Namensveränderungen in Wien im 19. Jhdt

Anna L. Staudacher / Wien

 

Die Rechtschreibung von Familiennamen konsolidierte sich erst zu Ende des 19. Jhdts: Bis dahin wurde ein Name so festgehalten wie ihn der Schreiber verstanden hat. Solange Dokumente noch handschriftlich ausgestellt wurden und auch noch keine Schreibmaschine verwendet wurde - der Gebrauch von Schreibmaschinen setzte sich in Wien erst langsam nach der Jahrhundertwende, vor dem Ersten Weltkrieg durch - erfolgten auch Protokollaufnahmen oft ohne Vorlage von Personaldokumenten “nach Angabe”. Zahlreiche Namensvarianten entstanden durch Schwierigkeiten beim Entziffern vorgelegter Dokumente, bei der Übertragung von Namen von einem Protokoll in einen Index oder in eine Abschrift: So verführte beim Namen Taussig ein großzügig gesetztes, eigentümliches T, das in die Unterlänge reichte, zu einer J-Lesung - aus Taussig wurde Jaussig. Eine zweite Variante - Dausek - entstand “durch Angabe”, vielleicht durch Diktat. Die harten und weichen Verschlußlaute B/P, D/T und auch G/K waren in der Alltagssprache so wenig voneinander zu unterscheiden, daß sie in den Namensindices bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts in der alphabetischen Reihung der Anfangsbuchstaben zusammengefaßt wurden, desgleichen auch F und V, mitunter legte man zu G/K noch C hinzu, sodaß man Cohn, eine häufige Namensvariante zu Kohn, zu K reihen konnte. Zeugt schon der Anlaut von Dausek von einer mündlichen Protokollaufnahme, so könnte man noch die Variante mit einem S statt SS (in Taussig) als Schlamperei beim Abschreiben deuten, kaum aber das Auftreten von E in der zweiten Silbe, hier kann nur schwerlich ein Lese- oder Schreibfehler vorliegen. In seiner Aussprache jedoch konnte I in unbetonter Stellung sehr wohl zu einem E abgeschwächt werden: Die Protokolleintragung war mit Sicherheit über Diktat erfolgt:

   

 

Vom Verlesen ...

 

Bis zum Jahr 1941 war die Kurrentschrift ganz eng mit der deutschen Sprache verbunden, die Lateinschrift hingegen wurde als “Rundschrift” in einem kurrentschriftlichen Text bloß bei Fremdwörtern, eventuell bei Namen, zur Hervorhebung von Datumsangaben und - wie heute - bei Geldbeträgen zur größeren Rechtssicherheit eingesetzt. Nicht selten kam es im Nebeneinander beider Schriftsysteme zu Irrtümern und damit zu Namensveränderungen. Hin und wieder wurde durch einen wohldurchdachten geschickten Einsatz der Möglichkeiten, welche die beiden Schriftsysteme boten, eine nichtamtliche (illegale) Namensänderung ganz bewußt herbeigeführt. Auch die Lateinschrift bot diesbezüglich einige Möglichkeiten, sowohl für eine beabsichtigte Namensvariante als auch für unbeabsichtigte. Ganz offensichtlich wurde beim u in Zucker manipuliert - mit dem Ergebnis Zacker.

   

T und F wurden recht häufig miteinander vertauscht: Frankel - Trankel,

   

Tritsch - Fritsch oder Frey - Trey. Wurde die Lasche von r zu weit auf die Zeile hinuntergezogen - so wurde daraus ein n, oder umgekehrt, die Lasche von n blieb hängen, Malzan steht nun neben Malzer. Ein zu kurz geratenes l konnte zu einem e mutieren wie in Campbell - Campbele,

   

und nach einem i ganz verstummen wie in Pilpel - Piepel:

   

Ein l konnte sich auch als t präsentieren bzw. umgekehrt, wie in Huppert - Hupperl,

   

in Schotz - Scholz und Neuwall - Neuwalt. Hin und wieder wurde ein üppiges e zu o verlesen, oder o geriet so schmal, daß es als e interpretiert werden konnte: Strompf - Strempf:

   

Ein Schreiber mit slawischer Muttersprache konnte bei der Endung -er in Versuchung geraten, diese als -cz aufzulösen, er brauchte e nur als kursiviertes c auffassen, das nachfolgende vertraute z ergab sich dann unschwer aus dem Endungs-r: Zerner - Zerncz.

         

Andererseits konnte ein r auch zu einem a verführen, aus Grenitzer wurde Garnitzer:

   

Verrutschte ein i-Punkt, so konnte auch das Folgen haben, aus Niedl entstand Neidel:

  

Auch Buchstaben wurden vertauscht: Als David Gelber, wurde der aus Czernowitz stammende Mediziner in das Taufbuch der evang. Kirche AB Währing eingetragen, im Übertrittsprotokoll finden wir ihn jedoch als David Gebler wieder.

   

Der Name der Theresia Widluzka mag wohl mit großer Mühe aus einem nahezu unleserlichen Dokument, aus einer äußerst gedrängten Schrift rekonstruiert worden sein. Vater des Mädchens war Salomon Widluzka, Buchhalter in Wien. Nun, Widluzka war sein Name nicht, sondern Wieliczker, wie sich später wohl herausgestellt hat. Was war geschehen? Vom Wiel- war el zu einem d zusammengeschmolzen, ob l oder ll spielte damals keine Rolle, aus i und c (das in jener Zeit durch den c-Haken einem i sehr ähnlich sehen konnte) war u entstanden, indem sich der c-Haken und der i-Punkt in einer Ligatur zu etwas wie einem u-Haken verbunden haben mögen, der im weiteren wegfiel. Bleibt noch die Endung -a welche aus einer Verschmelzung von -er entstanden war: Widluzka - Wieliczker.

 

... und vom Verhören

 

Erst allmählich setzten sich im 19. Jahrhundert feste Namensformen durch. Im allgemeinen war man bestrebt, einen Namen so festzuhalten, daß er im Klang wiederzuerkennen war, im Vielvölkerstaat der Monarchie kam es allein dadurch je nach Nationalität und Mundart des Schreibers zu zahlreichen Namensvarianten in der Schreibung. Die Protokollaufnahme erfolgte oft nur mündlich, in den Quellen steht dann zu lesen “angeblich” - nach Angabe. Festgehalten wurde der Name so, wie er vom Schreiber wahrgenommen wurde. Ein Endungs-er, ein unbetontes e und anderes konnte dabei leicht verloren gehen (Höninger - Höniger, Neuberger - Neuberg) oder es wurde ein Endungs -er in der Wiener Mundart als -a festgehalten: Brinitzer - Prinitza. Oder man sprach einen Namen anders aus, z.B. französisch - aus Broch wurde Brosch:

 

Durch minimale Eingriffe, wie durch die Verdoppelung eines Konsonanten, konnten gleichfalls erstaunliche Verfremdungseffekte erzielt werden, im folgenden Fall bewirkte die Verdoppelung auch eine Akzentverschiebung, der Name klang nun französisch: Lebel - Lebell.

Umlaute hatten überhaupt ein hybrides Dasein, einmal wurden sie gesetzt, dann wieder nicht: Bei ein- und demselben Namensträger kann sich a, o und u einmal in der reinen Form finden, ein andermal mit einer darübergesetzten Tilde, dann wieder mit einem distinkten Umlautzeichen, wobei über u die Tilde auch als u-Haken interpretiert werden konnte: Buchler findet sich neben Büchler. Oft gingen die Umlautzeichen in eine Tilde über, die kaum zu unterscheiden war von einem u-Haken. Eine solche Tilde schwebt uns dann als Zeichen ewiger Ungewißheit über Namen: Brück oder Bruck, Burger oder Bürger?

 

Ein u-Haken seinerseits konnte sich tildenförmig in distinkte Umlautzeichen auflösen. Es scheint absolut keinen Unterschied gemacht zu haben, ob nun ein Name mit oder ohne Umlaut geschrieben (und gesprochen) wurde.

Umlaute wurden zudem noch umschrieben oder mit ähnlich klingenden Vokalen ersetzt: e stand einerseits für ö: Krönn - Kren; und andererseits für ä, wie in Mendel - Mändel; i wieder konnte für ü eintreten: Hübsch - Hipsch.

In der Wiener Mundart liegen a und o sehr nahe beieinander, und so kam es zu zahlreichen Namensvarianten wie Monath - Manath, Mondolfo - Mandolfo; auch u und o konnten sich einander nähern und eins werden, wie in Koralbum und Koralbom und Pulitzer - Politzer. Auch (geschlossenes) e und i lagen eng beieinander: Leon - Lion, Mariczek - Maretzek.

Etwas Gutturales, wie ein intervokalisches ch in Tachezi, konnte einerseits sich zu h reduzieren, andererseits sich zu einem ck aufbauen.

    

Bei der mündlichen Protokollaufnahme von Namen spielten bisweilen auch Assoziationen eine gewisse Rolle. Man mag an einen Geldverleiher gedacht haben, wenn statt Deblanco Delbanco eingetragen wurde.

 

 

 

 

Literatur:

Taussig - Jaussig - Dausek. Namensveränderungen in Wiener Matriken und ähnlichen seriellen Quellen (18./19. Jhdt.), Teil 1, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung (MIÖG) 110 (2002), 329-360; Teil 2, in: MIÖG 113 (2005), 108-134.

 

© Anna L. Staudacher

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