“Und da ich nicht schreiben kann, bezeichne ich meine Namensunterschrift mit drey Kreuzeln ...

Von den Handzeichen in Wiener Matriken des 19. Jhdts.

Anna L. Staudacher, Wien

Wer nicht schreiben konnte setzte bis tief ins 19. Jahrhundert sein “Handzeichen” unter offizielle Schriftstücke: Kreuzeln, selten eines allein, manchmal zwei, zumeist drei, hin und wieder auch vier. Diese Handzeichen hatten die Funktion einer Namensunterschrift. Ein Kreuzel war nicht gleich Kreuzel, man machte ein griechisches mit gleich langen Balken, ein lateinisches mit dem Balken oben, ein Petruskreuz mit dem Balken unten, ein lothringisches mit einem Doppelbalken oder ein Andreaskreuz - ein X-erl. Das waren die Grundformen. Es gab auch Kreuzeln, bei welchen etwas fehlte: der linke oder der rechte Querbalken, ein Teil vom Schaft, oben oder unten. Wurde ein X-erl flüchtig und schnell hingeworfen, so konnte es in der Kursivierung das Aussehen eines griechischen “Alpha” erhalten, ein schüsselförmiger Querbalken machte aus einem Kreuzel ein “Psi”. Oder man fügte zur Grundform noch etwas hinzu: Einen An- oder Abstrich, mehr oder weniger parallel zum Schaft konnte ein Kreuzel auf diese Weise das Aussehen eines “4-ers” erhalten. Es gab auch punktierte Kreuzeln: Man setzte ein Pünktchen irgendwohin, auf einen der Balken, in den rechten Winkel zwischen Balken und Schaft, nach einem X-erl oder über den Kreuzeln. Oft setzte man drei Kreuzelformen in eine Art Syntax, z.B.: +++, +x+, ... - nicht nur fortlaufend linear, senkrecht, zuweilen diagonal aufwärts oder abwärts, sie standen im V oder dachförmig, in Zuneigung der äußeren Kreuzel zum mittleren, in Schwingung und Gegenschwingung. Durch Variationen in der Größe und verschiedene Druckstärke konnten symmetrische Gebilde entstehen, “Thumbnail-Tableaux”, in der Größe eines Daumennagels. Balken oder Schäfte konnten zu einer Einheit verbunden werden, waagrecht entstanden auf diese Weise Einheitsbalken, senkrecht gestellt, Einheitsschäfte.

Diese Handzeichen, von einem überwältigenden Formenreichtum, wurden ja nicht mit einem Kugelschreiber gesetzt, auch nicht mit einer Füllfeder, sondern mit einer Stahlfeder, die in ein Tintenfaß getaucht wurde. Kratzte die Feder, so zerfloß auf billigem Papier die Tinte, woraus sich - ganz unbeabsichtigt - eigenartige, bizarre Formen ergeben konnten. Religiöse Juden, die nicht schreiben konnten, ersetzten die Kreuzeln durch Nockerln und Kringerln. Juden, die zwar die hebräische und somit die jiddische Kursive beherrschten jedoch nicht die landesübliche Kurrent- oder Lateinschrift, unterzeichneten sich nicht mit Kreuzeln und nicht mit Nockerln, sondern in ihrer Jahrtausende alten Schrift - welche von den Behörden den Handzeichen der Analphabeten gleichgesetzt wurde.
Aus welchen Zeichen sich auch immer Handzeichen zusammensetzten, bei Christen und Juden, so können bei bestimmten Berufen, bei Handwerkern und Händlern, feste und konstante Handzeichen angenommen werden, die flüssig gesetzt wurden und auch ohne beglaubigte Gegenzeichnung ihren Wert und ihre Funktion hatten, bestimmten Personen zuzuordnen waren. In vielen Fällen wurden diese Zeichen somit nicht spontan gesetzt sondern waren wohldurchdacht, individuell ausgestaltet und konstant. Man kann wohl davon ausgehen: Je ausgefallener und selbstbewußter sich ein Handzeichen gibt, desto konstanter wurde es im privaten und öffentlichen Bereich gesetzt. Handzeichen können somit durchaus als eine populare Weiterentwicklung frühneuzeitlicher Notariatssignete gesehen werden, als Alltagssiegel von Angehörigen der Unterschichten, als handschriftliche Stempel zur Beglaubigung im alltäglichen praktischen Leben.

Literatur: Anna L. Staudacher, Von Kreuzeln, X-erln, Nockerln und anderen Handzeichen, in: Österreich in Geschichte und Literatur 47 (2003), 322-341.