Universität Wien

Wimmer: Vorlesung WS 2005/06
180210 Philosophie im 20. Jahrhundert

3. Vorlesung 18. Oktober 2005:
Überblick 1. Periode (bis 1914)
Idealismus und Lebensphilosophie


Beispiele für philosophische und philosophisch relevante Literatur zwischen 1900 und 1914: pdf-File (24 KB)

Die in dieser Liste beispielhaft ausgewählten Buchtitel zu philosophischen Fragen mit Erscheinungsjahr zwischen 1900 und 1914 zeigen das Vorherrschen bestimmter Problemstellungen, wobei insbesondere auffällt:


Zur "Lebensphilosophie"

In der Vorlesung wurde zunächst der informative Artikel Lebensphilosophie in Wikipedia (deutsch) kommentiert.
Zwei Autoren wurden dann näher vorgestellt: Henri Bergson und Wilhelm Dilthey.
Die entsprechenden Wikipedia-Einträge zu Bergson bzw. Dilthey sind derzeit noch nicht sehr informativ, sofern sie wenig über deren Theorien aussagen.
Hingegen sind die entsprechenden Darstellungen in
zu empfehlen und wurden in der Vorlesung diskutiert. Zu diesem sehr nützlichen (und derzeit sehr preiswerten) Buch gibt es Rezensionen im Internet wie z.B.:
Mehrere Themen wurden im Vortrag und in der Diskussion angesprochen, wie z.B.:

Nachtrag zur Diskussion von Mathias Thaler:
Bergsons Erbe und die "Sokal-Affäre"

Nicht nur zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in der Romantik, und am Anfang des 20. Jahrhunderts, in der Lebensphilosophie, kommt es zu Konflikten zwischen den Natur- und den Geisteswissenschaften. Am Ende des 20. Jahrhunderts erlaubt sich noch einmal ein Naturwissenschaftler einen Scherz, um aller Welt vor Augen zu führen, zu welch grandiosem Humbug sich die Geisteswissenschaften, vor allem die Philosophie französischer Provenienz, haben hinreissen lassen. In einem Text, den er selbst später als puren Unsinn enttarnte, versuchte der New Yorker Physiker Alan Sokal den gängigen Jargon der Postmoderne zu imitieren, dessen herausstechendes Merkmal seines Erachtens darin besteht, dass naturwissenschaftliches Halbwissen in metaphorischer Weise verbrämt wird, ganz einfach um rhetorischen Eindruck zu schinden.
Dieser Text mit dem an sich schon Verdacht erregenden, wenngleich "authentisch" großtönenden Titel "Transgressing the Boundaries: Towards a Transformative Hermeneutics of Quantum Gravity" wurde 1996 tatsächlich von dem amerikanischen Fachjournal "Social Text" publiziert. Die Selbstentlarvung Sokals als Aufschneider entfachte eine wilde Polemik um das Verhältnis zwischen moderner Naturwissenschaft und zunehmend isoliert auftretenden Geisteswissenschaften.
Sokal wurde vielfach vorgeworfen, die spezifischen Konzepte der postmodernen Philosophie aus dem Kontext zu reißen und damit demselben Fehler aufzusitzen, den er wiederum eben jenen Theorieströmungen zum Vorwurf machte. Ein Jahr später erfolgte unter der Mitautorschaft von Jean Bricmont die Veröffentlichung des als Fortsetzung und Ergänzung konzipierten Buches "Impostures Intellectuelles", in dem eine systematische Auseinandersetzung mit Sokals liebsten Feinden wie Deleuze, Guattari, Lacan und besonders auch Bergson vollzogen wurde. Die Differenzen zwischen Einstein und Bergson hinsichtlich des Zeitbegriffs werden darin als eindeutige Missverständnisse seitens Bergsons gedeutet.
Insgesamt beweist die inzwischen so genannte "Sokal-Affäre", dass dem Verhältnis zwischen Natur- und Geistesweissenschaften auch mehr als hundert Jahre nach Diltheys Plädoyer für die Kraft des Verstehens keineswegs der Konfliktstoff ausgegangen ist. Das teils sanguinische Temperament aller an der Affäre Beteiligten scheint eher zu belegen, dass die angebrochenen "Culture Wars" besonders lange dauern werden. Es gibt auch Anzeichen dafür, dass sich die Polemik auf immer mehr Themengebiete wie z. B. die Frage nach der Willensfreiheit oder der Euthanasie auszubreiten beginnt. Oft wird dabei nicht bedacht, dass aus solchen Konflikten auch für die Geisteswissenschaften, sofern sie sich nicht hinter einer esoterischen Fachterminologie verbarrikadieren, viel zu lernen ist.

Vgl. die Dokumentation der Debatte auf: http://www.physics.nyu.edu/faculty/sokal/

Zur Einstiegsseite der Vorlesung.


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Erstellt: Wintersemester 2005