Beitrag zur Existenzphilosophie verstanden haben, sieht Frage nach existentia (dass etwas ist) nur als Vorstufe zur Frage der essentia (was etwas ist).

In Unterwegs zur Sprache 1959, eine Sammlung von sechs Texten, meint Heidegger: Die Sprache ist das Sein des Menschen. Was als das Sein erfahrbar wird, bedarf noch der Sprache, um sich ereignen zu können. Die frühe Konzeption von Sein und Zeit kommt unter dem Stichwort Hermeneutik (Daseinshermeneutik) zur Sprache (Heideggers Schüler Hans-Georg Gadamer wird das weiterführen). Sowohl Heidegger als auch Gadamer üben Technikkritik: Moderne Technik bietet etwas, dem man sich unterwirft, man bedeutet Existenz in der Masse. Vgl. José Ortega y Gasset: Der Aufstand der Massen, 1930.

Jean-Paul Sartre 1905-1980

Literaturempfehlung: Peter Kampits: „Jean-Paul Sartre, Zwischen Absurdität und Freiheit“, im Sammelband von Margot Fleischer: Philosophen des 20. Jahrhunderts, Wiss.Buchges. Darmstadt, 1990

Leben:
Sartre macht bereits als Kind die Erfahrung, wer nicht zuhause ist, muss sich sein Existenzrecht erst verdienen, wer brillante Aufsätze verfassen kann gewinnt dadurch und fasst daher im Alter von acht Jahren den Entschluss, Schriftsteller zu werden. Er studiert Literatur und Philosophie, 1929 lernt er Simone de Beauvoir kennen. Seinem ersten Roman La Nausée (Der Ekel), folgen Die Mauer, Die Wege der Freiheit, Die Fliegen. Nach Befreiung aus der Kriegsgefangenschaft gründet er den intellektuellen Widerstandskreis Socialisme et liberté, 1945 die Zeitschrift Les Temps modernes. Sartre war Zeit seines Lebens politisch höchst aktiv (Les communistes et la paix, 1952; Déclaration sur le droit à l’insoummission dans la guerre d’Algerie, 1960 - um nur zwei aufsehenerregende Aufsätze zu nennen). 1964 wird ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen, den er aus Protest gegen die politische Orientierung der schwedischen Akademie ablehnt.

Wichtigstes philosophisches Werk:
L'être et le néant, 1943 (Das Sein und das Nichts, 1962) Der Untertitel lautet: Versuch einer phänomenologischen Ontologie. Grundlage bildet das vorreflexive cogito aus Sartres früheren Untersuchungen. Das Sein des Phänomens erschöpft sich nicht in seinem Erscheinen, es gibt ein transphänomenales Sein des Bewusstseins wie des Phänomens selbst. Sartre unterscheidet zwei Seinweisen: das An-sich = „ist, was es ist“ und das Für-sich = (das Bewusstsein) „zu sein hat, was es ist“. An-sich und Für-sich sind unvereinbar.
Im 1. Teil „Das Problem des Nichts“ ist der Mensch der Ursprung des Nichts, das Nichts selbst wiederum ist Freiheit. Die Angst davor führt zur Unaufrichtigkeit. Im 2. Teil „Das Für-sich-sein“ führen Werte den Menschen zur Entfaltung seiner Möglichkeiten – im „Zirkel der Selbstheit“ wird Sein erfahren, immer gebunden an Zeitlichkeit. Sartre analysiert diese Zeitlichkeit: die Seinsweise des Für-sich kann niemals die eigene Zukunft sein. „Freisein bedeutet, dazu verurteilt sein, frei zu sein“. Der 3. Teil „Das Für-Andere“ enthält Sartres Aussage, die volle Entfaltung der Ich-Anderer-Beziehung erfolgt erst durch die Dimension des Körpers (Liebe, Sprache, Masochismus, Gleichgültigkeit, Begierde, Hass, Sadismus). Diese Aussage erregt große Aufmerksamkeit. Der 4. Teil „Haben, Handeln und Sein“ nennt als erste Bedingung des Handelns die Freiheit. Die Freiheit ist immer Freiheit in einer Situation, wie die Situation nur durch die Freiheit eine Situation wird. Der 4.Teil schließt mit der Forderung nach einer „existentiellen Psychoanalyse“, Verhaltensweisen, Triebe und Neigungen müssen nicht nur aufgelistet sondern auch „entziffert“ werden.
Auch Sartre bestimmt die Grundthese seines Existentialismus damit, dass die Existenz des Menschen der Essenz des Menschen vorausgeht. Der Mensch schafft durch die radikale freie Wahl seiner selbst sich selbst.


Alexander Schubach:

Existenzphilosophie - Karl Jaspers, Martin Heidegger und Jean-Paul Sartre


Ende der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts kam eine neue philosophische Strömung zum Vorschein, die vorwiegend die zeitgenössische Situation des Individuums nach dem ersten Weltkrieg aufnahm – die Existenzphilosophie. Die ursprünglich in Deutschland von Karl Jaspers und Martin Heidegger begründete Denkrichtung wurde in der weiteren Entwicklung vor allem in Frankreich unter dem Begriff Existenzialismus bekannt, den Persönlichkeiten wie Jean-Paul Sartre, Albert Camus, Simone de Beauvoir sowie Gabriel Marcel entscheidend prägten.

Die Existenzphilosophen machten sich zur Aufgabe das Individuum ausgehend von seiner individuellen Existenz zu charakterisieren. Dabei ist nicht der Mensch an sich Gegenstand der Untersuchung, sondern die Existenz des Einzelnen ist für sie von Interesse.

Wie ist nun die Existenz des Individuums zu definieren? Otto Friedrich Bollnow, ein in der existenzphilosophischen Tradition stehender Philosoph sowie Erziehungswissenschaftler beschreibt die "Existenz" mit folgenden Worten:

Die Existenz bedeutet jenen innersten Kern im Menschen, der auch dann noch unberührt übrig bleibt, ja dann überhaupt erst richtig erfahren wird, wenn alles, was der Mensch in dieser Welt besitzt und an das, was er zugleich sein Herz hängen kann, ihm verloren geht oder sich als trügerisch erweist. (Bollnow: "Das Problem einer Überwindung des Existentialismus" in: Universitas, VIII, 1953)

Meine Existenz erfahre ich also in Situationen, in denen mir alles genommen wird. Wenn alles zugrunde geht bin ich nur noch auf mich selbst angewiesen und ich wende nun meinen Blick ab von den äußerlich zunichte werdenden Dingen. Ich konzentriere mich auf meinen "innersten Kern", der mein persönliches Wesen ausmacht.

Karl Jaspers, auf den im Folgenden noch näher eingegangen wird, spricht in seinem 1919 veröffentlichten Werk Die Psychologie der Weltanschauung von diesen Situationen als "Grenzsituationen". Das Menschsein, so Jaspers, ist zum einen durch das Sein im Augenblick, i.e. das Jetztsein bestimmt, zum anderen aber auch von den Grenzerfahrungen, in denen durch die Bedrohung der Existenz diese erst unmittelbar erfahren werden kann.

Worauf griff dieses Denken zurück? In der Regel werden zwei Vorläufer der Existenzphilosophie genannt – Sören Kierkegaard sowie Friedrich Nietzsche.
Der Däne Kierkegaard wurde 1813 in Kopenhagen geboren und starb verhältnismäßig jung im Jahre 1855. Der Mensch im Augenblick steht im Zentrum von Kierkegaards Überlegungen. Das Individuum erfährt sich selbst als ein zeitlich begrenztes Wesen, das jederzeit für ihn unvorhersehbaren Einflüssen ausgesetzt ist.                                                                                                                                                                                                                                                         
Sein Umfeld wird zunehmend als Bedrohung und als ein kontinuierlich sich Veränderndes von ihm erfahren, an dem er sich nicht mehr orientieren kann. Er gerät in einen Angstzustand, in dem er gleichzeitig ein Bewusstsein für seine Existenz entwickelt. Vor allem in seinen Werken Furcht und Zittern (1843; dt. Übersetzung 1882), Der Begriff Angst (1844; dt. Übersetzung 1890) sowie Die Krankheit zum Tode (1849; dt. Übersetzung 1881) beschreibt Kierkegaard sehr intensiv die Relation des Individuums zu seinem in den Grenzsituationen erfahrenen Existenzbewusstsein.

Neben Kierkegaard bereitete Friedrich Nietzsche (1844-1900) das existenziale Denken hauptsächlich mit seinen Werken Also sprach Zarathustra (1883) sowie Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben (in: Unzeitgemäße Betrachtungen 1973-1976) vor. Er beschreibt den Menschen, der sich in einer säkularisierten Welt befindet und alle transzendenten Bezugspunkte verloren hat. Er ist allein auf sich angewiesen. Angesichts dieses Nihilismus erfährt sich der Mensch als ungesichertes Wesen, das mit seinem Alleinsein zurechtkommen muss.

Auf dieser Grundlage basierend entwickeln nun Karl Jaspers sowie Martin Heidegger ihre Philosophie von der Existenzerfahrung des Individuums.

Karl Jaspers

wurde 1883 in Oldenburg geboren. Er studierte zunächst Jura, wechselte jedoch bald darauf zur Psychologie. Seine erste Lehrtätigkeit war die als eines Psychiaters. Von 1917 bis 1921 hatte er den Lehrstuhl für Psychiatrie in Heidelberg inne. Im selben Jahr stieg Jaspers jedoch in das Fach Philosophie um und fungierte bis zu seinem Schreibverbot im Jahre 1937 als Professor der Philosophie in Heidelberg. Erst 1945 konnte er seine Lehrtätigkeit wieder aufnehmen. Drei Jahre später wurde er an die Universität in Basel berufen, an der er bis zu seinem Tod im Jahre 1969 lehrte.
Karl Jaspers' Beiträge sind sowohl für die Philosophie, Psychiatrie, aber nicht zuletzt auch in politischen Debatten von großer Bedeutung gewesen. Seine eigentlichen existenzialphilosophischen Hauptwerke sind zum einen die bereits erwähnte Psychologie der Weltanschauung, zum anderen sein dreibändiges Werk Philosophie (1932).

Nach Jaspers ist die Existenz des Menschen "nichts Feststehendes, Gegebenes, sondern die beständige Herausforderung der Selbstwahl, des eigentlichen Seinkönnens, das zurückbezogen ist auf die Transzendenz als dem Grund der eigenen Existenz" (Frischmann, 373). Die Existenz bedeutet Sicht-Selbst-Sein zu können. Es besitzt die Möglichkeit im Hinblick auf ein transzendentes Wesen, das Jaspers Gott nennt, nach seiner eigentlichen Existenz zu streben und zu ihr vorzudringen. Verwirklicht sich ein Individuum nicht, so verfehlt es, nach Jaspers, sein wahres Ich.
Die Existenz des Individuums ist nicht als absolut anzusehen, sondern auf ein Transzendentes bezogen. Im dritten Band seines Werkes Philosophie beschreibt Jaspers seine Vorstellung von diesem Transzendenten. Für die Existenzphilosophie ist jedoch vor allem der zweite Band, der den Titel Existenzerhellung trägt, von Interesse. In diesem beschreibt er die Aufgabe der Existenzphilosophie, die er darin sieht, dass sie dem Menschen dazu verhelfen soll seine Existenz zu erhellen, sprich zu erfahren.
Diese Existenzerhellung kann keinesfalls mittels der Methoden erfolgen, die der herkömmlichen Wissenschaft dienen und sich stets auf objektiv Gegebenes beziehen. Die Existenz des Menschen ist niemals objektivierbar, denn sie setzt so etwas wie Freiheit voraus, die weder kausalbestimmt noch determiniert ist. Über dieses Sicht-Selbst-Sein können verfügt der Mensch in ungesicherter Freiheit. Vermittelt dagegen die Wissenschaft sowie die Gesellschaft ein Maß an Sicherheit für den Menschen, so ist dies, nach Jaspers, nur eine Illusion. In Grenzsituationen muss der Mensch zusehen, wie diese Konstrukte zerbrechen. Er verliert seinen fiktionalen Halt und muss sich ganz auf sich besinnen.      

Der in der Gesellschaft lebende Mensch befindet sich, nach Jaspers, stets in einer widersprüchlichen Situation. Die beliebige Austauschbarkeit des Einzelnen sowie die Zusammenarbeit sind für das Funktionieren einer Gesellschaft notwendig. Diese Organisation der Gesellschaft entspricht jedoch nicht dem Lebensverständnis des Individuums, das stets mit Grenzsituationen wie Tod, Angst, Schuld, Leiden, etc. konfrontiert ist und dadurch nicht integrierbar in ein Gesellschaftssystem ist.
Wie die Gesellschaft so begehen auch die Offenbarungsreligionen, wie das Christentum, den Fehler eine Scheinwelt zu kreieren, in der der Einzelne eine illusionäre Sicherheit besitzt. Ihr Versagen besteht nicht darin, dass sie Antworten suchen, sondern darin, dass sie mit ihren entworfenen Thesen eine Verbindlichkeit und Garantie aussprechen wollen. Im Unterschied zum religiösen Glauben besitzt die Philosophie – im Sinne der Existenzerhellung – keine Dogmatik. Sie zeichnet sich durch einen steten und unbedingten Wahrheitsstreben aus und ist für alles Neue offen.
Das wahre Ich ist für Jaspers ein individuelles, jedoch keinesfalls ein gesellschaftliches Ich: "Aber als soziales Ich bin ich nicht selbst" (Philosophie II,30), so wird er im marxistisch-leninistischen Wörterbuch der Philosophie zitiert. Es will damit zeigen, dass die Existenzphilosophen allesamt individualistisch die gesellschaftliche Natur des Menschen geleugnet haben.

Neben diesem sehr negativ wirkenden Bild des Individuums – sei es aufgrund seines Gefährdetseins in der Situation oder hinsichtlich seiner Nicht-Integrierbarkeit in den gesellschaftlichen Apparat – zeigt Jaspers aber auch Möglichkeiten auf, die der Mensch in seiner Freiheit besitzt.

Martin Heidegger

Neben Karl Jaspers wurde die Existenzphilosophie entscheidend von Martin Heidegger geprägt. Heidegger wurde 1989 in Meßkirch geboren. Er studierte bei Edmund Husserl in Freiburg, habilitierte sich und wurde Professor der Philosophie in Marburg. 1923 kehrte er nach Freiburg zurück und wurde Nachfolger seines Lehrers Edmund Husserl. 1933 wurde er zum Rektor der Universität Freiburg berufen und führte in einer strikten Weise die vom Nationalsozialismus angeordneten Maßnahmen zur Neuordnung der deutschen Universitäten durch. Im Zuge dessen verbot er Husserl das Betreten der Universität. Doch bereits ein Jahr später trat Heidegger von seinem Posten als Rektor zurück. Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs erhielt Heidegger Lehrverbot und wurde erst Anfang der fünfziger Jahre offiziell emeritiert. Bis zu seinem Tode im Jahre 1976 zog sich Heidegger vollends zurück und zeigte sich nur noch selten in der Öffentlichkeit.
Unweigerlich verbindet man mit der Person Heideggers nicht nur den einflussreichsten Philosophen des 20 Jahrhunderts, sondern auch den Parteigänger. Wie seine Nähe zum Nationalsozialismus zu deuten ist, bedürfte einer intensiven wie auch einer gründlichen Untersuchung, die hier nicht erfolgen soll. Signifikant jedoch, und das sei hier nur ansatzweise erwähnt, ist die Widersprüchlichkeit seines Handelns in den Jahren 1933 bis 1945 auf der einen Seite, sowie seine auf Individualität basierende, und somit dem System des Nationalsozialismus widersprechende, existenziale Daseinsanalyse auf der anderen Seite.

Heideggers Philosophie kann als Bruch mit allen philosophischen Traditionen angesehen werden. Er stellte fest, dass die philosophischen Denkkonstrukte lediglich eine Pseudosicherheit bieten, die den Menschen daran hindern sich selbst zu erfahren. Parallel zu Jaspers fungiert bei Heidegger die Philosophie dazu dem Menschen bei der Suche nach seiner Existenz – oder besser gesagt auf der Suche nach dem Sinn seiner Existenz – zu begleiten. Hierzu dient jedoch keinesfalls eine rational auf das Objekt beschränkte Wissenschaftssprache, sondern die Existenzphilosophie muss, nach Heidegger, das Sein des Menschen im hermeneutischen Sinne "auslegen". Wie man Texte interpretieren kann, so ist der Mensch, der schon immer ein Verständnis seines Seins besitzt, fähig eine Daseinshermeneutik zu betreiben. Die Existenz des Menschen muss zu Wort kommen, denn nur im Gesprochenen ist sie etwas Wirkliches.
Dafür entwickelt Heidegger eine eigene Sprache, die einer esoterischen gleicht und auf zum größten Teil von ihm selbst entwickelten Etymologien beruht. So spricht Heidegger in seinem Werk Sein und Zeit (1927) vom Menschsein als dem "Dasein" in der Welt.

Dieses Dasein geht im Alltag in der Masse unter. Es wird regelrecht vom man – hier als Ausdruck für die Existenz in der Masse – unterdrückt, seinem Sein entfremdet sowie von außen bestimmt. "Das Man nimmt dem Einzelnen die Entscheidungen ab, es entlastet von jeder Verantwortung, es gibt vor, wie das Leben zu gestalten ist" (Frischmann, 374).
Wird der Einzelne jedoch in seinem alltäglichen Handeln mit Grenzsituationen konfrontiert, so verliert er jeden Halt, den er in der Gesellschaft, etc. zu besitzen glaubte. "Die Situationen, in denen wir stehen, werden zu Grenzsituationen, wenn sie an den Augenblick herangeführt werden, in denen es um die letzten Dinge geht". Das Individuum erfährt in diesem Augenblick sein eigentliches Ich. Besonders im zweiten Abschnitt von Sein und Zeit beschreibt Heidegger diese Grenzsituationen.
Das Sicht-Selbst-Sein können des Individuums ist an seine begrenzte Lebenszeit gekoppelt. Im Bewusstsein des Todes können wir auf unser Sein schließen. Er ist der Schlüssel, denn wir benötigen um unser nur in Grenzsituationen sichtbareres Schloss zu unserem Inneren zu öffnen. Das Dasein ist stets mit Horizonten sowie mit unserer Geschichtlichkeit verbunden. Dieser Aspekt lässt an Heideggers Schüler Hans Georg Gadamer denken, der diesen Gedanken auf eine andere Weise fortgeführt hat.
Neben dem zentralen Begriff des Todes spielt für Heidegger die Schuld als Grenzerfahrung eine weitere wichtige Rolle. Das Individuum kann in seinem Handeln die Situation nie völlig überblicken. Es besitzt nur eine einseitige Perspektive und wird von äußeren sowie von inneren Faktoren stets beeinflusst. Der Mensch bleibt dem Augenblick des Handelns stets etwas schuldig.

Jean-Paul Sartre

Der Begriff der Freiheit des Individuums wird vor allem von Jean-Paul Sartre geprägt. Nachdem die Existenzphilosophie in Deutschland während des zweiten Weltkrieges teilweise zum Erliegen kam, besteht Sartres Bemühung darin diese Gedanken wieder aufzunehmen und sie weiterzuentwickeln. Sartre lebte von 1905 bis 1980 und ist neben seinen Beiträgen für die Philosophie durch seine literarischen Arbeiten und nicht zuletzt durch sein politisches Engagement, das er in diversen Theateraufführungen zeigte, für die Entwicklung in Frankreich wie auch für den Existenzialismus von außergewöhnlicher Bedeutung.                

In seinen Werken Das Sein und das Nichts (1943; dt. Übersetzung 1962) sowie in Ist der Existenzialismus ein Humanismus? (1946; dt. Übersetzung 1947) entwirft Sartre den Begriff des Individuums, das ausschließlich durch seine Freiheit charakterisiert ist. "Der Mensch ist keineswegs zunächst, um dann frei zu sein, sondern es gibt keinen Unterschied zwischen dem Sein des Menschen und seinem <Frei-sein>" (Das Sein und das Nichts, 483).

Dieses Freisein bedeutet von Nichts bestimmt zu sein. Der Mensch ist in seinem Handeln weder vor Gott noch vor irgendeiner Person, sei es die Mutter, Freund, etc., oder vor einer irdischen Instanz verantwortlich, sondern ist nur sich allein Rechenschaft für sein Tun schuldig. Das Individuum ist vom Nichts bestimmt und trägt daher für alles, was er tut oder lässt, die Verantwortung. Dies kann befreiend für ihn sein, jedoch auch einen Druck auf ihn auslösen, der sich zu einem Angstgefühl entwickeln kann. Angst besitzt der Mensch vor seinem Versagen und die daraus resultierenden Konsequenzen. Jedoch nur in dieser Freiheit verwirklicht der Mensch sein eigentliches Wesen.
Die alltägliche Situation entfremdet den Menschen. Er identifiziert sich mit Sicherheit sowie mit Determinationen und negiert somit sein eigenes Wesen der Freiheit und der Unbestimmtheit. Auch in der Beziehung zu seinem Mitmenschen wird seine Wirklichkeit negiert, indem er Objekt des anderen und gleichzeitig der andere für ihn zum Objekt wird. Nicht die durch die Subjektivität verkörperte Freiheit sieht er in seinem Gegenüber, sondern lediglich das An-sich-sein. Das lässt Sartre zur Schlussfolgerung kommen: "Die Hölle, das sind die anderen".
Peter Kampits fasst den ontologischen Hintergrund dieser Aussage im Zusammenhang mit der Liebe zwischen zwei Menschen nochmals prägnant zusammen:

Der mich liebende andere, der von mir als reine Subjektivität gefordert werden muss, verwandelt sich seinerseits in ein Objekt, das auf mich wirken will und läßt dadurch das Unternehmen Liebe ebenso scheitern, wie dies dann geschieht, wenn ich meinerseits den anderen liebend auf ihn einzuwirken suche. (Kampits 2004, S. 163)

Zum einen wird das Individuum in der Beziehung zu einem anderen Menschen seiner Freiheit beraubt. Gleichzeitig ist sie gerade für den Einzelnen vonnöten, sich selbst als wahres Ich erfahren zu können.

Abschließend gilt zu bemerken, dass die Existenzphilosophie – mit Gadamer gesprochen – in ihrem Horizont sowie ihrer Geschichtlichkeit zu verstehen ist.                                                
Der zunehmenden Systematisierung des Einzelnen in ein Gesellschaftssystem, wie sie vor allem in der Zeit des deutschen Idealismus (Hegel) bis ins 20. Jahrhundert vorgenommen wurde, entgegnen die Existenzphilosophen eine "radikalisierte Philosophie der Subjektivität" (Frischmann, 371). Das Individuum mit seinen Ängsten und Gefühlen wird in den Mittelpunkt gestellt und jede Organisation auf radikale Weise negiert.     


Literatur

Frischmann, Bärbel: "Existenz/Existenzphilosophie/Existenzialismus". In: Sandkühler, Hans Jörg (Hg.): Enzyklopädie Philosophie. Band 1. Hamburg: Felix Meiner Verlag 1999, 370-376

Hartmann, K.: "Existenzphilosophie". In: Ritter, Joachim (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 2. Völlig Neubearbeitete Ausgabe. Basel/Stuttgart: Schwabe &Co. Verlag 1972, 862-865

Kampits, Peter: Jean-Paul Sartre. Zwischen Absurdität und Freiheit. In: Fleischer, Margit (Hg.): Philosophen des 20. Jahrhunderts. Eine Einführung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2004. S. 153-170

Rehm, W./Staiger, E.: "Existenzphilosophie". In: Mittelstraß, Jürgen (Hg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Band 1. Unveränderte Sonderausgabe. Stuttgart/Weimar: Metzler Verlag 2004, 620-621

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Erstellt: Wintersemester 2005