Relativistische Korrekturen für GPS

 
Franz Embacher

Oktober 1998 (überarbeitet im Oktober 2006)
 

Die Grundidee der GPS-Positionsbestimmung beruht auf der Messung der Entfernung des eigenen Standorts zu drei Satelliten, deren Postition ausreichend genau bekannt ist.

Da sich die Signale mit Lichtgeschwindigkeit  c  ausbreiten, kann die von ihnen zurückgelegte Wegstrecke ermittelt werden, wenn die Zeitdauer der Reise vom Satelliten zum Empfänger bekannt ist. Die Information über den Zeitpunkt der Aussendung ist im Signal selbst enthalten, die Ankunftszeit wird - der Idee nach - vom Empfänger gemessen. Nun stehen die Satelliten allerdings nicht still, und auch die Erde rotiert um ihre Achse. Außerdem spielt das Schwerefeld der Erde eine Rolle. All das hat zwei wichtige Konsequenzen:

Einerseits ändert sich der Abstand zu den Satelliten ständig, wodurch es notwendig wird, den Zeitpunkt jeder Messung sehr genau zu kennen. Die Ungenauigkeit beweglicher irdischer Uhren wird mit Hilfe eines Tricks korrigiert, nämlich der Entfernungsbestimmung zu einem vierten Satelliten. (Dies sei der Vollständigkeit halber erwähnt. Darum soll es auf dieser Seite aber nicht gehen). Tatsächlich sind derzeit 28 Satelliten im Einsatz, so dass weltweit jederzeit zu mindestens vier Satelliten Funkkontakt besteht.

Andererseits sind Zeitmessungen Effekten unterworfen, die von der Relativitätstheorie vorausgesagt werden. Sie nicht zu berücksichtigen, hieße, Fehler in der Genauigkeit des Systems in Kauf zu nehmen. Interessanterweise sind die Effekte der allgemeinen Relativitätstheorie in diesem Fall größer als die der speziellen. Um die entsprechenden Korrekturen geht es auf dieser Seite.

Genaugenommen gibt es ''die Zeit'', die zwischen zwei Ereignissen verstreicht, nicht. Generell muss jede physikalische Größe durch einen - zumindest prinzipiell durchführbaren - Messprozess definiert werden. Nun gibt es verschiedene Möglichkeiten, um den zeitlichen Verlauf eines Vorgangs zu vermessen, z.B. in seinem eigenen Ruhsystem oder ''im Vorbeifliegen''. Gemäß der Relativitätstheorie sind die auf verschiedene Weise gemessenen Zeitintervalle nicht unbedingt gleich: Bewegte Uhren und Uhren, die starken Gravitationsfeldern ausgesetzt sind, scheinen "zu langsam" zu gehen. Im Alltagsleben sind diese Effekte so klein, dass sie gar nicht bemerkt werden. Aber sie sind immerhin groß genug, um systematische Korrekturen bei der Auswertung von GPS-Daten notwendig zu machen.

Wir wollen nun die Größe dieser Effekte abschätzen. Dafür benötigen wir nur zwei Formeln, eine aus der speziellen und eine aus der allgemeinen Relativitätstheorie. Sie werden im Folgenden kurz vorgestellt.

Am Ende dieser Seite finden sich einige Internet-Tips zur Relativitätstheorie.


Spezielle Relativitätstheorie

Betrachten wir einen periodischen Vorgang (eine Schwingung, kurz ''Uhr'' genannt), der aus einer regelmäßigen Abfolge von Ereignissen ''Tick'' - ''Tack'' - ''Tick'' - ''Tack'' - ... besteht. Die Zeitdauer zwischen zwei solchen Ereignissen, wie sie im Ruhsystem der Uhr gemessen wird (die Eigenzeit), sei mit Dt bezeichnet. Betrachtet nun eine Beobachterin, die sich gerade mit einer Geschwindigkeit  v  an der Uhr vorbeibewegt, denselben Vorgang (der in ihrem Bezugssystem eine ''bewegte Uhr'' darstellt), so wird sie eine Periodendauer Dt¢ messen. Die beiden Größen Dt und Dt¢ sind nicht gleich groß. Die spezielle Relativitätstheorie sagt voraus, dass sie die Beziehung

Dt     =    Dt¢    ________
Ö1 - v2/c2
 
(1)
erfüllen. Dieser Effekt heißt relativistische Zeitdilatation und ist unter Zuhilfenahme moderner technischer Hilfsmittel oft und sehr genau experimentell bestätigt worden. Wir sehen, dass immer Dt £ Dt¢ ist. Die Beobachterin wird den Gang der - in ihrem System bewegten - Uhr als langsamer einschätzen als er wirklich ist, wenn Sie die Relativitätstheorie nicht berücksichtigt. Zeitspannen in bewegten Vorgängen werden überschätzt.

Um dies zu korrigieren, muss jede vermeintliche Eigenzeit der Uhr mit dem Faktor

  ________
Ö1 - v2/c2
 
(2)
multipliziert werden, um die tatsächliche Eigenzeit zu erhalten.

Wenn es sich bei der ''Uhr'' um einen atomaren Schwingungsvorgang handelt, der zur Aussendung von Lichtsignalen führt, so bedeutet das, dass die Frequenz des Lichts für eine relativ zur Uhr bewegte Beobachterin nicht den vermeintlichen Wert hat (selbst unter korrekter Einbebeziehung des nichtrelativistischen Dopplereffekts), sondern ebenfalls korrigiert werden muss. Da die Frequenz umgekehrt proportional zur Periodendauer ist, gilt

f ¢    =   f     ________
Ö1 - v2/c2
 
,
(3)
wobei f die echte Frequenz im Ruhsystem des Senders (die Eigenfrequenz) ist und f ¢ jener Wert, der - ohne Berücksichtigung relativistischer Effekte - fälschlicherweise als Frequenz im Ruhsystem des Senders ermittelt werden würde: Eigenfrequenzen werden unterschätzt.

Berechnen wir den Effekt für GPS numerisch: Die Satelliten (die man als bewegte Uhren ansehen kann) bewegen sich relativ zur Erde mit einer (mittleren) Geschwindigkeit von


v = 3874 m/s,
(4)

was auf
Dt
Dt¢
 =  0.9999999999165  =  1 - 0.835 ×10-10
(5)

führt. Dabei ist Dt die Eigenzeit zwischen zwei Ereignissen im Satelliten und Dt¢ die Zeit zwischen diesen Ereignissen, aber vom Ruhsystem der auf der Erde stehenden Beobachterin aus gemessen. Ohne Kenntnis der Relativitätstheorie (und bei Beschränkung auf Messungen im Ruhsystem der Erde) würde man Dt¢ für die Eigenzeit halten.

Die spezielle Relativitätstheorie besagt also, dass wir (bei Beschränkung auf Messungen im Ruhsystem der Erde) die Zeitabläufe im Satelliten um etwa 0.835 ×10-8 Prozent überschätzen (und Frequenzen im Satelliten um denselben Prozentsatz unterschätzen).

Nun gibt es allerdings einen weiteren Effekt, der sich dem gerade besprochenen überlagert.


Allgemeine Relativitätstheorie

Uhren im Gravitationsfeld zeigen ähnliche Effekte wie bewegte Uhren. Betrachen wir wieder unseren regelmäßigen Vorgang (''Tick'' - ''Tack'' - ''Tick'' - ''Tack'' - ...), und bezeichnen wir den zeitlichen Abstand zweier solcher Ereignisse mit Dt. Die Uhr schwebe hoch über der Erdoberfläche, und zu jedem Ereignis sendet sie ein Lichtsignal aus. Auf der Erdoberfläche steht eine Beobachterin, die die Lichtsignale im Abstand Dt¢ empfängt. Wie zuvor sind die beiden Größen Dt und Dt¢ nicht gleich groß. Die allgemeine Relativitätstheorie sagt voraus, dass sie die Beziehung


Dt     =   Dt¢ (1 + DU/c2)
(6)

erfüllen, wobei DU die Potentialdifferenz zwischen Sender (S)  und Empfängerin (E)  im Schwerefeld der Erde (Erdmasse = M) ist:
DU  =  G M
1
rE
 -   1
rS

.
(7)
Diese Größe ist positiv (da rS > rE), und so neigt die Empfängerin dazu, die echten Zeitverläufe in der Uhr zu unterschätzen (die Eigenfrequenz der Uhr zu überschätzen - auf Frequenzen angewandt, heißt dieser Effekt Blauverschiebung im Gravitationsfeld), wenn sie die Vorhersagen der allgemeinen Relativitätstheorie nicht berücksichtigt. (Formel (6) ist nur eine Näherung der vollen Theorie, die den Sachverhalt gut beschreibt, solange DU/c2 | sehr viel kleiner als 1 ist, d.h. für genügend schwache Gravitationsfelder).

Dieser Effekt ist interessanterweise entgegengesetzt zum speziell-relativistischen, sodass sich beide zum Teil aufheben. Berechnen wir ihn numerisch: Der Abstand der Satelliten vom Erdmittelpunkt ist


rS = 26560 km,
(8)

was (mit rE = 6378 km  und  G M = 3.986×1014 m3/s2) auf
Dt
Dt¢
 =  1.000000000528 = 1 + 5.28 ×10-10
(9)
führt.
Die allgemeine Relativitätstheorie besagt also, dass wir (bei Beschränkung auf Messungen im Ruhsystem der Erde) die Zeitabläufe im Satelliten um etwa 5.28 ×10-8 Prozent unterschätzen (und Frequenzen im Satelliten um denselben Prozentsatz überschätzen).

Wir sehen, dass der allgemein-relativistische Effekt der dominante ist - er ist ungefähr sechs mal so groß wie der speziell-relativistische!


Relativistische Korrektur für GPS

Die Satellitenfrequenzen bilden die Basis für die Zeitmessung des Satelliten, und daher für die Information, zu welcher Zeit ein Signal ausgesandt wurde, und diese Information ist wiederum der Schlüssel für die Positionsbestimmung. Wenn nun diese "Uhren" einen zusätzlichen Gangunterschied zu jenen auf der Erde aufweisen, muß dies berücksichtigt werden, da ja ansonsten falsche Zeitangaben verwendet werden und falsche Positionswerte die Folge sind. Um die Effekte der Relativitätstheorie in die Funktionsweise von GPS einzubeziehen, sind also Korrekturen in der Analyse der auftretenden Zeiten und Frequenzen nötig.

Fassen wir unsere quantitativen Ergebnisse zusammen:

  • Ohne spezielle Relativitätstheorie werden die Satellitenfrequenzen um 0.835 ×10-8 Prozent unterschätzt.
  • Ohne allgemeine Relativitätstheorie werden die Satellitenrequenzen um 5.28 ×10-8 Prozent überschätzt.

Insgesamt werden also die Satellitenfrequenzen um 4.44 ×10-8 Prozent überschätzt.

Die Satellitenuhren verhalten sich so, als ob sie um 4.44 ×10-8 Prozent schneller gingen, als sie auf der Erde geeicht worden sind.

Die vom Empfänger gemessenen Frequenzen müssen daher rechnerisch um 4.44 ×10-8 Prozent verkleinert werden. Um sich Korrekturfaktoren bei der Datenanalyse zu sparen, wurde ein cleverer Trick angewandt: Die Satellitenuhren werden nicht auf 10.23 Mhz, sondern auf die etwas kleinere Frequenz

10.229999995453 Mhz
(10)

geeicht. Wie eine Division zeigt, ist das gerade eine Korrektur um den Faktor, um den Frequenzen ohne Kenntnis der Relativitätstheorie überschätzt würden.

Die relativistischen Effekte sind daher verblüffend einfach zu berücksichtigen: Man tut (und rechnet) so, also ob die Satelliten-Eigenfrequenz  10.23 Mhz  wäre und kümmert sich nicht weiter um die Relativitätstheorie.

Aufgrund dieser einfachen Lösung müssen sich GPS-Techniker nicht mit der Relativitätstheorie auseinandersetzen.


Sagnac-Effekt

Es gibt noch einen weiteren Effekt, den wir bisher nicht betrachtet haben: Die Erde rotiert um ihre Achse, und so hat eine Beobachterin auf dem Äquator eine zusätzliche Geschwindigkeit von etwa 500 m/s (ca. ein Siebentel der Satellitengeschwindigkeit), die in der speziell-relativistischen Formel (1) berücksichtigt werden müsste. Dies nennt man den Sagnac-Effekt. Er hängt von der geographischen Breite ab und schrumpft an den Polen zu Null. Weiters führt er eine zusätzliche Richtungsabhängigkeit in das Problem ein, und seine genaue (relativistische) Berechnung ist nicht einfach. Grob lässt er sich durch eine nochmalige Auswertung der Formel (1) abschätzen. Es stellt sich heraus, dass er die notwendige Korrektur nur um höchstens ein Fünfzigstel abändern würde. Er wird üblicherweise vernachlässigt und bei sehr genauen Positionsbestimmungen (mehrere Stunden dauernde Messungen im Dezimeterbereich) von der Software des Empfängers berücksichtigt.


Wie groß wäre der Fehler ohne Relativitätstheorie?

Wenn wir von all diesen notwendigen Korrekturen nichts wüssten - wie groß wäre der Fehler in der Positionsbestimmung? Während einer Messdauer  T  wäre der Fehler in der Zeitbestimmung 4.44 ×10-10 T, und der entsprechende Fehler in der Längenbestimmung 4.44 ×10-10 c T = 13.3 cm ×T [ in Sekunden ]. Während jeder Sekunde Messzeit fiele ein Fehler der Positionsbestimmung in der Größenordnung von 13 Zentimetern an. Während einer Stunde wären das bereits fast 500 Meter.


GPS als Test für die allgemeine Relativitätstheorie

Wir haben auf dieser Seite die Voraussagen der Relativitätstheorie verwendet, um notwendige Korrekturen des GPS-Verfahrens zu ermitteln. Die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie sind in vielen Situationen mit großer Genauigkeit experimentell überprüft worden (z.B. beim Müon-Zerfall, in Teilchenbeschleunigern und durch Beobachtungen von Doppel-Neutronenstern-Systemen).

Man kann aber den Spieß natürlich umdrehen und das Funktionieren von GPS als weitere experimentelle Illustration für die Gültigkeit der Relativitätstheorie ansehen. Insbesondere die allgemeine Relativitätstheorie ist mit GPS gewissermaßen alltagsrelevant geworden.

 

Internet-Tips zur Relativitätstheorie:




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