Mitteilungen des Instituts
für Wissenschaft und Kunst - IWK - Wien. H. 1, 1999
Mit Beiträgen von Ermanno Bencivenga (UCI, USA), John Bendix (Bryn Mawr, USA), Theo Hug (Innsbruck), Samuel Scolnicov (Jerusalem)
Einleitung:
F.M. Wimmer:
Brauchen wir Dialoge? - Eine Einleitung
Mit den Begriffen Toleranz und Intoleranz bezeichnen wir Verhältnisse zwischen Ungleichrangigen. Ist aber von Gleichrangigen die Rede, zumindest der Absicht nach, so haben wir möglicherweise mit Dialogen zu tun, mit etwas, das sich zwischen Menschen abspielt, die auf derselben Ebene stehen, die unterschiedliche Auffassungen vertreten und die bereit sind, einander zuzuhören, einander herauszufordern und mit einander weiter zu kommen, als jede/r für sich allein gekommen wäre.
Die Beiträge
dieses Heftes schildern solche Utopien
(Ermanno Bencivenga), umreißen die Möglichkeiten
dialogischer
Erziehung (Theo Hug), nennen die Bedingungen für echten
Pluralismus
(Samuel Scolnicov) und beschreiben auch reale Hemmnisse, die
Dialog
verhindern
können (John Bendix). Wenn das vorige Heft sich vor allem mit
historischen
und gegenwärtigen Begriffen von Toleranz und Intoleranz
befaßt
hat, so betreffen die Themen dieses Heftes eher die
Möglichkeit
von
Dialogen.
Worin besteht diese Möglichkeit, wenn Menschen
unterschiedlicher
oder
gar gegensätzlicher Weltanschauungen und Wertordnungen
zusammentreffen?
Und woran scheitern Dialoge? Dieter Senghaas, ein Beobachter
des
Dialogs
"zwischen westlicher Moderne und Islam" hat kürzlich von einem
"merkwürdigen
Rollenspiel" gesprochen: da stünden auf der einen Seite
islamische
"Modernisten",
die sich "islamistischen Argumenten annähern", die sie gar
nicht
vertreten,
auf der anderen Seite treffe man auf "Westler guten Willens",
die "kaum
anderes
zu bieten haben als Selbstanklagen". Auf diese Weise komme
kein
fruchtbarer
Dialog, nicht einmal ein interessantes Gespräch zustande,
sondern
nur
eine "Wiederholung des immer Gleichen".
Ohne daß die Details immer ganz übertragbar wären: hier ist tatsächlich etwas beschrieben, was sich in vielen sogenannten "Dialogen" zeigt, nämlich das Zurücktreten hinter etwas, das die TeilnehmerInnen dann repräsentieren. Das kann eine Regierung sein, ein Verein, eine Partei, eine Religionsgemeinschaft usw. Wer dann eigentlich in der Situation spricht, wenn Leute als Repräsentanten miteinander sprechen, ist schwer auszumachen. Vielleicht sollten derartige Gespräche besser als "Metaloge" und nicht als "Dialoge" bezeichnet werden, denn das "légein", das Sprechen besorgen da eigentlich irgendwelche Abwesende (die Vorgaben einer Regierung, einer Religionsgemeinschaft, einer Partei usw.), die sich nicht auf das Geschehen im Bereich des Zwischen ("diá-") einlassen. Von ihnen und nicht von den miteinander Sprechenden stammen die Grenzen für verwendbare Begriffe und für akzeptierbare Thesen. Das Äußerste, was in einem solchen "Metalog" geschehen kann, könnte darin bestehen, daß ein Repräsentant einem andern Repräsentanten aufmerksam zuhört, um dann das Gehörte denjenigen vorzutragen, die er repräsentiert, worauf dort vielleicht ein Dialog zustandekommt. Wer repräsentiert, führt, insofern er dies tut, keinen Dialog. Es gibt Leute, die nur als Repräsentanten mit Andersdenkenden zu sprechen bereit sind. Es gibt aber auch Situationen - Bendix beschreibt einige in seinem Beitrag -, in denen eine profunde und langdauernde Verweigerung, jemanden als Menschen anzuerkennen, Dialoge praktisch fast unmöglich macht.
Mit Schlagworten
wie
Rassismus und Fundamentalismus ist
ein strukturelles Verweigern von Dialogen angesprochen, das
auf der
Hand
liegt. Dasselbe ist aber auch über einen "Kulturalismus" zu
sagen,
aufgrund
dessen Grenzen gezogen, Dialoge verweigert und vermeintliche
Rechtfertigungen
für Aggression gesucht werden. Daß es sich immer um
künstliche
Grenzziehungen handelt, wo zwischen "Eigenem" und "Fremdem"
scheinbar
sauber
unterschieden wird, kümmert diejenigen wenig, die mit solchen
Unterscheidungen
versuchen, für Eigennutz oder Überheblichkeit schönere
Namen
zu finden. Sie werden ihre Grenzen für naturgegeben erklären
und
nicht nur vom Recht, sondern auch von der Pflicht sprechen,
eine
"Identität"
zu erhalten, von der behauptet wird, sie läge seit jeher und
für
immer fest. Unter solchen Voraussetzungen kann es zwar
vielerlei
"kulturelle
Beziehungen" geben, aber gewiß keinen Dialog, wie ich ihn
eingangs
gekennzeichnet habe: keinen lebendigen Austausch, in dem alle
sich
gegenseitig
einbringen und sich zugleich auch in Frage stellen lassen.
Tatsächlich liegt eine wichtige Aufgabe für unsere Zeit
darin,
Fähigkeiten zu entwickeln und zu fördern, auch Bedingungen zu
schaffen,
sodaß Dialoge - und, wenn es viele Seiten sind: Polyloge -
zunehmen
und nicht zurückgehen. Warum? In diesem Heft werden einige
Antworten
gegeben: wir müssen "beständig einander einverleiben", sagt
Bencivenga,
wenn "unsere Schatzkammern" wachsen sollen. Weil die
Alternative dazu
doch
nicht viel anderes sein kann als ein mühsam kontrollierter
Waffenstillstand,
wie sich aus den Fallstudien von Bendix lesen läßt. Weil das
Umgehen
mit und das Aushalten von "Dissens" eine lebenswichtigere
Kunst ist als
das
Beschwören von Konsens: "Dilemmasituationen ... als
Normalfälle"
zu sehen, hält Hug für nötig. Scolnicov
schließlich
nimmt das Wort "Dialog" hier nicht in den Mund. Von der Sache
spricht
er
doch, nämlich von "Interaktion zwischen verschiedenen
Weltbildern,
Begriffen
des Guten und der Lebensformen ... In der heutigen Welt ist
diese
Situation
beinahe überall unvermeidlich."
Mit Ausnahme des Beitrags von Scolnicov gehen die Texte dieses Heftes auf Vorträge des IWK-Symposiums "Toleranz oder Dialog?" (1996) zurück. Sie haben seither an Aktualität nicht verloren.
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