Univ. Doz. Dr. Franz Embacher
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Projektbeschreibung

Hypertextstruktur für CD-ROM Mathematik

Antrag an die Österreichische Nationalbank, September 1997

Das Projekt "Hypertextstruktur für CD-ROM Mathematik" ist Teil des multimedialen Entwicklungsprojekts "CD-ROM Mathematik", das die Erstellung eines einheitlichen Lernmediums für Regelschule (AHS und BHS Oberstufe), Erwachsenenbildung (insbedondere Studienberechtigungsprüfung und Berufsreifeprüfung; mit besonderer Eignung zum Fern- und Selbststudium) und einzelne Universitätsstudien zum Ziel hat. Was die Regelschule betrifft, soll es sowohl für den Unterricht als auch zum Nachlernen (Nachhilfe) geeignet sein.


Allgemeines zum Gesamtprojekt "CD-ROM Mathematik"

Im folgenden werden die Grundzüge des Gesamtprojekts "CD-ROM Mathematik" skizziert. Entnehmen Sie bitte weitere Informationen der "Projektbeschreibung CD-ROM Mathematik". (Beilage)

Die Grundkonzeption besteht in der Einheit verschiedener Ebenen, die sich in allen Kapiteln wiederfinden, und innerhalb derer jeweils verschiedene Möglichkeiten angesiedelt sind, das elektronische Medium zur Unterstützung des Lernprozesses zu nützen. Die Ebenen sind

In den Textebenen wird "im Stil eines Lehrbuchs" der fachliche Stoff vorgestellt. (Gerade dies fehlt in vielen der heute auf dem Markt befindlichen elektronischen Mathematik-Lernhilfen). Hier bestehen viele Möglichkeiten, die über jene der traditionellen Buchform hinausgehen, insbesondere, was die Visualisierung mathematischer Sachverhalte (z.B. Graph einer Funktion, Ableitung einer Funktion) und die Einbeziehung interaktiver Elemente betrifft. Die Rolle der Hypertext-Technologie, die in der didaktischen Gestaltung eine zentrale Rolle spielt, wird weiter unten besprochen. Die Beispielebenen bieten die volle Ausnützng der interaktiven Elemente eines multimedialen Lehrmittels. Ich möchte hier auf Details (die sehr stark vom jeweiligen Stoffgebiet abhängen) verzichten und mich auf die Stichworte Demonstrationsbeispiele, interaktive Beispiele, schrittweise Hilfe beim Lösen von Beispielen, Fehlerkorrektur (manchmal ist sogar Fehlererkennung und -analyse möglich), Visualisierung, Erfolgsbewertung und Selbstkontrolle beschränken.

Die Ansiedlung einer eigenen Fehlerebene verrät vielleicht am ehesten unseren persönlichen didaktischen Stil: In häufig gemachten "Fehlern" steckt strukturelles Denken, und daraus läßt sich lernen. Hier kann auf systematische Weise die mathematische Reflexion mit den interaktiven Möglichkeiten des Mediums verbunden werden.

Die Ebenen Wissenswertes mit besonderer Betonung alltagsrelevanter Bezüge mathematischer Strukturen und Historisches dienen - neben der Allgemeinbildung und dem Ansprechen weiterer Benützergruppen - der zusätzlichen Motivierung.

Die Kapitel- und Ebeneneinteilung folgt weitgehend einem Modulsystem, wodurch das Produkt auf eine effiziente Einbeziehung zukünftiger Veränderungen und Erweiterungen hin (insofern "offen") konzipiert ist. Weiters wird es mit zusätzlichen Werkzeugen (Computer-Algebra-System, Graphik-Programm, Statistikprogramm, Taschenrechner, Lexikon) ausgestattet werden.

Die CD-ROM soll verschiedensten Motivations- und Lerntypen gerecht werden, d.h. sowohl Personen, die sich direkt von der Beschäftigung mit formalen Strukturen und Formeln (Textebene) her ansprechen lassen, als auch solchen, für die Visualisierungen und aktives (hier: interaktives) Handeln (Beispielebene), Selbstkritik (Fehlerebene) oder außermathematische Fragen (Ebenen für Wissenswertes und Historisches) als stimulierende Motivationen notwendig sind. Die Darstellung wird sich auch an schwächeren SchülerInnen und an Menschen, die den Zweiten Bildungsweg einschlagen, orientieren und entsprechend einfühlsam gestaltet sein.

Bisherige Förderungen des Gesamtprojekts "CD-ROM Mathematik"

Das Gesamtprojekt "CD-ROM Mathematik" (dessen Laufzeit mit etwa zwei Jahren und dessen Kosten mit etwa zwei Millionen Schilling veranschlagt wurden) wurde im April 1997 im Bundesministerium für Unterricht und Kulturelle Angelegenheiten eingereicht und in einem Begutachtungsverfahren positiv beurteilt. Die gewährte Förderung (mit einem Betrag von öS 200 000.-) deckt allerdings nur einen kleinen Teil der Gesamtkosten ab.

Der Verband Wiener Volksbildung beteiligt sich (mit einer Summe von öS 100 000.-) und wird eine Testphase der CD-ROM in Kursen des zweiten Bildungsweges (Studienberechtigungsprüfung und Berufsreifeprüfung) ermöglichen. Den Vertrieb und die Bewerbung wird der Verlag Hölder-Pichler-Tempsky übernehmen. Außerdem wurden einige Unternehmen der österreichischen und der internationalen Wirtschaft um Unterstützung im Rahmen ihrer Sponsoringaktivitäten ersucht. Hier stehen definitive Zusagen (bis August 1997) noch aus.


Strukturierung des Gesamtprojekts "CD-ROM Mathematik"

Um die Stellung des Projekts "Hypertextstruktur für CD-ROM Mathematik" im Rahmen des Gesamtprojekts "CD-ROM Mathematik" zu verdeutlichen, sei die Strukturierung des letzteren in verschiedene Arbeitsschritte dargestellt:

Hypertextstruktur für CD-ROM Mathematik

Das Projekt "Hypertextstruktur für CD-ROM Mathematik" (Punkt 1 der obigen Aufstellung des Gesamtprojekts) versteht sich als Versuch, eine innovative didaktische Dimension für den Einsatz elektronischer Medien beim Lernen von Mathematik zu entwickeln. Gestützt auf einen wissenschaftlichen Hintergrund und praktische Lehrerfahrung sollen Prinzipien einer didaktisch motivierten Anwendung der Hypertext-Technologie erstellt und im Rahmen des Gesamtprojekts "CD-ROM Mathematik" im Detail verwirklicht werden.

Das elektronische Medium bietet eine strukturelle Gestaltungsmöglichkeit, die im Schlagwort "Navigationssystem" zusammengefaßt werden kann. Vereinfacht gesagt, geht es dabei um die Möglichkeit, mit Hilfe von Hyperlinks (die ähnlich wie im World Wide Web funktionieren) Rückgriffe auf frühere (logisch vorgelagerte) Stoffteile - die ja auch in der konventionellen Buchform theoretisch gegeben sind - erheblich zu vereinfachen. Möglichkeiten, gezielt auf frühere Stoffteile zuzugreifen, sind von zentraler Bedeutung für Benützer, die auf transparente Weise über die notwendigen "Voraussetzungen" für den jeweils bearbeiteten Abschnitt informiert werden wollen. Dadurch verbessert sich die Möglichkeit, an beliebiger Stelle in das Medium einzusteigen. Klarerweise sind aber auch Vorgriffe und Querverweise möglich.

Einerseits handelt es sich bei einem derartigen Einsatz der Hypertext-Technologie um eine schlichte Hilfe, die langes Blättern in Stichwortverzeichnissen und das Suchen nach Querverweisen zu einem großen Teil überflüssig macht.

Andererseits kann bei gezielter, didaktisch fundierter Plazierung dieser Verbindungen der logische Aufbau der Präsentation unterstrichen werden. Vereinfacht gesagt: die "logische Struktur der Mathematik" selbst, ebenso wie der "momentane Standort" im Hinblick auf das logische Ganze des Stoffs, können durch ein gezielt entwickeltes Hypertext-Design unterstrichen und vom Lernenden besser verstanden werden. Es versteht sich, daß dabei eine inflationäre Verwendung von Hyperlinks (wie sie leider vom World Wide Web, aber auch von CD-ROM-Produkten her bekannt ist) vermieden werden muß. Diese Möglichkeiten dringen zunehmend ins Bewußtsein des an einem pädagogisch sinnvollen Einsatzes sogenannter "Network Technologies" interessierten Personenkreises, vor allem in den angelsächsischen Ländern. Auf allgemeiner pädagogischer Ebene existieren zahlreiche Anregungen, einzelne theoretische Beiträge und Erfahrungsberichte, die sich sowohl in Printmedien wie auch am World Wide Web verstreut finden. Einen Ausschnitt des gegenwärtigen Standes bieten etwa die vom U.S. Department of Education zusammengestellte Sammlung von Aufsätzen [1] und die Dokumente "Communicating Mathematics with Hypertext" der University of Minnesota [2]. Die vom britischen National Council for Educational Technology zur Verfügung gestellten Texte [3] (insbesondere die Abteilung "CD-ROM in Schools Scheme" [4]) zeigen die bereits vorhandene technische Vielfalt der diesbezüglichen Software und erste Erfahrungen ihrer Aufnahme in den Erziehungsbereich. Insgesamt wurde allerdings noch kaum eine systematische Spezialisierung auf die Didaktik der Mathematik vorgenommen.

Die Entwicklung eines Netzes von Hyperlinks, die an für den Verstehensprozeß zentralen Positionen des Stoffgebäudes verankert sind, sowie ihre benützerfreundliche Kennzeichnung, sind Gegenstand des Projekts "Hypertextstruktur für CD-ROM Mathematik". Der theoretische Grundgedanke ist dabei, sich auf diese Weise eine gewisse strukturelle Verwandschaft zwischen dem Charakter des Stoffs und seiner Einbindung in das elektronische Medium zunutze machen. Letzteres wird dann nicht nur ein für den Benützer bequemes Medium, sondern erleichtert entscheidend den im Zentrum stehenden mathematischen Erkenntnisprozeß, der das wesentliche Ziel jeglichen Mathematikunterrichts bildet. Die Hypertextstruktur einer multimedialen Lernhilfe erhält somit eine direkte didaktische Funktion.

Wenn vom logischen Ganzen des Stoffs die Rede war, so ist dies natürlich ein problematischer Begriff. Wird der Stoff grob in einzelne, nicht allzu viele Kapitel unterteilt, so ist eine logische Aufstellung, etwa nach dem Muster eines Baumdiagramms, nicht möglich. (Beispiel Winkelfunktionen: Nach einer elementaren Einführung, die eine Plazierung dieses Kapitels vor den Kapiteln über Differentialrechnung, Integralrechnung, Vektorrechnung, analytische Geometrie und komplexe Zahlen ermöglicht, werden in all diesen erwähnten späteren Kapiteln weitere Eigenschaften der Winkelfunktionen besprochen und hinzugefügt).

Andererseits kommt eine klare Unterteilung in Kapitel, unterstützt durch eine graphische Ansicht ("Orientierungsplan"), dem Benützer entgegen. Daher ist der Stoff in zwei "Ebenen" gruppiert, die einerseits dem groben Schema "leicht" (Ebene 1) und "schwer" (Ebene 2) entspricht, andererseits aber dem Problem des logischen Aufbaus Rechnung trägt: Innerhalb der Ebene 1 soll so vorgegangen werden, daß der Stoff in logischer Hinsicht tatsächlich durch einen graphischen Orientierungsplan dargestellt werden kann. Ein Beispiel für einen solchen Plan stellt Abbildung 1 dar. (Er versteht sich noch nicht als endgültige Version und umfaßt nur einen Teil der Kapitel. Die logischen Pfeile gelten, wie gesagt, in erster Linie für die "leichteren" Text- und Beispielebenen 1). Es ist uns bewußt, daß hierbei Mehrdeutigkeiten bestehen und die realisierte Lösung nur ein Kompromiß zwischen verschiedenen Gesichtspunkten sein kann. (So ist es z.B. möglich, die komplexen Zahlen ohne logischen Bezug auf das "frühere" Kapitel Vektorrechnung zu behandeln, ja die wenigen benötigten Elemente der zweidimensionalen Vektorrechnung eigens dort zu entwickeln, was eine änderung der Graphik in Abbildung 1 implizieren würde. Ebenso gibt es für das Verhältnis der Kapitel Wahrscheinlichkeit und Statistik verschiedene didaktische Zugänge). Im Falle von Wiedervereinigungen früherer Verzweigungen sind im Prinzip alle vorgelagerten Kapitel als Voraussetzungen anzusehen. Jedoch soll die Auslassung einzelner dieser früheren Kapitel (z.B. Winkelfunktionen oder Exp + Log als Voraussetzung für Differentialrechnung in Abbildung 1) in der Praxis durch eine klare Gliederung des Stoffs und entsprechende Anmerkungen in einem gewissen Ausmaß möglich sein. Das in Ebene 1 behandelte Stoffgebiet ist generell eher knapp gehalten. Der Orientierungsplan soll darüberhinaus zum Anwählen gewünschter Stellen (Abbildung 1 stellt beispielhaft dar, wie die Beispielebene 2 des Kapitels Differentialrechnung angewählt wird) sowie für weitere Zwecke (Abfrage des Ziels von Hyperlinks - siehe unten, Darstellung der bisher absolvierten Stoffabschnitte mit Erfolgskontrolle, Ausklammerung einzelner Kapitel für bestimmte Curricula) genützt werden.

Auf der Basis dieses groben Schemas (Kapitel, Ebenen) kann die Hyperlinkstruktur entwickelt werden. Hierbei ist folgendes zu beachten:

In herkömmlichen Schulbüchern wird von den Möglichkeiten, Rückgriffe und Verweise einzusetzen, kaum Gebrauch gemacht (ausgenommen sind vielleicht Verweise auf Beispiele in der näheren Umgebung des erklärenden Texts). Das erklärt sich zum Teil aus der Buchform als solcher und ist nicht als Kritik an einzelnen Werken zu verstehen. Ich habe versucht zu zeigen, daß das elektronische Medium hier neue didaktische Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Der innovativen Charakter des Vorhabens besteht vor allem darin, (i) diese Möglichkeiten im Detail auszuarbeiten und (ii) im Rahmen des Gesamtprojekts "CD-ROM Mathematik", das in der konzipierten, umfassenden Form bislang konkurrenzlos zu sein scheint, anzuwenden.


Beispiel: Extremwerte

Als Beispiel sei hier ein Entwurf für die "Feinstruktur" (Knoten) der Textebene 1 des Kapitels Extremwerte und der davon wegführenden Hyperlinks (vom Typ R, V und Q) skizziert. Die Hyperlinks in andere Ebenen desselben Kapitels sind dabei ausgeklammert. Manche der Knoten werden bei der Ausarbeitung noch feiner unterteilt werden. Dieses Skizze soll unter anderem auch die sparsame Plazierung der Hyperlinks verdeutlichen. Die Verwendung nicht-polynomischer Funktionen, die Hyperlinks zu deren Definitionen und Ableitungsregeln sinnvoll macht, wird in die Ebene 2 aufgenommen. Zusätzlich soll in Ebene 2 dieses Kapitels die Methode der Lagrange'schen Multiplikatoren besprochen werden. Das für einfache Beispiele notwendige Ausmaß an partiellem Differenzieren kann hier self-contained entwickelt werden und gleichzeitig durch einen Hyperlink (Q --> partielle Ableitung) in einen größeren Zusammenhang gestellt werden. Außerdem soll auf die Struktur höherdimensionaler Problemstellungen eingegangen werden (Q --> lineare Optimierung).


Schlußbemerkung

Wie erläutert, besteht die Rolle des elektronischen Mediums zu einem großen Teil darin, eine über die traditionelle Buchform hinausgehende Dimension der Didaktik zu eröffnen. Es unterstützt hier Prozesse, die "an sich" vom Medium unabhängig sind. Durch den gezielten Einsatz navitagorischer und interaktiver Elemente wird die Selbständigkeit und Phantasie der Benützer in den Dienst der Vermittlung von Mathematik genommen.

Die Tendenz zu verschiedenen Formen des Selbst- und Fernstudiums (auf jeden Fall in der Erwachsenenbildung, möglicherweise sogar im Regelschulsystem) entspricht einem globalen Trend. In manchen Situationen (insbesondere im Zweiten Bildungsweg, der oft von Menschen eingeschlagen wird, die die meisten - auch inneren - Bezüge zu ihrer Schulzeit bereits verloren haben, wird das multimediale Lehrmittel die Beschäftigung mit Mathematik auf dem erforderlichen Niveau erst ermöglichen.

Nicht zuletzt aus Gründen einer möglichst weitgehenden Chancengleichheit aller an mathematischer Bildung interessierter Menschen erscheint es sinnvoll, ein einheitliches Lehrmittel zu entwickeln, das dem vollen AHS- und BHS-Niveau Rechnung trägt, sinnvolle Erweiterungen für einzelne Universitätsstudien enthält und es erlaubt, die erforderliche Tiefe der Durchdringung des Stoffs dem jeweiligen Bildungsziel anzupassen. Für das gesamte Spektrum von Einsatzmöglichkeiten eines derartigen Produkts besteht eine steigende Nachfrage.


Ansuchen

Ich ersuche um die Förderung des Projekts "Hypertextstruktur für CD-ROM Mathematik" mit einer Summe von einer Million Schilling für die Dauer von zwei Jahren. Die im Rahmen des Projekts anfallenden Arbeiten werden vom Antragsteller und der Mitarbeiterin des Gesamtprojekts "CD-ROM Mathematik", Frau Petra Oberhuemer, durchgeführt werden.


Literatur

[1] http://www.ed.gov/Technology/Futures/overview.html

[2] http://www.geom.umn.edu/events/courses/1996/cmwh

[3] http://www.ncet.org.uk

[4] http://www.ncet.org.uk/projects/CD-ROM/schools/index.html