In seiner ,,Kinetischen Gastheorie`` versuchte Boltzmann, die
Eigenschaften verdünnter Gase aus der Betrachtung der elementaren
Stoßvorgänge zwischen je zwei Teilchen zu erklären.
Die zeitliche Entwicklung der Verteilungsdichte in -Raum,
, wird durch die
Boltzmannsche Transportgleichung beschrieben. Eine
ausführliche Behandlung dieser Gleichung geht über den Rahmen dieser
Darstellung hinaus. Hier können nur die grundsätzlichen
Gedankengänge festgehalten werden:
Wenn es keine Zusammenstöße zwischen den Molekülen
gäbe, dann würde der Teilchenfluß im -Raum beschrieben werden
durch die Gleichung
(2.1)
wo eine etwa vorhandene äußere Kraft ist, die ein Molekül bei
erfährt.
Zur Berücksichtigung der Zusammenstöße zwischen Teilchen
fügt man auf der rechten Seite von 2.1 einen Term
hinzu:
(2.2)
Der wichtigste Schritt besteht in der Erstellung eines
expliziten Ausdrucks für
. Boltzmann
löste dieses Problem unter den vereinfachenden Annahmen, daß
- nur Zweierstöße zu berücksichtigen sind (verdünntes Gas);
- der Einfluß der Gefäßwände vernachlässigt werden kann;
- der Einfluß der äußeren Kraft auf die Stoßrate
vernachlässigt werden kann;
- Geschwindigkeit und Ort eines Moleküls unkorreliert sind
(Annahme des molekularen Chaos).
Die Eigenschaften des Zweierstoßes faßte Boltzmann in dem
sogenannten ,,differentiellen Wirkungsquerschnitt``
zusammen, der die Wahrscheinlichkeitsdichte
dafür angibt, daß sich die Geschwindigkeiten der beiden
Stoßpartner in folgender Weise ändern:
(2.3)
( bezeichnet also die relative Orientierung der Vektoren
und
).
Die Größe
hängt vom intermolekularen Potential ab und kann explizit
berechnet oder gemessen werden.
Unter all diesen Voraussetzungen (und nach linearer Entwicklung der
linken Seite von Gl. 2.1 bezüglich der Zeit) nimmt die
Boltzmannsche Transportgleichung die folgende Form an:
(2.4)
wo
,
etc., und
(2.5)
(2.6)
Diese Integrodifferentialgleichung beschreibt - unter den
angegebenen Voraussetzungen - das
zeitlich-räumliche Verhalten eines verdünnten Gases. Bei einer
vorgegebenen anfänglichen Dichte
im
-Raum gibt die Lösungsfunktion
an, wie sich diese Dichte im Lauf der Zeit verändert.
Wegen der großen Zahl ihrer Variablen ist die Funktion
selbst schwer darzustellen; verschiedene Momente von
stellen aber augenblickliche Mittelwerte (z.B. der
lokalen Teilchendichte im Ortsraum etc.) dar, deren
Zeitentwicklung somit berechnet werden kann.
Chapman und Enskog entwickelten ein allgemeines Verfahren
zur näherungsweisen Lösung der Boltzmanngleichung.
Für bestimmte (einfache) Modellsysteme, wie
z. B. harte Kugeln, führt dieses Verfahren auf konkrete, in der
Computersimulation nachprüfbare Voraussagen über die
Funktion
bzw. deren
Momente. Ein anderer, modernerer Zugang zur numerischen Lösung
der Boltzmanngleichung ist das ,,Lattice Boltzmann``-Verfahren,
bei dem die kontinuierlichen Variablen und
auf diskrete Werte beschränkt werden, deren zeitliche Entwicklung
durch eine entsprechend modifizierte Transportgleichung
beschrieben wird.
Die anfängliche Verteilungsdichte
kann von
ganz beliebiger Form sein. Ein konkretes Beispiel wäre etwa die
Situation zu Beginn der Expansion eines verdünnten Gases in die
rechte, zuvor durch eine Trennwand unzugängliche, Hälfte eines
Volumens:
(2.7)
wobei
die (Maxwell-Boltzmannsche) Verteilungsdichte
der Teilchengeschwindigkeiten ist, und
die
,,Sprungfunktion`` bezeichnet, die nur links von von Null
verschieden ist - die Moleküle sollen sich zu Anfang ja nur dort
aufhalten. Die folgende Expansion des Gases in das gesamte zugängliche
Volumen, und damit die Annäherung an den stationären Endzustand
(= Gleichgewichtszustand), in dem die Teilchen gleichmäßig über das
gesamte Volumen verteilt sein werden, kann aus der Lösung
der Boltzmanngleichung abgelesen werden. Die
große Bedeutung dieser Gleichung liegt somit vor allem in der Beschreibung
von Nichtgleichgewichts-Vorgängen.
Simulation: Zur Boltzmanngleichung - Irreversible Expansion eines Hard Disk-Gases
- Darstellung der Verteilungsdichten im r-Raum und im v-Raum
[Code: BM]
Als Gleichgewichtsverteilung
bezeichnet man jene Lösung der Boltzmanngleichung, die
stationär ist, für die also
(2.8)
gilt.
ist zugleich auch der Grenzwert von
für große Zeiten,
.
Man kann zeigen, daß diese Gleichgewichtsverteilung
gegeben ist durch
(2.9)
wo mit und die lokale Dichte bzw. Temperatur
bezeichnet sind.
Wenn keine äußeren Kräfte (wie z. B. die Schwerkraft oder elektrostatische
Kräfte) wirken, dann ist
. Wenn auch die
Temperatur vom Ort nicht abhängt, und wenn das Gas insgesamt keine
Translation ausführt (), dann ist
, mit
(2.10)
Diese als Boltzmann-Verteilung bekannte Dichte kann aber auch
hergeleitet werden, ohne daß dazu die Boltzmanngleichung
gelöst werden muß.
Siehe nächster Abschnitt, Gl.2.21.
F. J. Vesely / StatPhys Tutorial, Deutsch, 2001-2003