Semesterüberblick

17. März
1. Problemstellungen bei der Filmanalyse
2. Erstellen eines Sequenzprotokolls

Filmbeispiel:

"Paisà" (Roberto Rossellini, Italien 1946): Sequenzprotokoll

Texte zum Download (Word)
 
a) Anleitungen zur Filmanalyse
b) Sequenzprotokoll
d) Text Bellour

 

 

 

 

 

 

1. Mögliche Probleme bei der Filmanalyse
a. Das Material/Studienobjekt betreffend
Raymond Bellour hat in seinem 1957 erschienenen Text „Le texte introuvable“ (Der unauffindbare Text) darauf hingewiesen, dass der filmische Text „unauffindbar“ ist, im Sinne von nicht zitierbar. Während die literarische Analyse den schriftlichen Text durch schriftlichen Text wiedergeben kann, also die Signifikanten identisch sind, kann der Originaltext daher auch zitiert werden.
Im Gegensatz dazu kann eine schriftliche Analyse nicht anders, als filmspezifische Ausdrucksmittel in einen anderen Code zu übertragen, und in diesem Sinne ist das Objekt der Analyse immer „unauffindbar“.
Der filmische Text ist auch „unauffindbar“, da das filmische Bild immer in Bewegung ist.
Es stellt sich die Frage: Unter welchen Bedingungen, mit welchen technischen Hilfsmitteln kann Filmanalyse betrieben werden und wie hat sich diese im Laufe der Zeit verändert. (Schneidetisch, Videorekorder, DVD)
Es wäre ein Fehler, einen Film nur einmal zu sehen und zu meinen, diesen wissenschaftlich analysieren zu können. Eine systematische Überprüfung der Eindrücke ist notwendig.
Es empfiehlt sich, während des Filmschauens Notizen zu machen.

b. Probleme psychologischer Natur
Die Filmanalyse dient dem Erkenntnisprozess.
Warum muss man einen Film „verstehen“, reicht es nicht, ihn zu sehen, ist er nicht eine Unterhaltungsform, die Gefühle auslöst?
Filmanalyse bedeutet nicht mehr, einen Film zu sehen, sondern ihn zu untersuchen, mit einer anderen Einstellung dem Film zu begegnen. Der Film wird erweitert, kann eine andere Art von Vergnügen erzeugen, der Film kann beim Wiedersehen dadurch ein größeres Vergnügen bereiten (man sieht nur, was man kennt).
Die Analyse verändert den Analysten, da dieser seine Wahrnehmung und seine ersten Eindrücke in Frage stellen und korrigieren muss, seine Positionen überprüfen muss und evtl. ändern.
Die Analyse relativiert spontane Eindrücke bei der Rezeption des Films:
Wir werden von Bildern überflutet, die uns natürlich erscheinen, ohne dass uns bewusst wird, dass es sich um manipulierte Produkte handelt. Das passive Staunen soll in aktives Staunen umgewandelt werden.
Es ist nicht möglich, eine wissenschaftliche Filmanalyse nur auf einem einmaligen Sehen aufzubauen. Aber diese ersten Eindrücke, Gefühle und Intuitionen sind keineswegs zu verwerfen, sie können dazu dienen, eine erste Hypothese über den Film zu entwickeln, die aber auch im Laufe der Analyse revidiert werden kann. (Gegensatz emotionelles/subjektives/passives Sehen und analytisches/objektives/aktives Sehen).
Fragen: Auf welche Weise hat der Film ein bestimmtes Gefühl oder eine bestimmte Reaktion/Vorstellung/Überzeugung erzeugt; wie eine Parteiergreifung für eine bestimmte Person und die Abneigung gegenüber einer anderen?
Erste Fragen nach dem „Wie“ (und nicht so sehr nach dem „Warum“) führen zu einer detaillierteren Analyse des Films.

2. Wie analysiert man einen Film, welche Schritte sind zu beachten?
-Analyse, Zerlegung in Bestandteile
-Beziehungen zwischen diesen isolierten Bestandteilen untersuchen
-Wiederzusammensetzung: Schöpfung des Analysten, trägt etwas zum Film bei, erhält ihn am Leben (soll sich aber nicht zu sehr vom Film entfernen, man geht vom Film aus, kehrt zum Film zurück)
Eine Analyse besteht aus zwei Teilen:
1. Dekonstruktion = Beschreibung
2. Rekonstruktion (Wiederzusammensetzung) = Interpretation
Diese Arbeitsschritte müssen nicht linear erfolgen, sie können ineinander übergehen, sich abwechseln; wenn sich ein Teil erschöpft, kann man zum nächsten übergehen; es soll versucht werden, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Beschreibung und Interpretation herzustellen.

3. Mögliche Schwächen von Analysen
-Man glaubt zu interpretieren, obwohl man nur beschreibt
-Man interpretiert, obwohl man noch nicht beschrieben hat
-Man entfernt sich vom Film und beginnt, seiner persönlichen Kreativität freien Lauf zu lassen
-Man glaubt, überhaupt nichts über den Film zu sagen zu haben und zitiert hauptsächlich Sekundärliteratur

4. Sekundärliteratur
Es gibt zwei Arten von Sekundärliteratur: informative; analytische
Die informativen Texte können der eigenen Analyse dienen.
Sekundärliteratur sinnvoll verwenden: man soll diese nicht kritiklos übernehmen und sie als unfehlbar hinnehmen!
Besser: zuerst keine Sekundärliteratur lesen, unbeeinflusst den Film analysieren, Ideen formulieren; erst in einer zweiten Phase Sekundärliteratur verwenden.

5. Was unterscheidet „normale“ von „analytischen“ ZuseherInnen?
Verhältnis der Analysten zu „ihrem“ Film definiert, wie reichhaltig oder wie dürftig die Analyse werden wird.
Da Filme aufgrund ihrer großen Ähnlichkeit mit der Realität hypnotisch auf uns wirken, ist es anfangs schwer, sich wissenschaftlich, also aus einer Distanz, mit einem Film zu beschäftigen.
Unterschiedliche Einstellung beim Filmsehen:
„normaler“ Zuseher sucht Unterhaltung, lässt sich vom Film dominieren, manipulieren; analytischer Zuseher hat den Wunsch, einen Diskurs über den Film zu entwickeln (Erkenntnisprozess).

 

"Normaler" Zuseher
"Analytischer" Zuseher
Weniger aktiv, instinktiv, nicht rational Aktiv, bewusst, rational, strukturiert
Nimmt auf, sieht, fühlt, ohne Ziel Sieht, beobachtet, kontrolliert, sucht nach Beweisen
Lässt sich vom Film leiten Unterzieht Film den Methoden der Analyse, der eigenen Hypothese
Prozess der Identifizierung Prozess der Distanzierung
Film als Unterhaltung, Zeitvertreib Film als Produkt, über das reflektiert wird, intellektuelles Produkt
>>Spaß
>>Arbeit

 

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Sequenzprotokoll (Sequenzliste)
Erfasst den gesamten Film in seiner Zusammensetzung aus einzelnen Sequenzen.
Das Sequenzprotokoll dient der Orientierung über den Gesamtaufbau des Films und der Analyse der Handlungsstruktur., es soll einen Überblick schaffen und damit die weitere Auseinandersetzung mit dem Film erleichtern.

Sequenz (Szene): Handlungseinheit, die zumeist mehrere Einstellungen (oder auch nur eine einzige Einstellung: Plansequenz) umfasst und sich durch ein Handlungskontinuum von anderen Handlungseinheiten unterscheidet; dramatische Einheit.

Den Übergang von einer Sequenz zur nächsten können markieren:
* Ortswechsel
* Zeitsprünge
* Narrative Einheiten (Wechsel eines Handlungsstrangs zu einem anderen)
* Wechsel der beteiligten Figur(en) bzw. Figurenkonstellationen
* Wechsel im Stil/Ton (statisch vs. dramatisch; farbspezifisch, ...)

Häufig sind Sequenzen auch formal „markiert“: Auf- bzw. Abblende, Inserts, ...

 

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