mediathek philosophy on stage #3

Die Wissenschaftler_in und ihr Double – Ein Fremd- und Selbstversuch // Performance-Text

Rosa Danner (CV) / Esther Hutfless (CV)

Rosa Danner & Esther Hutfless // Die Wissenschafter_in und ihr Double – Ein Fremd- und Selbstversuch // Lecture Performance im Rahmen von Philosophy on Stage #3, 2011

Sehr verehrte Damen und Herren!

Es wird sich alles um Körper drehen. Körper sind gefährlich. Wir werden daher – dieses Vorgehen wird Ihnen aus den gewöhnlichen Wissenschaftsgebräuchen durchaus bekannt erscheinen – unsere Körper in weißen Anzügen objektivieren.

Das dient alles unserer Sicherheit.

Die Sicherheit steht an oberster Stelle. Wir bitten um ihr Verständnis! Denn Körper sind Resonanzkörper.

Den Worten und der Stimme vertrauen wir gerne. Sie sind die Träger eines tieferen Sinns, der sich über den Körper hinweg der Welt aussetzt. Die Stimme wird zur Subjektivität, die den Körper verlässt, hinter sich lässt.1 Der Körper, so scheint es, verschwindet, wenn die Wissenschafter_in spricht, schreibt. Wird schon zum Verschwinden gebracht, während die Hand noch den Stift über das Papier führt oder die Finger über die Tastatur gleiten lässt, während der Atem, die Vibration der Stimmbänder, die Zunge, die Rachenhöhle in einem virtuosen Quartett einen Ton als inten­tionale Äußerung formen. Vergessen wir nicht die Lungen und das Zwerchfell!

Das Wort, die Stimme sind uns vertraut.

Das Wort, die Stimme sind der Pfeil2, der auf Bedeutung zielt. Doch verliert sich die Stimme im Flug. Es scheint als opfere sich ihre körperliche Materialität, der Idealität der Bedeutung. Die Stimme muss sich einer höheren Macht verschreiben und im Idealfall bleibt da nichts außer Signifikantes. Wenn wir sprechen, um etwas zu sagen, ist die Stimme genau das, was nicht gesagt werden kann3.

„Das abendländische Theater anerkennt nur die artikulierte, grammatisch artikulierte …“. Halt! Ersetzen wir das Theater durch die Wissenschaft.

„Die abendländische Wissenschaft, so scheint es, anerkennt nur die artikulierte, gram­­matisch artikulierte Sprache, das heißt die Sprache des Wortes, des geschriebenen Wortes, des Wortes, das ausgesprochen oder nicht ausgesprochen, nicht mehr Bedeutung hat, als wenn es lediglich geschrieben stünde, als Sprache, gesteht nur ihr die Fähigkeit und Wirkkräfte einer Sprache zu, erlaubt nur ihr, Sprache sich zu nennen, und zwar mit jener Art von geistiger Würde, die man gemeinhin mit diesem Wort verbindet. In der Wissenschaft, so wie wir sie hier auffassen, ist der Text alles.“4 Derrida zu Artaud – so oder so ähnlich.

Die Rede beherrscht die Szenerie. Die Metaphysik der phonetischen Schrift5 hat durchaus ihre Berechtigung, denn Körper sind gefährlich. So liegt es nahe, die Wahr–heit mit semantischen Netzen einzufangen und gut zu verschnüren.

Körper sind Resonanzkörper.

„Wenn wir vom Körper sprechen, sprechen wir von dem, was genau das Gegenteil des Geschlossenen und Abgeschlossenen ist. Der Körper ist das Offene. Ein Körper ist Ausdehnung.6“ Jean-Luc Nancy.

Jenseits von Diskursen über und der Disziplinierung von Körpern, wohnt der Körper der Wissenschafter_in im Heimlichen und ist im besten Fall ganz und gar geschlechtslos. Ich habe mir Judith Butler auch noch nie essend, kauend, schluckend oder atmend vorgestellt. Manchmal lacht sie.

Doch die Wissenschaft ist eine sehr ernste Angelegenheit.

Gewöhnlich widerstehen wir daher der Versuchung darüber nachzufühlen, was sich überträgt, wie Körper durch Sprache und Texte berührt werden und wie Körper an der Wissenschaft rühren.7 Als könnte aus der Berührung eine Aufruhr werden.

Körper sind Resonanzkörper.

Der Körper der Wissenschafter_in muss sich also mit dem Heimlichen begnügen, damit sie und wir es am Ort der Wissenschaft heimelig haben. Den organischen, affektiven, lebendigen Körper zum Verschwinden bringen – verschieben, verwerfen, verdrängen.

Heimlich, das heißt: vertraut und häuslich aber auch versteckt, verborgen, geheim. Wo etwas zum Heimlichen wird ist das Unheimliche nicht fern. Das deutsche Wort Unheimlich ist offenbar der Gegensatz zu heimlich, schreibt Freud in Das Unheimliche.8 Es sei jene Art des Schreckhaften, welche auf das Altbekannte und Längstvertraute, also auf das Heimelige zurückreiche. Das Vertraute, Heimelige wird zum Geheimen und Heimlichen indem wir es mit Hilfe der Abwehrmechanismen des Ichs vor uns selbst verstecken. Wenn das Versteck nicht gut genug war, taucht das Heimliche als Unheimliches auf. Das Unheimliche kehrt aus dem Verdrängten wieder, es ist ein Vertrautes, das wir uns selbst entfremdet haben. Unheimlich ist, was vertraut gewesen ist.9

Körper sind unheimlich. Wenn sie nicht vertraut sind, sind sie auch fremd. Sie sind unheimliche Doppelgänger. Als Versteck für das heimliche oder angstvolle kann auch das Double dienen. Der Doppelgänger ist ein scheinbar äußeres fremdes Wesen, eine Außenstelle des Unbewußten, die uns in der Begegnung zum unheimlichen Fremden wird.

Der Körper ist das Fremde, weil er hier ist.

Das Fremde ist in uns selbst, schreibt Julia Kristeva, so sind wir alle Fremde. Wenn ich Fremder bin, gibt es keine Fremden.10

Körper sind mindestens zwei.

Wenn Körper sich nicht in sich einschließen, sich entfernen, sondern offen sind, Ausdehnung sind, so entgegnet ihnen das andere.

„Es kommt oft vor, dass neurotische Männer erklären das weibliche Genitale sei ihnen etwas Unheimliches“ Sigmund Freud

Achtung, es kommen die Körper. Bitte erschrecken sie nicht.

Körper wiederholen sich, verdoppeln sich, vervielfältigen sich. Ein Schatten, ein Echo, eine Stimme aus dem Nichts. Erscheinungen ohne körperliche Materialität.11 Früher, vor Einstellung eines gewissen Gewöhnungseffekts, fand man das Radio oder den sprechenden Schachautomaten unheimlich. Oder umgekehrt kann man einen durchaus lebendigen Körper, der unbeseelt, sprachlos, gelähmt, atmend, irgendwie automatisch, reglos, rasend, verrückt erscheint, als unheimlich empfinden. Angeblich hat das etwas mit der Frage der Beseelung zu tun. Lebloses dennoch beseelt und lebendiges unbeseelt vorfinden, ist unheimlich.

„Die Seele als Form des Körpers bedeutet, dass der Körper das Spürende ist. Der Körper spürt und er wird gespürt.“ Jean-Luc Nancy

Körper sind viele.

Können wir uns eine Wissenschaft denken und erfühlen, die gleich dem Artaudschen Theater unseren Verdrängungen Leben verleiht? Eine Praxis, die Menschen einlädt, MIT ihrem Körper HERAUSZUTRETEN.12 Die metaphorische Sprache durchbrechen, an das Lebendige rühren, die Stimme befreien, durch das Fleisch gehen, die Ruhe der Sinne stören.13

„Ich meine, dass der Körper Atem zurückhält und der Atem Körper zurückhält.“14 Antonin Artaud

Wir müssen die Schatten und den Atem aufstöbern.

Körper sind außer sich.

Artaud ersetzt die Metapher im linguistischen Sinn durch das Double. Das Double ist keine sprachliche Repräsentation und auch nicht der Freudsche Außenposten des Unbewussten. Es ist nicht der Ersatz für etwas Abwesendes, es tritt nicht an die Stelle von…

Das Double eröffnet einen Raum, schafft eine eigene Realität, in dem es die Spaltung von Zeichen und Bedeutung zu überwinden sucht. Es hält sich im Bereich des Lebendigen auf. Das Double ist Sprachform und Ausdruck dessen, was die herkömmliche Sprache nicht fassen kann und was in der herrschenden Kultur ausgeschlossen bleibt. Eine stoffliche Sprache, die die Sinne und die Materialität berührt.

Metaphorá.

Übertragung nicht im wörtlichen, nicht im übertragenen, sondern im stofflichen Sinne.

Das Double ist ein Schatten.

Alles kann Double werden.

Körper sind Resonanzkörper.

„Kein Autor-Schöpfer, der abwesend und aus der Ferne, mit einem Text bewaffnet, die Zeit oder den Sinn der Repräsentation überwacht, versammelt und lenkt.“15 Keine Produktion von Sinn und Auffassung im vorauseilenden Gehorsam, keine Übertragung von austauschbaren Signifikanten. Verstehen ist keine bloß intellektuelle Angelegenheit, kein bloßes Vorstellen des Bezeichneten, sondern ein Resonanzphänomen.

Eine andere Sprache, die sich dem Leben öffnet, die Körper berührt, die von Körpern angerührt wird.

Ein körperliches Theater, eine körperliche Wissenschaft.

Am Anfang war der Eros. Ohne Anziehung und Abstoßung, ohne Spannung keine Übertragung. Eine Form der Intersubjektivität, mit Merleau-Ponty gleich einem Unbewussten, das nicht in unserem Innersten zu suchen ist, nicht hinter dem Rücken unseres Bewusstseins, sondern in unserem Äußersten. Es ist das Ineinander der Anderen in uns und von uns in ihnen.

„Eine diskrete Durchquerung von Ort zu Ort, aller Orte. Ein Körper durchquert alle Körper.“16

Direkt im Offenen ist der Körper bereits, unendlich, mehr als ursprünglich; es ist genau dort, wo diese Durchquerung ohne Eindringen, dieses Gemenge ohne Vermischung Statt hat. Liebe ist das Berühren des Offenen.

…und die Wiederholung des Inkommensurablen. Jean-Luc Nancy

Jeder Körper ist Ton.

Körper sind Resonanzkörper.  Sie versetzen in Schwingung und werden in Schwingung versetzt. Körper sind erregt, wie die Körper der Liebenden.

Der Körper ist nicht ein innerer Geist, der allein aus sich heraus Bewusstsein, Gefühl, Wahrnehmung, Idee schöpft. Der Körper ist ebenso wenig dieses Außen des Innen, das die Dinge um sich orientiert und auf sich bezieht. Körper sind Kräfte die die Differenz von Bezeichnetem und Bezeichnendem zerstreuen.

Körper sind auch Zwischenräume. Die Schatten und Zwischenräume sind belebt. Übertragungen, der Stimme gleich, die weder ganz dem Körper noch ganz der Sprache angehören. Schnittmenge, mehr als das… Plus de corps. Überschuss der Körper, Exzess der Körper, Ausdehnung der Körper, die heimlichen Kontakte der Körper.

Was der Körper vermag…

…was zwischen ihnen geschieht

…überlassen wir ihm die Stätten, schreiben wir, lesen wir, sprechen wir um den Körpern die Stätten ihrer Kontakte zu überlassen.17

eine entsetzliche Übertragung von Kräften

von Körpern

zu Körpern.18



Anmerkungen:

1 Vgl. Dolar S. 82, S. 140 f.

2 Dolar S. 96 f.

3 Vgl. Böhme S. 26f + S.30; Vgl. auch Barthes S. 299-309.

4 Vgl. Derrida: Die Schrift und die Differenz, S. 361.

5 Vgl. Derrida: Grammatologie, S. 11.

6 Vgl. Dolar S. 96 f.

7 Vgl. Nancy S. 109.

8 Vgl. Freud S. 231.

9 Kristeva: S. 199.

10 Kristeva: S. 209.

11 Vgl. Sierek S. 104.

12 Artaud: Briefe Apropos/Schluß mit dem Gottesgericht, S. 54.

13 Artaud: Das Theater und sein Double, S. 30.

14 Artaud: Letzte Schriften zum Theater, S. 75.

15 Derrida: Die Schrift und die Differenz, S. 355.

16 Nancy S. 28.

17 Ebd. S. 48.

18 Artaud: Zitiert nach Derrida: Die Schrift und die Differenz, S. 378.


Literatur:

Antonin Artaud: Briefe Apropos/Schluß mit dem Gottesgericht. Matthes & Seitz Verlag 2002

Antonin Artaud: Das Theater und sein Double. Fischer 1979

Antonin Artaud: Letzte Schriften zum Theater. Matthes & Seitz Verlag 2002

Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme. In Barck/Gente/Paris/Richter (Hg.): Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Reclam 1990, S. 299-309

Gernot Böhme: Die Stimme im leiblichen Raum. In: Kolesch/Pinto/Schrödl (Hg.): Stimm Welten. transcript 2009, S. 23-32

Jacques Derrida: Grammatologie. Suhrkamp 1983

Jacques Derrida: Die Schrift und die Differenz. Suhrkamp 1976

Mladen Dolar: His Master’s Voice. Suhrkamp 2007

Freud: Das Unheimliche. GW 12, Fischer 1999

Julia Kristeva: Fremde sind wir uns selbst, Suhrkamp 1990

Jean-Luc Nancy: Corpus. diaphanes 2007

Karl Sierek: Stimme Lotse auf der Reise Du. In: Blümlinger/Wulf (Hg.): Schreiben, Bilder, Sprechen. Texte zum essayistischen Film. Sonderzahl 1992, S. 95-107

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