Oktober 1998 (überarbeitet im Oktober 2006)
Die Grundidee der GPS-Positionsbestimmung beruht
auf der Messung der Entfernung des eigenen Standorts zu drei Satelliten, deren
Postition ausreichend genau bekannt ist.
Genaugenommen gibt es ''die Zeit'', die zwischen zwei Ereignissen verstreicht, nicht. Generell muss jede physikalische Größe durch einen - zumindest prinzipiell durchführbaren - Messprozess definiert werden. Nun gibt es verschiedene Möglichkeiten, um den zeitlichen Verlauf eines Vorgangs zu vermessen, z.B. in seinem eigenen Ruhsystem oder ''im Vorbeifliegen''. Gemäß der Relativitätstheorie sind die auf verschiedene Weise gemessenen Zeitintervalle nicht unbedingt gleich: Bewegte Uhren und Uhren, die starken Gravitationsfeldern ausgesetzt sind, scheinen "zu langsam" zu gehen. Im Alltagsleben sind diese Effekte so klein, dass sie gar nicht bemerkt werden. Aber sie sind immerhin groß genug, um systematische Korrekturen bei der Auswertung von GPS-Daten notwendig zu machen.
Wir wollen nun die Größe dieser Effekte abschätzen.
Dafür benötigen wir nur zwei Formeln, eine aus der
speziellen und eine aus der allgemeinen Relativitätstheorie.
Sie werden im Folgenden kurz vorgestellt.
Betrachten wir einen periodischen Vorgang (eine Schwingung, kurz ''Uhr'' genannt), der aus einer regelmäßigen Abfolge von Ereignissen ''Tick'' - ''Tack'' - ''Tick'' - ''Tack'' - ... besteht. Die Zeitdauer zwischen zwei solchen Ereignissen, wie sie im Ruhsystem der Uhr gemessen wird (die Eigenzeit), sei mit ∆t bezeichnet. Betrachtet nun eine Beobachterin, die sich gerade mit einer Geschwindigkeit v an der Uhr vorbeibewegt, denselben Vorgang (der in ihrem Bezugssystem eine ''bewegte Uhr'' darstellt), so wird sie eine Periodendauer ∆t′ messen. Die beiden Größen ∆t und ∆t′ sind nicht gleich groß. Die spezielle Relativitätstheorie sagt voraus, dass sie die Beziehung
Um dies zu korrigieren, muss jede vermeintliche Eigenzeit der Uhr mit dem Faktor
Wenn es sich bei der ''Uhr'' um einen atomaren Schwingungsvorgang handelt, der zur Aussendung von Lichtsignalen führt, so bedeutet das, dass die Frequenz des Lichts für eine relativ zur Uhr bewegte Beobachterin nicht den vermeintlichen Wert hat (selbst unter korrekter Einbebeziehung des nichtrelativistischen Dopplereffekts), sondern ebenfalls korrigiert werden muss. Da die Frequenz umgekehrt proportional zur Periodendauer ist, gilt
Berechnen wir den Effekt für GPS numerisch: Die Satelliten (die man als bewegte Uhren ansehen kann) bewegen sich relativ zur Erde mit einer (mittleren) Geschwindigkeit von
was auf
führt. Dabei ist ∆t die Eigenzeit zwischen zwei Ereignissen im Satelliten und ∆t′ die Zeit zwischen diesen Ereignissen, aber vom Ruhsystem der auf der Erde stehenden Beobachterin aus gemessen. Ohne Kenntnis der Relativitätstheorie (und bei Beschränkung auf Messungen im Ruhsystem der Erde) würde man ∆t′ für die Eigenzeit halten.
Nun gibt es allerdings einen weiteren Effekt, der sich dem gerade besprochenen überlagert. Uhren im Gravitationsfeld zeigen ähnliche Effekte wie bewegte Uhren. Betrachen wir wieder unseren regelmäßigen Vorgang (''Tick'' - ''Tack'' - ''Tick'' - ''Tack'' - ...), und bezeichnen wir den zeitlichen Abstand zweier solcher Ereignisse mit ∆t. Die Uhr schwebe hoch über der Erdoberfläche, und zu jedem Ereignis sendet sie ein Lichtsignal aus. Auf der Erdoberfläche steht eine Beobachterin, die die Lichtsignale im Abstand ∆t′ empfängt. Wie zuvor sind die beiden Größen ∆t und ∆t′ nicht gleich groß. Die allgemeine Relativitätstheorie sagt voraus, dass sie die Beziehung
erfüllen, wobei ∆U die Potentialdifferenz zwischen Sender (S) und Empfängerin (E) im Schwerefeld der Erde (Erdmasse = M) ist:
Dieser Effekt ist interessanterweise entgegengesetzt zum speziell-relativistischen, sodass sich beide zum Teil aufheben. Berechnen wir ihn numerisch: Der Abstand der Satelliten vom Erdmittelpunkt ist
was (mit rE = 6378 km und G M = 3.986×1014 m3/s2) auf
Wir sehen, dass der allgemein-relativistische Effekt der dominante ist - er ist ungefähr sechs mal so groß wie der speziell-relativistische! Die Satellitenfrequenzen bilden die Basis für die Zeitmessung des Satelliten, und daher für die Information, zu welcher Zeit ein Signal ausgesandt wurde, und diese Information ist wiederum der Schlüssel für die Positionsbestimmung. Wenn nun diese "Uhren" einen zusätzlichen Gangunterschied zu jenen auf der Erde aufweisen, muß dies berücksichtigt werden, da ja ansonsten falsche Zeitangaben verwendet werden und falsche Positionswerte die Folge sind. Um die Effekte der Relativitätstheorie in die Funktionsweise von GPS einzubeziehen, sind also Korrekturen in der Analyse der auftretenden Zeiten und Frequenzen nötig. Fassen wir unsere quantitativen Ergebnisse zusammen:
Insgesamt werden also die Satellitenfrequenzen um 4.44 ×10−8 Prozent überschätzt.
Die vom Empfänger gemessenen Frequenzen müssen daher rechnerisch um 4.44 ×10−8 Prozent verkleinert werden. Um sich Korrekturfaktoren bei der Datenanalyse zu sparen, wurde ein cleverer Trick angewandt: Die Satellitenuhren werden nicht auf 10.23 Mhz, sondern auf die etwas kleinere Frequenz
geeicht. Wie eine Division zeigt, ist das gerade eine Korrektur um den Faktor, um den Frequenzen ohne Kenntnis der Relativitätstheorie überschätzt würden.
Aufgrund dieser einfachen Lösung müssen sich GPS-Techniker nicht mit der Relativitätstheorie auseinandersetzen.
Es gibt noch einen weiteren Effekt, den wir bisher nicht betrachtet haben:
Die Erde rotiert um ihre Achse, und so hat eine Beobachterin auf dem Äquator
eine zusätzliche Geschwindigkeit von etwa
500 m/s
(ca. ein Siebentel der Satellitengeschwindigkeit), die in der speziell-relativistischen Formel
(1) berücksichtigt werden müsste.
Dies nennt man den Sagnac-Effekt. Er hängt von der
geographischen Breite ab und schrumpft an den Polen zu Null. Weiters führt er eine
zusätzliche Richtungsabhängigkeit in das Problem ein, und seine genaue (relativistische) Berechnung ist
nicht einfach. Grob lässt er sich durch eine nochmalige Auswertung der
Formel (1) abschätzen. Es stellt sich heraus, dass er die notwendige Korrektur
nur um höchstens ein Fünfzigstel abändern würde. Er wird üblicherweise vernachlässigt
und bei sehr genauen Positionsbestimmungen (mehrere Stunden dauernde Messungen im
Dezimeterbereich) von der Software des Empfängers berücksichtigt.
Wenn wir von all diesen notwendigen Korrekturen nichts wüssten
- wie groß wäre der Fehler in der Positionsbestimmung? Während
einer Messdauer T
wäre der Fehler in der Zeitbestimmung 4.44 ×10−10 T,
und der entsprechende Fehler in der Längenbestimmung 4.44 ×10−10 c T = 13.3 cm ×T [ in Sekunden ]. Während
jeder Sekunde Messzeit fiele ein Fehler der Positionsbestimmung in der
Größenordnung von 13
Zentimetern an. Während einer Stunde wären das bereits fast
500 Meter. Wir haben auf dieser Seite die Voraussagen der Relativitätstheorie verwendet, um notwendige Korrekturen des GPS-Verfahrens zu ermitteln. Die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie sind in vielen Situationen mit großer Genauigkeit experimentell überprüft worden (z.B. beim Müon-Zerfall, in Teilchenbeschleunigern und durch Beobachtungen von Doppel-Neutronenstern-Systemen).
Man kann aber den Spieß natürlich umdrehen
und das Funktionieren von GPS als weitere experimentelle Illustration
für die Gültigkeit der Relativitätstheorie ansehen.
Insbesondere die allgemeine Relativitätstheorie ist
mit GPS gewissermaßen alltagsrelevant geworden.
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