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Jenseits jeder Gewißheit
Das Rätsel der Quantenwelt

Anton Zeilinger
Institut für Experimentalphysik
Universität Innsbruck

Ausstellung in der Neuen Galerie in Graz (1997) und
im Ludwig Museum in Budapest (1996)
Katalog im Passagen Verlag, Wien

Ich glaube, mit Sicherheit sagen zu können, daß niemand die Quantenmechanik versteht. (R.P. Feynman, 1973)

Wahrscheinlich einer der kühnsten Ansätze des Menschen ist der, das Abenteuer zu wagen, die Welt zu verstehen. Dieser Ansatz ist ein Produkt der Renaissance, in der der Mensch die Anmaßung wagte, sich in den Mittelpunkt der Welt zu stellen. Es ist erstaunlich, wie erfolgreich dieser Ansatz bisher war, und es ist offenkundig, daß wir noch lange nicht am Ende dieses Abenteuers angelangt sind. Hier sei kurz der Beitrag beleuchtet, den die Quantenmechanik zu diesem intellektuellen Abenteuer [1] leistete, und die unerwartete neue Wendung, die aus der Quantenphysik resultierte.

Die erkenntnistheoretische Situation der Quantenphysik wird mit einigen allgemein bekannten Termini assoziiert, wie etwa Heisenbergsche Unschärferelation, Komplementarität, Welle-Teilchen-Dualismus. Ein großes Problem ist hier, wie in jeder philosophischen oder breiteren Diskussion naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, daß in den Naturwissenschaften Ausdrücke sehr oft eine ganz konkrete und wohldefinierte Bedeutung besitzen, die mit der Bedeutung des gleichen Wortes in der breiteren Diskussion oft nur sehr wenig zu tun hat. Dies ist ein generelles Problem in der Entwicklung der Physik, wie sehr schön von Mitgliedern des Wiener Kreises [2] immer wieder dargestellt wurde. Ganz wesentlich für die Konzepte, die die Physik verwendet, ist, daß Begriffe immer über Operationen, die ein Experimentator durchführt, und über seine Beobachtungen definiert werden. Ernst Mach hat das in der Weise ausgedrückt, daß er sagte: "Jede Aussage der Physik muß eine Aussage über beobachtbare Größen sein." Unklarheiten der Begriffsbildung und unscharfe Konzepte vermeidet man daher am besten, indem man möglichst direkt über Experimente spricht. Wir werden daher im folgenden anhand eines Experimentes einige wesentliche Grundzüge der Quantenphysik und einige Probleme der Interpretation aufzeigen.

Betrachten wir ein solches einfaches Experiment mit Licht. Eine Lichtquelle befindet sich vor einem Doppelspalt, und auf einem Beobachtungsschirm beobachten wir das dort auftreffende Licht. Wir werden auf dem Beobachtungsschirm helle und dunkle Streifen sehen (Abb. 1). Dieses Phänomen ist eines der Schlüsselexperimente der modernen Physik. Es wurde im Jahre 1802 zum ersten Mal vom englischen Arzt Thomas Young durchgeführt. Dieses Experiment galt damals und gilt heute noch als Beweis dafür, daß das Licht eine Welle sei. Man spricht von der Wellennatur des Lichts. Im Detail ist dies so zu verstehen, daß unsere Lichtquelle Wellen aussendet, die durch die beiden Spalte durchtreten und sich hinter den Spalten frei ausbreiten. Nun kommt es dazu, daß diese beiden Wellen, die von den beiden Spalten ausgehen, sich an manchen Stellen auf dem Interferenzschirm gegenseitig verstärken und an anderen gegenseitig auslöschen, ganz genau wie etwa Wasserwellen oder Schallwellen dies tun würden. Daher die dunklen und hellen Streifen auf dem Beobachtungsschirm.

Doppelspalt
Abb. 1: Prinzip der Beugung am Doppelspalt. Licht, das aus einer Quelle kommt, tritt durch zwei Spalten, worauf auf einem Beobachtungsschirm Interferenzstreifen gesehen werden.

Etwa 100 Jahre später, im Jahr 1905, stellt Albert Einstein die Behauptung auf, daß es gewisse Phänomene gibt, die nur verstanden werden können, wenn wir das Licht als Teilchen betrachten. Diese sogenannten Lichtquanten oder auch Photonen sind so schwach, daß wir sie mit dem Auge nicht sehen können. Es gibt jedoch Lichtdetektoren, die bei Auftreffen eines einzelnen Photons einen elektrischen Puls abgeben, der dann registriert werden kann. Setzen wir also einen solchen Lichtdetektor in die Beobachtungsebene unseres Doppelspaltexperiments. Wir werden dann einzelne Teilchen, einzelne Photonen registrieren! Die einzelnen Photonen werden so verteilt sein, daß wir an den dunklen Stellen des Interferenzbildes keine Photonen registrieren und an den hellen Stellen sehr viele. Das bedeutet, daß die Hell-Dunkel-Streifen einfach als eine Verteilung vieler einzelner Photonen verstanden werden können.

Nun erhebt sich sofort die interessante Frage, um die sich die Diskussion der Quantenmechanik immer wieder dreht: Wenn wir also einzelne Teilchen registrieren, durch welchen der beiden Spalte ist das Teilchen getreten? Ein Teilchen kann ja nur eine Bahn verfolgt haben. Andererseits muß das Teilchen aber auf dem Beobachtungsschirm Information darüber besitzen, daß beide Spalte offen sind, denn wenn wir einen der beiden Spalte abdecken, verschwinden sofort die Interferenzstreifen. Die Art und Weise, wie an diese eben aufgeworfene Frage herangegangen wird, kann verschiedene intellektuelle Schulen unterscheiden. Letztlich ist es die Unbeantwortbarkeit dieser Frage, die Feynman zu der Aussage geführt hat: "Der Doppelspalt enthält in sich das Herz der Quantenmechanik, er enthält ihr Rätsel."

Wir können nun versuchen zu bestimmen, durch welchen der beiden Spalte das Teilchen gegangen ist. Dies kann man sich am leichtesten dadurch vorstellen, daß wir das Experiment etwa anstatt mit Photonen mit Elektronen durchführen, da wir heute wissen, daß diese Welle-Teilchen-Natur genauso wie für Photonen auch für Elektronen, Neutronen, Atome etc. gilt. Wenn wir diese Experimente mit Elektronen durchführen, können wir uns vorstellen, mit einem sehr feinen Mikroskop nachzusehen, zu bestimmen, durch welchen der beiden Spalte das Elektron tritt. In einem solchen Experiment, dem sogenannten Heisenbergschen Mikroskop, würden wir zur Beobachtung Licht verwenden müssen, um herauszufinden, wo das Elektron tatsächlich ist. Es läßt sich nun leicht zeigen, daß die Wechselwirkung des Lichts mit dem Elektron mit einer so starken Störung verbunden ist, daß keine Interferenzstreifen mehr auftreten.

Ein Ausweg aus den damit verbundenen Problemen wäre der, anzunehmen, daß die für das Interferenzbild notwendige Welle nur das Verhalten vieler Teilchen beschreibt, daß wir also starkes Licht benötigen, um die Interferenzstreifen zu sehen, und daß für schwaches Licht Interferenzen verschwinden würden. Hier hat es für Photonen in den fünfziger Jahren eine sehr interessante Serie von Experimenten von Janossy und Mitarbeitern in Budapest gegeben, die sehr klar zeigten, daß tatsächlich jedes einzelne Photon Information über beide möglichen Wege, d.h. über beide möglichen Spalte besitzt. Die Experimente von Janossy waren verbunden mit einem hochinteressanten Briefwechsel mit Erwin Schrödinger, einem der Väter der Quantenmechanik. [3] Janossy hat ganz richtig bemerkt, daß die damals übliche Ansicht, das Verhalten von einzelnen Photonen sei durch viele Experimente genau bestätigt worden, damals keineswegs fundiert war. Seine Experimente wiegen um so schwerer, als er eine von der üblichen Interpretation, die wir gleich unten präsentieren werden, abweichende Auffassung vertrat und trotzdem eine Bestätigung der Vorhersagen der Quantenphysik fand.

Besonders überzeugend dafür, daß die Interferenzbilder von einzelnen Teilchen aufgestellt wurden, ist die Evidenz durch Interferenzen mit Neutronen. In der Neutroneninterferometrie, die Anfang der siebziger Jahre unter Leitung von H. Rauch in Wien ins Leben gerufen wurde, studiert man die Interferenzen von Neutronenstrahlen. Hier sind automatisch die Intensitäten selbst der besten Neutronenquellen dermaßen schwach, daß wir immer nur einzelne Teilchen für uns haben. Dies ist klar zu sehen am Beispiel eines Doppelspaltexperimentes mit Neutronen (Abb. 2). Hier wird maximal etwa jede zweite Sekunde ein Neutron registriert. Da diese Teilchen in dem genannten Experiment eine Geschwindigkeit von 200 m/s haben, kann man sagen, daß die meiste Zeit kein einziges Teilchen im Apparat vorhanden ist und der Apparat nur 10 m lang ist. Es ist also der Schluß unausweichlich, daß in irgendeiner Weise ein Photon, Neutron oder Elektron sowohl Wellennatur als auch Teilchennatur trägt. Wie ist das zu verstehen, und kann es überhaupt verstanden werden?

Neutroneninterferenz
Abb. 2: Experimentelles Ergebnis der Messung der Beugung von Neutronen an einem Doppelspalt (nach Zeilinger et al.). Das Bild stellt dar, wieviele Neutronen in einer Zeit von insgesamt 125 Minuten in einen Detektor eintraten, der eine Öffnung von zwanzig Mikrometern besaß. Man stellt also fest, daß das Interferenzbild die Summe von vielen einzelnen Neutronen ist.

Nach der Kopenhagener Deutung, die besonders von Niels Bohr ausgearbeitet wurde, macht es keinen Sinn, von der Eigenschaft eines Quantenteilchens zu reden, unabhängig von dem Versuchsaufbau, in dem sich diese Eigenschaft manifestiert. Ein Photon oder Neutron besitzt also an sich weder Welleneigenschaft noch Teilcheneigenschaft. Wir können vielmehr ein Experiment durchführen, etwa das oben genannte Doppelspaltexperiment, in dem wir in Form der Interferenzstreifen die Welleneigenschaft sehen, oder wir können, etwa mit dem Heisenbergschen Mikroskop, die Teilchennatur sehen. Diese beiden Versuchsanordnungen schließen einander jedoch aus, und es ist daher sinnlos, Experimente zu kontemplieren, in denen sich beide manifestieren. [4] Die Frage, ob also einem Photon oder Neutron an sich Welleneigenschaft oder Teilcheneigenschaft zukommt, ist daher eine sinnlose Frage. Diese Position wurde besonders schön von Moritz von Schlick in "Quantentheorie und Erkennbarkeit der Natur" herausgearbeitet. Dieser Beitrag wurde ebenfalls beim 2. Internationalen Kongreß für Einheit der Wissenschaft, Kopenhagen 1936, präsentiert. Schlicks Referat mußte damals aus dem Manuskript vorgelesen werden, da er kurz vorher auf tragische Weise auf der Philosophenstiege der Universität Wien ermordet worden war. Schlick argumentiert überzeugend, daß es sich in der "Unerkennbarkeit" der Natur, die die Quantentheorie behaupten muß, nicht um eine zu beklagende Begrenzung der menschlichen Erkenntnisfähigkeit handle, sondern daß diese eine objektiv bestehende Eigenschaft der Natur ausdrückt. "Wenn die Quantentheorie die Vorausberechenbarkeit von Ereignissen innerhalb gewisser Grenzen prinzipiell leugnet, so heißt dies nicht, daß uns eine vollkommene Einsicht in bestehende Zusammenhänge im Prinzip verschlossen sei, sondern es heißt, daß gewisse Zusammenhänge eben nicht bestehen." In unserem einfachen Beispiel des Doppelspaltexperiments heißt dies, daß die Quantenmechanik über den Weg des Teilchens durch den Doppelspalt keinerlei Aussage macht, und daß es daher auch keinerlei Sinn machen kann, über einen solchen Weg zu kontemplieren. Es macht jedoch sehr wohl Sinn, über den Weg zu sprechen, wenn wir die experimentelle Anordnung in der Weise ändern, daß der Weg tatsächlich bestimmt werden kann, wie etwa durch Anbringen des Heisenbergschen Mikroskops.

Ein hochinteressanter Punkt ist nun der, wie die Rolle des Experimentators, auch oft Beobachter genannt, in der Quantenmechanik nun eine neue Funktion einnimmt. Es ist nämlich der Beobachter, der durch Auswahl zweier einander ausschließender, komplementärer Meßapparaturen, entscheiden kann, welche der zwei entsprechenden, einander ausschließenden Phänomene sich manifestieren können. In unserem Fall etwa entscheidet der Experimentator, ob er das Interferenzbild beobachten kann, sich also die Welleneigenschaft manifestiert, oder ob er bestimmt, durch welchen Spalt das Teilchen geht, sich also die Teilcheneigenschaft manifestiert. Zwei Eigenschaften in der Quantenmechanik schließen einander nämlich deshalb aus, weil wir zwei verschiedene, einander ausschließende Apparate benötigen, um sie zu beobachten. Auf dieser Tatsache beruht auch die berühmte Heisenbergsche Unschärferelation zwischen Ort und Impuls, die besagt, daß wir nicht gleichzeitig den Ort und den Impuls eines Teilchens wissen können. Der Grund ist eben der, daß ein Gerät, mit dem wir den Ort messen, nicht gleichzeitig ein Gerät sein kann, mit dem wir den Impuls, also die Geschwindigkeit eines Teilchens bestimmen. Nach Bohr (siehe Schlick, oben) bedeutet dies aber keinesfalls, daß die Teilchen vor der Beobachtung wohldefinierte Eigenschaften haben, etwa gleichzeitig Ort und Impuls, sondern eine solche Aussage wäre unüberprüfbar und daher rein metaphysisch.

Der Beobachter hat also einen vollkommen neuen Einfluß auf die Natur, der weit über den Einfluß in der klassischen Physik hinausgeht. Der Beobachter hat sozusagen qualifizierenden Einfluß, er kann bestimmen, welche komplementäre Eigenschaft sich im Experiment manifestiert.

Wie weit geht nun der Einfluß des Beobachters? Wie weit ist der Einfluß auf die Natur? Es wird nun unglücklicherweise immer wieder behauptet, daß die Quantenmechanik sage, die Welt würde durch den Beobachter erst geschaffen. Diese Aussage ist genau von der oben erwähnten Natur, daß unklares Verständnis der naturwissenschaftlichen Terminologie zu unbegründeten metaphysische Aussagen verleitet.

Betrachten wir daher unser kleines Experiment etwas genauer. Wenn wir uns etwa entscheiden, das Interferenzbild zu sehen, also keine Wegmessung zu machen, werden wir sehen, daß die einzelnen Teilchen rein zufällig auf dem Interferenzschirm auftreffen, und nur die Gesamtheit dieses Auftreffens ergibt dann das Interferenzbild. Die Quantenmechanik macht jedoch keinerlei Aussage, an welcher Stelle das einzelne Teilchen auftreffen wird, außer der, daß es eine größere Wahrscheinlichkeit hat, in hellen Streifen gefunden zu werden, als in dunklen Streifen. Das einzelne Teilchen verhält sich rein zufällig. Wir haben es hier mit einer Rolle des Zufalls zu tun, die weit über die Rolle des Zufalls in der klassischen Physik hinausgeht. Betrachten wir im Kontrast dazu den Zufall, wie er im Glücksspiel verwendet wird. Wenn wir etwa einen Würfel haben, so wird jede der Zahlen 1-6 rein zufällig auftauchen, aber im Mittel etwa gleich oft. Für jeden einzelnen Wurf könnten wir uns aber im Prinzip genau überlegen und erklären, warum gerade diese Zahl, die wir beobachten, auftritt. Dies hängt etwa ab davon, wie wir unsere Hand drehen, wie die Oberfläche des Tisches beschaffen ist usw. Es läßt sich also eine Erklärung konstruieren, auch wenn wir nicht genau wissen, wie der Prozeß tatsächlich abgelaufen ist. Der Zufall ist in diesem Fall ein subjektiver. Er ist auf nicht ausreichende Kenntnis der Details zurückzuführen. Eine solche Erklärung ist in der Quantenphysik nicht mehr möglich. Hier ist eine genaue Kenntnis der Details im Prinzip nicht möglich, da solche Details nicht existieren. Der Zufall in der Quantenphysik ist daher ein objektiver. Es ist nicht nur unser Unwissen, sondern das Verhalten des Einzelsystems ist tatsächlich in keiner Weise in der Natur vorgegeben.

Besonders verblüffend sind diese Dinge, wenn wir das Verhalten von solchen Quantensystemen betrachten, die aus zwei Teilchen bestehen. Es wurde hier erstmals von Albert Einstein in Zusammenarbeit mit Boris Podolsky und Nathan Rosen gezeigt, daß solche Quantensysteme vollkommen skurrile Eigenschaften besitzen können (Abb. 3). Haben wir also zwei Würfel, der eine, sagen wir, in Wien, der andere in Budapest, und würde mit diesen Würfeln gleichzeitig gewürfelt, so werden wir erwarten, daß die Resultate vollkommen voneinander unabhängig sind. Das heißt also, wenn der Würfel in Budapest "6" zeigt, so kann bei dem Würfel in Wien jede beliebige Zahl auftreten. Das Verblüffende ist nun, daß, wenn diese Würfel Quantenwürfel sind, wir die Situation haben können, daß, wenn immer mit beiden Würfeln gewürfelt wird, sie genau das gleiche zeigen. Das Resultat für jeden der beiden Würfel ist vollkommen ungewiß, es herrscht der objektive Zufall, wie oben erwähnt. Die beiden Quantenwürfel können jedoch in einem solchen quantenmechanischen Zustand sein, etwa wenn sie gemeinsam im entsprechenden Quantenzustand präpariert wurden, daß sie zwar nicht "wissen", wenn dieser anthropomorphe Ausdruck gestattet sei, welche Zahl jeder von Ihnen zeigen wird, sie wissen aber, daß sie beide immer genau das gleiche Resultat zeigen müssen.

EPR-Experiment
Abb. 3: Prinzip des Einstein-Podolsky-Rosen Experiments. Zwei Würfel, die quantenmechanisch verbunden sind, werden auch bei noch so großer Entfernung voneinander immer die gleiche zufällige Zahl zeigen.

Dieser Befund kann natürlich ebenso zu zahlreichen Mißinterpretationen Anlaß geben. Man kann etwa meinen, daß die beiden Würfel auf geheimnisvolle Weise miteinander in Verbindung stehen, was manche Leute dazu gebracht hat, von Ganzheit oder Gesamtheit zu sprechen, man kann vorschlagen, wie es ebenfalls gemacht wurde, Rückwirkungen in die Vergangenheit einzuführen oder absoluten Determinismus und ähnliche Positionen. Es ist hier jedoch sicher am besten, ebenfalls wieder die Aussage der Kopenhagener Interpretation, wie sie auch von Schlick an der angegebenen Stelle untermauert wurde, zu vertreten, nämlich die, daß wir es in der Naturwissenschaft zu tun haben mit Aussagen über beobachtete Phänomene, und daß es für die Verstehbarkeit der Welt in der Quantenphysik Grenzen gibt.

Besonders radikal wird der Konflikt zwischen der Art, wie die Welt ist und wie sie durch die Quantenmechanik beschrieben wird einerseits, und einer lokalrealistischen Beschreibung andererseits, wenn man gewisse Messungen an Systemen betrachtet, die aus drei oder mehr Teilchen bestehen. Es sei nun kurz anhand eines Gedanken-Experiments das Verhalten von solchen sogenannten GHZ-Zuständen diskutiert. Wir haben in einem solchen Fall eine Quelle, die gleichzeitig drei Teilchen aussendet, die in verschiedenen Richtungen davonfliegen. Nach längerer Zeit machen gleichzeitig drei Experimentatoren Untersuchungen an diesen Teilchen. Sie beschränken sich bei ihren Untersuchungen auf Messungen von zwei verschiedenen Größen und Eigenschaften, die wir Eigenschaft A bzw. Eigenschaft B nennen wollen. Bei beiden dieser Eigenschaften sei es nun so, daß zwei mögliche Resultate der Messung denkbar sind. Als einfaches, illustratives Beispiel sei etwa als Messung die Beobachtung an Personen diskutiert, ob diese Brillen tragen. Dann sind zwei mögliche Resultate denkbar, eben, daß sie Brillenträger sind und daß sie nicht Brillenträger sind. Solche Eigenschaften nennt man dichotome Eigenschaften. Die drei Experimentatoren führen nun eine Serie von Experimenten an ihren allen drei Teilchen durch, die folgendermaßen ablaufen:

Zuerst messen zwei Experimentatoren die Eigenschaft A und ein Experimentator die Eigenschaft B. Sie werden gewisse Resultate für ihre Teilchen erhalten Wenn der quantenmechanische Zustand ein GHZ-Zustand ist, können sie aus diesen Resultaten schließen, daß auch das Meßergebnis am dritten Teilchen eindeutig festgelegt ist, sobald sie die Meßergebnisse von zwei Teilchen kennen. Dies kann man einer Anregung von Einstein-Podolsky-Rosen folgend so interpretieren, daß die gemessene Eigenschaft eben wirklich eine Eigenschaft des jeweiligen Teilchens ist. Man kann ja nach Messungen an zwei Teilchen mit Sicherheit sagen, wie die Messung am dritten Teilchen aussehen wird. Man spricht hier von einem Element der Wirklichkeit nach Einstein, Podolsky und Rosen.

Die Experimentatoren gehen als nächstes her und führen alle Kombinationen von zwei Messungen des Types A und einer Messung des Types B an allen drei Teilchen durch. Dies sind die folgenden drei Messungen: AAB, ABA, und BAA. Aus allen diesen Messungen können Sie schließen, daß das Meßresultat sowohl für Messungen der Größe A als auch für Messungen der Eigenschaft B ein Element der Realität ist, diese Eigenschaft also eine reelle Eigenschaft der Teilchen sein muß. Abschließend führen die drei Experimentatoren an ihren Teilchen eine Messung von BBB durch, das heißt, jeder mißt an seinem Teilchen die Eigenschaft B. Das Verblüffende ist nun, daß die Quantenmechanik verlangt, daß diese Messung zumindest an einem Teilchen genau das gegenteilige Resultat liefert, als die gleiche Messung vorher, wenn an den beiden anderen Teilchen A gemessen wurde. Dennoch liefern auch jetzt alle Messungen das gleiche Resultat, das heißt, auch hier kann man argumentieren, daß jeder Experimentator, der mit seinem Apparat mißt, eine tatsächliche Eigenschaft des Teilchens beobachtet Damit haben wir einen eklatanten Widerspruch. Der Widerspruch ist der, daß wir für die Eigenschaft B ein verschiedenes Resultat erhalten, je nach dem, ob an den anderen beiden Teilchen A gemessen wird oder B. Alle drei Experimentatoren sind aber beliebig weit voneinander entfernt, und die Messungen werden unabhängig durchgeführt. Die Experimentatoren können ja einfach Notizen darüber machen, welche Messung zu welchem Zeitpunkt durchgeführt wird und welches Resultat sie dabei erhalten. Sie können sich anschließend in einem gemütlichen Caféhaus, sei es in Budapest oder in Wien, treffen und ihre Notizen vergleichen. Bei diesem Vergleich der Notizen werden sie das eigenartige Verhalten, das wir soeben diskutiert haben, entdecken und vergeblich nach einer anschaulichen Erklärung suchen.

Wir sind also wieder vor die Frage gestellt, was diese Resultate bedeuten, die, und das sei noch einmal unterstrichen, von der Quantenmechanik ganz eindeutig vorhergesagt werden kann. In der Interpretationsdiskussion der Quantenphysik hat sich der Begriff "Kontextualität" eingebürgert. Mit diesem Begriff beschreibt man die Tatsache, daß die Eigenschaft eines quantenmechanischen Systems vom Meßkontext abhängt, das heißt davon abhängt, welche anderen Messungen gleichzeitig an dem System vorgenommen werden. Dies wäre für ein einzelnes Teilchen ja noch nicht verwunderlich und kommt etwa in der Heisenbergschen Unschärferelation zum Ausdruck. In diesem Fall haben wir eine Abhängigkeit der möglichen Meßwerte, etwa des Ortes davon, ob wir gleichzeitig den Impuls, das heißt die Geschwindigkeit, eines Teilchens messen oder nicht. Verblüffend ist es, daß es auch in unserem Fall der Dreiteilchen-GHZ-Zustände so ist für Messungen, die unabhängig von einander an drei verschiedenen Teilchen durchgeführt werden. In anderen Worten, die Eigenschaften jedes der drei Teilchen hängen davon ab, welche Messung an den anderen Teilchen, die beliebig weit entfernt sind, gleichzeitig vorgenommen werden. Sie sind nicht durch die Geschichte des einzelnen Teilchens beschreibbar oder erklärbar. Es ist dies der eklatanteste existierende Widerspruch zwischen einem realistischen Weltbild und der Quantenphysik.

Wir haben die GHZ-Korrelationen als abstraktes Gedanken-Experiment diskutiert, da es noch keine experimentelle Verifikation gibt. Die experimentellen Methoden sind derzeit auf dem Status, daß es sehr leicht möglich ist, Experimente an zwei korrelierten Teilchen oder Systemen durchzuführen. Diese Systeme können etwa Photonen, Elektronen oder Atome sein. Für Dreiteilchen-Korrelationen gibt es verschiedene experimentelle Vorschläge. Ein sehr vielversprechender Weg wird derzeit in unserem Laboratorium in Innsbruck verfolgt. Hier wird man versuchen, Photonenpaare von so hoher Intensität zu erzeugen, daß gelegentlich zwei Paare gleichzeitig so erzeugt werden, daß sie nicht unterscheidbar sind. Bei geeigneter Messung an einem der 4 dadurch entstehenden Teilchen kann man erreichen, daß die anderen drei Photonen in einem GHZ-Zustand sind. Die Experimente sind jedoch dermaßen aufwendig und an den Grenzen der derzeitigen Technologie, daß es wohl noch einige Zeit dauern wird, bis mit endgültigen Resultaten gerechnet werden kann.

Auf dem Weg dorthin gibt es auch eine Reihe von hochinteressanten neuen Phänomenen in der Quantenphysik, die sozusagen am Wegesrand anfallen. Kürzlich gelang in Innsbruck den Nachweis der dichten Quantencodierung, d.h. es gelang, auf ein einzelnes Photon mehr als ein Bit an Information zu codieren, wenn dieses Photon Teil eines verschränkten Paares ist. Das Experiment, das derzeit im Laufen ist, und als Vorstufe zu den GHZ-Untersuchungen anzusehen ist, ist der Versuch, die Teleportation von Quantenzuständen zu demonstrieren. Hier geht es darum, daß ein unbekannter Quantenzustand gemeinsam mit einem Photon aus einem verschränkten Zustand gemessen wird und dadurch verschwindet. Das zweite Photon des verschränkten Zustandes kann aber dann durch eine sehr einfache Operation in genau den gleichen Quantenzustand gebracht werden, wie das Photon, das verschwunden ist. Dies über beliebige Entfernungen hinweg. Das Bemerkenswerte ist, daß man, um einen solchen Zustand zu teleportieren, nicht wissen muß, um welchen Zustand es sich handelt. Neben dem fundamentalen Interesse, welches solche Untersuchungen sicher verdienen, werden die dabei beobachteten Quantenphänomene sicherlich in künftigen Methoden der Informationsverarbeitungen und Informationsübertragung wichtig sein, sobald die Technologien soweit sind, daß Quantensysteme verwendet werden können.

Eine interessante Fragestellung, die bis heute unbeantwortet ist, ist jedoch, warum die Quantenphysik so eigenartig ist, warum wir es hier mit einer prinzipiellen Begrenzung der Erkennbarkeit der Welt in der Weise zu tun haben, daß es sich nicht um eine Begrenzung der Fähigkeit des Menschen handelt, sondern um eine Begrenzung der Natur selbst. Vielleicht bedarf es einer durch die zahlreichen neuen Experimente mit einzelnen Quanten oder Quantenpaaren, wie sie auch im Laboratorium des Verfassers in Innsbruck durchgeführt wurden und werden, neu geschärften Intuition, um die erkenntnistheoretischen Positionen der Quantenmechanik aus einer klaren Analyse der Natur, der Beobachtung und des Experimentierens begründen zu können.


Literatur


Anmerkungen

[1] Es sei hier die These vertreten, daß dieses Abenteuer des Verstehens und Beschreibens der Welt unabhängig zu sehen ist von den sozialen, ökonomischen, gesellschaftlichen, medizinischen etc. Anwendungen dieser naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, unabhängig davon, ob diese positiv oder negativ seien.

[2] Hier sei besonders verwiesen auf den Beitrag von Philipp Frank, "Philosophische Deutungen und Mißdeutungen der Quantentheorie", II. Internationaler Kongreß für Einheit der Wissenschaften, Kopenhagen 1936.

[3] "In memoriam Lajos Janossy, 75, Erwin Schrödinger, 100" Ungarische Akademie der Wissenschaften, Zentralforschungsinstitut für Physik, Budapest 1987, Péter Király und Mária Ziegler-Náray.

[4] Selbstverständlich ist es möglich, sich auch Experimente vorzustellen, in denen es Übergänge zwischen diesen beiden Situationen gibt, in denen wir also eine unvollkommene Manifestation der Teilcheneigenschaft zugleich mit einer unvollkommenen Manifestation der Welleneigenschaft erhalten.


HTML Präsentation 1997 von Michael Reck.

 
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