Abstract
Hans Kelsen Leben – Werk – Wirksamkeit: Internationale Tagung, 19.-21. April
2009
Zwischen Emanzipation und Assimilation – Jüdische
Juristen in Wien des Fin-de-Siècle
Emanzipation und Assimilation, umgesetzt in letzter Konsequenz
durch den Austritt aus dem Judentum, dem häufig die Annahme der Taufe folgte,
sei es im Zusammenhang mit einer Namensänderung, einer Eheschließung, mit der
Schulreife der Kinder, oder auch im fortgeschrittenen Alter auf Drängen der
schon konvertierten Kinder. Emanzipation und Assimiliation erfolgte im sozialen
Netz der Familie und des Freundeskreises und nur selten im Alleingang. Zum
letzten Schritt entschloß man sich zumeist gemeinsam: Verlobte, Ehepaare,
Geschwister, Eltern mit ihren zuweilen schon erwachsenen Kindern, mit
Arbeitskollegen. Konvertiten fungierten so recht häufig als Trauzeugen bei
einer Eheschließung, als Taufpaten ihrer Freunde, Verlobten, ihrer Dienstnehmer
oder auch Arbeitgeber. Bei Juristen verhielt es sich kaum anders, sie taten
sich nur leichter im Prozedere, beispielsweise beim Ansuchen um einen
Namenswechsel, der mit der Taufe verbunden werden konnte – auch bei Rücktritten
zum Judentum. Die Primärquellen widerlegen das allzuoft vorgebrachte Argument,
Austritt und Konversion seien erfolgt im Hinblick auf einen beruflichen
Aufstieg, ungleich bestimmender war das soziale Umfeld: Die schon konvertierte
Mutter im Fall von Josef Unger, der Segen des noch im Judentum verhafteten
Vaters in seinem schriftlichen Einverständnis zur Taufe seines Sohnes Josua /Julius/
Glaser, oder auch bei Hans Kelsen, dem seine jüngeren Geschwister nachfolgten,
Gertrude im Jahr 1910, Paul Fritz im Jahr 1912, kaum dass er das gesetzliche
Alter zu diesem Schritt erlangt hatte. Taufpate von Hans Kelsen war Johann
Mayer, seinerseits ein Candidatus juris.
Sehen wir einmal von all jenen ab, die Jus als eine Art von studium
generale absolvierten, sich auf ganz anderem Gebiet in der Folge einen Namen
gemacht haben, so setzten den letzten Schritt in Wien doch eine Reihe namhafter
Juristen: Sigmund Adler, Armin und Albert Ehrenzweig, Josef Hupka, Hans
Nawiasky, Oskar Pisko, Rudolf Pollak, Richard Pressburger, Friedrich Tezner, Karl
Julius Wahle u.a. - nicht so viele, wenn man sie in Beziehung setzt zu jenen
800 Juristen, Jusstudenten, absolvierten Juristen, Hof- und Gerichtsadvokaten
und Konzipienten, die vor und um die Jahrhundertwende, in den Jahren vor dem
Ersten Weltkrieg aus dem Judentum ausgetreten sind.
Wien, am
4. Februar 2009
Anna L. Staudacher