Ein System befindet sich im ,,Gleichgewicht``, wenn sich seine
Eigenschaften im Lauf der Zeit nicht spontan ändern. Wenn äußere
Felder (z. B. das Schwerefeld) auf das System wirken, dann können
die Stoffeigenschaften unter dem Einfluß dieser Felder von
Ort zu Ort variieren; andernfalls sind sie unabhängig vom Ort - das
System ist nicht nur im Gleichgewicht, sondern auch homogen.
Insbesondere werden im Gleichgewichtszustand die lokale Energiedichte
(das ist die in einem Volumenelement enthaltene Energie, geteilt durch
), die Impulsdichte und die Teilchen- oder Massendichte
zeitlich konstant sein. Diese drei Dichten, die den drei Erhaltungsgrößen der
Mechanik zugeordnet sind, spielen im folgenden eine besondere Rolle.
Betrachten wir wieder das verdünnte Gas, und nehmen wir der Einfachheit
halber an, daß keine äußeren Felder wirken. Dann sind die erwähnten
Dichten definiert durch
(2.32)
Bei genauer Betrachtung sind die lokalen Dichten selbstverständlich
nicht völlig konstant; sie werden vielmehr ein wenig um ihren Mittelwert
schwanken. Mit anderen Worten, es werden sich spontan lokale Gradienten
der betreffenden Dichten ausbilden, die alsbald wieder abklingen.
Es ist aber auch möglich, künstlich einen Gradienten der
betreffenden Dichte zu erzeugen. Beispielsweise kann man einer horizontalen
Schicht eines Gases oder einer Flüssigkeit eine
Geschwindigkeit (und damit einen Impuls
) aufprägen. Durch die Differenz zwischen diesem Impuls und dem der
darunter und darüber befindlichen Schichten ist ein Gradient der Impulsdichte
definiert. Würde man das System nun sich selbst überlassen, würde sich
dieser Impulsgradient von selbst ausgleichen, bis wieder Gleichgewicht
herrscht. Die Stoffeigenschaft, die das Tempo dieses Ausgleichs
bestimmt, wird als Zähigkeit bezeichnet.
Wenn eine Meßgröße insgesamt erhalten bleibt, dann kann eine
lokale Änderung nur dadurch erfolgen, daß die entsprechende Größe
aus dem betrachteten Raumbereich heraus- oder in ihn hineinfließt.
Man spricht in diesem Zusammenhang von Transportprozessen,
deren Schnelligkeit durch Transportkoeffizienten - die eben
erwähnte Zähigkeit , die Wärmeleitfähigkeit (für
den Energietransport) und die Diffusionskonstante (für den
Massentransport) - bestimmt wird.
In realen Experimenten zur Bestimmung dieser Transportkoeffizienten
hält man den betreffenden Gradienten meist künstlich aufrecht. In solchen
Fällen wird zwar dauernd ein gewisses Maß an Impuls, Energie oder Materie
in Richtung des Gradienten transportiert, bei geeigneter Versuchsanordnung
bleiben aber diese Flüsse und die lokalen Dichten (bzw. deren Gradienten)
im Lauf der Zeit ungeändert. Man spricht in diesem Fall von einer
stationären Nichtgleichgewichtssituation.
DEFINITION DER TRANSPORTKOEFFIZIENTEN
Bei der formalen Definition der Transportkoeffizienten , und
orientieren wir uns am besten and den einfachsten Meßanordnungen.
Zähigkeit: Um den Transportkoeffizienten
zu messen, erzeugt man eine laminare Strömung, indem man eine
Gas- oder Flüssigkeitsschicht zwischen zwei horizontale Platten
bringt, deren obere mit gleichförmiger Geschwindigkeit nach rechts
bewegt wird. Damit wird der ungerichteten, zufälligen Bewegung der
Moleküle eine systematische Geschwindigkeitskomponente in -Richtung
überlagert.
Der Betrag der ungerichteten thermischen Geschwindigkeit der Moleküle liegt
in der Größenordnung von ; die Überlagerung einer
,,Schergeschwindigkeit`` von einigen Zentimetern pro
Sekunde wird daher das lokale Gleichgewicht im System nicht stören.
Wir können also annehmen, daß trotz dieser kleinen Störung
an jedem Ort im System die Maxwell-Boltzmann-Verteilung der
Geschwindigkeiten gilt, und zwar mit demselben Wert für den
Parameter
(bzw. ).
Zur Wiederherstellung des Gleichgewichts wird nun ein gewisser
Teil des -Impulses entgegen der Richtung dieses
Gradienten - in unserem Fall also nach unten - fließen. Der Betrag
des pro Zeit- und Flächeneinheit
nach unten fließenden Impulses wird als Flußdichte
bezeichnet. In erster Näherung ist dieser Strom
proportional zu dem aufgeprägten Geschwindigkeitsgradienten, und die
Proportionalitätskonstante ist per definitionem der Transportkoeffizient
:
(2.33)
Diese Definitionsgleichung für wird oft als Newtonsches Gesetz
des viskosen Strömung bezeichnet. Der Parameter heißt Zähigkeit
oder Viskosität.
Wärmeleitfähigkeit:
Einen Gradienten der Energiedichte kann man dadurch
erzeugen, daß man die Substanz zwischen zwei Wärmespeicher verschiedener
Temperatur bringt. Verwendet man wieder die gleiche einfache Geometrie wie
im Fall der Viskosität, dann weist der Gradient der Temperatur
(und damit der Energiedichte) nur die eine Komponente
auf, die zu einem Energiefluß in Gegenrichtung führt.
Der Koeffizient der Wärmeleitung ist definiert durch
(Fouriersches Gesetz)
(2.34)
Diffusionskonstante:
Auch in einem homogenen Gas (und auch in einem Fluid oder einem Festkörper)
aus gleichartigen Molekülen werden die individuellen Moleküle im Lauf
der Zeit ihren Ort wechseln. Dieser Vorgang wird als Selbstdiffusion
bezeichnet. Es ist möglich, einzelne Teilchen zu ,,markieren`` - etwa
dadurch, daß man sie mit einem isotopen radioaktiven Kern ausstattet.
Auch in diesem Fall kann die Dichte der markierten Teilchengattung - nennen
wir sie Spezies - einen Gradienten aufweisen, der durch einen
Teilchenfluß ausgeglichen wird (Ficksches Gesetz):
(2.35)
MITTLERE FREIE WEGLÄNGE
Bevor wir versuchen, die oben definierten Transportkoeffizienten aus
der Betrachtung der mikroskopischen Dynamik der Moleküle zu
bestimmen, schätzen wir zunächst den Weg ab, den ein Gasteilchen im Mittel
zurücklegen kann, ehe es mit einem anderen Molekül kollidiert. Der freie
Flug eines Moleküls zwischen je zwei Kollisionen ist gewissermaßen der
Elementarprozess für den Transport der mechanischen
Erhaltungsgrößen Impuls, Energie und Masse.
Sei die - zunächst noch unbekannte - Wahrscheinlichkeit dafür,
daß ein Teilchen vor Zurücklegen der Wegstrecke eine
Kollision erleidet. Dann ist die Wahrscheinlichkeit dafür,
den Punkt ohne Kollision zu erreichen. Die Wahrscheinlichkeit
für einen Zusammenstoß innerhalb einer infinitesimalen Wegstrecke
ist aber gegeben durch
, wo der
Durchmesser der Teilchen ist. ( ist gleich dem Bruchteil der
,,Zielfläche`` des linear bewegten Teilchens, der von anderen Teilchen
überdeckt wird.) Somit ist die differentielle Wahrscheinlichkeit
für einen Stoß zwischen und :
(2.36)
und daher
(2.37)
Die Wahrscheinlichkeitsdichte
für einen
Stoß in genau diesem Intervall ist
(2.38)
Die mittlere freie Weglänge ist - in dieser Näherung - durch
das erste Moment dieser Dichte gegeben:
(2.39)
BEISPIEL:
Der Durchmesser des -Moleküls beträgt
( Ångstrøm). Bei Normalbedingungen befinden sich nach Loschmidt
Teilchen in einem Volumen von
; die Teilchendichte beträgt also
. Die freie Weglänge ist daher
.
Simulation: Stoßzahl im verdünnten Gas
3-dimensionales System aus harten Kugeln in einem
kubischen Gefäß:
- Vergleich der theoretischen
Kollisonsrate mit der empirischen
[Code: Hspheres]
ABSCHÄTZUNG DER TRANSPORTKOEFFIZIENTEN
Im Fall des verdünnten Gases lassen sich explizite
Ausdrücke für die
Transportkoeffizienten finden. Dabei gehen wir wieder von der einfachen
geometrischen Anordnung aus, die in vielen Experimenten ebenfalls
verwendet wird. Der Gradient der betreffenden Erhaltungsgröße
soll nur eine -Komponente aufweisen, sodaß auch der resultierende
Strom nur in -Richtung erfolgt.
Zähigkeit:
Im Laufe der zufälligen (thermischen) Bewegung der Teilchen in
-Richtung wird der systematische Anteil der
-Geschwindigkeit mitgeführt. Im Mittel werden durch die Grenzfläche
zwischen zwei horizontalen Schichten ebensoviele Teilchen nach oben wie
nach unten wandern. Jeder derartige Grenzübertritt beschleunigt aber
die untere und verzögert die obere Schicht (unter der
Annahme ). Der solcherart nach unten fließende Impuls
läßt sich folgendermaßen abschätzen:
Die mittlere Anzahl von Teilchen, die pro Sekunde durch die Flächeneinheit
nach unten bzw. oben fliegen, beträgt
. Jedes
Teilchen bringt dabei jene systematische Geschwindigkeitskomponente
mit, die am Ort seiner letzten Kollision herrscht, also ;
die Impulsflußdichte ist daher
(2.40)
Der Vergleich mit der Definitionsgleichung für die Zähigkeit
ergibt
(2.41)
Eine etwas überraschende Eigenschaft dieser Formel besteht darin, daß
sie wegen
von der Dichte unabhängig ist. Maxwell,
der dieses Ergebnis als erster herleitete, überzeugte sich nachträglich
durch Experimente an verdünnten Gasen von der Richtigkeit der
Gleichung 2.41.
Wärmeleitfähigkeit:
Eine ähnliche Überlegung wie im Fall des Impulstransports ergibt,
mit
,
(2.42)
mit der spezifischen Wärme
(.. molare
Wärmekapazität; ..Molgewicht).
Diffusion:
Wieder sei ein Gradient der relevanten Dichte - in diesem Fall also der
Teilchendichte einer Gattung - in -Richtung gegeben.
Mit
und derselben Argumentation wie im Fall
der Zähigkeit erhalten wir
(2.43)
F. J. Vesely / StatPhys Tutorial, Deutsch, 2001-2003