Universität Wien

Franz Martin Wimmer

Kritische Geschichtsphilosophie: Idiographie vs Nomothetik

Vorlesungen zur Geschichtsphilosophie WS 2013

Übersicht gesamt:

1. Vorlesung: Begriffliches, Bedeutungen von "Geschichte", Geschichtstheorie als Theorie von "stories" (H. White)
2. Vorlesung: Thema 1: Vorstellungen zum Verlauf von Geschichte
3. Vorlesung: Thema 2: Akteure und Faktoren
4. Vorlesung: Thema 3: Annahmen von Gesetzmäßigkeiten
5. Vorlesung: Thema 4: Erkennbarkeit - idiographisch vs nomothethisch
6. Vorlesung: Thema 5: Erklärbarkeit - hermeneutisch vs szientistisch
7. Vorlesung: Thema 6: Beschreibbarkeit - Perspektivität und Objektivität

Fünfte Vorlesung (26. 11. und 3.12. 2013)

Übersicht der fünften Vorlesung:
Windelband 1894 | Beispiel: Ibn Khaldun

Im zweiten Abschnitt dieser Vorlesung geht es nicht mehr um Theorien über (den Gesamtverlauf von) Geschichte, sondern um Fragen, die Geschichte (als wissenschaftliches Unternehmen, als mögliches Feld von Erkenntnis) betreffen, also um
"Kritische" Geschichtsphilosophie
Zur Terminologie vgl.
William Dray: Philosophy of history. Englewood Cliffs, N.J.: Prentice Hall, 1993. (Erstdruck: 1964)

Die Sache, um die es dabei geht, wird in der Literatur unterschiedlich benannt, gelegentlich wird auch von "formaler" oder von "analytischer" Geschichtsphilosophie gesprochen. Ich bevorzuge den von Dray verwendeten Ausdruck "kritisch", weil es sich insgesamt dabei um Fragen handelt, die die Möglichkeiten und Grenzen von Erkenntnis auf diesem Gebiet betreffen.
Schon Hegel spricht in der Einleitung zu seiner Vorlesung zur Philosophie der Weltgeschichte von "kritischer Geschichte" und meint damit "eine Geschichte der Geschichte und eine Beurteilung der geschichtlichen Erzählungen und Untersuchung ihrer Wahrheit und Glaubwürdigkeit". Er kennzeichnet diese als eine der Erscheinungsformen der "reflektierenden" Geschichte, die er zwischen der "ursprünglichen" und der "philosophischen" Geschichte einordnet. Letztere, die "philosophische Geschichte", behandelt Hegel dann gänzlich im Sinn dessen, was wir hier als "spekulative" Geschichte behandelt haben.
Auch bei anderen Autoren, die im ersten Teil (über "spekulative" Geschichtsphilosophie) angesprochen wurden, finden sich selbstverständlich Ausführungen zu Fragen der "kritischen" Geschichtsphilosophie ebenso, man denke nur an Ibn Khalduns (s.u.) Ausscheiden von unmöglich zutreffenden Berichten und seiner Formulierung von Kriterien für wahrscheinlich oder für gewiss wahre Berichte; oder auch an das Axiom Vicos "verum et factum convertuntur", an Spenglers Setzung einer "morphologischen" als einzig zuverlässiger Betrachtungsweise, usw.

Unter dem Titel der kritischen Geschichtsphilosophie werden drei Themen besprochen, Fragen der Erkennbarkeit, der Erklärbarkeit und der Beschreibbarkeit historischer Sachverhalte (s. oben Übersicht)


Unterscheidung idiographischer und nomothetischer Wissenschaft(en)

Die Unterscheidung wurde eingeführt von:
Wilhelm Windelband:
Geschichte und Naturwissenschaft. Rede zum Antritt des Rektorats der Kaiser-Wilhelm- Universität Strassburg gehalten am 1. Mai 1894. 3. Aufl. Straßburg: Heitz, 1904. (Erstdruck: 1894) Im Internet: hier
PRÜFUNGSRELEVANT FÜR THEMA 4
Ergänzend wird zur Lektüre empfohlen:
Rainer Thurnher: "Ist die Unterscheidung von nomothetischen und idiographischen Wissenschaften noch zeitgemäß? Eine Auseinandersetzung mit der Einheitswissenschaftsthese." In: Analyse und Kritik, Nr. 6 (1984): 190-211. Im Internet: hier


((Im folgenden Exzerpt von Windelbands Rede sind Einfügungen in doppelten Klammern ((...)) von fmw, Text außerhalb solcher Klammern Original; vorangestellte Ziffern geben die jeweilige Seite an, von der der Text stammt.))

8: ((Philosophie und Mathematik)) mögen unter dem alten Namen der "rationalen" Wissenschaften zusammengefasst werden ...

Unter Erfahrungswissenschaften dagegen verstehen wir diejenigen, deren Aufgabe es ist, eine irgendwie gegebene und der Wahrnehmung zugängliche Wirklichkeit zu erkennen ... Für die Einteilung dieser auf die Erkenntnis des Wirklichen gerichteten Disziplinen ist gegenwärtig die Schei-
9: dung von Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften geläufig: ich halte sie in dieser Form nicht für glücklich. Natur und Geist - das ist ein sachlicher Gegensatz, der in den Ausgängen des antiken und den Anfängen des mittelalterlichen Denkens zu beherrschender Stellung gelangt und in der neueren Metaphysik von
Descartes und Spinoza bis zu Schelling und Hegel mit voller Schroffheit aufrecht erhalten worden ist. ... ((Gegenstands-Unterscheidung jetzt nicht mehr so gesehen, )) dass sie unbesehen zur Grundlage einer Klassifikation gemacht werden dürfte. ... ((auch die )) Annahme einer "inneren Wahrnehmung" als besonderer Erkenntnisart wenigstens stark in Zweifel gezogen. ((und die Psychologie ist)) nicht unterzubringen ((ihrem Gegenstand nach Geisteswissenschaft und )) Grundlage aller übrigen; ihr

10: ganzes Verfahren aber, ihr methodisches Gebahren ist vom Anfang bis zum Ende dasjenige der Naturwissenschaften. Daher sie denn es sich hat gefallen lassen müssen, gelegentlich als die "Naturwissenschaft des inneren Sinnes" oder gar als "geistige Naturwissenschaft" bezeichnet zu werden.

Eine Einteilung, welche solche Schwierigkeiten aufweist, hat keinen systematischen Bestand ... ((Psychologie hat mit Naturwissenschaften das Verfahren gemeinsam, auf allgemeine Gesetze abzuzielen, aber )) Demgegenüber ist die Mehrzahl derjenigen empirischen Disziplinen, die man wohl sonst als Geisteswissenschaften bezeichnet, entschieden darauf gerichtet, ein einzelnes, mehr oder minder ausgedehntes Geschehen von einmaliger, in

11: der Zeit begrenzter Wirklichkeit zu voller und erschöpfender Darstellung zu bringen. ((Einzelnes Ereignis, bis )) Wesen und Leben eines Mannes oder eines ganzen Volkes, um die Eigenart und die Entwicklung einer Sprache, einer Religion, einer Rechtsordnung, eines Erzeugnisses der Literatur, der Kunst oder der Wissenschaft ...

... eine rein methodologische, auf sichere logische Begriffe zu gründende Einteilung der Erfahrungswissenschaften ... Das Einteilungsprinzip ist der formale Charakter ihrer Erkenntnisziele. Die einen suchen allgemeine Gesetze, die anderen besondere geschichtliche Tatsachen...

12: So dürfen wir sagen: die Erfahrungswissenschaften suchen in der Erkenntnis des Wirklichen entweder das Allgemeine in der Form des Naturgesetzes oder das Einzelne in der geschichtlich bestimmten Gestalt ... Die einen sind Gesetzeswissenschaften, die anderen Ereigniswissenschaften; jene lehren, was immer ist, diese, was einmal war. Das wissenschaftliche Denken ist - wenn man neue Kunstausdrücke bilden darf - in dem einen Falle n o m o t h e t i s c h, in dem anderen i d i o g r a p h i s c h.

... bleibt zu bedenken, dass dieser methodische Gegensatz nur die Behandlung, nicht den Inhalt des Wissens selbst klassifiziert. ... dass dieselben Gegenstände zum Objekt einer nomothetischen und daneben auch einer idiographischen Untersuchung gemacht werden können. ((Bezieht sich hier auf Sprachwft, Biologie und auch Astronomie des einen Universums)) ...

14: Gemeinsam ist ... der Naturforschung und der Historik der Charakter der Erfahrungswissenschaft ...

15: ((Mikroskopieren wie Experimentieren muss ebenso nach Regeln gelernt werden wie Interpretieren, Stilerfassen etc. Die Logik hat sich bisher )) weit mehr der nomothetischen als der idiographischen Tendenz zugewendet ...

18: Es fragt sich: was ist für den Gesamtzweck unserer Erkenntnis wertvoller, das Wissen um die Gesetze oder um die Ereignisse? das Verständnis des allgemeinen zeitlosen Wesens oder der einzelnen zeitlichen Erscheinungen?

19: ((Utilität?)) Vor ihr sind beide Denkrichtungen gleichmässig zu rechtfertigen. Das Wissen allgemeiner Gesetze hat überall den praktischen Wert, die Voraussicht künftiger Zustände und ein zweckmässiges Eingreifen des Menschen in den Lauf der Dinge zu ermöglichen. ... Nicht minder aber ist alle zweckvolle Tätigkeit im gemeinsamen Menschenleben auf die Erfahrungen des historischen Wissens angewiesen. Der Mensch ist ... das Tier, welches Geschichte hat. ... Sollte dereinst durch irgend ein elementares Ereignis, sei es in der Aussengestaltung unseres Planeten, sei es in der Innengestaltung der Menschenwelt, die heutige Kultur verschüttet werden - wir können sicher sein, dass die späteren Geschlechter nach ihren Spuren ebenso eifrig graben werden, wie wir nach denen des Altertums. ...

Aber nicht solcher Nutzen ist es, wonach wir fragen: hier handelt es sich um den inneren Wissenswert.

20: ((was sind historische Tatsachen? Nicht, was als Ereignis beweisbar ist, Goethe hat sich am 22.2. 1780 )) ein Billetkästchen ... anfertigen lassen ((belegt durch Rechnung, was )) enorm wahr und gewiss ... und doch ... keine historische Tatsache ((ist)) weder eine literaturgeschichtliche noch eine biographische.

21: ... wesentliche Zweck alles Einzelwissens, sich einem grossen Ganzen einzufügen, ist nun keineswegs auf die induktive Unterordnung des Besonderen unter den Gattungsbegriff oder unter das allgemeine Urteil beschränkt: er erfüllt sich ebenso da, wo das einzelne Merkmal sich als bedeutsamer Bestandteil einer lebendigen Gesamtanschauung einordnet. ((Eleatisch-platonisches Erbe; Schopenhauer spricht Geschichte Wissenschaftlichkeit ab)) weil sie stets nur das Besondere und nie das Allgemeine erfasse. ((Positivismus: )) "aus der Geschichte eine Naturwissenschaft zu machen", wie es die sogenannte Geschichtsphilosophie des Positivismus vorgeschlagen hat. ((Da bleiben nur)) ein paar triviale Allgemeinheiten, die sich nur mit der sorgfältigen Zergliederung ihrer zahlreichen Ausnahmen entschuldigen lassen.

22: ((Einzigartigkeit des Individuums, Grauen vor ewiger Wiederkehr)) Wie schlimm entwertet ist das Leben, wenn es genau so schon, wer weiss wie oft dagewesen sein und, wer weiss wie oft sich noch wiederholen soll ... gilt erst recht von der Gesamtheit des geschichtlichen Prozesses: er hat nur Wert, wenn er einmalig ist.

23: ((Christentum gegen Hellenismus: einmalige Tatsachen gegen Idee der Wiederkehr))

Andererseits bedürfen nun aber die idiographischen Wissenschaften auf Schritt und Tritt der allgemeinen Sätze, welche sie in völlig korrekter Begründung nur den nomothetischen Disziplinen entlehnen können. ... wenn man historische Beweise auf ihre rein logische Form bringen will, so erhalten sie stets als oberste Prämissen Naturgesetze des Geschehens, insbesondere des seelischen Geschehens. ... ((ABER:)) Der notorisch äusserst unvollkommene Grad, bis zu welchem bisher die Gesetze des Seelenlebens haben formuliert werden können, hat den Historikern niemals im Wege gestanden ((sie hatten natürliche Menschenkenntnis, Takt und geniale Intuition, )) um ihre Helden und deren Handlungen zu verstehen. Das ... lässt es sehr zweifelhaft erscheinen, ob die von den Neuesten geplante mathematisch-naturgesetzliche Fassung der elementaren psychischen Vorgänge einen nennenswerten Ertrag für unser Verständnis des wirklichen Menschenlebens liefern wird.

24: ((Subsumtionsmodell:)) In der Kausalbetrachtung nimmt jegliches Sondergeschehen die Form eines Syllogismus an, dessen Obersatz ein Naturgesetz, bezw. eine Anzahl von gesetzlichen Notwendigkeiten, dessen Untersatz eine zeitlich gegebene Bedingung oder ein Ganzes solcher Bedingungen, und dessen Schlusssatz dann das wirkliche einzelne Ereignis ist.

25: ((Aber die Verbindung zwischen dem Gesetz und dem einzelnen Ereignis ist nicht selbst ein Gesetz.)) So wenig, wie der bei der syllogistischen Subsumtion angefügte Untersatz eine Folge des Obersatzes selbst ist, so wenig ist beim Geschehen die zu dem allgemeinen Wesen der Sache hinzutretende Bedingung aus diesem gesetzlichen Wesen selbst abzuleiten. Vielmehr ist diese Bedingung als ein selbst zeitliches Ereignis wiederum auf eine andere zeitliche Bedingung zurückzuführen, aus der sie nach gesetzlicher Notwendigkeit gefolgt ist: und so fort bis in infinitum.

26: ... so hilft uns alle Subsumtion unter jene Gesetze nicht, um das einzelne in der Zeit Gegebene bis in seine letzten Gründe hinein zu zergliedern. Darum bleibt für uns in allem historisch und individuell Erfahrenen ein Rest von Unbegreiflichkeit - etwas Unaussagbares, Undefinierbares. So widersteht das letzte und innerste Wesen der Persönlichkeit der Zergliederung durch allgemeine Kategorien, und dies Unfassbare erscheint vor unserem Bewusstsein als das Gefühl der Ursachlosigkeit unseres Wesens, d. h. der individuellen Freiheit.

((Verweist auf Spinozas Unterscheidung endlicher und unendlicher Kausalität, Leibniz' vérités èternelles und de fait))

27: Das Gesetz und das Ereignis bleiben als letzte, inkommensurable Grössen unserer Weltvorstellung nebeneinander bestehen. Hier ist einer der Grenzpunkte, an denen der wissenschaftliche Gedanke nur noch die Aufgabe bestimmen, nur noch die Frage stellen kann in dem klaren Bewusstsein, dass er nie im Stande sein wird sie zu lösen.

((Schluss des Texts))


Entwurf einer (naturwissenschaftlichen) Kultur- und Geschichtswissenschaft im 8./14. Jahrhundert

Abd al-Rahman IBN KHALDUN (732/1332 Tunis - 808/1406 Kairo)
Zum Leben vgl. WIKIPEDIA
Hauptwerk:
Kitab al-Ibar (Geschichte der Araber und Berber) 7 Bde.
Der erste Band u.d.T. Al-Muqaddimah enthält die methodologischen und geschichtsphilosophischen Thesen. In Europa seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts bekannt. Möglich ist eine Bekanntheit (und somit möglicher Einfluss auf Vico) im 18. Jahrhundert aufgrund der Darstellung in
Dimitrie Cantemir: Geschichte des Osmanischen Reichs (Historia Incrementorum atque Decrementorum Aulae Othmanicae). Hamburg: Christian Herold, 1745. (Erstdruck lat.: 1716)
 
Übersetzungen der Muqaddimah:
Annemarie Schimmel: Ibn Chaldun, Ausgewählte Abschnitte aus der muqaddima (Tübingen: Mohr 1951) Hier zitiert als (Schimmel S.n)
Mathias Pätzold: Ibn-Khaldun, Buch der Beispiele. (Leipzig: Reclam 1992) Hier zitiert als (Pätzold S.n)
Alma Giese und Wolfhart Heinrichs: Ibn Khaldun: Die Muqaddima: Betrachtungen zur Weltgeschichte. München: C.H. Beck, 2011.
Franz Rosenthal: Ibn Khaldun. The Muqaddimah. 3 Bde.  (Princeton: Univ.Pr. 1967) Hier zitiert als (Rosenthal S.n) Volltext im Internet
Franz Rosenthal: Ibn Khaldun. The Muqaddimah. (Abridged edition by N.J. Dawood, Princeton: Univ.Pr. 1981) Hier zitiert als (Dawood S.n)
 
Hier zitierte Sekundärliteratur:
Muhsin Mahdi: Ibn Khaldun, in: M.M.Sharif (Hg.): A History of Muslim Philosophy (Wiesbaden 1966; hier in Bd. 2, S.969 ff.) Zitiert als (Mahdi, S.n)
S.H. Nasr: An Introduction to Islamic Cosmological Doctrines. Cambridge, Mass. 1964

PRÜFUNGSRELEVANT FÜR Ibn Khaldun:
Ibn Khaldun: Die Muqaddima: Betrachtungen zur Weltgeschichte. Übersetzt von Alma Giese und Wolfhart Heinrichs. München: C.H. Beck, 2011. Kapitel 1, S. 111-132


Ibn Khalduns neue Wissenschaft befasst sich mit all dem, was in der Kultur der Menschen, d.h. in ihrem Zusammenleben und Zusammenwirken sich aus der Natur der Menschen notwendig ergibt. Dabei wird ein wichtiger Begriff ausgesprochen, wo von der asabiyya die Rede ist, der solidarisierenden Kraft die die Menschengruppen zusammenschweißt, ihnen Stärke und Zusammenhalt verleiht. Ohne asabiyya ist die volkreichste Gruppe ohnmächtig und unterliegt der kleinen Gruppe, die asabiyya hat. Die Geschichte der asabiyya ist also auch die Geschichte der Völker, der Menschheit. Es ist eine strittige Frage, die hier nicht entschieden werden soll, ob Ibn Khaldun mit der asabiyya etwas im weitesten Sinn Materielles gemeint habe (wofür etwa sprechen könnte, dass die asabiyya wie ein Lebewesen wächst, reift und vergeht) oder ein im weitesten Sinn Geistiges (dafür würde etwa sprechen, dass die asabiyya nur den Menschen zugesprochen, den Tieren abgesprochen wird; aber auch. dass sie in ähnlicher Weise wie die Sprache entsteht und nicht direkt von Umweltbedingungen abhängig erscheint).
Diese Frage muss hier offen bleiben. Es soll ausschließlich die Methodologie der neuen Wissenschaft Ibn Khalduns thematisch sein, und diese verändert sich nicht unter der einen oder der anderen der angesprochenen Annahmen.
Die mit dem Begriff der asabiyya verbundene Theorie Ibn Khalduns über den Rhythmus und die Gesetzmäßigkeiten des Entstehens, Wachsens, Stagnierens und Verfallens von Staaten gehört in den Zusammenhang von spekulativer Geschichtsphilosophie und wird hier nicht ausgeführt. Sie hat jedoch insbesondere in staatstheoretischen Diskursen im osmanischen Reich im 16. und 17. Jahrhundert eine sehr große Rolle gespielt. xxxLit

Mit seiner Methodologie will Ibn Khaldun sichern, dass keine unrichtigen Berichte über die Vergangenheit als richtig, keine unwahrscheinlichen als wahrscheinlich aufgenommen werden. Sie soll also unmögliche und unwahrscheinliche Geschichtswelten zu unterscheiden bzw. auszuschalten ermöglichen. Aus unterschiedlichen Perspektiven entstehen unterschiedliche Vergangenheitswelten, aber auch unterschiedliche Gegenwartswelten. Eine Welt, in der Seeungeheuer einen Eroberer daran hindern können, eine Stadt zu erbauen, fand Ibn Khaldun in Berichten von Geschichtsschreibern vor: wenn berichtet wurde, Alexander der Große sei von derartigen Monstern daran gehindert worden, Alexandria zu bauen - sie schreckten seine Arbeiter, also habe sich Alexander in einem großen hölzernen Behälter, der eine Glasschachtel enthielt, auf den Meeresgrund begeben, dort die Ungeheuer abgezeichnet und nach diesen Zeichnungen dann Metallbilder herstellen lassen, die am Ufer aufgestellt worden seien. Als nun die Monster wieder auftauchten, um die Arbeit weiter zu stören, erschraken sie ihrerseits zu Tode und ergriffen die Flucht.

Die Welt, in der dergleichen möglich sein soll, ist für Ibn Khaldun eine erdichtete Welt, aber vielleicht im Einzelnen aus anderen Gründen als für uns. Ibn Khaldun erklärt diese Geschichte für unmöglich und somit sicher erfunden, weil nämlich, erstens, kein Anführer ein derartiges Risiko eingehen könne, ohne dass sein Volk ihn seines Leichtsinns wegen sofort absetzen würde; zweitens, weil es physisch unmöglich wäre und zum Tode führen würde, sich in solche Meerestiefen zu begeben (nicht allerdings des Druckes wegen, sondern wegen der spezifischen Kälte des Wassers, die etwa die Fische durch große eigene Hitze ausgleichen, weswegen diese wiederum sterben, wenn sie an die Luft kommen und keine Kühlung mehr haben); und drittens, weil Dämonen in der Lage seien, verschiedene Gestalt anzunehmen, weshalb die Idee mit den Abbildern gar nicht funktionieren würde.
Der Bericht über Alexander und die Meerungeheuer ist also notwendig falsch, eine solche Gegenwart kann es nie gegeben haben. Noch mit einer Reihe von Beispielen aus Schriften der Historiker seiner Tradition erläutert er seinen Satz: Historische Berichte sind nicht deshalb zutreffend, weil sie über eine lange Zeit und zweifelsfrei belegt sind. Zu allererst muss das Berichtete nach gesichertem Wissen auch möglich sein. Im Fall der Meermonster widerspricht der Bericht einem soziologischen und einem naturwissenschaftlichen Gesetz sowie einer Hypothese über die Natur von Dämonen.

Jede Art von Geschichtsbetrachtung schließt unmögliche Vergangenheiten aus, aber nicht jede die selben und nicht jede mit den selben Begründungen. Ibn Khaldun setzt seiner Methodologie dieses bescheidene Ziel: ein Kriterium zu liefern für die Unterscheidung wahrer, wahrscheinlicher, unwahrscheinlicher und falscher Berichte über die menschliche Vergangenheit. Die Wissenschaft, die er im Sinn hat, fragt nicht, was die beste Gesellschaftsform sei (wie es eine Lehre von der politischen Kunst tun muss), sie sucht auch nicht zu überzeugen (was jede Rhetorik zum Besten der jeweiligen Gesellschaft tut und tun muss), sondern sie soll lediglich feststellen, welche Arten von Gemeinschaften, welche Formen von Kultur in dem Sinn notwendig sind, als sie sich aus der menschlichen Natur ergeben. Sie trägt also vergleichsweise bescheidene Frucht, und vielleicht, so vermutet er, ist dies der Grund, warum sie bei den griechischen und arabischen Philosophen bisher nicht vorzufinden ist:
"die Gelehrten interessierten sich möglicherweise nur für den praktischen Nutzen, der im Falle der Wissenschaft von der menschlichen Kultur ... nur in Hinblick auf die Verifizierung historischer Nachrichten besteht. Auch wenn die Fragestellungen der Wissenschaft von  der menschlichen Kultur im wesentlichen wie auch im speziellen recht achtbar sind, beschränkt sich ihr Nutzen jedoch auf die Bestätigung der Richtigkeit von überlieferten Nachrichten. Das ist nicht viel. Deshalb hielten sich die Weisen von diesem Wissenschaftsgebiet fern." (Pätzold, 45)
Dass es sich tatsächlich um eine neue Wissenschaft handelt, will Ibn Khaldun doch nicht mit Sicherheit behaupten, obwohl er "auf die Behandlung dieses Gebietes durch irgend jemanden auf der Welt ... nicht gestoßen" (Pätzold, 45) sei. Versuche solcher Art sollte es doch wohl gegeben haben, sie sind wohl verschollen: "Das, was an Wissenschaften nicht zu uns gelangte, ist umfangreicher als das, was uns erreichte." Die Wissenschaften der Perser, der Chaldäer, Syrer, Babylonier, der "Ägypter und derer, die vor ihnen lebten" sind verschollen: "Zu uns gelangten lediglich die Wissenschaften eines Volkes, nämlich der Griechen" (ebd.) durch die Übersetzer des Kalifen al-Mamun. "Über die Wissenschaften anderer Völker wissen wir nichts." (ebd.)
Die Methode einer Wissenschaft von Geschichte und Kultur nach Ibn Khaldun
Wie erkennt man gesicherte Kenntnis über die Welt der Kultur, wie unterscheidet man sie von unsicheren oder unwahren Berichten, von Märchen, Sagen, bloßen Erdichtungen, von Propagandaberichten oder Entstellungen? Wie muss der Geschichts- und Kulturwissenschafter vorgehen, welche Prinzipien muss er als in der Geschichte wirksam voraussetzen, wenn er zu wahren, gesicherten und gehaltvollen Aussagen gelangen will? Dies sind die Fragen, die Ibn Khaldun in seiner umfänglichen "Einleitung" zu einer Weltgeschichte vorweg beantworten will.
Ibn Khaldun unterscheidet mit seiner Tradition zwischen zwei Grundtypen von Wissenschaft: den natürlichen einerseits, die dem Menschen als einem Naturwesen zugänglich sind; diese werden als rationale oder intellektuelle Wissenschaften bezeichnet, da der Mensch von Natur aus ein vernunftfähiges, rationales Lebewesen sei. Die zweite, davon grundsätzlich verschiedene Gruppe bilden die göttlichen Wissenschaften, wozu etwa die islamische Rechtswissenschaft gehört, die auf Offenbarung beruhen. Diese sind nicht den Menschen als solchen, sondern jeweils nur einer Religionsgemeinschaft zu eigen. Von ihnen will Ibn Khaldun die Wissenschaft von der Kultur streng trennen.
Die erste Gruppe bilden die sogenannten philosophischen Wissenschaften, es sind vier: Logik, Mathematik, Physik und Metaphysik. Sie enttsprechen in unserem Sprachgebrauch etwa: Philosophie, Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften. Diese philosophischen Wissenschaften unterscheiden sich nach ihrem jeweiligen Gegenstand.
Es ist nun die Frage, zu welcher Gruppe die Wissenschaft von menschlicher Kultur gehört. Ihr Gegenstand ist der Zusammenschluss von Menschen und dessen je besondere Form.
Die Wissenschaft, die Ibn Khaldun grundlegen will, gehört nicht zur Logik. Diese wird bestimmt als
"a science protecting the mind from error in the process of evolving unknown facts one wants to know from the available, known facts. Its use enables the students to distinguish right from wrong wherever he so desires in his study of the essential and accidential perceptions and apperceptions."(Rosenthal Bd.3, S.111
Da die Kulturwissenschaft wie die Logik von geschaffenen Dingen handelt, wird sie zwar die Ergebnisse der Logik verwerten und anwenden müssen, aber sie ist selbst nicht damit befasst, gültige Abstraktions- und Schlussformen zu erarbeiten.

Was die mathematischen Wissenschaften angeht, so haben diese mit Messungen und Quantitäten zu tun, entweder in praktischer Hinsicht (angewandte Künste) oder in theoretischer Weise (Zahlenlehre). Sie sind - insbesondere die praktischen mathematischen Disziplinen - für die Wissenschaft von der Kultur eine Voraussetzung, da sie Auskunft geben über die mathematischen Eigenschaften solcher Dinge wie Sterne, die möglicher Weise einen Einfluss auf die Kultur ausüben.
Aber die Kulturwissenschaft hat doch, wenn sie auch von den Ergebnissen der Mathematik Gebrauch machen muss und mit Quantität als einer der Kategorien aller geschaffenen Dinge zu tun hat, nicht Quantität als ihren eigentlichen Gegenstand, sondern die Eigenart und Gesetzmäßigkeiten eines spezifischen geschaffenen Dings, nämlich der menschlichen Kultur.

Es bleiben also noch die philosophischen Wissenschaften von den natürlichen und von den göttlichen Dingen, oder, anders benannt, "Physik" und Metaphysik. Der Zusammenschluss von Menschen und dessen Spielarten ist kein göttliches Ding, sondern ein menschliches, ein geschaffenes und kein ewiges.
Also scheidet die Metaphysik aus. Kulturwissenschaft ist nach Ibn Khaldun ein Teil der "Physik", der Wissenschaft von Naturdingen. Damit ist nicht nur der neuzeitliche Begriff der Physik als eigener Disziplin in Abgrenzung von Chemie, Biologie usw. gemeint, der Terminus umfasst alle Wissenschaften, deren Gegenstand Naturdinge sind.

Die nähere Kennzeichnung dessen, was eine Wissenschaft von der natürlichen Kultur des Menschen festzustellen und auszuschließen vermag, wird dann auch eine Antwort auf die Frage ermöglichen, wie man denn eigentlich unterscheiden könne, was der menschlichen Gesellschaft "ihrem Wesen nach und auf Grund ihrer Natur anhaftet, was ihr andererseits akzidentell ist", was unwahrscheinlich in der Geschichte ist und "was ihr unmöglich zukommt". Diese vorläufig noch formalen Bestimmungen der Möglichkeiten und Aufgaben der Kulturwissenschaft machen zwar auf einen wichtigen Unterschied aufmerksam, der auch beim Wissen um geschichtliche Gegebenheiten zu beachten ist: dass es gewisse und wahrscheinliche Kenntnis davon gibt, gewiss wahre und gewiss falsche, wahrscheinlich wahre und wahrscheinlich faIsche. Aber dies wäre zuwenig.
Das Beliebige der Zuerkennung des Wahrscheinlichkeitsgrades einer Kenntnis, die Beliebigkeit historischer Überzeugungen muss ausgeschaltet werden können, wenn es eine Wissenschaft davon geben soll.
Ibn Khalduns Antwort auf diese Frage lässt sich ganz kurz ausdrücken: Die Wissenschaft von der Kultur hat ihre notwendigen und hinreichenden Bedingungen darin, dass sie sich an die relevanten und gesicherten Erkenntnisse von (andern) Naturwissenschaften hält.

Natürlich wirft diese Antwort mehr Fragen auf, als sie auf den ersten Blick zu beantworten scheint. Man muss etwa fragen: wie sind die Ergebnisse der Naturwissenschaften, wie ist ihr kategorialer Apparat gesichert; welche Ergebnisse liegen überhaupt vor und welche davon sind für die Wissenschaft von menschlicher Kultur relevant, welche nicht? Wir sehen, dass Ibn Khaldun mit seiner methodologischen Bestimmung in einen sehr problematischen Bereich vorstößt und wir werden sehen, dass sein akzeptierter Bereich relevanten und gesicherten naturwissenschaftlichen Wissens anders ist als der unsrige.
Naturwissenschaft (Naturphilosophie, Physik) wird von Ibn Khaldun bestimmt als
"a science that investigates bodies from the point of view of the motion and stationariness which attach to them. It studies the heavenly and the elementary bodies (substances), as well as the human beings, the animals, the plants and the minerals created from them,. It also studies the springs and earthquakes that come into being in the earth, as well as the clouds, vapors, thunder, lightnings, and storms that are in the atmosphere, and other things. It further studies the beginning of motion in bodies - that is, the soul in the different forms in which it appears in human beings, animals, and plants." (Dawood, S.385f.)
Von bewährten Thesen der so gekennzeichneten Naturwissenschaft legt Ibn Khaldun seiner Wissenschaft nun sechs "Prämissen" (bei Schimmel: "Vorreden", Pätzold: "einleitende Bemerkungen") zugrunde: die erste handelt davon, dass der Zusammenschluss für die Menschen zwangsläufig sei; die Prämissen 2 - 5 sind klimatheoretische Thesen über den Einfluss der natürlichen Umwelt auf Denken und Verhalten des Menschen, die sechste Prämisse schließlich handelt von der Rolle derjenigen Menschen, die "das Unsichtbare sehen", also von natürlichen Ursachen von Prophetie und Wahrsagekunst. Diese sechs naturwissenschaftlichen Thesenkomplexe sind nun etwas näher zu betrachten.

Sechs Prämissen

1) Zusammenschluss und Herrschaft ist für die Menschen naturnotwendig.
"Die Philosophen geben dem mit ihrer Aussage, daß der Mensch von Natur aus gesellschaftlich sei, Ausdruck. Das heißt, daß für ihn der Zusammenschluß, den sie mit dem Terminus 'Stadt' umreißen, unumgänglich ist. Das ist auch der Sinn des Wortess umran - menschliche Kultur." (Pätzold 51)
Der Grund: der Mensch ist so geschaffen, dass er Nahrung beschaffen muss, um zu leben, aber nicht so (im Gegensatz zu den Tieren), dass er dies als Individuum in ausreichendem Maß könnte.
"Wenn wir die kleinste Menge Nahrung annähmen, die möglich ist, eine Tagesration Weizen beispielsweise, so kann er sie nur durch verschiedene Zubereitungen, wie Mahlen, Kneten und Backen, beschaffen. Jede dieser drei Tätigkeiten aber erfordert Geräte und Werkzeuge, die nur durch zahlreiche Handwerke, wie Schmied, Tischler und Töpfer, hergestellt werden können." (Schimmel, S.18f., vgl. Pätzold, 51; Dawood, 45)
Neben der Nahrungsbeschaffung zwingt auch noch die Verteidigung gegen Tiere und Feinde zum Zusammenschluss: es "muß jeder einzelne zu seiner Verteidigung die Hilfe seiner Artgenossen suchen..." (Schimmel, ebd.)
Nicht also erst zur Erreichung der Humanität ist der Zusammenschluss nötig, sondern zum puren Überleben - und nur diese Überlegenheit will Ibn Khaldun hier als natürlich voraussetzen.Wenn nun aber
"die Menschen zu diesem Zusammenschluß kommen, wie wir es festgestellt haben, und die Kultivierung der Erde durch sie ausgeführt wird, so brauchen sie unbedingt einen Machthaber, der sie voneinander fernhält, da in ihrer animalischen Natur Feindseligkeiten und Gewalttätigkeit liegen, und da die Waffen, welche zur Abwehr der Feindschaft der wilden Tiere hergestellt wurden, nicht ausreichen, um die Feindschaft zwischen ihnen abzuwehren; denn (diese Waffen) sind ja für alle (Menschen) vorhanden. Es muß also unbedingt etwas anderes geben, das die Feindschaft unter ihnen abwehrt, und zwar darf dies nicht einer anderen Art angehören als sie, weil alle Tiere nicht an ihre Wahrnehmungen und göttlichen Eingebungen heranreichen. Deshalb ist dieser Machthaber einer von ihnen, der über sie Übergewicht, Autorität und Brachialgewalt hat, so daß keiner feindlich an den anderen herankommt." (Schimmel, S.19, vgl. Pätzold, 53f; Dawood, 46f)
Herrschaft ist somit ebenso menschennatürlich wie der Zusammenschluss - und ebenso ein Produkt zwingenden Mangels.
2) Die natürlichen Gegebenheiten der Erde sind (in sieben Klimazonen) spezifisch verschieden
Nach sieben geographischen Zonen unterscheiden sich auch die Kulturen. Ibn Khaldun greift hier zwar nicht, wie Herder dies später tun wird, über den Globus hinaus, um die Menschengerechtheit der Erde aufzuzeigen, aber er geht immerhin global vor, bietet eine Naturgeschichte der Erde als der Umwelt des Menschen. Dabei werden sieben Zonen unterschieden, in denen die Pflanzen, Tiere, Mineralien und auch Menschen verschieden seien. Hierin stützt sich Ibn Khaldun auf griechische und arabische Astronomen und Geographen wie Ptolemaios, al-Masudi und al-Idrisi, denen er denselben Titel zuerkennt wie Aristoteles ("weise Männer" = "Philosophen"), Ibn Sina oder Ibn Rushd: sie sind "Naturphilosophen". (Vgl. Dawood, 49-57)
Alle sieben Zonen sind jeweils von gleicher geographischer Breite, in ihrer Längenerstreckung jedoch verschieden: die Länge nimmt zum Äquator hin zu. Der Raum der menschlichen Kultur erstreckt sich zwischen der dritten und der sechsten Zone.
"The north pole gradually ascends on the horizon of the cultivated area of the earth until its elevation reaches sixty-four degrees. Here, all civilization ends. This is the end of the seventh zone. ... Civilization is impossible in the area between the sixty-fourth and the ninetieth degrees, for no admixture of heat and cold occurs there because of the great time interval between them. Generation, therefore, does not take place." (Dawood, S. 55)
Diese angenommene Grenze jeder möglichen Kultur verläuft nördlich der britischen Inseln, wie mittelalterliche Karten zeigen, beispielsweise das Kartenwerk des päpstlichen Sekretärs Jacopo Angelo, das 1406, im Todesjahr Ibn Khalduns fertiggestellt wurde. Nördlich davon findet wegen der langanhaltenden und extremen Kälte keine "generatio" statt - ebensowenig aber gibt es eine "generatio" nahe dem Äquator, wo die Hitze eine noch abruptere Austrocknung der Luft bewirkt, als es die Kälte im Norden tut. Nun betrifft diese Lebensfeindlichkeit nicht nur die Menschen, sondern ebenso Tiere, Pflanzen und sogar Mineralien:
"The excessive heat causes a parching dryness in the air that prevents generation. As the heat becomes more excessive, water and all kinds of moisture dry up, and the power of generation is destroyed in minerals, plants, and animals, because generation depends on moisture." (Dawood, S. 56)
An den (südlichen und nördlichen) Enden der Welt ist also Kultur nicht möglich, aber auch die natürlichen Dinge sind dort stark beeinträchtigt. Immerhin gibt es im Norden aus dem eben erwähnten Grund etwas weiter noch Kultur als im Süden, sodass Ibn Khaldun zusammenfasst:
"Therefore, there is little civilization in the first and second zones. There is a medium degree of civilization in the third, fourth, and fifth zones, because the heat there is temperate owing to the decreased amount of light. There is a great deal of civilization in the sixth and seventh zones because of the decreased amount of heat there. At first, cold does not have the same destructive effect upon the power of generation as heat ... this ... is why civilization is stronger and more abundant in the northern quarter." (Dawood, S. 56f.)
Ibn Ruschd habe sich übrigens, so sagt Ibn Khaldun, in diesem Zusammenhang geirrt, wenn er annahm, dass der Äquator in einer symmetrischen Position sei und es darum südlich des Äquator ebenso wieder gemäßigte Zonen und entsprechend auch Kultur gebe wie nördlich. Dies ist falsch, sagt Ibn Khaldun: "as to the region south of the equator, it is made impossible by the fact that the element of water covers the face of the earth in the south  ..." (Dawood, S. 57)
3) Es gibt gemäßigte und nichtgemäßigte Klimazonen
Die Hautfarbe, ebenso wie die Lebensumstände der Menschen, aber auch Tier- und Pflanzenwelt und sogar das Mineralreich, unterscheiden sich in diesen Klimazonen voneinander. Basierend auf der Untersuchung der Natur von Hitze und Kälte und deren Einfluss auf die Lebewesen stellt Ibn Khaldun hier die Grundthese jeder Klimatheorie auf: dass nicht nur die Hautfarbe in den verschiedenen Klimaten unterschiedlich sei, sondern auch komplexe Kulturelemente davon bestimmt seien. Wieder bei Montesquieu im 18. Jahrhundert, aber nicht in jeder vorgetragenen Version, wird sich eine ähnlich umfassende Klimatheorie finden: nur die Bewohner der mittleren Klimazone,
"die Bewohner des Magreb, Syriens, des arabischen und des persischen Irak, Sinds und Chinas, auch Spaniens und die, welche ihnen nahe sind, wie die Franken und Gallier"
seien ausgewogen und stellten das Maß des Menschlichen dar; es
"sind die Wissenschaften, Künste, Bauten, Kleider, Speisen, Früchte, Tiere und alles, was in diesen ... gemäßigten Klimata geschaffen wurde, besonders durch Ausgewogenheit ausgezeichnet. Ihre menschlichen Bewohner haben die ebenmäßigsten Körper, Farben, Charaktereigenschaften und dergleichen. ... Sie sind in allem weit von den Extremen entfernt." (Schimmel, S.23; vgl. Pätzold, S.56; Dawood, 58)
Es gibt also exemplarische Völker; diese leben in den gemäßigten Klimaten; sie haben die höchsten menschenmöglichen Kulturformen entwickelt; ihre Geschichte ist Weltgeschichte. Wenn auch aus anderen Gründen als Hegel: Ibn Khaldun kennt welthistorische Völker; es sind dies:
"Die Araber, Römer, Perser, Israeliten und Griechen, sowie die Bevölkerung von Sind und von China." (Schimmel, S.24)
Diese Völker haben Häuser aus Stein, sie erfinden alle Techniken, sie verfügen über die "natürlichen Metalle" (Gold, Silber, Eisen, Kupfer, Blei und Zinn), sie verwenden Gold und Silber als Zahlungsmittel. Der Irak und Syrien liegen im Zentrum dieser gemäßigten Zone und "therefore are the most temperate of all these countries." (Dawood, S. 58)
Ganz anders leben die Menschen in den südlichen und nördlichen Randzonen. Sie hausen in Hütten aus Lehm und Schilf, essen Durra und Kräuter, kleiden sich in Rinden oder Tierhäute. Meist aber gehen sie nackt. Die Früchte ihrer Länder sind eigenartig. In ihren Geschäften verwenden sie nicht Gold und Silber, sondern tauschen mit Hilfe von Kupfer, Eisen oder Fellen. Ihre Gemütsart ähnelt derjenigen von Tieren.
Ihr Charakter kommt .. der Wesensart wilder Tiere nahe, ja, es wird sogar berichet, daß viele der Schwarzen, die zu den Bewohnern der ersten Klimazone gehören, in Höhlen und Wäldern hausen, Kräuter essen, wild und isoliert voneinander leben und einander auch auffressen. Nicht anders verhält es sich mit den Slawen. (Pätzold, 56f)
Eine klimatische Ausnahme stellt im Süden - in der ersten und zweiten Zone - die arabische Halbinsel dar: Dort "herrscht aufgrund der Feuchte des Meeres ... in gewisser Weise gemäßigtes Klima" (Pätzold 57), was die hohe dortige Kultur entstehen ließ.
Es gibt nun in der Zeit Ibn Khalduns eine verbreitete Theorie zur Erklärung solcher Unterschiede, die er den "Genealogen" zuschreibt. Diese behaupten, die Schwarzen Afrikas seien die Nachkommen von Ham, dem dritten Sohn Noahs, den der Vater verflucht und zum Diener oder Sklaven seiner Brüder Japhet (der als Stammvater der Europäer galt) und Sem (dem Stammvater der Semiten) bestimmt habe:
Einige Genealogen, die keine Ahnung von der Natur (solcher) Dinge haben meinten, daß die Schwarzen die Kinder von Ham, dem Sohn von Noah, seien, die infolge der Verfluchung Hams durch Noah mit schwarzer Hautfarbe gezeichnet worden wären.
Sie wähnten ferner, daß dieser Fluch dann in Hams Hautfarbe sowie darin, daß Allah dessen Nachkommen zu Sklaven werden ließ, sichtbar geworden wäre. Was sie hierüber berichten, gehört zu den Phantastereien von Geschichtenerzählern. (Pätzold 58)
Dies also sei ein Irrtum: nichts stehe in der Bibel über Hams Hautfarbe. Die Hautfarbe hat ihren Grund nicht in einem biblischen Fluch, sie "rührt von der Beschaffenheit ihrer Luft her, die von der im Süden herrschenden starken Hitze beeinflußt wird." (Pätzold 58) Und: "Man kann feststellen, daß Schwarze - die Bevölkerung des Südens -, die in der vierten, der gemäßigten oder (sogar) in der siebenten, zur weißten Farbe tendierenden Zone leben, im Laufe der Zeit allmählich Nachkommen hervorbringen, die eine weiße Hautfarbe besitzen." (Pätzold 59) Das Umgekehrte trifft ebenso zu: Menschen aus der vierten Zone, die im Süden leben, nehmen eine schwarze Hautfarbe an. Diese These finden wir Ende des 18. Jahrhunderts in Flögels "Geschichte des menschlichen Verstandes" beinahe gleichlautend wieder.
Allerdings sei Ham zur Sklaverei gegenüber seinen Brüdern ("aber niemandes sonst", Pätzold, S.58) verflucht. Die "Genealogen" verkennen im allgemeinen die wahren Gründe für die Unterschiede zwischen den Menschen:
... they declared all the Negro inhabitants of the south to be descendants of Ham. ... They had misgivings about their colour and therefore undertook to report the aforementioned silly story. ... Even if the genealogical construction were correct, it would be the result of mere guesswork, not of cogent, logical argumentation. It would merely be a statement of fact. (Dawood, S. 59)
Was Ibn Khaldun hier kritisiert, ist eine Frühform der späteren Rassentheorien, die ausschließlich unter Berufung auf die biblische Geschichte von Noah und seinen Söhnen die Unterschiede zwischen menschlichen Gesellschaften oder Kulturen erklären und zugleich damit auch deren jeweilige Unter- bzw. Überordnung begründen will. Demgegenüber hält Ibn Khaldun daran fest, dass es mehrere Kriterien gebe, die in den einzelnen Fällen unterschiedlich anwendbar seien. Er unterscheidet vier Klassen von Fällen:
Distinctions between races or nations are in some cases due to a different descent, as in the case of the Arabs, the Israelites and the Persians. In other cases, they are caused by geographical location and physical marks, as in the case of the Zanj, the Abysinians, the Slavs, and the Sudanese Negroes. Again, in other cases, they are caused by custom and distinguishing characteristics, as well as by descent, as in the case of the Arabs. Or, they may be caused by anything else among the conditions, qualities, and features peculiar to the different nations. (Dawood, S. 59, Pätzold, S.61)
In diesem Zusammenhang macht Ibn Khaldun noch eine weitere, sehr interessante Bemerkung bezüglich der Wissenschaftssprache oder der Definitionsmacht. Er stellt fest, dass die Menschen der südlichen Zonen als "farbig" bezeichnet werden, nicht aber die der nördlichen Zonen:
Die Menschen im Norden werden nicht nach ihrer Hautfarbe bezeichnet, da die Leute, deren Sprache die Bezeichnung lieferte, selbst von weißer Hautfarbe waren. Sie sahen darin nichts Außergewöhnliches, das Anlaß gegeben hätte, dies bei der Bezeichnung zu berücksichtigen ...  (Pätzold, S.59f)
Man kann sagen, dass dies bis heute so geblieben ist. Ich möchte ein eindrückliches Beispiel dafür zitieren, das in einem Aufsatz von Tina Prokop aus dem Jahr 2000 angeführt ist, wobei es sich hier nicht um die Hautfarbe handelt, sondern darum, wer als "local people" oder als "indigen" bezeichnet wird, und nach welchen Kriterien dies geschieht:
Ein Beispiel zur Verdeutlichung, daß in die Bezeichnung der "Anderen" immer Machtbeziehungen eingewoben sind: Ein Forscher, der vielleicht abgesehen von einigen Forschungsreisen, seit seiner Geburt ständig in einer Stadt in den USA lebt, wird nicht unter dieser Kategorie "lokal" oder "indigen" subsumiert, hingegen jedoch ein Bauer, der in einem Dorf im Osten Burkina Fasos geboren wurde, in seiner Jugendzeit durch dieses Land gereist war, nationalstaatliche Grenzen in Westafrika überquert hatte, schließlich seit einigen Jahren mit seiner Familie in einem Dorf im Süden Burkina Fasos lebt und noch nicht festgelegt hat, wie lange er bleiben wird. Die Kategorie "lokal" fungiert weniger als Bezeichnung für den Geburts- oder lebenslangen Wohnort eines Menschen, sondern bezieht sich auf Menschen in Afrika, nicht jedoch in den USA. (Prokop: "Indigene, lokale" Kulturen. In: Journal für Entwicklungspolitik, Wien. Nr. 1, 2000, S.46, Anm. 1)
4) Ein kulturmächtiger Naturfaktor ist die Atmosphäre oder das Klima
Das Klima bestimmt den Charakter von Menschen. Nach Ibn Khaldun ist dieses Bestimmungsverhältnis in der Naturwissenschaft dort nachgewiesen worden, wo man Fröhlichkeit und Traurigkeit als Ausdehnung bzw. Zusammenziehung des animalischen Lebensgeistes und allgemeiner durch die "Natur" von Hitze und Kälte habe erklären können. Es sei eine Beobachtungstatsache, "daß sich die Schwarzen in der Regel durch Sorglosigkeit, Leichtsinn und ein hohes Maß an Fröhlichkeit auszeichnen." (Pätzold 62)
Wie ist das zu erklären? Ibn Khaldun beruft sich hier auf die "Philosophen", die nachgewiesen hätten, dass der "animalische Lebensgeist" sich bei Hitze ausdehne, was zu Freude und Fröhlichkeit führe, bei Kälte aber sich zusammenziehe, was zur Traurigkeit führe. Aber nicht nur die atmosphärische Hitze bewirke dies, sondern etwa auch Alkohol oder ein heißes Bad.
Da nun die Schwarzen die heißen Klimazonen bewohnen, (folglich) die Hitze ihre Gemütsart beherrscht und auf den Ursprung ihrer Entwicklung wirkt ... sind ihre Sinne imVergleich zu denen der Bevölkerung der vierten Zone erhitzter und stärker ausgedehnt, neigen sie eher zu Heiterkeit und Freude und sind (insgesamt) fröhlicher." (Pätzold, S.62)
Es ist indessen nicht nur eine Frage der Breitengrade. Auch in gemäßigten Zonen tritt das Phänomen auf, und zwar bei Küstenbewohnern (wegen der stärkeren Reflektion des Sonnenlichts durch das Meer). Die Ägypter beispielsweise, die in einer gemäßigten Zone am Meer leben, sind fröhlicher und leichtsinniger als die Bewohner von Fez auf demselben Breitengrad, die in einer gebirgigen Gegend leben und darum vorwiegend traurig und ängstlich und besorgt in Bezug auf die Zukunft sind. Man kann in Fez
... seine Bewohner gesenkten Hauptes und tief bekümmert sehen und eine bis zur Übertreibung reichende Sorge um die Zukunft feststellen, so daß ein Einwohner von Fez, obgleich er Nahrung an Getreide und Weizen für zwei Jahre gehortet hat, frühmorgens durchaus zum Markt eilen kann, um die Lebensmittel für den Tag zu kaufen, da er befürchtet, daß ihm etwas von seinem Vorrat verlorgengehen könnte. (Pätzold 63)
Es liegt alles in der Luft. Die Meinung des al-Masudi, der sich auf Galen und al-Kindi beruft und mit diesen die Eigenschaften des Charakters der Schwäche oder Stärke des (Lebens-) "Geistes" zuschreibt, lehnt Ibn Khaldun als unbewiesen ab. Die wirklichen Ursachen für dergleichen Unterschiede sind nach Ibn Khaldun ausschließlich in äußeren Einwirkungen natürlicher Art zu suchen.
5) Verschiedenheit von Kulturzuständen ist bedingt durch Art und Menge der Nahrung
Ernährung wirkt sich ebenso auf den Körper aus, wie auf die Charaktere von Menschen. Die von Ibn Khaldun vorgetragene Kausalerklärung dieses Phänomens beruht auf der Untersuchung des Futters und seiner inneren Feuchtigkeit, der blähenden und zehrenden Wirkung desselben bei Tieren und Menschen.Er stützt sich hier auf die Beobachtungen von Tierhaltern; der behauptete Effekt ist sehr weitreichend, auch Frömmigkeit und Religion seien davon noch betroffen. Keineswegs wäre ein Überfluss an Nahrung besonders günstig:
"Wir finden, ... daß diese Menschen, welche Getreide und Gewürze entbehren, einen besseren Zustand des Körpers und Charakters aufweisen als die Bewohner der fruchtbaren Hügel, die im Wohlleben versunken sind: ihre Farben sind reiner, ihre Körper fehlerloser, ihre Gestalten vollkommener und schöner, ihre Charaktereigenschaften entfernter von aller Abweichung von der Norm, ihr Verstand schärfer im Erkennen und Begreifen." (Schimmel, 24)
Zuviel Essen erzeuge überschüssige Kräfte im Körper, die schädlich seien. Bei den Stadtbewohnern zeige sich dies in besonders auffallender Weise: sie seien weniger scharf-sinnig und weniger gottesfürchtig zugleich. Auch die Langzeitfolgen bestimmter Ernährungsarten seien zu beachten: im Fall einer Hungersnot kann sich der Übersättigte nicht schnell genug umstellen und stirbt. Aber:
Those who die in famines are victims of their previous habitual state of satiation, not of the hunger that afflicts them for the first time. (Dawood, S. 67)
Tatsächlich könnten Menschen mit unglaublich wenig Nahrung leben. Er selbst, der Sufi Ibn Khaldun, habe Menschen getroffen, die 40 Tage lang überhaupt nichts zu sich nahmen, dem Sultan seien zwei Frauen vorgestellt worden, die sogar mehrere Jahre nichts gegessen hätten. "They were examined, and the matter was found to be correct." (Dawood, S. 68) Essen, auch die Quantität, sei eine Frage der Gewöhnung und des Brauches, nur in sehr geringem Maße eine Frage der Notwendigkeit. Im allgemeinen gelte: weniger ist besser, sowohl für den Körper als auch für den Geist.
Doch nicht nur die Menge, auch die Art der Speisen sei charakterbildend: wer Kamelfleisch isst, erwerbe auf Dauer die Geduld und Kraft des Kamels. (Dawood, S. 69) - Der Mensch ist, was er isst ... man kann Ibn Khaldun hier kaum lesen, ohne auf Schritt und Tritt an Lamettrie, d-Holbach, Helvetius oder Feuerbach erinnert zu werden. Es ist eine durch und durch materialistische Auffassung von Geschichte und Kultur. Durch und durch? Zumindest die sechste "Prämisse" läßt stutzen.
6) Ein natürlicher Kulturfaktor sind schließlich die Prophetien
Es ist hier die Rede von denjenigen Menschen, die "das Unsichtbare sehen", und Ibn Khaldun stellt die Frage, wodurch diese Fähigkeit zustandekomme: durch Naturanlage oder durch Übung. Prophetie wird als die höchste Form menschlicher Seelenäußerung und -betätigung gesehen, wobei der Koran wiederum als die höchste Prophetie gilt. Aber auch hier sieht Ibn Khaldun noch natürliche Kräfte am Werk: die Welt insgesamt baue sich aus Elementen in steigender Ordnung auf, in einer Hierarchie: Pflanzenseele, Tierseele, Menschenseele. Innerhalb der Menschenseelen gibt es noch einmal Stufungen: Es gibt die schwache Menschenseele, die nur bis zu gewöhnlichen Wahrnehmungen und Beobachtungen kommt; über ihr steht die "Seele der Heiligen", die den Beginn der geistigen Welt erreichen und hohe Erkenntnisse finden kann; die dritte Stufe schließlich ist die "Seele der Propheten", die sich bis zur Engelswelt erhebt - sie erhält göttliche Eingebungen und übermittelt sie den Menschen. Noch die höchste Einsicht, die Inspiration des Propheten aber beruht auf Struktur und Natur der geschaffenen Welt. Ibn Khaldun
"considers all such activities (i.e. prophetische, FW) to be grounded throughout in the natural properties of the human soul which, in turn, is closely related to the human body and the world of generation, of the elements, of sensible bodies, and of their motion and rest." (Mahdi, S. 902)
Es ist begrifflich interessant, dass das Arabische (bis heute und auch bei Ibn Khaldun) für die "Inspiration" oder "Offenbarung" dasselbe Wort (wahy) verwendet, mit der auch die Fähigkeit von Tieren (und auch Pflanzen, sogar leblosen Dingen) benannt wird, sich "richtig" zu verhalten - also jene Eigenschaft, die wir gewöhnlich (allerdings nur bei Tieren, nicht bei Mineralien oder Pflanzen) als "Instinkt" bezeichnen. Fraglich und für Ibn Khaldun nicht ohne Problem ist natürlich, wie die richtigen Propheten und die richtigen Prophetien zu erkennen sind. Dass sie für menschliche Gesellschaften notwendig sind, steht für ihn aber ebenso außer Frage wie der Umstand, dass auch sie ihre Ursache in Naturgegebenheiten haben.

Zusammenfassung

Es gibt gewisse und es gibt wahrscheinliche Kenntnis von der Kultur. Es gibt einen unbezweifelbaren Prüfstein, an dem man die Wahrheit, Wahrscheinlichkeit oder Nichtwahrheit von Berichten über die Geschichte prüfen kann und soll. Diese Prüfung kann stattfinden, wenn man berücksichtigt, welche menschennatürlichen Thesen die Naturwissenschaft erwiesen hat. Wenn man, mit anderen Worten, die notwendigen und hinreichenden Bedingungen kennt und berücksichtigt, unter denen Kultur entsteht, besteht und sich verändert. Mit Hilfe dieser Faktoren muss man die vergangene Geschichte rekonstruieren und erklären. Man darf nur solche Faktoren annehmen, die naturwissenschaftlich, d.h. durch Erfahrung bewiesen sind und die allgemein sind, d.h. die das Kulturleben aller Menschen - wenn auch in je unterschiedlicher Form - bestimmen. Diese sind:
- Der Zwang zu Zusammenschluss und Herrschaft aufgrund der Unfähigkeit menschlicher Individuen, sich zu verteidigen und sich lebensnotwendige Nahrung zu verschaffen.
- Die Natur des bewohnbaren Teils der Erde und dessen unterschiedliche Lebensbedingungen.
- Der bestimmende Einfluss des Klimas auf Hautfarbe und Lebensumstände der Menschen, der Einfluss der Atmosphäre auf die Charaktereigenschaften von Menschen.
- Das Verhältnis von Ernährungsweise und Charaktereigenschaften.
- Der Einfluss und die natürliche Entstehung von göttlicher Weisheit und Prophetie.
 
 
Literaturhinweise:
Peter Enz: Der Keim der Revolte. Militante Solidarität und religiöse Mission bei Ibn Khaldun. (Welten der Philosophie Bd. 9). Freiburg i.Br.: Alber Verlag, 2012.
Abbas Manoochehri: "Die Dialektik der Asabiyya und die Sozialphilosophie des 'umran."  Übersetzt von Nausikaa Schirilla. In: polylog. Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren, Nr. 17 (2007): 77-92.



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Erstellt: September 2013 mit Ergänzungen während des Semesters der Lehrveranstaltung