mediathek philosophy on stage #3

Körper in der Yoga-Tantrischen Philosophie // Performance-Text

Sriram (CV)

Sriram // Der Körper in der Yoga-Tantrischen Philosophie (Transkript des Vortrages) // Philosophy On Stage #3

Wenn am Anfang das Wort war, war das Wort Begehren. Das Begehren gebiert das Wirken, setzt das Wirken ein. Null – die Revolution unter den Zahlen, die Evolution gebiert – diese Null begehrt sich zu Eins. Aus nothingness wird ein Ding. Nothingness und Ding: Darum geht es in der indischen Philosophie. Begehrt diese nothingness eine Realität zu erschaffen, die es dann die Wirklichkeit oder sogar Paradies nennt? Oder ist es lediglich ein Trick des Menschengeistes, der zwei Nullen aufeinandersetzt, und von der magischen Acht spricht, dem Kubus mit seinen acht Ecken als Raum, als das Ewige, Shiva. Oder zwingt dieser manipulative Menschengeist diese Acht zur Ruhe, legt sie in Schlafhaltung, Lemniskate, und verspricht sich dann die Ewigkeit?

Null und Eins, Leere und Wirklichkeit lassen die indische Philosophie nicht los. Das beständige Wirken wirft die Rollen des Erschaffers und des Erschaffenen ständig in Konflikt. Das Seiende und das Wirkende als Null und Eins, Mann und Frau, oder, vor allem, das Außen und das Innen. Alle meistens in Konflikt – aber immer wieder mal gelangen sie in eine Süße oder Stille, süße Stille, auch wenn sie nur flüchtig ist.

Es hat jemand gesagt: Adam war erst da. Stimmt das? In der tantrischen Philosophie: Du ließt aus dir Shiva entstehen, so dass wir das Glück haben, dich zu sehen. So wird das weibliche – ob es nun für Null oder Eins steht, sehen wir – verstanden. Sie, die Eva, war sie doch die Essenz, die Adam aus seinem Herzen herausriss, um seines Begehrens willen oder des Begehrens willen. Sie ist nicht aus ihm entstanden, sie ist aus ihm aufgestanden, kraft seines Begehrens. Viel über das Null und das Eins wissen wir auch heute noch nicht, außer dass sie als das Runde und das Aufbegehrende, heute noch das Männliche und Weibliche, als Vagina und Phallus, am Wirken halten, und dabei an der Creatio. Vielleicht weiß unser digitales Universum schon einiges über Null und Eins, das Begehren und das Wirken und das endlose Zusammenspiel der beiden, das das ganze Universum kreiert.

Null und seine Einswerdung sind sozusagen das Substantive und das Werk. Was ist das für eine Substanz, die wir Wirklichkeit nennen? Haben wir uns dieses Substantiv nicht lediglich erdacht, und können wir uns nicht endlich befreien aus den Fesseln des Substantiven und frei denken?

Hier kommt Trishanku. Trishanku war ein großer Maharadscha aus den Urzeiten, aber nicht nur ein Maharadscha, König, sondern auch ein großer geistiger Vordenker. Er hat es aber nicht aus seinem Kopf gebracht, dass er leibhaft ins Paradies, in die Götterwelt gelangen und in seinem Leib als Trishanku das Götterleben genießen will. So versenkte er sich in Meditation, über viele Jahre oder Jahrzehnte. Da half ihm ein großer Meister, Vishvamitra -nicht sehr bekannt für seine gerade Auslegung. So sprach dieser Meister ihm Hilfe herbei und fängt Trishanku an mit seinen Mühen über viele Jahre und Jahrzehnte. Dann kam der Tag, da Trishanku reif genug war und fliegen konnte. Er flog himmelwärts, und zu seinem Schrecken haben ihn die Götter gestoßen und gesagt: Nein, nicht in diesem Körper!

Trisanku war erschreckt und kam wieder zurückgeflogen, aber natürlich nicht mehr in dem Körper; von der Entfernung kann er nicht mehr zurück auf die Erde, den Körper für die Erde hat er inzwischen verloren. Er würde verbrennen. Und er war ratlos, hatte weder den Körper, den er hier brauchte, noch die Erkenntnis, um dorthin zu gelangen, und so blieb Trisanku irgendwo halbwegs und haben wir einen ganzen Sternenkomplex nach Trisanku benannt und ihn sozusagen irgendwo zwischen Himmel und Erde verewigt.

Das ist eventuell das Los, wenn wir versuchen, diese Wirklichkeit des Körpers nicht richtig einzuschätzen. Die gesamte Idee der Meditation in der indischen Philosophie begann in etwa so, dass die Menschen Fragen hatten: Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Gibt es eine Kraft, die mich lenkt? Gibt es eine Kraft, die ich erlangen kann, um wirkliche Freiheit zu genießen? Zentrale Fragen, die ewig diskutiert wurden. So gingen sie alle auseinander, die Führenden, und sagten: Wir treffen uns in einigen Jahren, wenn wir unsere Erkenntnisse und Erfahrungen gesammelt haben. So trafen sie sich nach vielen Jahren der Erkenntnissuche und waren sich über eines einig: Denken, Reflektieren – das Subjekt wirkt immer mit in der Entstehung jeder Erkenntnis. Das heißt: Subjekt ist immer Teil der Erkenntnis, und solange es nicht ein stilles Subjekt ist, wird die Erkenntnis auch nie die Stille und Klarheit bekommen, die der Suchende hierfür finden will.

D.h. erst körperlich, geistig oder wie immer, körperlich und geistig und was es noch an allen Ebenen gibt: die Stille suchen. Nur aus der absoluten Stille ist wirkliche Erkenntnis möglich. Diese Stille ist nicht etwas, was wir sozusagen im Schlaf erlangen können oder durch Beherrschung des Denkens. Diese Stille ist etwas, was genauso gefunden werden muss wie die Erkenntnis die wir suchen auch.

Ein Außen und ein Innen. Eine Stille im Inneren, eine Erkenntnis die irgendwo im Außen zu liegen scheint. Wie können wir diese Erkenntnisse über das Innen und Außen erlangen? Es war der Anfang der Idee der Meditation, dass die Menschen sagten: Ohne wirklich tief in die Meditation zu gelangen, werden wir keine nachhaltigen Wahrheiten finden. Was gibt es dann für Methoden, in die Meditation zu gelangen? Es gibt diese Idee: Zwei Vögel, die an einem Ast sitzen: Der eine isst die Früchte, der andere schaut zu. Der schauende Vogel und der wirkende Vogel. Wie kann aus diesen zwei Vögeln ein Ganzes werden, eine Gesamtheit? Wie kann aus dem Subjekt und dem Objekt eine Gesamtheit werden? Diese Frage stand am Anfang. Subjekt und Objekt – wenn wir sie vereinigen könnten, dann könnten wir evtl. einen Weg finden, um wirklich in die Meditation zu gelangen. Gibt es etwas, was sowohl Subjekt, als auch Objekt sein kann, sozusagen eine Schwelle, die sowohl das Innen und das Außen vom Gebäude ist, eine Dämmerzeit, die sowohl Tag als auch Nacht ist? Das ist der Zeitpunkt, wo Shiva seinen kosmischen Tanz führt, weder innen, noch außen, weder am Tag noch am Abend, weder im Sommer noch im Winter, sondern in dem Zeitpunkt, wo sich die Gegensätze treffen.

Wenn ich als Aspirierender meditiere, so eine Schwelle finden will – wo finde ich sie? Finde ich sie im Kopf? Finde ich sie im Wort? Nein, suchen wir sie im Körper! Das ist die grundlegende Idee, dass der Körper eine wichtige Rolle spielt, weil er diese Schwelle darstellt. Nicht der gesamte Körper, aber punktuell, aus einer gewissen Perspektive besehen. Nehmen wir mal an: die Halsgrube. Ich esse, ich trinke Wasser, Wasser geht in meinen Mund, ich kann meinen Mund spülen, Wasser ausspucken, das Essen kauen, es schmeckt mir nicht, ich kann es auskotzen. Wenn es aber reingelangt ist durch die Speiseröhre – dann wird es schwierig, dann muss man seinen Finger reinstecken. Es geht auch – wissen bestimmt einige von uns hier – aber das ist nicht der übliche Weg. Die Halsgrube ist tatsächlich eine Art Schwelle zwischen dem Außen und dem Innen. Meine Worte kann ich nur unterdrücken da, wo Wind und Feuer das Wort schon geformt und in der Form von Luft durch die Kehle rausgebracht haben, aber sobald es die Kehle überwunden hat oder durchkreuzt hat kann ich das Wort nur noch unterdrücken – aber mein Gesicht zeigt was ich denke oder was ich sagen wollte. Auch hier, beim Sprechen, beim Trinken, beim Essen – die Kehle bietet eine Schwelle.

Nicht nur geht das Leben zu Ende, wenn man die Kehle zudrückt, es ist auch der Punkt, an dem, wenn man sich in ihn versenkt, wir in einen Zustand geraten könnten, wo das Außen und das Innen ein Eins werden können. Zumindest  in ein Bewusstsein dafür, für die Verbindung des Außen und des Innen – wie wenn ich ganz entspannt, Mund leicht offen, Augen leicht offen, Luft zulasse, Luft im Raum, Luft unmittelbar um mich, Luft zwischen meinen Lippen, in meiner Mundhöhle. Aber sobald diese Luft die Kehle überquert hat ist sie nicht mehr Luft, sondern Atem. Der Atem ist sozusagen etwas, was mir gehört, dem Subjekt. Die Luft aber dem Außen, einem Objekt, das ich betrachten und beschreiben, zum Gegenstand machen kann. In dieser Art und Weise böte die Meditation eine Methode, um das Außen und das Innen, das Duale gleichzeitig zu verbinden, das Subjekt und das Objekt, und so machten sich die Alten Meditierenden auf den Weg über den Körper die Erkenntnis zu erlangen.

Diese Idee wurde von Patanjali, diesem großen Meister des Yoga… von dieser Idee ausgehend erschuf Patanjali viele Ideen, wie wir den Körper zu einem Objekt, zum Thema machen können in unserer Erkenntnissuche.  D.h. Patanjali sagt dann in seinem Werk z.B. dass, wenn wir den Körper durch und durch als Objekt durchstudiert haben – nicht mit dem Geist, sondern mit dem Körper mit, nicht als Wissenschafter der in seinem Labor sitzt oder ein Biologe, der einen Körper aufschneidet oder einen toten Körper – sondern wer aktiv, mit dem Geist, mit dem Körper in den Körper ganz tief hineingeht und den Körper völlig zu einem Erkenntnisobjekt macht und das große Ziele erreicht, kann unsichtbar werden, d.h. mit anderen Worten: Er kann den Körper verlassen. Das heißt nicht, dass er den Körper tatsächlich verlässt, aber er kann insofern den Körper verlassen als das Problem Körper überwunden ist. Körper wird dann keine Störung für den Geist, wenn wir hinabgestiegen sind in den Körper. Wir müssen nicht, wie ein Denkender, der mit seinem Körper kämpft und seinen Kopf halten muss, diesen schweren Teil des Körpers halten muss, sondern vielleicht wie ein Buddha, ganz still, ganz aufrecht im Körper sein und trotzdem die Erkenntnis erlangen. Der Weg ist, in einen Körper zu kommen, der der gleichen Perfektion, der gleichen Schulung, der gleichen Verfeinerung bedarf, wie der Geist selbst. Diese Art von Schulung des Körpergeistes ist die Ruhe. Nicht die Schulung des Körpers – das ist banal. Was man sehr oft als Yoga bezeichnet, wo die Leute schwierige Posen machen und glauben, dass sei Yoga; da würden beim Breakdance Junge tausendfach bessere Posen machen oder, wie vielleicht in Indien, auf  dem Nadelbrett einen Kopfstand: das ist nicht Yoga, sondern: den Körpergeist schulen. Körper und Geist waren nie getrennt. Wenn da eine Dualität war, dann waren es diese zwei Vögel, der schauende und der essende, der Wirkende und das Seiende, das Null und das Eins.

Das ist eine Grundlage der Yoga-Philosophie. Was kann ich als Mensch heute tun, um meine Erkenntnissuche voranzutreiben? Was habe ich mit meinem Körper für Möglichkeiten? Es ist eine sehr schwierige, fallenartige Frage, weil zum Teil die Philosophen in Indien sowie bestimmt hier im Westen, einen großen Abstand zum Körper nehmen, da der Körper auch das Bild des Narziss darstellt. Ein Mensch, der nicht aus sich hinauskann: Der Körper als Fessel, der Körper als Fessel der Eigenverliebtheit. So: Wie kann ich tief in meinen Körper hinein, ohne mich in diesen Körper doch letztlich auf ganz andre Art und Weise zu verlieben? Gibt es einen Weg dazwischen, wo ich in den Körper nicht verliebt bin, und wo ich nicht Scheu vor meinem Körper bin? Diese Art von Abstand und Nähe zum Körper, sie – laut Patanjali – geht nur über das Interesse am Körper. Ohne das Interesse an dem Körper können wir es nicht schaffen, in Abstand zum Körper zu gelangen. Je mehr wir den Körper zu einem Feindobjekt machen, desto  mehr sind wir ihm ausgeliefert. Deshalb haben wir zwei gegensätzliche Bilder von Shiva. Einmal ist er der tanzende Gott, furiose Bewegung, absolut ohne jegliche Pause, das ständige Begehren als das Eins, König aller Tänze, Pracht, ein prächtiger Mann, potenter, prächtiger Mann. Und dann als der Bettler – da ist er nur Skelett, absolut ausgemagert, nur die Bettelschale in der Hand und ein Sinnbild von jeglicher Entsagung der körperlichen Lüste. Hier ist der Körper fast eine Null.

Beides, sowohl das eine, als auch das andere zu leben in seinem Körper, diesen Seiltanz zu beherrschen von Körpernähe und Körperdistanz, zu Körperbejahung, Körper-in-seinen-Grenzen-Belassen – das ist der Weg der Meditation, des Yoga, der indischen Philosophie insgesamt. Und es gibt, wie gesagt, allerlei Punkte: ob es unsere Haut ist, die uns wie ein Netz über uns liegt und uns vom Außen trennt, ob es die Kehle ist, oder ob es die Pupillen sind oder ob es der Bauchnabel ist, wo wir doch einst zu einem Ganzen gehörten, bevor wir uns haben abschneiden lassen. Auch der Bauchnabel stellt einen Schwellenpunkt dar. Wenn wir über diese Schwellenpunkte reflektieren werden wir wissen, wie sehr das Innen und das Außen ein gemeinsames Ganzes bilden und darüber liegt, sozusagen, der Weg des Erkenntnissuchenden.

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