Die in dieser Liste beispielhaft
ausgewählten Buchtitel zu philosophischen Fragen mit
Erscheinungsjahr zwischen 1961 und 1989 zeigen die Entwicklung neuer
Richtungen und Fragestellungen neben der Weiterentwicklung
früherer Ansätze:
Logik, Erkenntnis- und
Wissenschaftstheorie: im deutschen Sprachraum ist in dieser Zeit
die Übernahme (Übersetzungen v.a. aus dem
Englischen) und Weiterführung analytischer Philosophie von
Bedeutung, aber auch die Auseinandersetzung mit (neo-)marxistischer
Theorie, v.a. im sogenannten "Positivismusstreit"
(ab 1961). Kontrahenten sind hier z.B. Albert und Popper auf der einen,
Adorno und Habermas auf der anderen Seite.
Ab den 1970-er Jahren tritt der Konstruktivismus
stark in Erscheinung (Autoren z.B.: Watzlawick, Glasersfeld, von
Förster, Maturana/Varela, Kamlah/Lorenzen, Luhmann u.a.) und steht
in Auseinandersetzung nicht nur mit traditionellen Positionen, sondern
etwa auch mit der "evolutionären
Erkenntnistheorie" (Lorenz, Vollmer, Riedl u.a.).
Gegen Ende dieser Periode diversifizieren sich Diskurse über
Erkenntnis und Wissenschaft stark: agnostische Positionen (Feyerabend)
sind ebenso wie feministische Reflexionen (Kristeva, Irigaray, Cixous,
Harding, Heller) und poststrukturalistische Thesen (Glucksmann,
Lyotard, Deleuze, Barthes, Bourdieu, Rorty u.a.) einflussreich.
Ethik, Rechts- und
Gesellschaftstheorie: sind in ihren Fragestellungen stark von
der Auseinandersetzung zwischen (neo-)marxistischen (z.B. Frankfurter
Schule) und liberalen TheoretikerInnen (z.B. Rawls, Nozik)
geprägt. Es entstehen aber auch wichtige Werke, die nicht so
zuordenbar sind (z.B. Jonas 1979). Eine einflussreiche Richtung in der
Theorie der Normen bezieht sich auf biologische Grundlagen des
Verhaltens (z.B. Eibl-Eibesfeldt, Lorenz), andere Untersuchungen
betreffen die psychologischen Stadien normativer Urteilsfähigkeit
(Piaget, Kohlberg) oder auch deren möglichen Genderaspekt
(Gilligan).
Unterschiedliche Bereiche philosophischer Reflexion werden in
neuer Weise angesprochen in Richtungen, die nicht ausschließlich
- und nicht unbedingt primär - in dieser Disziplin ihren Ursprung
haben. Dazu zähle ich strukturalistische,postmoderne, feministische und postkoloniale
Diskurse.
Die Geschichtsschreibung der
Philosophie in dieser Periode spiegelt die allgemeinen Diskurse
wieder. Um nur einige Beispiele zu nennen:
-- im Gefolge strukturalistischer Theorie wird die Geschichte der
Philosophiegeschichtsschreibung thematisiert (Braun 1973, Santinello
1979ff u.a.)
-- die Geschichte von Philosophinnen wird zunehmend thematisiert
(Gössmann 1984, Ménage 1984 u.a.)
-- ebenso wird die Geschichte außereuropäischer Philosophien
stärker behandelt, wobei neue Regionen an Interesse gewinnen
(neben Indien und China nun auch Japan, Persien, Schwarzafrika,
Lateinamerika und verstärkt islamische Philosophie)
Vgl. zu diesen Entwicklungen die Auswahlliste
zur Philosophiehistorie 1961-89
Strukturalismus
Strukturalismus bezeichnet im
Allgemeinen xxx
In der philosophischen
Diskussion waren es zuerst und vor allem französische Theoretiker
in den 1960er Jahren, die die Begriffe
"Struktur" und "System" als Grundbegriffe aller Wissenschaften und auch
der Philosophie ansahen. Günter Schiwy führte
1966/67 mit einigen von ihnen Gespräche und dokumentierte sie in
einer frühen Darstellung ("Der französische Strukturalismus",
Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1969. Sein Buch ist in neuerer Auflage
übrigens immer noch erhältlich.) Ich zitiere nach der
Erstausgabe dieser Interviews:
Michel Foucault (1926-84; Interview Mai 1966):
THESE 1: Grundlegend ist "das System"
Wir haben die Generation Sartres als
eine durchaus mutige und großherzige Generation empfunden, die
sich für das Leben, die Politik, die Existenz leidenschaftlich
einsetzte ... Wir jedoch, wir haben für uns etwas anderes
entdeckt, eine andere Leidenschaft, die Leidenschaft für den
Begriff und für das, was ich das "System" nennen möchte.
(zit. Schiwy 203)
Unter System hat man eine Gesamtheit
von Beziehungen zu verstehen, die sich unabhängig von den
Inhalten, die sie verbinden, erhalten und verändern. (zit. Schiwy
204)
... als Lévi Strauss für die Gesellschaften und Lacan
für das Unbewußte zeigten, daß der "Sinn" vermutlich
nichts als eine Art Oberflächenwirkung, eine Spiegelung, ein
Schaum sei; daß das, was uns im Tiefsten durchdringt, was vor uns
da ist, was uns in der Zeit und im Raum hält, eben das System ist. (zit. Schiwy 204)
THESE 2: "Das Subjekt" gibt es nicht, der "Humanismus" schafft
illusorische Probleme
Was ist dieses anonyme System ohne Subjekt, was ist es, das denkt? Das
"Ich" ist zerstört (denken Sie nur an die moderne Literatur) - nun
geht es um die Entdeckung des "es gibt". Es gibt ein "man". In gewisser
Weise kehren wir damit zum Standpunkt des 17. Jahrhunderts zurück,
mit folgendem Unterschied: nicht den Menschen an die Stelle Gottes zu
setzen, sondern ein anonymes Denken, Erkenntnis ohne Subjekt,
Theoretisches ohne Identität ... (zit. Schiwy 204)
Der Humanismus ist ein Verfahren gewesen, das mit Begriffen wie Moral,
Wert und Versöhnung Probleme löste, die zu lösen man
überhaupt nicht imstande war. Kennen Sie den Ausspruch von Marx?
Die Menschheit stellt sich nur Probleme, die sie lösen kann. Ich
glaube, daß man sagen kann: Der Humanismus gibt vor, Probleme zu
lösen, die er nicht stellen darf! ... [z.B.] die Beziehungen
des Menschen zur Welt, das Problem der Realität, das Problem des
künstlerischen Schaffens, des Glücks und alle die
Zwangsvorstellungen, die es in keiner Weise verdienen, theoretische
Probleme zu sein. (zit. Schiwy 205)
Jacques Lacan (1901-81; Interview Dezember 1966):
THESE 3: Es gibt kein
Unter"bewußtsein"
Sartres ganze Philosophie läuft darauf hinaus, daß Subjekt
und Bewußtsein unlöslich verbunden sind. Aber diese
Verbindung ist schon bei Freud durchschnitten. Bei ihm ist nicht von
einem Unterbewußtsein die Rede, ebensowenig wie von einem
Vorbewußtsein, nein: das Unbewußte ist als vom
Bewußtsein getrennt gesetzt. Es hat, von
außergewöhnlichen Umständen abgesehen, keinen Zugang
zum Bewußtsein. (zit. Schiwy 196)
THESE 4: "Autonomie des Subjekts" ist illusorisch
Wir müssen uns heute der Illusion von der Autonomie des Subjekts
entledigen, wenn wir eine Wissenschaft vom Subjekt konstituieren
wollen. ...
Ich denke nicht, daß der Mensch gemeint ist, denn ich vermeide,
vom Menschen zu sprechen. Ich versuche zu konstruieren, was daraus
resultiert, daß beim redenden Wesen "es" anderswo spricht als
dort, wo der Mensch sich als sprechend begreift und woraus er mit
Bestimmtheit schließt, daß er Mensch sei, weil er spricht.
Wie steht es also um sein Sein, da, wo es sich herausstellt, daß
er über das, was er denkt, nichts weiß? (zit. Schiwy 197)
Und Schiwy interpretiert Lacan: "Der Mensch,
das Subjekt - sie verschwinden. Der dem Analytiker sich sprechend anvertrauende Patient
spricht nicht als Mensch und Einzelner: es spricht vielmehr aus ihm und in
ihm, und dieses "Es" hat wiederum keinen persönlichen Charakter,
sondern ist aufgebaut entsprechend den vorgegebenen sprachlichen
Strukturen." (Schiwy 72)
Claude Lévi-Strauss (1908-?; Interview 1967):
THESE 5: Strukturalistische
Wissenschaft ist gegen "theologischen Humanismus"
Ich will nicht den Beweis einer Anti-Philosophie antreten. Aber
gegenwärtig laufen wir Gefaht, von einer Art theologischem
Humanismus gefangengenommen zu werden. Überall dort, wo sich in
der Vergangenheit Wissenschaft herausgebildet hat, haben die Leute
gesagt: Was Sie mit Ihrer Wissenschaft vorschlagen, stellt die Existenz
Gottes in Frage. Heute sagt man uns: Das stellt die Existenz des
Menschen in Frage. (zit. Schiwy 148)
THESE 6: Die Unterscheidung "Natur-Kultur" liegt im menschlichen Geist,
nicht in der Wirklichkeit
Es scheint mir heute, daß der Gegensatz Natur-Kultur weniger eine
Eigenschaft des Wirklichen wiederspiegelt, als vielmehr eine Antinomie
des menschlichen Geistes: Der Gegensatz ist nicht objektiv, es sind die
Menschen, die das Bedürfnis haben, ihn zu formulieren. Er stellt
vielleicht eine Vorbedingung zur Enstehung der Kultur dar. (zit. Schiwy
145)
Roland Barthes (1915-1980; Interview 1966):
THESE 7: Die Struktur ist "nur ein
simulacrum"
Das Ziel jeder strukturalistischen Tätigkeit, sei sie nun reflexiv
oder poetisch, besteht darin, ein "Objekt" derart zu rekonstruieren,
daß in dieser Rekonstitution zutage tritt, nach welchen Regeln es
funktioniert (welches seine Funktionen sind). Die Struktur ist in
Wahrheit also nur ein simulacrum
des Objekts, aber ein gezieltes, "interessiertes" Simulacrum, da das
imitierte Objekt etwas zum Vorschein bringt, was im natürlichen
Objekt unsichtbar oder, wenn man lieber will, unverständlich
blieb. (zit. Schiwy 154)
Andere VertreterInnen strukturalistischer Philosophie xxx