Helmut Stövesand
Schulentwicklung nach Klippert - 
Über den Anspruch, mittels Dressur Selbstständigkeit zu fördern

Lehrer Rürup aus Herford, so meldet DIE ZEIT, geht wieder gern zur Schule: seitdem er weiß, dass gut unterrichten ganz einfach ist. Trotz Studium und Lehrerseminar;  trotz jahrzehntelanger Berufserfahrung, die geprägt gewesen seien durch massive bildungspolitische Reformbestrebungen, habe er nie erfahren, wie man guten Unterricht mache. Dass er nun endlich gut zu unterrichten wisse, verdanke er allein dem Pädagogen Heinz Klippert und seinen Trainingsmodellen für den Unterricht. Und er stehe nicht allein: Mit Rürup zusammen hätten etliche Lehrer und Lehrerinnen in Nordrhein-Westfalen im letzten Jahr von diesen Modellen profitiert und seien gute Lehrer geworden.

Klippert hat in den letzten Jahren eine Reformlücke besetzt, die zum großen Teil mit der Unzufriedenheit der Lehrer sowohl mit den übergreifenden, aufs große Ganze abzielenden Reformbestrebungen der 70er und 80er Jahre als auch mit den anschließend einsetzenden Versuchen, die Schule als Einzelschule zu entwickeln, zu erklären ist. Insbesondere den in der Regel mühseligen Anstrengungen, Schule als Organisation zu entwickeln, setzt Klippert ein Modell entgegen, das schnell und effizient den Unterricht als Kern der Schule verbessern soll. Die Beschwörungen der Organisationsentwickler, dass über entwickelte systemische Strukturen schließlich auch der Unterricht verbessert werden könne - die Schule als Organisation erziehe per se - seien durch die langwierigen und nervenaufreibenden Erfahrungen eher widerlegt als bestätigt worden. Schulentwicklung, so Klippert, müsse sich vorrangig pädagogisch verstehen und sich in erster Linie auf die Ebene des Unterrichts als Ausgangspunkt aller Reformbemühungen beziehen. Pädagogische Schulentwicklung beginne im Unterricht und konzentriere sich auch zunächst nur auf ihn, müsse aber nicht auf ihn beschränkt werden. Das gute Klima, das durch die Entwicklung des Unterrichts unter den Lehrerkollegen hergestellt würde, strahle aus auf alle Ebenen und Prozesse der Schule: Entwicklung der Schule von unten.

In Lehrerkreisen ist Klippert in den letzten 10 Jahren in erster Linie durch seine Trainingsbücher bekannt geworden: Methoden-Training, Kommunikations-Training, Teamentwicklung im Klassenraum sind zu Verkaufsschlagern der Rezepteliteratur geworden. Die Trainingsbücher sind für die Hand des Lehrers und den schnellen Einsatz im Unterricht konzipiert. Einer kurzen, theoretischen Einführung folgen jeweils eine Fülle praktischer Übungen, die in ihrer Aufmachung als Arbeitsbögen für die Schüler geradezu auffordern, als Kopiervorlage benutzt zu werden. Mit Hilfe, der Bausteine, die etwa dem Austausch über das eigene Lernen und Kommunikationsverhalten, der Reflexion von Gruppenprozessen und der Anbahnung von
Gruppenregeln, der Aneignung und Produktion von Texten, der Förderung freien Sprechens und Argumentierens oder der Vorbereitung auf Klassenarbeiten dienen und die »kleinschrittig geübt« werden, sollen den Schülern und Schülerinnen »sehr konkrete instrumentell-handwerkliche« (Klippert 1994, S. 34) Qualifikationen für methodisches Arbeiten, zur Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit und zur Förderung der Teamentwicklung im Klassenraum vermittelt werden. Klipperts Credo lautet: Ehe Kinder und Jugendliche etwas lernen können, muss ihnen beigebracht werden, wie man lernt. Legitimiert wird die Ausschließlichkeit, mit der Klippert den Erwerb elementarer Lern- und Arbeitstechniken fordert, mit dem »spezifische(n) Bildungswert des Methodenlernens«, der darin bestünde, dass der Erwerb methodischer Techniken die Schüler und Schülerinnen zur Mündigkeit und Selbstständigkeit befähige: Wenn sie die Aufgaben bearbeitet hätten, würden sie - so verspricht Klippert vollmundig - »immun sein gegen Manipulationsversuche einzelner Informationsträger« (Klippert 1994, S. 27) und gelernt haben, sich als handelnde Subjekte im Unterricht selbst zu bestimmen und selbst zu steuern.

Auch seinem neuesten Werk, der Pädagogischen Schulentwicklung, liegt das Konzept der Trainingsbücher zu Grunde. Methodentraining, Kommunikationstraining und Teamentwicklung, aufbereitet zu exemplarischen Trainingskursvarianten, werden hier sogar zum Grundgerüst des »neuen Hauses des Lernens« erklärt, auf dem der Erwerb weiterer Qualifikationen und Kompetenzen basiere (vgl. Klippert 2000, So 43) Systematische Trainings würden nicht nur wirkungsvoll das methodische und soziale Unvermögen der Schüler beheben, sondern die gesamte Schule und ihr Umfeld erfassen und pädagogisch entwickeln.

Klipperts Erfolg mit den Trainingsbüchern und deren merkwürdige Mischung aus äußerstem Pragmatismus und Sendungsbewusstsein hinsichtlich der Schulentwicklung hat dann auch die Schulaufsicht aufmerken lassen, nicht nur in NordrheinWestfalen, aber hier in besonderem Maße. In Nordrhein-Westfalen gilt Klippert augenscheinlich inzwischen als Hoffnungsträger, der zeigt, wie die Schule auf einfachem Wege zu verbessern sei. Pädagogische Schulentwicklung à la Klippen ist in Nordrhein-Westfalen zu einem Schwerpunkt der landesweiten Schulentwicklung geworden: In den beiden Modellregionen Herford und Leverkusen firmieren bereits mehr als 50 Schulen als Versuchsschulen, etliche Studienseminare kooperieren mit Klippert, und seit 1999 werden Moderatoren und Trainer ausgebildet, die für die Dissemination des Repertoires sorgen sollen. Pädagogische Schulentwicklung ist als Universalmittel von der Grundschule bis zu beiden Sekundarstufen, für die Normalschule wie auch für die Sonderschule gedacht. Und einen ersten Erfolg dürfte das Schulministerium mit dem Engagement Klipperts jetzt schon verbuchen: eine gute Presse für den Anspruch, endlich Ernst zu machen mit der systematischen Qualifikation der Schüler, jenseits aller ideologischen Grabenkämpfe um das Hausdes Lernens.

Klippert geht nicht so weit, die Vermittlung allein seiner Kulturtechniken zu fordern, aber sie werden als der unverzichtbare Schlüssel betrachtet, Mathematik wie Englisch, Geographie wie Hauswirtschaftslehre zu begreifen. Zum Kern der Didaktik wird damit die Vermittlung von Lern- und Arbeitsfähigkeit. Klippert liefert die praktischen Übungen für die allgemein postulierte reflexive Wende des Lernens. Das Methodenlernen, begriffen als das Lernen des Lernens, geschieht nun aber nicht notwendig in der sachlichen Verbindung mit den fachlichen Aufgaben, sondern als Curriculum eigener Art. Dieses tendiert zur Vollständigkeit und Expansion. Klippert fordert den Einsatz seines Konzeptes sowohl als Basis für alles wie auch als das begleitende Programm, für Problemschüler wie für alle normalen Schüler, für jedes Fach und nun auch als Innovationsstrategie für die Schule und das Schulsystem insgesamt.

Die wissenschaftliche pädagogische Zunft hat Klippert bisher ignoriert, wohl in der Hoffnung, dass die Übungsbausteine lediglich als Fundgrube für Vertretungsunterricht oder für Unterricht vor Ferien eingesetzt werden. Anders ist die Abstinenz kaum zu erklären, mit der Erziehungswissenschaftler auf die praktische Herausforderung bisher reagiert haben. Doch spätestens mit der administeriellen Erhebung Klipperts in den Stand eines Schulreformers sollte die vornehme Zurückhaltung ein Ende finden und an ihrer Stelle eine genaue Analyse des Modells einsetzen, um zu erkennen, wie es um Klipperts Anspruch auf Mündigkeit und Selbstständigkeit bestellt ist.

II

Klipperts Bücher werden immer mit einer Reihe von praktischen und theoretischen Begründungen für seine Methode eingeleitet. Mit ihnen erfolgt eine äußerst clevere Vereinnahmung der Kunden für das Produkt: Die Aussetzung und Vorstellung des eigenen Modells geht einher mit der scharfen Kritik am Schulsystem. Klippert moniert die vorrangig kognitiv ausgerichtete Wissensvermittlung ebenso wie die Dominanz des Lehrers als nicht mehr zeitgemäß, als nicht mehr den Anforderungen der - insbesondere durch wirtschaftliche Erfordernisse geprägten - Zeit genügend; die Lehrer seien ausgebrannt und ihnen fehle »das unterrichtspraktische Know-how, wie man [...] Schlüsselqualifikationen geschickt und wirksam vermitteln« (Klippert 2000, S. 29) könne. Auch die Schülerinnen und Schüler werden von der Kritik nicht verschont: Die heutige Schülergeneration sei verwöhnt, hedonistisch, verhaltensgestört und durch die Medienlandschaft geprägt (vgl. Klippert 2000, S. 33); beklagenswert sei die »dürftige Lesefähigkeit und Lesebereitschaft«, die »geringe Ausdauer und Konzentration«, die »Unsicherheit und Unselbständigkeit bei komplexeren Arbeitsaufträgen«, die »dürftige Ordnungsliebe, das rasche »Vergessen des Lernstoffes«, die »geringe Lernmotivation« Klippert 1994, S. 24). Damit wissen die Leser, dass Klippert sie dort abholt, wo sie leiden.

In der Pädagogischen Schulentwicklung verspricht Klippert Abhilfe. Das morsche Schul- und Unterrichtssystem könne noch saniert werden, und zwar - zunächst auf den Unterricht bezogen - rasch, mit begrenztem Zeitaufwand, angenehm, d.h. mit nicht allzu großem Arbeitsaufwand verbunden, und mit gründlichem Erfolg. Bevor Klippert allerdings sein Sanierungskonzept im Kern vorstellt, muss er die »wichtigsten Eckpunkte der Pädagogischen Schulentwicklung« Klippert 2000, S. 45-98), einschlägige »Qualifizierungsmaßnahmen an der Einzelschule« (ebd. S. 99-140) sowie »flankierende Rahmenbedingungen und Regelungen« (ebd. S. 141-172) erläutern. Im Zentrum dieser drei Kapitel steht Klipperts Bemühen, alle irgendwie an Schulentwicklung beteiligten Interessengruppen zu erfassen und für jede Gruppe Trainingskurse zu offerieren, in denen man sich von der Effizienz und Praktikabilität des Reformmodells überzeugen lassen kann. Ausgangspunkt auf schulischer Ebene sind »Schnuppertagungen« für einzelne Lehrerteams, die ergänzt werden durch einführende Studientage für das Gesamtkollegium und Trainingsseminare für wechselnde Schulteams, oder für größere Kerngruppen; bei Bedarf kann auch schulinterne Supervision und Evaluation angefordert werden. Und nicht nur der reformwillige Lehrer muss überzeugt werden: Skeptiker gilt es zu integrieren, Eltern müssen sensibilisiert, Schulleitungen und Studienseminare eingebunden werden. In seinem Bemühen, möglichst alle Beteiligten der Schulentwicklung einzubeziehen und zu überzeugen, kann leicht der Eindruck entstehen, Klippert schieße weit über das Ziel hinaus, wenn er für alle Bezugsgruppen detaillierte, minutiöse Veranstaltungsangebote präsentiert, die sogar die Pausen und das Mittagessen ausweisen. Der Eindruck trügt: Potentielle Kunden sollen von der Praktikabilität und Durchführbarkeit des Konzepts überzeugt und für die Weiterbildungsangebote gewonnen werden. Klippert setzt nicht bloß auf den Bucherfolg, der schnell verblassen kann, während ein dynamisches Weiterbildungssystern einen gewaltigen Markt darstellt.

Die praktische Umsetzung der Pädagogischen Schulentwicklung als Reform des Unterrichts basiert auf den Übungsbausteinen, die Klippert in seinen Trainingsbüchern in den 90er Jahren beschrieben hat und die ausschließlich auf die Vermittlung elementarer Techniken, auf den Erwerb grundlegender methodischer Arbeitsweisen gerichtet sind (vgl. Klippert 2000, S. 173-250). Es sei an der Zeit, so argumentiert er in Anlehnung an Hilbert Meyer, den »Primat der Methodik auszurufen« (Klippert 2000, S. 34) und den Erwerb und das Bewusstsein methodischer Strategien in den Vordergrund zu rücken und zum Ausgangspunkt aller Unterrichtsprozesse zu machen. Zur Begründung seiner Forderung sucht Klippert den Beistand namhafter, z.T. in der Nachfolge Piagets stehender Lernpsychologen bzw. konstruktivistischer Erkenntnistheoretiker, die die Bedeutung des Erwerbs strategischer Handlungsroutinen und Handlungschemata betonten bzw. auf die Selbsttätigkeit beim Aufbau von Wissen hinwiesen. Wissen, so referiert Klippert, könne nicht einfach durch die Einverleibung fertiger Begriffe und Vorstellungen erworben werden; Erkenntnis basiere auf der »Konstruktion von Bedeutungen, Strukturen und Problemlösungen« (Klippert 2000, S. 39) und müsse durch Suchen und Forschen, durch Beobachten und Nachdenken, durch Nachschaffen und Nachkonstruieren (vgl. Klippert 1994, S. 3 1 ) gewonnen werden.

Der Versuch, Unterrichtsreform, die auf die Einübung elementarer Arbeitstechniken reduziert wird im Rückgriff auf wissenschaftstheoretische Erkenntnisse zu legitimieren, muss sich zumindest zwei Rückfragen gefallen lassen. Zunächst kommt wohl kaum jemand auf den Gedanken, die Bedeutung, die Lerntheoretiker dem selbsttätigen Lernen und Forschen zusprechen, zu bezweifeln. Dass eigenständiges Nachdenken, Suchen, Forschen oder Konstruieren sinnvolle Strategien zum Erwerb von Wissen, zur Entsagung von Einstellungen, Fähigkeiten oder Fertigkeiten sein können, soll hier gar nicht bestritten werden. Fragwürdig bleibt jedoch Klipperts Unterschlagung, dass auch bei Lernpsychologen oder Erkenntnistheoretikern die Einübung von Methoden abhängig ist von Inhalten, von Gegenständen, die in einer bedeutungsvollen Beziehung zum Lernenden stehen.

Die von Klippert in Anspruch genommenen lerntheoretischen Ergebnisse provozieren darüber hinaus natürlich zu der Frage, inwieweit Klipperts Methoden dem Anspruch eines selbsttätigen, suchenden, konstruierenden Lernens entsprechen. Erweisen sich seine Übungsbausteine, die in der Form von »Lernfragen, Knobelaufgaben, Lernspielen, Debatten« den »traditionell engen, kleinschrittigen, fragend-entwickelnden« herkömmlichen Unterricht (Klippert 2000, S. 41) reformieren sollen, als den Erkenntnissen adäquat, die er zur Legitimation beschwört?

Klippert scheint diese zweite Rückfrage geahnt zu haben denn er schränkt die Reichweite seiner Methoden drastisch ein. Ehe Schüler mit Methoden konfrontiert werden könnten, die explizit Formen eigenständigen Lernens entsprächen, sei es notwendig, ganz elementare Fertigkeiten als Basis der Selbsttätigkeit erfordernden Methoden einzuüben; nicht auf die Hochformen methodischer Qualifikationen, die Makromethoden, habe er es abgesehen - also beispielsweise Gruppenarbeit, Planspiel, Projektarbeit, Stationenarbeit, Wochenplanarbeit, Methoden der empirischen Sozialforschung -, sondern man müsse »viel schlichter ansetzen« (Klippert 2000, S. 42) bei den Mikromethoden: Markieren, Nachschlagen, Ordnen, Folienentwerfen, Heftgestaltung, Karteikästen anlegen, Mindmaps erstellen usw. Schüler, die hedonistisch, verwöhnt und verhaltensgestört (s.o.) und durch den bisherigen Unterricht kaum befähigt worden seien, selbsttätig zu lernen, könnten nicht mit Methoden konfrontiert werden, in denen sie z.B. in einer empirischen Befragung aus inhaltlichen Gründen veranlasst wären, sich Informationen zu verschaffen, auszuwerten und in Form von Schaubildern oder Tabellen zu präsentieren. Das, was sich der Schüler an  methodischem Rüstzeug erwerben soll, muss auch methodisch exakt erworben werden: kleinschrittig, in winzige Portionen zerlegt und angerichtet, systematisch gegliedert, kontrollierbar und überprüfbar.

III

In der Unterrichtspraxis werden die elementaren Arbeitstechniken in Form von Trainingsspiralen eingeübt, für die »das induktive Vorgehen - vom Experiment  über die Reflexion bis hin zur Regelentwicklung und -festigung« (Klippert 2000, S. 203) charakteristisch sein sollen. Eine Trainingsspirale besteht aus mehreren (6-10), sich z.T. überlappenden, d.h. Wiederholung bietenden Übungsbausteinen, die  eine bestimmte Arbeitstechnik systematisch einüben und den übergeordneten Bereichen des Methoden-Trainings, des Kommunikations-Trainings und der Teamentwicklung zuzuordnen sind. Trainingsspiralen, so Klippert, lassen sich kombinieren und können beispielsweise im Rahmen einer Trainingswoche eingesetzt  werden.

In seinem Urbuch, dem Methoden-Training, unterscheidet Klippert vier Bereiche: 
- ein Propädeutikum: Nachdenken über das Lernen (Schüler tauschen sich darüber aus, wie sie lernen);
- Methoden der Informationsbeschaffung und -erfassung (vgl. die folgenden Beispiele);
- Methoden der Informationsverarbeitung und -aufbereitung (von der Heftführung über die Erstellung von Tabellen bis zum Verfassen von Inhaltsverzeichnissen);
- Methoden der Arbeits-, Zeit- und Lernplanung (beispielsweise Erziehung von Gedächtnislandkarten oder Mindmaps, Führung eines Tagebuches über den eigenen Umgang mit der Zeit).

Jede dieser Einheiten enthält neben äußerst konkreten Handlungsanweisungen (»Markiere im Schnellverfahren die folgenden Begriffe!« (Klippert 1994, S. 89) eine Fülle spielerischer Aktivitäten, die mittelbar zur Methode stehen. Immer wieder  werden einfache Kreuzworträtsel, Frage-Antwort-Puzzles, Buchstaben- und Silbenrätsel oder Karikaturen eingeflochten, um die Lernziele der Methoden zu verankern. Berücksichtigung findet auch der soziale Aspekt, indem die Schüler aufgefordert  werden, sich nach bestimmten Regeln paarweise oder in Gruppen über das auszutauschen, was sie gerade bearbeitet haben. Durchweg werden jedoch keine methodischen Angebote gemacht, die von den Lehrern oder Schülern variiert werden könnten. Vielmehr dominiert die strenge Führung durch das Material. Sinnvoll erscheint eine Arbeit mit den Übungsbausteinen nur dann zu sein, wenn man sich ganz ihrer Führung überlässt.

Das Vorgehen sei an zwei Beispielen für den Bereich des Methodentrainings genauer beschrieben. Klippert skizziert sie in der Pädagogischen Schulentwicklung mit den Trainingsspiraten »Rasch Lesen und Nachschlagen« und »Markieren und Strukturieren« (Klippert 2000, S. 205) 2

Rasches Lesen ist für Klippert eine Arbeitstechnik der Informationsbeschaffung und Informationserfassung und eine »Grundvoraussetzung für erfolgreiches Lernen« (Klippert 1994, S. 86). Die Trainingsspirale soll die Fähigkeit entwickeln, einen »Text ggf. diagonal zu überfliegen, um bestimmte Schlüssefinformationen zu entnehmen, oder aber einen Eindruck davon zu gewinnen, um was es im jeweiligen Text geht (Klippert 1994, S. 86). Normal übliches Lesen, also Wort für Wort, um den Inhalt des Textes zu erfassen, sei vielfach nur ermüdend, wenig wirksam und bedeute oft genug auch Zeitvergeudung, denn in der Schule sei häufig nur eine selektive Textauswertung erforderlich. In diesem Sinne sollen die Schüler in den zur Auswahl stehenden Übungen Namen oder Begriffe finden oder in Lückentexten Begriffe ergänzen.

In einer ersten Übung (vgl. Klippert 1994, S. 87) müssen die Schüler unter Zeitdruck auf einem Arbeitsblatt - unterteilt in vier Abschnitte à 7-12 Zeilen in jedem Abschnitt einen Forscher-Namen (Edison, Archimedes, Darwin und Kopernikus), der den Schülern aber vorher nicht mitgeteilt wird, entdecken: Welche Anregungen könnten die Schüler aus dieser Übung erhalten, welche Lesetipps könnten sie in der der Übung folgenden Gruppenarbeit austauschen?

»Er war Geistlicher Arzt und Mathematiker errechnete einen genauen Kalender und führte ein neues Münzsystem ein. Vor allein aber war er Astronom. Er erkannte die Sonne als Mittelpunkt unseres Weltalls, um die die Erde und die Planeten kreisten - und nicht umgekehrt. Allerdings konnte das Kopernikus zu seiner Zeit nur vermuten.« (Klippert 1994, S. 87)

In diesem Abschnitt findet sich wie in den drei anderen lediglich ein Name. Die Schüler müssen also nur, die Personennamen suchend, den Text überfliegen. Die meisten Schüler dürften die Aufgabe leicht bewältigen und könnten mit dem Erfolg glauben, dass es tatsächlich hilfreich sein kann, Texte. diagonal lesen zu können. Wenn man sich schnell einen Überblick über ein Thema verschaffen will oder wenn man einen Text daraufhin überprüft, ob und an welcher Stelle er das in Frage stehende Thema behandelt, kann es sinnvoll sein, einen Text so zu erschließen. Aber sobald mehr verlangt wird als die Identifikation eines einzelnen Wortes, sobald ein Text thematisch erarbeitet werden soll, führt die Übung die Schüler in die Irre. In diesem Fall würde es nichts nützen, nur nach dem Schlüsselwort zu suchen, weil der Name des Forschers allein natürlich nichts mehr erschließt als den Namen des Forschers. Man wäre entgegen der Aufgabenstellung gezwungen, während des diagonalen Lesens auf den roten Faden zu achten, der sich durch den Text zieht. Um dem Textabschnitt die Schlüsselinformationen entnehmen zu können, wie Klippen es ja fordert, wäre denn doch das »ermüdende« Lesen des Textes gefordert. Die Aufgabe, die der Schüler zu lösen hat, kann nur dazu führen, dass er den Namen Kopernikus findet und notiert, jedoch den Schlüssel übersieht, der aufschließt, wofür Kopernikus steht.

Die Schüler könnten sich aber auch Klipperts Meinung anschließen und wie er feststellen, was in der Schule zählt: Begriffe, Namen., Daten, Fakten. Vieles, was in der Schule abgehandelt wird, so führt Klippert aus, sei reine »Zeitvergeudung«, »ermüdend und wenig wirksam«, würde von den Schülern nicht verstanden und schnell wieder vergessen (vgl. Klippert 1994, S. 86) Erinnert man sich jedoch daran, dass die Übung als Vorbereitung zum selbstständigen Lernen mit komplexen Methoden stehen sollte, entpuppt sie sich. als eine gesteigerte Variante des von Klippert kritisierten Schule-Haltens. Die schiere Zurichtung auf das Erfordernis, Daten, Namen, Fakten finden und benennen zu Lernen, befreit zwar von allem unnötigen Ballast des Lernens, zugleich aber auch von jedweder Bedeutung und Kenntnis.

Schließlich könnte den Schülern die Künstlichkeit der Textabschnitte auffallen, die entgegen den üblichen Konventionen der Textkonstruktion verfasst sind: So würde man in einem erläuternden, wissenschaftspropädeutischen oder wissenschaftlichen (Lehr-)Text das Thema oder die Person, um das bzw. um die es geht, an exportierter Stelle finden; der Leser soll direkt Thematik und Gegenstand erfassen können, um daran anknüpfend diesbezügliche Aussagen erfahren zu können. Im Übungsbaustein sind hingegen die Namen der Forscher entsprechend der Aufgabenstellung mehr oder weniger versteckt im Text untergebracht. Diese Textkonstruktion kann dann z.T. sogar dazu führen, dass zwischen dem Satz, der den Forscher-Namen enthält, und den vorhergehenden Sätzen kein unmittelbarer Zusammenhang hergestellt werden kann.

Im Kopernikus-Beispiel geht aus dem Textaufbau nicht zwingend hervor, dass Kopernikus es ist, der in den ersten drei Sätzen beschrieben wird. Offensichtlich handelt es sich um einen in didaktischer Absicht manipulierten Text, was auch durch die einfache Satzstruktur belegt wird. Die künstliche Konstruktion der Aufgabe, verbunden mit dem Hinweis, dass jeder Name nur einmal vorkommt, soll die Aufmerksamkeit des Schülers nur noch auf die in Frage kommende Wortart lenken, so dass dieser auch gar nicht mehr auf inhaltliche oder logische Zusammenhänge angewiesen ist. Der Schüler wird bewusst abgelenkt vom inhaltlichen Interesse an der Aufgabe: Wer war eigentlich Kopernikus; wie kam er auf den Gedanken, die bestehende Vorstellung des Weltgebäudes zu bezweifeln; warum zögerte er, seine Erkenntnisse öffentlich zu machen? Klippert kann zwar nicht ganz auf Inhalte verzichten, sie sind aber nur Mittel zum Zweck, isoliert vom Verständnis des Inhalts eine Technik einzuüben.

Klippert betreibt Unsinn mit Methode, und seine Übungen selbst sind oft bei näherem Hinsehen irreführend, unverständlich und impraktikabel. Vor allem übt man mit ihnen oft nicht, was man mit ihnen üben soll. Die Kritik am Beispiel des selektiven Lesens lässt sich an vielen anderen Beispielen wiederholen: Texte sollen in Sinnabschnitte gegliedert werden, die überhaupt kein Gliederungsproblem aufwerfen (Klippert 1994, S. 101), Schülertexte sollen auf Redundanz hin überprüft werden, die wohl nur für den Autor Klippert ein Beispiel für einen geschwätzigen Schüler darstellen (Klippert 1994, S. 174), in einem »fragwürdigen Interview« sollen die Schüler Widersprüche im Textfluss identifizieren, die aber im Text gar nicht versteckt sind, sondern sich zwingend unmittelbar jedem Leser aufdrängen (Klippert 1994, S. 135).

In einer zweiten Trainingsspirale, die Klippert in der Pädagogischen Schulentwicklung skizziert, soll vorrangig das Markieren und Unterstreichen von Textstellen eingeübt werden. Klippert geht von der Erfahrung aus, dass in der Schule »blass und eintönig lediglich mit Bleistift oder dunklem Kugelschreiber unterstrichen« wird; da »wird in der Regel viel zu viel unterstrichen; da wird gelegentlich mit einem oder mehreren verschiedenfarbigen Textmarkern wahllos und 'flächendeckend' markiert, oder aber - das andere Extrem - auf die Verwendung von Textmarkern ganz verzichtet, obwohl diese ein außerordentlich hilfreiches Instrument sein können, sofern sie gezielt und sparsam eingesetzt werden« (Klippert 1994, S. 103). Schüler besitzen also unterschiedliche Vorgehensweisen, sich Texte anzueignen Der eine markiert fast alles, z.T. mit unterschiedlichen Farben, der andere unterstreicht kaum etwas, macht sich vielleicht eine Randnotiz oder dergleichen. Klippert fragt aber nicht, wodurch diese differenzierte Herangehensweise veranlasst sein könnte. Es kommt ihm nicht in den Sinn, dass der Umfang von Textmarkierungen in einem bestimmten Verhältnis zum Informationsstand des Schülers bezüglich des Inhaltes stehen könnte: Besitzt ein Schüler nur geringe Kenntnisse zu einem Thema, so werden für ihn alle Informationen des Textes hohen Neuigkeitswert haben, so dass er entweder alles oder gar nichts markiert. Ist das Gegenteil der Fall und der Schüler im Besitz grundlegender oder erweiterter Kenntnisse, wird er nur das markieren, was er für wichtig erachtet: das, was er schon immer für wichtig hielt und was er im Text wiedererkennt, oder das, was ihm der Text an neuen Erkenntnissen bietet. Markieren und andere Techniken zur Erfassung von Texten und Informationen hängen immer von Vorkenntnissen und inhaltlichen Interessen der einzelnen Schüler ab. Klippert ignoriert, dass die Aneignungslogik der Schüler und Schülerinnen immer in einem Verhältnis zur Logik der Sache steht, das jedoch nicht von vornherein festzulegen ist, sondern nur individuell und im jeweiligen Bezug zur Sache entsteht.

Ein erster Übungsbaustein, um Markieren und Unterstreichen zu üben, thematisiert die Gesundheitsgefährdungen die mit dem Rauchen verbunden sind (vgl. Klippert 1994, S. 104). Schon dieser kurze Text bietet unterschiedliche sachliche Zugänge: Die Schüler könnten sich dafür interessieren, welche Stoffe Zigaretten enthalten bzw. beim Rauchen freigesetzt werden und welche Wirkungen sie im menschlichen Organismus hervorrufen; sie könnten sich über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge informieren, z.B. welche Folgen die Schädigung von Gefäßwänden impliziert; die Aufgabe im Übungsbaustein besteht darin, festzustellen, welche Krankheiten, die durch Rauchen entstehen, im Text aufgeführt werden. Die Einschränkung der Übung auf einen Aspekt der Thematik geschieht jedoch nicht aus inhaltlichen oder thematischen Überlegungen, sondern allein, um die Arbeitshinweise plausibel zu machen. Die Schüler sollen »nur Einzelbegriffe« markieren d.h. farbig mit einem Textmarker unterlegen, und »Neben-Informationen«, die sie für wichtig halten, »mit einem dünnen roten Filzstift« unterstreichen. Erst durch die Einschränkung der Aufgabenstellung auf Krankheiten, die durch Rauchen entstehen, kann der »Kontroll-Tipp« gegeben werden, dass die »>Schlüsselbegriffe< [ ... ] in der Wortmitte die Silben: »GEN - BE - TUNGS - IN - VER« (Klappert 1994, So 104) enthalten. Die in der Aufgabe vorgenommene Einengung des Textinhalts auf Krankheiten sowie die als Kontrolle für den Schüler gedachte Silbenvorgabe reduziert das Studium des Textes auf Schlüsselwörter, genauer auf Substantive, die eine bestimmte Zeichenabfolge in ihrer Wortmitte enthalten. In der Aufgabenbearbeitung dürfte sich der Kontroll-Tipp als Suchhinweis herausstellen, der die Aufmerksamkeit des Schülers vom Inhalt des Textes ablenkt und allein auf die Identifikation der angegebenen Silben in den Begriffen »Lungenkrebs, Atembeschwerden, Durchblutungsstörungen, Herzinfarkt und Gefäßverengung« richtet. So kommt dann natürlich auch kein Schüler mehr auf den Gedanken, dass Atembeschwerden - wie der Name es schon nahe legt - wohl eher als Folge einer Krankheit denn als Krankheit selbst aufzufassen sind oder dass
man umgangssprachlich »den sogenannten >Raucherhusten<« (Klippert 1994, S. 104) als Krankheit bezeichnet. Im Gegenteil, ein Schüler, der sich in dieser Art mit dem Inhalt beschäftigt, könnte Schwierigkeiten bekommen, die Aufgabe entsprechend der verlangten Lösung zu bearbeiten. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Text, aus der dann entsprechend der Inhalts- und Aneignungslogik individuell unterschiedliches Markieren resultieren könnte, wird systematisch eliminiert. An ihre Stelle tritt der kurzweilige Rätselspaß. Die Suche nach einzelnen Textelementen wird zum Ersatz für Textverständnis.

Mit Hilfe des Kontroll-Tipps werden die Schüler leicht die fünf Krankheiten aufspüren und markieren. Leider gibt es bezüglich der Nebeninformationen, die die Schüler »mit einem dünnen roten Filzstift« unterstreichen sollen, keinen so praktischen Hinweis. Die Schüler müssen selbst entscheiden, welche Nebeninformationen wichtig sind und welche nicht. Und das ist in diesem Text nun wirklich nicht einfach, da er ein typisches Beispiel eines Schulbuchtextes ist: äußerst komprimiert, voller Informationen, kaum redundant. Nähme man Klipperts Aufgabe ernst, so müsste fast jeder Satz rot unterstrichen werden, weil fast jeder Satz wichtige Informationen zu den aufgeführten Krankheiten enthält. Der Übungstext, den Klippert auswählt, damit die Schüler »gezieltes und sparsames« Unterstreichen üben können, eignet sich für diesen Zweck gar nicht. Das, was geübt werden soll, kann gar nicht geübt werden. Dass dieser Widerspruch kaum auffällt, liegt wohl daran, dass Klippert im unmittelbar folgenden Übungsbaustein die gerade noch betonte Bedeutung der Nebeninformationen schon wieder relativiert. Nebeninforrnationen müssten meist gar nicht mehr nachgelesen werden, »weil sie mit dem besagten >Codewort< ziemlich automatisch wieder ins Gedächtnis hochkommen« (Klippert 1994, S. 105). Der Schüler wird beruhigt darüber, dass er nicht den ganzen Text mit seinen vielen Informationen lernen muss. Beschlossen wird der Exkurs in Sachen Lernpsychologie mit dem beschwörenden Fazit: »Das alles klappt natürlich nur, wenn du mit dem farbigen Textmarker [ ... ] markierst« (Klippert 1994, S. 105).

Die Analyse der Markierübung legt über sie hinausgehend einen zentralen Aspekt des Methodentrainings offen: die Annahme, dass die Einübung elementarer Arbeitstechniken auf andere Situationen und Anwendungszusammenhänge übertragbar sei. Transferwirkung könnte die Aufgabe wohl nur dann entfalten, wenn den Schülern die Freiheit belassen würde, entsprechend der Kenntnis- und Interessenlage unterschiedliche Handlungsstrategien der Textaneignung und in diesem Zusammenhang Markierungsstrategien zu entwickeln, die auch bei anderen Texten angewendet werden könnten. Klipperts Lenkung der Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Textmerkmal, verbunden mit der Zuspitzung, die die Aufgabe im Kontroll-Tipp erfährt, lässt nur allzu deutlich werden, dass die so erworbene Markierungsstrategie auf keinen anderen Text als den Übungstext übertragen werden kann - außer vielleicht auf didaktisch ähnlich zubereitete Texte und Aufgaben in der Schule.

Wie man sich die vertiefenden Anregungen des Lehrers vorstellen muss, die die Trainingsspirale als dritten Übungsbaustein ausweist, zeigt das im MethodenTraining aufgeführte entsprechende Übungsbeispiel: Markierungsregeln kurz und bündig (vgl. Klippert 1994, S. 107 bzw. folgende Abbildung). Die Schüler sollen acht Arbeitsschritte zum Markieren in eine sinnvolle Reihenfolge von 1-8 bringen und diese Reihenfolge dann stichwortartig in ein vorgegebenes Schema eintragen. Die Schüler, die vorher in Kleingruppen ihre Markiererfahrungen verglichen haben, könnten nun Ablaufverfahren, Handlungsketten formulieren, indem sie ihr eigenes Markierungs-Vorgehen in Beziehung zu den formulierter Arbeitsschritten setzen und reflektieren. Wahrscheinlich werden alle Schüler darin übereinstimmen, dass zunächst die Arbeitsgeräte »Bleistift, Lineal, Textmarker und [ ... ] Filzstift« griff-
bereit auf den Tisch gelegt werden sollen. Ein Großteil der Schüler käme dann wohl auf den Gedanken, die Regel: »Den Text grob überlesen, um einen Eindruck davon zu bekommen, um was es geht!« als zweiten Arbeitsschritt anzugeben. Vielleicht würden hier aber auch schon die ersten Schüler stutzen: Um einen Eindruck davon zu bekommen, um was es im Text geht, könnte es doch sinnvoller sein, den Text sinnverstehend zu lesen. Doch dieser Arbeitsschritt findet sich unter den Klippertschen Regeln nicht. Aber vielleicht hilft ein anderer Arbeitsschritt weiter, mit dessen Hilfe man den Textaufbau erfassen soll: »Wichtige Stellen zunächst mit Bleistift unterstreichen, damit der Textaufbau einigermaßen erkennbar wird. Doch wie soll man wichtige Stellen erkennen, wenn man nur grob über den Text informiert ist? Zudem - so könnten Schüler fragen - wäre es nicht sinnvoller, umgekehrt vorzugehen und zunächst den Textaufbau zu verifizieren, um anhand der Struktur des Textes die wichtigen Passagen entdecken zu können? Fragen über Fragen, die der Übungsbaustein aufwirft und die thernatisiert werden müssten, um eine Methode des Markierens und Strukturierens zu entwickeln, die frei vom Spiel Leseverstehen fördern könnte.

Der Schüler, der bis hierhin versucht hat, Klipperts Aufgabe unhinterfragt zu bearbeiten, hat sein Arbeitsgerät griffbereit gelegt, den Text grob überflogen und das, was ihm bei diesem groben Überfliegen wichtig erschienen ist, mit Hilfe von Bleistift und Lineal unterstrichen. Als nächstes müsste wohl der Textmarker zum Einsatz kommen: das »Unterstrichene nochmal Überfliegen und die eigentlichen Schlüsselbegriffe herausfinden und nach sorgfältiger Prüfung endgültig mit Textmarker kennzeichnen!« Aber wie soll er entscheiden, was von dem, was er - ohne genaue Kenntnis der Thematik -  unterstrichen hat, eigentlich wichtig ist und den Schlüsselbegriff darstellt? Soll er jetzt doch sorgfältig prüfen? Aber was soll er prüfen und was ist das Kriterium der sorgfältigen Prüfung? Bei soviel Konfusion merkt der Schüler, worauf es ankommt: dass sich »als Markierungsfarbe [...] im Unterrichtsalltag vor allein die Farbe >gelb< bewährt« hat. Und Trost wird der Schüler in der Aussage des (vermutlich) letzten Arbeitsschrittes finden, der keine Regel im eigentlichen Sinne und auch keinen Arbeitsschritt formuliert, sondern eine Erläuterung zu den markierten Schlüsselbegriffen ist und dessen Schlusspassage als wesentliche Essenz dem Schüler im Gedächtnis haften bleiben wird: Alles kannst Du sowieso nicht behalten!«

Die Fragen und Zweifel, die bei der Bearbeitung des Übungsbausteins entstehen und deren Thematisierung erst die Entwicklung einer eigenständigen Handlungsstrategie des Markierens und Strukturierens anleiten könnte, sollen durch die Aufgabenkonstruktion und Aufgabenformulierung im Keim erstickt werden. Imperativisch werden Arbeitshinweis und Regeln formuliert; es wird unterstellt, dass die Arbeitsschritte, denen der Sinn offenkundig fehlt, in eine »sinnvolle Reihenfolge« gebracht werden könnten. Und selbst wenn die Schüler sich darauf einlassen, die Arbeitsschritte in eine ihnen subjektiv sinnvoll erscheinende Reihenfolge vorzunehmen, werden sie durch den obligatorischen Kontroll-Tipp daran gehindert: Die Reihenfolge der in zwei Spalten formulierten Arbeitsregeln soll nummeriert werden, und die Summe beider Spalten muss am Ende der Prozedur gleich sein. Somit gerät auch hier die Aufgabe zu einem rein mechanischen Vollzug: Statt die Regeln aufmerksam zu lesen, um sie verstehen zu lernen, vollführen die Schüler ein RechenSpiel, bis die Summe beider Spalten endlich übereinstimmt. Das manirierte methodische Vorgehen zwingt alle Schüler zum Gleichschritt und unterbindet zudem jeden inhaltlich motivierten Zugang.

IV

Die an zwei Beispielen vorgenommene Analyse der Aufgabenkonstruktion ließe sich beliebig fortsetzen. Das Strickmuster ist immer das gleiche. Der Anspruch, Selbstständigkeit durch Methodenlernen zu vermitteln, wird nicht nur verfehlt, sondern er schlägt um in sein genaues Gegenteil, in die Uniformierung und Disziplinierung der Schüler über den Umweg spielerischer Aktivitäten. Wie kommt es dennoch dazu, dass viele Pädagogen inzwischen auf Klippert schwören und behaupten, mit solchen Übungen wäre es möglich, Methodenkompetenz zu vermitteln.

Einen ersten Hinweis liefert der Selbsttest. Die Aufgaben machen - bis zu einem bestimmten Grad - Spaß, so wie Kreuzworträtsel, Silbenrätsel oder Lückentexte uns eben Spaß machen. Und so kann man auch mit Schülern - und sogar mit Studenten die Erfahrung machen, dass eine Zeitlang Ruhe und eine Atmosphäre motivierten »Arbeitens« einsetzt. Der Lehrer wird tatsächlich eine gewisse Zeit vom täglichen Kleinkrieg um Aufmerksamkeit und Disziplin entlastet, und es entsteht - trotz aller offenkundigen Unterschreitung der Ansprüche - eine Illusion gelingender Vermittlung. Doch es dürfte zu bezweifeln sein, dass der Spaß von Dauer sein kann. Die Schüler werden den Rätselspaß nicht als ernst zu nehmenden Unterricht deuten, weil sie Kreuzworträtsel nicht für eine Tätigkeit halten, mit der sie sich auf Aufgaben im Leben vorbereiten und mit der sie sich im Leben bewähren können. Irgendwann werden sie nach einem anderen Unterricht verlangen.

Vermutlich haben aber weder Klippert noch seine Anhänger solche Schüler im Blick. Die verfügen über eine Lernhaltung, die viele der Übungen für sie als überflüssig erscheinen lässt. Klipperts Methode lebt von der Vorstellung völlig depravierter Schüler, denen nur noch mit solchen Spielen beizukommen ist. Er zeichnet ein Bild vorn Schüler, an das Lehrer leicht anknüpfen können, weil ihnen dieser Schütertypus gut bekannt ist und der die Diskussion in den Medien prägt: der faule, unmotivierte, undisziplinierte Schüler, der häufig stört, der Schüler, der sich nicht konzentrieren und von dem man kaum noch etwas verlangen kann, der aber dafür sorgt, dass an normalen Unterricht kaum noch zu denken ist. Von Bad Boys, von verbalen Entgleisungen, von Beschimpfungen ist die Rede, von Schülern, die vor der Glotze verblöden, statt von den Eltern erzogen zu werden, von Kindern, die verwöhnt oder vernachlässigt werden, von Schülern, die vielleicht in der Minderheitsind, die aber den Ton angeben und alle terrorisieren und gegen die niemand mehr den Mut hat anzugehen. Klippert bietet den Lehrern dieser Schüler so etwas wie ein Überlebensmittel an. Mit seinen Übungen bekommt man die nämlich ans Arbeiten. Dass sie dabei eigentlich nichts lernen - nichts inhaltlich und erbärmlich wenig in methodischer Hinsicht -, spielt keine Rolle. Der anstrengungslose Erfolg, der den Schülern bei den Übungen gewährt wird, bereitet sie nicht vor auf das ernsthafte Lernen. Stattdessen steht zu befürchten, dass sie die spielerischen Übungen zum Standard erheben und dass sich das eingespielte Modell des Textverstehens gegen den Lehrer richtet, sobald mehr von ihnen verlangt wird als das Finden von Einzelwörtern oder das farbige Markieren von Stellen.

Klipperts Erfolg liefert ein Indiz für das zerrüttete Professionswissen und die mangelnde Lehrkompetenz. Wie verunsichert müssen Lehrer sein, dass sie trotz Studium, Lehrerseminar und z.T. jahrzehntelanger Berufserfahrung immer noch nicht wissen, wie man als Lehrer lehrt, und die deshalb begierig mit Klippert den Schülern methodisches Arbeiten vermitteln wollen? Klippert verspricht gegen die Anomalien ihres Unterrichts Abhilfe. Der Disziplinlosigkeit der Schüler setzt er ein Modell entgegen, mit dem Disziplin nicht als Habitus für einen in der Sache erfolgreichen Bildungsprozess eingeübt wird, in dem die geistige Anstrengung die unentbehrliche Grundlage für die Auseinandersetzung mit dein Stoff ist: für ein konzentriertes Lesen, für eine genaue Analyse, für eine intensive Diskussion. Disziplin im Klippertschen Sinne konkretisiert sich mechanisch, geistlos. Sie soll unabhängig vom Lerngegenstand funktionieren und ist auf die Einprägung ritueller Verhaltensweisen der Schüler gerichtet: Erstens, Arbeitsgeräte bereitlegen, zweitens, mit Bleistift unterstreichen, drittens, mit Textmarker markieren, viertens, mit rotem Filzstift unterstreichen. Und da dieser Disziplin der Geist ausgetrieben wurde, muss sie ständig geübt und dem Körper eingeschrieben werden, wenn sie nachhaltig wirken soll.3

Aus der Distanz zur Lehrernot betrachtet haben die elementarisierten Übungen, die scheinbar lückenlos aufeinander aufbauend die Stufenleiter zum Schüler als Konstrukteur, als Forscher abbilden, den Charakter von Beschwörungsritualen, mit deren magischer Wirkung Heilung und Rettung erfolgen soll. Was man als Schlüsselbegriffe unterstrichen und markiert hat, wirkt wie gesichert. Was man bezeichnet hat, verliert seine Angst machende Unübersichtlichkeit bzw. geht als Fähigkeit der Beherrschung auf den Bezeichner über. Die genau geregelte Vorgabe soll ein Wissen als verfügbar erscheinen lassen, das sich einer eigenständigen Aneignung zu entziehen scheint. Diesen Hokuspokus sollen die Anleihen, die Klippen bei Lernpsychologen und Konstruktivisten zur Legitimation seiner Methode vornimmt, verschleiern. Seine Pädagogik wird bloß dem Scheine nach wissenschaftlich gestützt. In gewisser Weise verlängert die Inanspruchnahme die Magie: Das wissenschaftliche Zitat soll als Placebo wirken. In Wahrheit bedeutet seine Methodenlehre einen Rückfall hinter so gut wie alle wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den Bedingungen des Lernens und der Bildung. Die Behauptung, dass durch die Klippertsche Methode die Kinder, die zunächst als hedonistisch, verwöhnt oder verhaltensgestört charakterisiert wurden, zu Forschern, zu Entdeckern und zu Konstrukteuren werden, ist schlichter Priesterbetrug alter Prägung.

Dass das nicht in aller Schärfe gesehen wird, hängt viel mit Wishful Thinking zusammen. Das Bedürfnis nach so etwas wie Methodentraining besteht, weil der normale Unterricht seine Aufgabe nicht erfüllt. Aber Klippert schüttet das Kind mit dem Bade aus. Statt der Didaktik als Wissensvermittlung mit immanenter Kritik zu begegnen, sucht er sie zu retten mit Methode als Methode. Für seine Übungsbeispiele benötigt er insofern nicht zufällig nur irgendeinen beliebigen Stoff, genauer allein einen Stoff, der die Richtigkeit der Methode durch deren Regelbefolgung bestätigen soll. Das ist so selbstbezüglich wie nur möglich. Dass die Trainings nicht mit ihrer ersten Erprobung zu Protest gehen, hängt wohl nicht zuletzt mit der Subsumtion fast aller Klippertschen Methoden unter das Spiel zusammen. Das garantiert zunächst die Kooperation der Schüler, und mit ihr fühlt sich der Lehrer bestätigt, etwas Sinnvolles zu tun. Indem aber die Schüler, statt etwas zu lernen, im Unterricht auf dem Niveau von primitiven Kreuzworträtseln spielen, werden sie noch einmal um das gebracht, was der Unterricht ihnen bieten sollte.
 

ANMERKUNGEN
1 Vgl. Etzold 1999.
2 In Pädagogische Schulentwicklung erläutert Klippen die Übungsbausteine nur oberflächlich, schließlich sollen interessierte Lehrer ja auch noch seine anderen Bücher, in denen die Bausteine beschrieben werden, kaufen bzw. an seinen Ausbildungsseminaren teilnehmen. Für die Analyse dieser Übungsbausteine beziehe ich mich deshalb auf Klipperts wohl zentrales und meistverkauftes Werk - Methoden-Training -, in dein die einzelnen ÜbungsmateriaIien aufgeführt werden.
3 An dieser Stelle ist der Hinweis auf einen theoretischen Hinter,-rund der Analyse angebracht. Foucault legt in Überwachen und Strafen überzeugend die Entstehung und Ausbreitung von Disziplinierungstechniken dar und zeigt, wie im Bereich der Schule eine analytische Pädagogik entsteht, die - u.a. durch methodische Zergliederung, systematische genau festgelegtes Zeitmanagement - auf eine Dressur der Schüler-Körper abzielt.
 

Literatur
Etzold, S.: Lehrer lernen lehren. In : Die Zeit. Nr. 25 (1999).
Foucault, M.: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt am Main 1976. 
Klippert, H.: Methoden-Training. Übungsbausteine für den Unterricht. Weinheim/Basel 1994.
Klippert, H.: Kommunikations-Training. Übungsbausteine für den Untefficht. Weinheim/Basel 1995. 
Klippert H.: Team-Entwicklung im Klassenraum. Übungsbausteine für den Unterricht. Weinheim/Basel 1998.
Klippert, H.: Pädagogische Schulentwicklung. Planungs- und Arbeitshilfen zur Förderung einer neuen Lernkultur. Weinheim/Basel 2000.