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Existenzphilosophie:
Jaspers,
Heidegger, Sartre
Es
gibt eine deutsche Variante (Existenzphilosophie)
und eine französische (Existentialismus).
Der
Terminus Existentialismus setzt sich nach dem 2. Weltkrieg
durch.
Was
ist Existenz, was Existenzphilosophie?
Jaspers
nennt in Die Psychologie der Weltanschauungen,
1919, einerseits Menschsein im Augenblick, im Jetzt-sein,
und dann
gibt es
Situationen, die er als „Grenzsituationen“ bezeichnet.
Otto
F. Bollnow, deutscher Philosoph und Pädagoge, schreibt 1953:
„Existenz bedeutet
jenen innersten Kern im Menschen, der auch dann noch unberührt
bleibt, wenn alles
was der Mensch besitzen kann oder an dem sein Herz hängt,
verloren
geht.“
Die
Existenzphilosophie ist ein Denken, das seinen Ausgangspunkt in
der
menschlichen Existenz nimmt. Es geht immer um das Individuum,
das
Ich-Selbst,
den Einzelnen, seinen uneingeschränkten Willen zu
Wahrhaftigkeit.
Existenzphilosophie
bricht mit den Traditionen – führt zur Entfremdung.
Wurzeln
der Existenzphilosophie
Einer
der Vordenker ist Søren
Kierkegaard.
Er analysiert Augenblickserfahrungen, wie Erfahrung der Angst. Furcht und Zittern, Die Krankheit
zum Tode,
Der
Begriff Angst sind Beispiele
seiner Werktitel. Ein weiterer Vordenker ist Friedrich
Nietzsche:
Individuum als etwas Ungesichertes. Nicht gesicherte Existenz
des
bürgerlichen
Individuums.
Deutscher
Zweig: Karl
Jaspers,
Martin
Heidegger,
Otto
Friedrich
Bollnow,
Peter Wust
sind
prominente
christliche Existenzphilosophen, die anderen nehmen von
traditionellen
Religionen
Abschied. Französischer Zweig: Jean-Paul
Sartre, Albert
Camus,
Simone
de
Beauvoir,
Gabriel
Marcel
ua.
Karl Jaspers 1883-1969
Leben:
Jaspers
studiert kurz Jura, dann Medizin, 1913 Habilitation in
Psychologie, von
1921-1937 Professur in Philosophie an Uni Heidelberg. Ab 1937
Schreibverbot,
Jaspers bleibt aber in Deutschland. 1945-1948 wieder an Uni
Heidelberg,
danach in
Basel. Nach 1945 nimmt Jaspers auch immer wieder zu
zeitgeschichtlichen
politischen
Fragen Stellung (Atombombe, Zukunft des Menschen).
1919:
Psychologie der Weltanschauungen. Für
Jaspers gilt, dass das Individuum nur „Selbst“ werden kann in
Grenzsituationen,
in die er notwendigerweise gerät und andrereseits in der
Kommunikation. Die
vier Grenzsituationen sind Tod, Kampf, Schuld, Leiden, in ihnen
zerbrechen
gewohnte Denkhaltungen und wird die Fragwürdigkeit des Lebens
erfahren.
1932:
Philosophie in 3 Bänden.
1. Band:
Philosophische Weltorientierung. Wissenschaft
reduziert alles Sein auf „Objektsein“, aber „wissenschaftliche
Sacherkenntnis
ist nicht Seinserkenntnis“.
2. Band: Existenzerhellung. Existenzphilosophie
ist „das alle Sachkunde nutzende, aber überschreitende Denken,
durch das der
Mensch er selbst werden möchte. Dieses Denken erkennt nicht
Gegenstände,
sondern erhellt und erwirkt in einem das Sein dessen, der so
denkt.“ In
Grenzsituationen kann der Mensch verzweifeln, oder eine neue
Dimension
der
Freiheit entdecken, die Jaspers Transzendenz nennt.
3. Band: Metaphysik. Das Bewusstsein
der Transzendenz ist ein existenzielles – wer in eine
Grenzsituation
kommt,
transzendiert die Grenze zunächst im Verlangen, doch noch einen
Grund zur Lebensbejahung
zu finden. Freiheit als Erfahrung, mit der Eigenart eines
„Glaubens“
angesichts
der radikalen Endlichkeit.
1931
Die geistige Situation der Zeit.
Jaspers analysiert die geistigen Grundlagen und die
Daseinsordnung der
Moderne.
Zwei Faktoren wirken zusammen: die Herrschaft der modernen
Technik und
das
Massendasein. Daseinsordnung ist auf Versorgung der Masse und
Errichtung eines
Kontrollapparates ausgerichtet. Die Zerstörung der eigentlichen
Daseinswelt
führt zu geistiger Nivellierung, Mechanisierung der Arbeit,
Bürokratisierung; und
zur beliebigen Austauschbarkeit jedes Einzelnen. Dies entspricht
nicht
dem
eigentlichen Lebensverständnis, dem Selbstsein, der Menschen und
führt daher
zum Widerspruch: „Nichtintegrieren des Einzelnen in den
Apparat“.
Soziologie,
Psychologie, Anthropologie sehen Menschen als Objekt. Auch
Einfindung
in
Gesellschaft bietet nur trügerische Sicherheit, Jaspers: „Als
soziales Ich bin
ich nicht ich selbst.“
Martin Heidegger 1889-1976
Leben:
studiert
in Freiburg bei Edmund Husserl, Professur in Marburg, danach
wieder
Freiburg. 1933 Rektor der Universität Freiburg. Heidegger ist
Parteigänger des
Nationalsozialismus, verbietet Husserl das Betreten der
Universität. Nach 1945 mit
Lehrverbot belegt. (vgl. zu dieser Thematik allgemein: Franz M.
Wimmer:
„Rassismus
und
Kulturphilosophie“, Der
geistige
„Anschluß“)
Heideggers
Bedeutung für die Existenzphilosophie ist nur eine Facette
seines
vielseitigen
Einflusses (vgl. Phänomenologie, Hermeneutik, Literaturtheorie,
Philosophiegeschichtsschreibung
ua). Heidegger, ein blendender Pädagoge mit
außergewöhnlichem Sprachvermögen publiziert
ursprünglich in Latein, später in Griechisch und dann in
Deutsch. Beispiel für
seine esoterische Sprache in Sein und Zeit:
„Dasein“ statt „Mensch“.
Hauptwerk
Sein
und Zeit 1927,
sehr
fragmentarisch, sollten eigentlich 6 Bücher werden.
Anders
als die traditionelle Philosophie sieht Heidegger den Ursprung
der
Philosophie
im Seinsverständnis. Die Weise des Menschen zu sein nennt
Heidegger Dasein. Zum
Dasein gehört, dass man das eigene Sein erfährt. Der 1.
Abschnitt ist daher
eine „Fundamentalanalyse des Daseins“. Der 2. Abschnitt widmet
sich der
„Eigentlichkeit“
des Daseins in der Zeitlichkeit, die Zeit ist der Horizont des
Seinsverständnisses. Der Tod ist stets möglich, Dasein ist
daher „Vorlaufen zum
Tod“, eine radikale Möglichkeitserfahrung. Der 3. Abschnitt wird
nicht
publiziert, Heidegger sagt, er habe ihn verbrannt.
Heidegger
selbst will Sein und Zeit nicht als
Beitrag zur Existenzphilosophie verstanden haben, sieht Frage
nach existentia (dass etwas ist) nur als
Vorstufe zur Frage der essentia (was
etwas ist).
In Unterwegs
zur Sprache 1959, eine
Sammlung von sechs Texten, meint Heidegger: Die Sprache ist das
Sein
des
Menschen. Was als das Sein erfahrbar wird, bedarf noch der
Sprache, um
sich
ereignen zu können. Die frühe Konzeption von Sein
und Zeit kommt unter dem Stichwort Hermeneutik
(Daseinshermeneutik)
zur Sprache (Heideggers Schüler Hans-Georg
Gadamer wird das weiterführen). Sowohl Heidegger als auch
Gadamer üben Technikkritik:
Moderne Technik bietet etwas, dem man
sich unterwirft, man bedeutet
Existenz in der Masse. Vgl. José Ortega y Gasset: Der
Aufstand
der Massen, 1930.
Jean-Paul
Sartre 1905-1980
Literaturempfehlung:
Peter
Kampits: „Jean-Paul Sartre, Zwischen Absurdität und Freiheit“,
im
Sammelband
von Margot Fleischer: Philosophen des 20.
Jahrhunderts, Wiss.Buchges. Darmstadt, 1990
Leben:
Sartre macht bereits als Kind die Erfahrung, wer nicht zuhause
ist,
muss sich
sein Existenzrecht erst verdienen, wer brillante Aufsätze
verfassen kann
gewinnt dadurch und fasst daher im Alter von acht Jahren den
Entschluss,
Schriftsteller zu werden. Er studiert Literatur und Philosophie,
1929
lernt er
Simone de Beauvoir kennen. Seinem ersten Roman La
Nausée (Der Ekel), folgen Die
Mauer, Die Wege der Freiheit, Die
Fliegen. Nach Befreiung aus der
Kriegsgefangenschaft gründet er den intellektuellen
Widerstandskreis Socialisme
et liberté, 1945 die Zeitschrift Les
Temps modernes. Sartre war Zeit seines Lebens politisch höchst
aktiv (Les
communistes et la paix, 1952; Déclaration sur le
droit
à l’insoummission
dans la guerre d’Algerie, 1960 - um nur zwei
aufsehenerregende
Aufsätze zu
nennen). 1964 wird ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen,
den
er aus
Protest gegen die politische Orientierung der schwedischen
Akademie
ablehnt.
Wichtigstes
philosophisches
Werk:
L'être et le néant, 1943 (Das Sein
und das Nichts, 1962) Der Untertitel lautet: Versuch
einer
phänomenologischen Ontologie. Grundlage
bildet das vorreflexive cogito aus Sartres früheren
Untersuchungen. Das Sein
des Phänomens erschöpft sich nicht in seinem Erscheinen, es
gibt ein
transphänomenales Sein des Bewusstseins wie des Phänomens
selbst. Sartre unterscheidet
zwei Seinweisen: das An-sich = „ist, was es ist“ und das
Für-sich
= (das
Bewusstsein) „zu sein hat, was es ist“. An-sich und Für-sich
sind
unvereinbar.
Im 1. Teil „Das Problem des Nichts“ ist der Mensch der Ursprung
des
Nichts, das
Nichts selbst wiederum ist Freiheit. Die Angst davor führt zur
Unaufrichtigkeit. Im 2. Teil „Das Für-sich-sein“ führen Werte
den Menschen zur
Entfaltung seiner Möglichkeiten – im „Zirkel der Selbstheit“
wird
Sein
erfahren, immer gebunden an Zeitlichkeit. Sartre analysiert
diese
Zeitlichkeit:
die Seinsweise des Für-sich kann niemals die eigene Zukunft
sein.
„Freisein
bedeutet, dazu verurteilt sein, frei zu sein“. Der 3. Teil „Das
Für-Andere“
enthält Sartres Aussage, die volle Entfaltung der
Ich-Anderer-Beziehung erfolgt
erst durch die Dimension des Körpers (Liebe, Sprache,
Masochismus,
Gleichgültigkeit, Begierde, Hass, Sadismus). Diese Aussage
erregt
große
Aufmerksamkeit. Der 4. Teil „Haben, Handeln und Sein“ nennt als
erste
Bedingung
des Handelns die Freiheit. Die Freiheit ist immer Freiheit in
einer
Situation,
wie die Situation nur durch die Freiheit eine Situation wird.
Der
4.Teil
schließt mit der Forderung nach einer „existentiellen
Psychoanalyse“, Verhaltensweisen,
Triebe und Neigungen müssen nicht nur aufgelistet sondern auch
„entziffert“
werden.
Auch Sartre bestimmt die Grundthese seines Existentialismus
damit, dass
die
Existenz des Menschen der Essenz des Menschen vorausgeht. Der
Mensch
schafft
durch die radikale freie Wahl seiner selbst sich selbst.
Alexander Schubach:
Existenzphilosophie -
Karl Jaspers, Martin Heidegger und Jean-Paul Sartre
Ende der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts kam eine neue
philosophische Strömung zum Vorschein, die vorwiegend die
zeitgenössische Situation des Individuums nach dem ersten
Weltkrieg aufnahm – die Existenzphilosophie. Die ursprünglich in
Deutschland von Karl Jaspers und Martin Heidegger begründete
Denkrichtung wurde in der weiteren Entwicklung vor allem in
Frankreich
unter dem Begriff Existenzialismus bekannt, den Persönlichkeiten
wie Jean-Paul Sartre, Albert Camus, Simone de Beauvoir sowie
Gabriel
Marcel entscheidend prägten.
Die Existenzphilosophen machten sich zur Aufgabe das Individuum
ausgehend von seiner individuellen Existenz zu charakterisieren.
Dabei
ist nicht der Mensch an sich Gegenstand der Untersuchung, sondern
die
Existenz des Einzelnen ist für sie von Interesse.
Wie ist nun die Existenz des Individuums zu definieren? Otto
Friedrich Bollnow, ein in der existenzphilosophischen Tradition
stehender Philosoph sowie Erziehungswissenschaftler beschreibt die
"Existenz" mit folgenden Worten:
Meine Existenz erfahre ich also in Situationen, in denen mir
alles
genommen wird. Wenn alles zugrunde geht bin ich nur noch auf mich
selbst angewiesen und ich wende nun meinen Blick ab von den
äußerlich zunichte werdenden Dingen. Ich konzentriere mich
auf meinen "innersten Kern", der mein persönliches Wesen ausmacht.
Karl Jaspers, auf den im Folgenden noch näher eingegangen wird,
spricht in seinem 1919 veröffentlichten Werk Die Psychologie der Weltanschauung
von diesen Situationen als "Grenzsituationen". Das Menschsein, so
Jaspers, ist zum einen durch das Sein im Augenblick, i.e. das
Jetztsein
bestimmt, zum anderen aber auch von den Grenzerfahrungen, in denen
durch die Bedrohung der Existenz diese erst unmittelbar erfahren
werden
kann.
Worauf griff dieses Denken zurück? In der Regel werden zwei
Vorläufer der Existenzphilosophie genannt – Sören Kierkegaard
sowie Friedrich Nietzsche.
Der Däne Kierkegaard
wurde 1813 in Kopenhagen geboren und starb
verhältnismäßig jung im Jahre 1855. Der Mensch im
Augenblick steht im Zentrum von Kierkegaards Überlegungen. Das
Individuum erfährt sich selbst als ein zeitlich begrenztes Wesen,
das jederzeit für ihn unvorhersehbaren Einflüssen ausgesetzt
ist.
Sein Umfeld wird zunehmend als Bedrohung und als ein
kontinuierlich
sich Veränderndes von ihm erfahren, an dem er sich nicht mehr
orientieren kann. Er gerät in einen Angstzustand, in dem er
gleichzeitig ein Bewusstsein für seine Existenz entwickelt. Vor
allem in seinen Werken Furcht
und
Zittern (1843; dt. Übersetzung 1882), Der Begriff Angst (1844; dt.
Übersetzung 1890) sowie Die
Krankheit zum Tode (1849; dt. Übersetzung 1881)
beschreibt
Kierkegaard sehr intensiv die Relation des Individuums zu seinem
in den
Grenzsituationen erfahrenen Existenzbewusstsein.
Neben Kierkegaard bereitete Friedrich Nietzsche (1844-1900) das
existenziale Denken hauptsächlich mit seinen Werken Also sprach Zarathustra
(1883)
sowie Vom Nutzen und Nachteil
der
Historie für das Leben (in: Unzeitgemäße
Betrachtungen 1973-1976) vor. Er beschreibt den Menschen, der sich
in
einer säkularisierten Welt befindet und alle transzendenten
Bezugspunkte verloren hat. Er ist allein auf sich angewiesen.
Angesichts dieses Nihilismus erfährt sich der Mensch als
ungesichertes Wesen, das mit seinem Alleinsein zurechtkommen muss.
Auf dieser Grundlage basierend entwickeln nun Karl Jaspers sowie
Martin Heidegger ihre Philosophie von der Existenzerfahrung des
Individuums.
Karl Jaspers
wurde 1883 in Oldenburg geboren. Er studierte zunächst Jura,
wechselte jedoch bald darauf zur Psychologie. Seine erste
Lehrtätigkeit war die als eines Psychiaters. Von 1917 bis 1921
hatte er den Lehrstuhl für Psychiatrie in Heidelberg inne. Im
selben Jahr stieg Jaspers jedoch in das Fach Philosophie um und
fungierte bis zu seinem Schreibverbot im Jahre 1937 als Professor
der
Philosophie in Heidelberg. Erst 1945 konnte er seine Lehrtätigkeit
wieder aufnehmen. Drei Jahre später wurde er an die
Universität in Basel berufen, an der er bis zu seinem Tod im Jahre
1969 lehrte.
Karl Jaspers' Beiträge sind sowohl für die Philosophie,
Psychiatrie, aber nicht zuletzt auch in politischen Debatten von
großer Bedeutung gewesen. Seine eigentlichen
existenzialphilosophischen Hauptwerke sind zum einen die bereits
erwähnte Psychologie der
Weltanschauung, zum anderen sein dreibändiges Werk Philosophie (1932).
Nach Jaspers ist die Existenz des Menschen "nichts Feststehendes,
Gegebenes, sondern die beständige Herausforderung der Selbstwahl,
des eigentlichen Seinkönnens, das zurückbezogen ist auf die
Transzendenz als dem Grund der eigenen Existenz" (Frischmann,
373). Die
Existenz bedeutet Sicht-Selbst-Sein zu können. Es besitzt die
Möglichkeit im Hinblick auf ein transzendentes Wesen, das Jaspers
Gott nennt, nach seiner eigentlichen Existenz zu streben und zu
ihr
vorzudringen. Verwirklicht sich ein Individuum nicht, so verfehlt
es,
nach Jaspers, sein wahres Ich.
Die Existenz des Individuums ist nicht als absolut anzusehen,
sondern
auf ein Transzendentes bezogen. Im dritten Band seines Werkes Philosophie beschreibt
Jaspers
seine Vorstellung von diesem Transzendenten. Für die
Existenzphilosophie ist jedoch vor allem der zweite Band, der den
Titel
Existenzerhellung trägt, von Interesse. In diesem beschreibt er
die Aufgabe der Existenzphilosophie, die er darin sieht, dass sie
dem
Menschen dazu verhelfen soll seine Existenz zu erhellen, sprich zu
erfahren.
Diese Existenzerhellung kann keinesfalls mittels der Methoden
erfolgen,
die der herkömmlichen Wissenschaft dienen und sich stets auf
objektiv Gegebenes beziehen. Die Existenz des Menschen ist niemals
objektivierbar, denn sie setzt so etwas wie Freiheit voraus, die
weder
kausalbestimmt noch determiniert ist. Über dieses
Sicht-Selbst-Sein können verfügt der Mensch in ungesicherter
Freiheit. Vermittelt dagegen die Wissenschaft sowie die
Gesellschaft
ein Maß an Sicherheit für den Menschen, so ist dies, nach
Jaspers, nur eine Illusion. In Grenzsituationen muss der Mensch
zusehen, wie diese Konstrukte zerbrechen. Er verliert seinen
fiktionalen Halt und muss sich ganz auf sich
besinnen.
Der in der Gesellschaft lebende Mensch befindet sich, nach
Jaspers,
stets in einer widersprüchlichen Situation. Die beliebige
Austauschbarkeit des Einzelnen sowie die Zusammenarbeit sind für
das Funktionieren einer Gesellschaft notwendig. Diese Organisation
der
Gesellschaft entspricht jedoch nicht dem Lebensverständnis des
Individuums, das stets mit Grenzsituationen wie Tod, Angst,
Schuld,
Leiden, etc. konfrontiert ist und dadurch nicht integrierbar in
ein
Gesellschaftssystem ist.
Wie die Gesellschaft so begehen auch die Offenbarungsreligionen,
wie
das Christentum, den Fehler eine Scheinwelt zu kreieren, in der
der
Einzelne eine illusionäre Sicherheit besitzt. Ihr Versagen besteht
nicht darin, dass sie Antworten suchen, sondern darin, dass sie
mit
ihren entworfenen Thesen eine Verbindlichkeit und Garantie
aussprechen
wollen. Im Unterschied zum religiösen Glauben besitzt die
Philosophie – im Sinne der Existenzerhellung – keine Dogmatik. Sie
zeichnet sich durch einen steten und unbedingten Wahrheitsstreben
aus
und ist für alles Neue offen.
Das wahre Ich ist für Jaspers ein individuelles, jedoch
keinesfalls ein gesellschaftliches Ich: "Aber als soziales Ich bin
ich
nicht selbst" (Philosophie II,30), so wird er im
marxistisch-leninistischen Wörterbuch der
Philosophie zitiert. Es will damit zeigen, dass die
Existenzphilosophen allesamt individualistisch die
gesellschaftliche
Natur des Menschen geleugnet haben.
Neben diesem sehr negativ wirkenden Bild des Individuums – sei es
aufgrund seines Gefährdetseins in der Situation oder hinsichtlich
seiner Nicht-Integrierbarkeit in den gesellschaftlichen Apparat –
zeigt
Jaspers aber auch Möglichkeiten auf, die der Mensch in seiner
Freiheit besitzt.
Martin Heidegger
Neben Karl Jaspers wurde die Existenzphilosophie
entscheidend
von Martin Heidegger geprägt. Heidegger wurde 1989 in
Meßkirch geboren. Er studierte bei Edmund Husserl in Freiburg,
habilitierte sich und wurde Professor der Philosophie in Marburg.
1923
kehrte er nach Freiburg zurück und wurde Nachfolger seines Lehrers
Edmund Husserl. 1933 wurde er zum Rektor der Universität Freiburg
berufen und führte in einer strikten Weise die vom
Nationalsozialismus angeordneten Maßnahmen zur Neuordnung der
deutschen Universitäten durch. Im Zuge dessen verbot er Husserl
das Betreten der Universität. Doch bereits ein Jahr später
trat Heidegger von seinem Posten als Rektor zurück. Nach dem Ende
des zweiten Weltkriegs erhielt Heidegger Lehrverbot und wurde erst
Anfang der fünfziger Jahre offiziell emeritiert. Bis zu seinem
Tode im Jahre 1976 zog sich Heidegger vollends zurück und zeigte
sich nur noch selten in der Öffentlichkeit.
Unweigerlich verbindet man mit der Person Heideggers nicht nur den
einflussreichsten Philosophen des 20 Jahrhunderts, sondern auch
den
Parteigänger. Wie seine Nähe zum Nationalsozialismus zu
deuten ist, bedürfte einer intensiven wie auch einer
gründlichen Untersuchung, die hier nicht erfolgen soll.
Signifikant jedoch, und das sei hier nur ansatzweise erwähnt, ist
die Widersprüchlichkeit seines Handelns in den Jahren 1933 bis
1945 auf der einen Seite, sowie seine auf Individualität
basierende, und somit dem System des Nationalsozialismus
widersprechende, existenziale Daseinsanalyse auf der anderen
Seite.
Heideggers Philosophie kann als Bruch mit allen philosophischen
Traditionen angesehen werden. Er stellte fest, dass die
philosophischen
Denkkonstrukte lediglich eine Pseudosicherheit bieten, die den
Menschen
daran hindern sich selbst zu erfahren. Parallel zu Jaspers
fungiert bei
Heidegger die Philosophie dazu dem Menschen bei der Suche nach
seiner
Existenz – oder besser gesagt auf der Suche nach dem Sinn seiner
Existenz – zu begleiten. Hierzu dient jedoch keinesfalls eine
rational
auf das Objekt beschränkte Wissenschaftssprache, sondern die
Existenzphilosophie muss, nach Heidegger, das Sein des Menschen im
hermeneutischen Sinne "auslegen". Wie man Texte interpretieren
kann, so
ist der Mensch, der schon immer ein Verständnis seines Seins
besitzt, fähig eine Daseinshermeneutik zu betreiben. Die Existenz
des Menschen muss zu Wort kommen, denn nur im Gesprochenen ist sie
etwas Wirkliches.
Dafür entwickelt Heidegger eine eigene Sprache, die einer
esoterischen gleicht und auf zum größten Teil von ihm selbst
entwickelten Etymologien beruht. So spricht Heidegger in seinem
Werk Sein und Zeit
(1927) vom Menschsein
als dem "Dasein" in der Welt.
Dieses Dasein geht im Alltag in der Masse unter. Es wird
regelrecht
vom man – hier als Ausdruck für die Existenz in der Masse –
unterdrückt, seinem Sein entfremdet sowie von außen
bestimmt. "Das Man nimmt dem Einzelnen die Entscheidungen ab, es
entlastet von jeder Verantwortung, es gibt vor, wie das Leben zu
gestalten ist" (Frischmann, 374).
Wird der Einzelne jedoch in seinem alltäglichen Handeln mit
Grenzsituationen konfrontiert, so verliert er jeden Halt, den er
in der
Gesellschaft, etc. zu besitzen glaubte. "Die Situationen, in denen
wir
stehen, werden zu Grenzsituationen, wenn sie an den Augenblick
herangeführt werden, in denen es um die letzten Dinge geht". Das
Individuum erfährt in diesem Augenblick sein eigentliches Ich.
Besonders im zweiten Abschnitt von Sein und Zeit beschreibt
Heidegger
diese Grenzsituationen.
Das Sicht-Selbst-Sein können des Individuums ist an seine
begrenzte Lebenszeit gekoppelt. Im Bewusstsein des Todes können
wir auf unser Sein schließen. Er ist der Schlüssel, denn wir
benötigen um unser nur in Grenzsituationen sichtbareres Schloss zu
unserem Inneren zu öffnen. Das Dasein ist stets mit Horizonten
sowie mit unserer Geschichtlichkeit verbunden. Dieser Aspekt lässt
an Heideggers Schüler Hans Georg Gadamer denken, der diesen
Gedanken auf eine andere Weise fortgeführt hat.
Neben dem zentralen Begriff des Todes spielt für Heidegger die
Schuld als Grenzerfahrung eine weitere wichtige Rolle. Das
Individuum
kann in seinem Handeln die Situation nie völlig überblicken.
Es besitzt nur eine einseitige Perspektive und wird von
äußeren sowie von inneren Faktoren stets beeinflusst. Der
Mensch bleibt dem Augenblick des Handelns stets etwas schuldig.
Jean-Paul Sartre
Der Begriff der Freiheit des Individuums wird vor allem von
Jean-Paul Sartre geprägt. Nachdem die Existenzphilosophie in
Deutschland während des zweiten Weltkrieges teilweise zum Erliegen
kam, besteht Sartres Bemühung darin diese Gedanken wieder
aufzunehmen und sie weiterzuentwickeln. Sartre lebte von 1905 bis
1980
und ist neben seinen Beiträgen für die Philosophie durch
seine literarischen Arbeiten und nicht zuletzt durch sein
politisches
Engagement, das er in diversen Theateraufführungen zeigte,
für die Entwicklung in Frankreich wie auch für den
Existenzialismus von außergewöhnlicher
Bedeutung.
In seinen Werken Das Sein und
das
Nichts (1943; dt. Übersetzung 1962) sowie in Ist der Existenzialismus ein
Humanismus?
(1946; dt. Übersetzung 1947) entwirft Sartre den Begriff des
Individuums, das ausschließlich durch seine Freiheit
charakterisiert ist. "Der Mensch ist keineswegs zunächst, um dann
frei zu sein, sondern es gibt keinen Unterschied zwischen dem Sein
des
Menschen und seinem <Frei-sein>" (Das Sein und das Nichts, 483).
Dieses Freisein bedeutet von Nichts bestimmt zu sein. Der Mensch
ist
in seinem Handeln weder vor Gott noch vor irgendeiner Person, sei
es
die Mutter, Freund, etc., oder vor einer irdischen Instanz
verantwortlich, sondern ist nur sich allein Rechenschaft für sein
Tun schuldig. Das Individuum ist vom Nichts bestimmt und trägt
daher für alles, was er tut oder lässt, die Verantwortung.
Dies kann befreiend für ihn sein, jedoch auch einen Druck auf ihn
auslösen, der sich zu einem Angstgefühl entwickeln kann.
Angst besitzt der Mensch vor seinem Versagen und die daraus
resultierenden Konsequenzen. Jedoch nur in dieser Freiheit
verwirklicht
der Mensch sein eigentliches Wesen.
Die alltägliche Situation entfremdet den Menschen. Er
identifiziert sich mit Sicherheit sowie mit Determinationen und
negiert
somit sein eigenes Wesen der Freiheit und der Unbestimmtheit. Auch
in
der Beziehung zu seinem Mitmenschen wird seine Wirklichkeit
negiert,
indem er Objekt des anderen und gleichzeitig der andere für ihn
zum Objekt wird. Nicht die durch die Subjektivität
verkörperte Freiheit sieht er in seinem Gegenüber, sondern
lediglich das An-sich-sein. Das lässt Sartre zur Schlussfolgerung
kommen: "Die Hölle, das sind die anderen".
Peter Kampits fasst den ontologischen Hintergrund dieser Aussage
im
Zusammenhang mit der Liebe zwischen zwei Menschen nochmals
prägnant zusammen:
Zum einen wird das Individuum in der Beziehung zu einem anderen
Menschen seiner Freiheit beraubt. Gleichzeitig ist sie gerade für
den Einzelnen vonnöten, sich selbst als wahres Ich erfahren zu
können.
Abschließend gilt zu bemerken, dass die Existenzphilosophie – mit
Gadamer gesprochen – in ihrem Horizont sowie ihrer
Geschichtlichkeit zu
verstehen
ist.
Der zunehmenden Systematisierung des Einzelnen in ein
Gesellschaftssystem, wie sie vor allem in der Zeit des deutschen
Idealismus (Hegel) bis ins 20. Jahrhundert vorgenommen wurde,
entgegnen
die Existenzphilosophen eine "radikalisierte Philosophie der
Subjektivität" (Frischmann, 371). Das Individuum mit seinen
Ängsten und Gefühlen wird in den Mittelpunkt gestellt und
jede Organisation auf radikale Weise negiert.
Literatur
Zur Einstiegsseite der Vorlesung.
Diese Seiten werden eingerichtet und gewartet von
Franz Martin
Wimmer
Erstellt: Wintersemester 2005