"Dialog zwischen Religionen";
erschienen in "Ashikabi",
Tokyo, Juli 2000;
ins Dt. übers. von HASHI Hisaki.
Herr Dr. Erwin Bader ist Professor am Institut für
Philosophie der Universität Wien, sein Fachgebiet ist
"Sozialphilosophie". Die "Sozialphilosophie" in Wien ist
ziemlich unterschiedlich von der des allgemein zugänglichen Konzeptes bei uns.
Sozialphilosophie als solche läßt sich in Japan in einer Systemtheorie über das
Wesen eines Staates oder der bürgerlichen Gesellschaft darstellen. Prof. Bader
beschäftigt sich aber auch mit der Friedensbewegung, die auf die Dialogkultur
zwischen Religionen bezogen ist. Herr Bader ist dabei selbst ein Aktivist. Er
versteht dies als Ausübung interkultureller Beziehungen. Von unserer Sicht aus
ist es fast unglaublich, daß es in der universitären Philosophie in Wien ein
Fachgebiet für Religion und Frieden gibt.
Auf der Grundlage seines wissenschaftlichen Interesses liest
Prof. Bader jetzt an der Universität Wien über: "Christliche
Sozialphilosophie - Einführung". Er behandelt darin die Problematik, wie
die Philosophie der Wahrheit des Ewigen (philosophia perennis) und das
Denken des Menschen in der Realität vereinigt werden können. (Der Begriff der philosophia
perennis stammt von Thomas von Aquin. Dessen Theologie behandelt die
metaphysische Wahrheit in einer transzendental-historischen Hinsicht.) Das
Interesse Baders ist stets von den beiden Aspekten - sowohl vom theoretischen
als auch vom praktischen - geleitet. Der Brennpunkt seines Interesses liegt
darin, wie man in der komplexen Struktur der Gesellschaft in unserer Zeit eine
humane und soziale Gemeinschaft konstruieren kann. Er leitet derzeit eine
Arbeitsgemeinschaft am selben Institut der Universität Wien:
"Sozialphilosophie - Aktuelle Probleme der Friedensforschung".
Er trägt das Kreuz in seinem beruflichen Alltag. 1)
Daraus kann man das Engagement Baders ersehen: Auf der Suche
nach den Berührungspunkten von Gesellschaft und Menschen orientiert er seine
Forschung. Basierend auf seiner sozialphilosophischen und
religionsphilosophischen Kenntnis richtet er den Brennpunkt seiner Forschung
auf die Probleme der gegenwärtigen Gesellschaft in Europa. Er hat u.a. einen
Aufsatz über den Beitritt Österreichs in Europäische Union geschrieben. Sein
eigentliches Fachgebiet liegt meinem eigenen sicher nicht nahe. Er war aber
einer der ersten, der bei den Philosophen in Wien mit mir einiges ausführlich
diskutiert hat. Ich möchte zuerst etwas von der Denk- und Verhaltensweise Prof.
Bader in betreff des "Beitritts Österreichs in EU" ? ein sehr
aktuelles Problem für Österreicher ? präsentieren. Danach gehe ich in eine
ausführliche Reflexion seiner Thesen über Religion und Religionsphilosophie ein.
Zum Beitritt Österreichs in die EU hat Bader ein besonderes
Verständnis. Darin zeigt sich sein eigentliches Verhalten als religiöser
Friedensaktivist. Nach der Volks- abstimmung des Jahres 1994 hat sich
Österreich für den Beitritt in die EU entschlossen. Die Entscheidung trat im
darauffolgenden Jahr 1995 in Kraft. Prof. Bader urteilte aber, daß diese
Volksabstimmung anläßlich des EU-Beitritts im Hinblick auf die parlamentarische
Demokratie der Republik Österreich inkorrekt gewesen sei. Er leitete dagegen
Argumente aus dem Verfassungsrecht ab und brachte sie vor dem
Verfassungsgerichtshof vor. Er meint: „Das österreichische Volk wurde als
Souverän der Entscheidung übergangen, wurde überrumpelt und zu einer
Entscheidung überredet.“2)- Es wurde in einem Monat alles entschieden,
in welchem der parlamentarische Beschluß für die Volksabstimmung, die
Bestimmungen des notwendigen Gesetzes und die Bekanntgabe des Termins der
Volksabstimmung gegeben wurden. Bader vertritt die Meinung: "Die
Volksabstimmung galt in jenem Fall nicht als das Mittel der Demokratie,
sondern als der Weg zur Diktaturpolitik." Er stellt nicht nur die
Kürze der Zeit für die Entscheidung, sondern auch folgendes Problem heraus: Das
neue Gesetz für den EU-Beitritt verstoße unter Umständen gegen die jetzige
Staatsverfassung der Republik Österreich. Außerdem kommt folgende Realität in
Erscheinung: Der neue Zustand des EU-Beitritts bringt Änderungen der Grundlage
der herkömmlichen Wirtschaft und Politik Österreichs. Daraus kann sich die
Umänderung sämtlicher Inhalte der gegenwärtigen Staatsverfassung Österreichs
ergeben. Diese Änderung postuliert eine Modifikation und Reform der
gegenwärtigen Verfassung. Ein Rückweg zum früheren Zustand sei unmöglich. Die
Entscheidung für den EU-Beitritt bedeutete eigentlich eine Revolution im Staatsrecht
Österreichs. ? "Ein beträchtlicher Verstoß gegen die Staatsverfassungen,
daß dem Souverän eine so wichtige Entscheidung in nur einem Monat abverlangt
wurde."*)
Prof.
Baders Position gegen den EU-Beitritt hat folgende zwei Gründe:
1.
Mit Bezug auf das Verfahren zur endgültigen Volksabstimmung:
Der
voreilige Beschluß war undemokratisch, weil die österreichischen Staatsbürger
dadurch mit einem Nachdenkverbot belastet wurden. Prof. Bader führt die
Ereignisse der vergangenen Geschichte zur Zeit des Nationalsozialismus an und
meint: "Damals wurde das Denkverbot in einer positiv offenen Art ausgeübt.
Jetzt ist es in einer negativen Art erschienen." Mit bezug auf die
Relevanz der Kritik zitiert er Karl Popper. Abgesehen von Details der Position
Poppers kann man sagen: Popper repräsentierte die Notwendigkeit einer offenen,
liberalen Gesellschaft. Dabei hat er die These der „falsibility“ aufgestellt.
Dies wurde bereits von J. St. Mill vertreten: Die Wahrhaftigkeit einer These
wird bestätigt, erst wenn sie sich auf der Basis der Liberalität von
mannigfaltigen Kritiken verteidigen kann. Die offene Möglichkeit der
Falsifikation sollte einerseits wissenschaftlich und andererseits liberal und
demokratisch betrieben werden. Die beiden Aspekte beziehen sich auf die
Relevanz der offenen Kritiken.
2.
Mit Bezug auf den Inhalt des Konzeptes der EU:
Die
EU richtet sich derzeit meistens nach der Möglichkeit der wirtschaftlichen
Entwicklung. Darin sind wichtigere Probleme zumeist außer acht gelassen,
nämlich: die geistige und moralische Entwicklung der Menschen in der
Gesellschaft. Nicht nur das Problem im geistigen Bereich, sondern auch die
Problematik der Ökologie und des Umweltschutzes müssen darin enthalten sein. In
seinem Buch "Für ein Europa des Geistes" Auf Seite 4 sieht man
eine karikaturistische Darstellung: Darin zeigt sich die Struktur der groben
Handlung von Kapitalisten, daß sie aufgrund von Opfern von Pflanzen, Tieren und
der Umwelt ihre Geldmittel ansammeln. Bader kritisiert den Verfall der Menschen
im Materialismus und ihre einheitliche Verehrung des Geldmittels heftig. In
Anbetracht dieser Situation sieht er ein weiteres Problem: Der Beitritt in die
EU führt die Republik Österreich zum Verlust der politischen Neutralität und
forciert den Beitritt zur NATO.
Nun
im Januar 1999 war die Entstehung der neue Währung „Euro“ in ganz Europa ein
feierlich-aktuelles Thema. Hingegen wurde sie in den Medien Japans kaum
aufgenommen. Es gibt wenig Artikel, in denen der Fortgang der EU kritisch in
Betracht gezogen wird. Im Buch der "Zukunft Österreich"3)
sieht man aber, daß die Kritik gegen die EU potentiell vorhanden ist. Prof.
Bader bezeichnet sich selbst alsEU-Skeptiker. Allerdings ist er kein Gegner
Europas. (Anm. 2, S. 48.) Er sagt: "Die EU-Skeptiker sind also
kritische Denker, die Europa lieben; nur wollen sie nicht blind an die
Konstruktionen dieser EU glauben." (Anm. 2, S. 49.)
Der jetzigen EU setzt er ein "Europa des Geistes" entgegen.
Repräsentiert wird darin: das Verhalten für die Schätzung des Friedens, der Gerechtigkeit
und der geistigen Entwicklung. Zweifellos ist die Tatsache, daß diese
Motivation von seinem Glauben an das Christentum ausgegangen ist.
Was ist die Anschauung Baders, der bei diesen gegenwärtigen
politischen Problemen scharfsinnig reagiert? Wir können dies in seinem Aufsatz
untersuchen, in dem er die Möglichkeit und Problematik des Dialogs zwischen den
Religionen der Welt (Christentum, Buddhismus, Islam u.a.) aus der Position des
Friedensaktivisten erläutert. Einerseits wird seine Position auf die Praxis
eines Christen orientiert. Andererseits ist seine wissenschaftliche Position im
Aufsatz des "Friedensdialogs der Weltreligionen", einem Bericht des
internationalen Symposiums an der Universität Wien, entwickelt:
Darin wird der Materialismus - eine dominierende Tendenz in
der ganzen gegenwärtigen Welt- aufgezeigt: Die Menschen entfliehen den
ernsthaften Fragen der Religion. Die meisten Europäer in der Gegenwart
unterliegen der Dominanz des Atheismus. Nicht nur die Menschen, sondern auch
Naturwissenschaft und Technik sind von der globalen Struktur der „Konsumenten-Gesellschaft“
bzw. "Herrschaft der Geldmittel" versklavt. Sie fördern eine
weitgehende Industrialisierung der ganzen Welt. Mit Bezug auf diesen kritischen
Punkt sagt Herr Bader, daß der Ursprung der Religionen der europäischen Kultur
genau erforscht werden soll. 4)
Man bekommt den gewissen Eindruck, daß sein Bewußtsein der
krisenhaften Situation der ganzen Gesellschaft intensiv und beträchtlich ist.
Dabei ist seine grundlegende Stellung bemerkbar: Daß das Rettende aus dieser
Problematik eigentlich die Religion ist. Ich muß aufrichtig sagen: Von uns, den
gewöhnlichen japanischen Bürgern, ohne bestimmtes Bekenntnis, aus gesehen, ist
dieses Vertrauen in die Religion fast unglaublich. Auch wenn einige Leute bei
uns mit dem derartigen Vertrauen in die Religion ihre Meinung vertreten,
zweifelt man bei uns eher daran, ob und wieweit ihr Glauben für die
durchschnittlichen Bürger der allgemeinen Gesellschaft verständlich und reich
an Inhalt ist. Aber ich wiederhole: Auf der Universität Wien gibt es
Vorlesungen mit jenem religiösen Inhalt, geleitet von Prof. Bader. Kurz: Das
katholische Christentum hat in Österreich noch beträchtliche Einflüsse auf die
reale Gesellschaft. Ich erlaube mir einen voreiligen Schluß: Wenn Bader den
hohen geistigen Inhalt der christlichen Religion hervorhebt, ist dabei nicht
nur die Entwicklung der inneren Welt der Seele zum Problem gestellt, sondern
das enthält auch folgende Position: "Der Geist vernachlässigt keineswegs
die Problematik der materiellen Welt. Der erstere kann die letztere ändern, und
zwar in einer vornehmen Art und Weise."
Prof. Bader zitiert folgende Hypothese eines Soziologen:
"Gott nimmt Anteil am gesamten Leben der Menschen..." (Anm. 4, S.
20.) [Gerhard Lenski, Religion und Realität, Köln 1967, S. 27] Gemeint ist
der Aufbau des Reichs Gottes in der Welt. Unterstützt von diesem Aspekt kam die
Motivation des Herrn Bader als christlicher Friedensaktivist zustande.
Interessanterweise
beruft er sich bei der Kritik an der gegenwärtigen Gesellschaft auf Karl Marx,
den Revolutionsaktivisten. Natürlich läßt sich die Position Baders von der des
Marx als Materialisten und Atheisten unterscheiden. Doch muß man hierzu sagen: Mit
Bezug auf das kritische Bewußtsein gegenüber der gegenwärtigen Gesellschaft
stünde Herr Bader auf einem gemeinsamen Nenner mit K. Marx. Mit anderen Worten:
Eine Religion verschmilzt in die Psyche der Menschen dadurch, daß sie sich mit
der Realität der gegebenen Gesellschaft scharf und kritisch befaßt. Die
Religion sollte sich mit der Entfremdung der Humanität der ganzen Gesellschaft
auseinandersetzen. K. Marx erweiterte seine Besinnung in die Richtung der
Kritik am Kapitalismus und dessen Handelswirtschaft. Abgesehen von der
umgekehrten Richtung des Aufstrebens der Religionen und des Marxismus kann man
folgenden Punkt als einen gemeinsamen Nenner bringen, nämlich: Die scharfe,
reflexive Kritik, die offen an der gegenwärtigen Gesellschaft ausgeübt wird.
Nun
erinnert mich dies an die Tendenz, die in der ehemaligen Sowjet-Union (Rußland)
angesiedelt war: Es ging darum, wie die Religion und der marxistische
Sozialismus in Verbindung gesetzt werden könnten. Auf der einen Seite strebte
man nach dem Materialismus und dem Atheismus. Auf der anderen Seite pflegte man
in der damaligen Sowjet-Union doch die religiöse und mystische Tendenz, die in
der volkseigenen Mentalität der Russen üblich ist. Der marxistische Sozialismus
machte letzten Endes das Leben der allgemeinen Bürger der ehemaligen
Sowjet-Union nicht ganz glücklich. Auf Grund dieser Tatsache kam es zur Folge,
daß die Religion und der volkstümliche Glaube doch noch auf der inoffiziellen
Ebene gepflegt und bewahrt wurden.
K.M.
Kantor vertritt die Meinung, daß im Zeitpunkt des Zusammenbruchs der
Kommunisten der Marxistische Sozialismus sich in einer Utopie dargeboten hat.
Diese Utopie war ähnlich wie die des Christentums. Seiner Ansicht nach hatten
die beiden Positionen, Marxismus und das Ur-Christentum, den einheitlichen
Zweck, der dahin geht: wie die Menschheit als Ganzes erlöst werden kann. Eine
utopische Idee wurde hervorgehoben, und zwar mit dem Ziel der Realisierung der
Gleichheit aller Weltbürger. Beide vollzogen die Kritik an der Realität und
stellten die Abschaffung des Privatbesitzes und des Organismus des gegebenen
Staates als die nach- vollziehbaren Aufgaben. Kantor meint, daß Christentum und
Kommunismus beide die Freiheit der ganzen Menschheit als den Endzweck ihrer
Tätigkeit bestimmt haben.5)Selbstverständlich muß man sagen, daß diese
Stellungnahme ziemlich einseitig ist. Dabei ist der eigentliche Standpunkt des
Marxismus als Materialismus und Atheismus absichtlich ausgelassen. Aber mein
Interesse liegt hier nicht in der Untersuchung des grundsätzlichen Charakters
des Marxismus, sondern es geht darum: Warum konnte sich in der ehemaligen
Sowjet-Union jene Tendenz der Dualstruktur von Religion und Sozialismus
ergeben? In der japanischen Gesellschaft kann man diese Tatsache kaum für wahr
halten. Jedenfalls ist klar: Das Thema der Erlösung der Menschen durch die
Religion wurde in jenem Land angesiedelt. Bemerkenswert ist, daß auch der
marxistische Sozialismus bzw. Kommunismus im Zusammenhang mit jenem religiösen
Aspekt interpretiert wurde.
Zurück zum Aufsatz von Prof. Bader! Nach der Anführung des
Grundgedankens von Marx meint er, daß die fortlaufende Materialisierung der
ganzen Welt eine Zwischenstufe, die im Phänomen der Gesellschaft mittlerweile
erscheint. Die Menschheit muß diese Stufe überschreiten. Zum Zweck der weiteren
Entwicklung des Weltfriedens ist der Dialog zwischen den Weltreligionen,
Christentum, Buddhismus und Islam, postuliert. Bader bestimmt, daß das
hauptsächliche Mittel der Stiftung des Weltfriedens in dem „Protest gegen
Gewalt“ und dem "Dialog" der Religionen liegt. Allerdings merkt er
interessanterweise im voraus an: Nicht alle Religionen können als gleichwertig
behandelt werden.
Er verhält sich der sog. New Age Mouvement oder dem Mystizismus, die in
den USA u.a. in letzter Zeit aktuell ist, kritisch gegenüber. Der
"Mystizismus" entspricht der "Esoterik" im heutigen
Deutsch. Es gibt im Buchhandel ein Regal für das Fach Esoterik. Ich habe in
Wien etliche spezifische Buchhandelungen für Esoterik gesehen. Der sog. Occultism,
Horoskop, Interessen an mystischem Phänomen usw. sind sowohl in Wien als auch
in den Großstädten in Japan üblich. Im Buchhandel in Japan gibt es in letzter
Zeit das Fach der „Geistigen Welt“, das zwischen Religion, Philosophie,
Psychologie u.a. ihr eigenes Regal hat. Dies entspricht der "Esoterik".
Vor einigen Jahren war dieses Fach nicht üblich. Im übrigen habe ich einige
Geschäfte für esoterische Edelsteine in Wien gesehen: „Eine bestimmte Art von
Stein bringt das Glück, wenn man ihn stets bei sich hält“ Sie werden manchmal
neben den homöopathischen Mitteln verkauft. Horoskope stehen in den Zeitungen
in Wien. Prof. Bader ist der Meinung, daß Fanatismen, zerstörerische Sekten und
andere Lehren des der Religion naheliegenden Esoterismus keinesfalls als
Religion betrachtet werden dürfen. In der japanischen Gesellschaft kann man
diesbezüglich die sog. ÑAum-Sekteì als einen Typus vorstellen.
Wichtig ist, daß Bader zur Religion allgemein eine bestimmte Selbstkritik
ausübt. Er sagt: "Die Kritik an den Religionen hat dennoch einige
berechtigte sozialphilosophische Argumente für sich." (Anm. 4, S.
22.) Er ist kein bloßer Christ, sondern auch ein kritisch reflexiver
Wissenschaftler. Er stellt die Gegenstände seiner Erfahrung als Objekte seiner
Forschung zum Nachvollziehen der wissenschaftlichen Wahrheit. Als ein
Universitätslehrer hält er sein Bekenntnis: er ist aber nicht dazu
verpflichtet, vom Bekenntnis der eigenen Religion zu bekunden. Der Grund, warum
ich ihn schätze und mit ihm diskutieren kann, liegt eben in diesem Punkt.
Hier entsteht das Verhältnis der Religionswissenschaft als Theorie und der
Religion als Praxis. Praktiker der Religion müssen aufgrund ihres Bekenntnisses
ihre Lehre aktivieren. Aber Religionswissenschaftler müssen zu der Religion
eine gewisse Distanz halten. Denn die Erscheinung der Religion ist Gegenstand
seiner/ihrer objektiv-wissenschaftlichen Forschung. Wenn auch er/sie an einer
bestimmten Lehre der Religion glaubt, ist ihm/ihr postuliert, ein kritisch reflexives
Verhalten der Religion gegenüber aufzuweisen. Fukazawa, der
Religionswissenschaftler, betont die "Kritische Funktion der
Religionswissenschaft".6)Wenn man die Religionskritik in der neuzeitlichen
Aufklärung betrachtet, ist klar, daß das Christentum seither die regelmäßige
Kritik an sich selbst ausübt und sich dementsprechend verändert. Die
Religionswissenschaft muß zugleich den bestimmten Religionen kritisch
entgegenstehen. Für Bader besteht eine derartige Aufgabe.
Manche Praktiker der Religionen lassen die Fehler und Übeltaten ihrer eigenen
Religion als vergangene Sachen außer acht. Sie verhalten sich als richtige
Vertreter und reden nur von den schönen Seiten ihres eigenen Bekenntnisses.
Manche andere ohne Bekenntnis können nicht umhin, Religionen zu bezweifeln.
Bader repräsentiert demgegenüber die Position: "Der dogmatische Verfall
der christlichen Religion führte zum Ausbruch der Religionskriege. Dies muß man
aufrichtig bekennen und sich kritisch gegen den Krieg besinnen. Dies ist eben
der Ausgangspunkt der Religionswissenschaft. "Der 30jährige Krieg zwischen
Katholiken und Protestanten des Anfangs des 17. Jhdts. führte dazu, daß sich
die Gesamtbevölkerungszahl in Deutschland von 18.000.000 auf 7.000.000
verringert hat. Bader: "Religionskrieg ist eine fehlgeschlagene Ausübung
der Fähigkeit der Religion selbst." (Vgl.Anm. 4,S. 21.) Herr Bader
beobachtet aufmerksam die gewaltigen Auseinandersetzungen in Bosnien und
Irland: In ihrem Hintergrund bleiben unterschiedliche Religionsbekenntnisse. Er
verweist darauf: "Vermutlich ist die Gewaltlosigkeit in irgendeiner Form
mit dem Kern aller Religionen überhaupt eng verknüpft. Unter diesem Aspekt
werden nicht nur Religionskriege grundsätzlich vermeidbar, sondern die
Religionen können wohl als Schutz gegen Kriege aller Art dienen." (Vgl. Anm.
4,S., 25.) Meiner Ansicht nach hat diese ernsthafte Konfrontation, die bei
Bader der Fall ist, zum Wiederherstellen und Anerkennen der Religion einen
wichtigen Beitrag zu leisten.
Prof. Bader vertritt in Bezug auf die Rolle und Funktion der
Religionen folgende These: Nicht jede Religion erfüllt diese Funktion, doch als
Ideal kann man sehen, daß jede einzelne Religion folgende Bedingungen im
allgemeinen erfüllen kann:
1. Eine Religion hat einen bedeutenden Anteil an einer Gesellschaft. Die
Religion kann die Gesellschaft ändern. (A .a. O., S. 20.)
2. Religion ist dazu fähig, Menschen an Ethik zu wenden. Religion schärft
das Gewissen. Der Frieden in der innerpsychischen Welt eines Menschen kann aus
der Religion entstehen. (A.
a .O., S. 25ff.)
3. Religion erstrebt die Lösung der Problematik von Leben und
Sterben. Nicht nur für das Leben, sondern auch zur Bedeutung des Sterbens sucht
die Religion eine positive Antwort.
4. Religion schafft eine Gemeinschaft, in welcher die Menschen ihre
seelische Ruhe finden können.
5. Religion schafft die Ehrfurcht an Gegenständen der Erfahrung: z.B. die Ehrfurcht vor dem Leben.
6. Religion hat in verschiedener Hinsicht die Funktion
des Nachvollziehens eines kritischen Geistes. Der kritisch sinnenden Geist
richtet sich einerseits selbst- verständlich auf das eigene Ich, andererseits
richtet er sich auf andere Menschen, die Gesellschaft und die Politik.
Nun,
jene sechs Anhaltspunkte können dem Sinn der gegenwärtigen Weltreligionen, dem
Christentum, dem Buddhismus und dem Islam entsprechen. Wenn eine sinnvolle
Religion existiert, sollte sich auf jene sechs Bedingungen erfüllen. Die
wahrhafte Religion sollte sich auf jenen sechs Punkten gründen. Sie strebt nach
diesem Ideal. Ich habe den Grundgedanken Baders so interpretiert, daß die
Grundgesetze der Religionen in diesem Prototypon dargestellt werden können.
Im
folgenden möchte ich zu jedem einzelnen Punkt meine Gedanken ergänzen:
ad.
1. Man kann in unserer Zeit nicht behaupten, daß Religion ausschließlich den
Modus der Veränderung der Gesellschaft einnimmt. Gleichzeitig muß man bemerken,
daß die Funktion der Religion nach dem Zusammenbruch des Marxismus wieder
zunehmend Bedeutung gewinnt. Der Sozialismus besagt: "Ohne Gewalt besteht
keine Revolution." (Vgl. A .a. O., S. 21f.) [An der
angegebenen Stelle findet sich folgendes Zitat von Fr. Engels: "Eine
Revolution ist ... ein Akt, durch den ein Teil der Bevölkerung dem anderen
seinen Willen vermittels Gewehren, Bajonetten und Kanonen... aufzwingt."
Marx-Engels, Ausgew. Schr. in 2 Bdn, Bln 1951,Bd. 1, S. 602.] Diese Art der
Revolution ist aber an gewissen Grenzen gescheitert. Jetzt ist die Rolle der
Religionen wieder aufgewertet. Die letzteren repräsentieren den Gegensatz der
Revolution, nämlich den Verzicht auf jegliche Gewalttat und den daraus
resultierenden Frieden. Blickt man nun auf die vergangene Geschichte, ist klar,
daß es in der Wende zwischen dem 19. und dem 20. Jahrhundert in Österreich die
Christliche Sozialpartei gab. Karl Lueger, der damalige Bürgermeister der Stadt
Wien stammte aus dieser Partei. Er führte verschiedene Reformen für die Stadt
durch und fand Zustimmung und Beifall von den Bürgern. Die Behauptung Baders im
Punkt 1 hebt sich für Österreich nicht von der Realität ab.
ad
2.Kein Zweifel, daß Religionen die Förderung der Ethik und des moralischen
Bewußtseins als das Zentrum ihrer Lehre halten. Am Beispiel des Verzichtes auf Gewalt
verbieten Religionen Amoralisches. In der sog. Goldenen Regel ist der Kern der
universellen Ethik der Religionen präsentiert. Sie stiften die Grundlage des
Weltfriedens. `Realisiere die Maxime deines Willens im Bezugsverhältnis mit den
anderen.´: Eine derartige Kategorie kann man im Konfuzianismus u.a. finden.
ad
3.Mit Zitat von Erich Fromm wird hier die Biophilie (Die Liebe zum Leben)
herausgestellt: Ein gesunder Mensch hält sich daran fest und bemüht sich, diese
Liebe anderen Menschen zu vermitteln. Man beachtet das Lebewesen der Natur.
Gegenüber der Liebe zum Leben wird hier auch die Liebe zum Tod erwähnt. (A
.a O., S. 26.)Für alle Lebenden in der Welt ist mehr oder minder das Leid
an Schwierigkeiten unvermeidlich. Man löst sich von Leid letztendlich ab, erst
wenn man die Fatalität des Todes entgegennimmt. Das Problem des Sterbens ist
für jeden gleich. Religionen setzten sich mit diesem allgemeinsten Problem
auseinander. Die Problematik des Lebens hat erst mit ihrem Gegenstück, dem
Problem des Sterbens, Bedeutung.
ad
4. "Ohne Gemeinschaft ist kein Dasein des Menschen denkbar." ( A.a. O., S. 26.) In
Wien gibt es überall die kirchliche Gemeinde; der hohe Turm des Stephansdoms
ist ein Herzensstück hiervon. Die Gläubigen bilden die Gemeinde. Die religiöse
Gemeinde macht eine Basis der Gestaltung einer bürgerlichen Gemeinschaft.
ad5.
Die Ehrfurcht darf nicht an jeden beliebigen Gegenstand gerichtet sein.
Materielle Gegenstände und das Symbol der Weltlichkeit (Preis, Ruhm und
Geldmittel als solche) gelten nicht als Gegenstand der Ehrfurcht, sondern
diejenigen, die den Menschen seelische Ruhe geben können. Menschen neigen dazu,
etwas bestimmtes zu verehren und Ehrfurcht daran zu üben. Allerdings muß man
auf die zweckhafte Propaganda, die im vergangenen Sozialismus der Fall gewesen
ist, verzichten. Letztere richtete sich nach der künstlichen Zeugung des
Gegenstandes der Verehrung bzw. Ehrfurcht. Anstelle der Propaganda muß die
Ehrfurcht vor dem Leben in den Vordergrund kommen.
ad
6. Die kritische Funktion der Religionen ist unentbehrlich. Eindrucksvoll ist,
daß bei Bader die Kritik am gegenwärtig Seienden als das hauptsächliche Ziel
seiner Bemühung bestimmt ist. Solange das gegenwärtige Seiende nicht mit dem
Ideal übereinstimmt, muß die Kritik vollzogen werden. Meiner Ansicht nach
gestaltet dieser Punkt einen gemeinsamen Nenner des kritischen Geistes des
Sozialismus von Marx und der Christlichen Sozialphilosophie des Herrn Bader.
Die Religion neigt im allgemeinen zur bloßen Bejahung der gegenwärtigen
Gegebenheit. Als Gegensatz dazu hat die Herausstellung der kritischen Funktion
Bedeutung. Die Selbst-Kritik darf nicht auf eine bloße Zurücknahme bzw.
Erniedrigung ihrer selbst fallen. In der Nachvollziehung der Selbst-Kritik kann
die Religion ein Grundmodus der Veränderung der gegenwärtigen Gesellschaft
werden.
Bader
erwähnt, daß das Zentrum der religiösen Praxis im "Gebet" liegt. In
diesem Sinne ist die Religion geistig und mystisch. Dies betont er im selben
Buch, Seite 28. Mir selbst fällt dieser Punkt am meisten schwer verständlich.
Er meint, daß das Beten und Verehren Christi im Herzen der Alltagsaktivität
liegen muß. "Ungebunden an einen bestimmten Gott ist das Beten ein Zentrum
des geistigen Lebens eines selbstbewußten Menschen. Man kann das Beten als den
Höhepunkt der Aktivitäten des menschlichen Geistes wahrnehmen. --- usw."
Wie
kann ich mich gegenüber dieser Meinung verhalten? Ich verstehe das Gebet völlig
anders: Beten ist ein Aktus, in dem ein einzelner Mensch sein Bewußtsein
ausschließlich an eine transzendente Gottheit richtet und dies festhält. In
diesem Aktus hält er den Sinn seines Lebens wach. Er kann seine Hoffnung dem
transzendenten Wesen (Gott) mitteilen. Der Inhalt des Gebetes läßt sich in
realisierbares und nicht realisierbares unterteilen. Die Hoffnung auf die
Wiedergeburt eines Toten entspricht dem letzteren. Religion und Gebet können in
diesem Fall ihren Sinn voll aufbringen. Allerdings bedeutet die Realisierung
dessen eine Wundertat. Dabei ist das Gebet an sich ein Modus, der
innerpsychisch gerichtet ist. Es ist aber nicht ein Modus nach außen, der sich
nach einer Praxis der Gesellschaft orientiert. Bader nimmt wahrscheinlich, daß
die praxisorientierte Aktivität auf den innerpsychischen Aktus des Betens
zurückgeführt werden soll. Jedenfalls scheint mir: Beten kann ungebunden an
einen bestimmten Gott sein. Wenn das Gebet im Sinne der "Meditation"
verstanden werden kann, wäre dies in allen Fällen - sei es bei Theisten oder
Atheisten - sinnvoll, da sie Beitrag für die Einheit von Körper und Psyche
leisten kann.
Bader
erwähnte weiteres zum Dialog der Religionen: Der interkulturelle Charakter
gehört dazu. Dieser dient dem Zweck des Austausches der mannigfaltigen
Denkweisen von Individuen. Der Dialog bedingt den gegenseitigen Respekt der
Teilnehmenden. Die Verletzung des Gesprächspartners in jeglicher Art ist
verboten. Die Öffentlichkeit und die Grundregel des Erstrebens der Wahrheit
usw. muß ich hier auslassen.
Wie ich seinen Aufsatz fertig gelesen hatte, schrieb ich ihm
als meinen Dank meine Mitteilung. Meine Teilnahme an seiner Position hat sich
in den vorangegangenen Kapiteln ausreichend gezeigt. Meine damalige Mitteilung
war gleichsam wie ein Essay. Er wurde aber in der Zeitschrift "Wiener
Blätter zur Friedensforschung" (Bd. 93, Jahrgang 1997) herausgebracht. -
Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich ihn noch besser gestaltet! Nun bekenne
ich, daß mein damaliger Essay aus meinem Herzen stammte. Dem entsprechend wurde
er ohne Änderung erschienen. Im folgenden stelle ich meinen damaligen Gedanken
inhaltlich dar:
2. Im Gespräch haben Sie öfter den "Geist" der
Menschheit erwähnt. Ich möchte mir ein weitgehendes Verständnis mit Bezug auf
diesen Begriff bilden, da ich mich früher mit diesem Begriff des „Geistes“ in
meiner Hegel-Forschung beschäftigt habe. Dieses - bei Hegel als ein
Schlüsselbegriff geltende - Konzept ist an sich schwer begreiflich. Nicht nur
bei Hegel, sondern auch bei anderen Denkern entstammt dieser Begriff zum Teil
der Terminologie christlicher Religion. Meiner Ansicht nach wäre ein
entsprechender Terminus des "Geistes" der Philosophie und der
Religion des Abendlandes in japanischer Geistesgeschichte: die
"Natur". Betrachten wir jetzt eine interkulturelle, gegenseitige
Kommunikation, wie läßt sich der Terminus des "Geistes" darstellen?
3.
Sie haben die Relevanz des "Dialogs zwischen Religionen" betont.
Dieser Aspekt ist an sich nicht neu. Über den Begriff des "Dialogs"
habe ich früher eine umfassende Arbeit publiziert; der Titel des Buches heißt:
"Philosophie des Dialogs - Diskussion, Rhetorik und Dialektik"
(Kouchi-Verlag). Allerdings bin ich mir bewußt, daß die Realisierung eines
sinnvollen, erfüllten Dialogs eine schwerwiegende Sache ist. Sie haben diesen
Punkt ganz korrekt in folgender Weise in Ihrer Schrift gezeigt: "Zum
Anerkennen der eigentlichen Position des/r anderen ist der Respekt der
Andersheit unentbehrlich."
Betrachte
ich gerade den Dialog zwischen Christentum und Buddhismus, so zeigen sich die
beiden Religionen in einer beträchtlichen Differenz. Buddhismus vertritt die
Position, daß die Gleichheit der Würde nicht nur bei jedem Lebewesen anerkannt
sein sollte, sondern die sog. Buddha-Natur liegt auch im anorganischen; z.B.
sie liegt auch in einem Stein. (Der Spruch des Buddhismus lautet: "Gras,
Bäume, Erde, Stein - alle Wesen sind die Natur Buddhas.") Dabei ist zu
betonen, daß ein Mensch mit dem Anwesenden der Natur gleich gesetzt wird. In
diesem Sinne hat der Mensch keine spezifisch angehobene Bedeutung in der Welt
der Natur. Diese Position sollte der Lehre der Bibel (insbesondere die der
Genesis des alten Testaments) entgegenstehen. Können die Christen die Position
des Buddhismus anerkennen? Meiner Ansicht nach hat das Erkennen des Buddhismus
eine besondere Bedeutung, wenn man Ihre These der "Kommunikation von
Menschen und ihrer Umwelt" auf Praxis setzt. Letzteres hat mit Ihrer
eigentlichen Position, "Ehrfurcht vor der Natur" Zusammenhang. Wie
würden Sie einen sinnvollen Dialog mit der buddhistischen Position führen?
4.
"Religion bewegt die Gesellschaft." An sich möchte ich die Rolle der
Religion gern anerkennen. Auf der anderer Seite vertreten Sie die Meinung, daß
die Kritik an Religion genauso wichtig ist. Besonders wenn man diejenigen, die
sich auf kein Bekenntnis beziehen, bedenkt, ist Ihre letztere Position zum
Durchführen eines sinnvollen Friedensdialogs eine unentbehrliche Voraussetzung.
Religionspraktiker sind zu einer Selbstkritik aufgefordert. Dabei gibt es die
beiden polaren Zustände in der gegenwärtigen Welt, nämlich: die religiöse Welt
an sich und die bürgerliche Gesellschaft, die seit ihrer Entwicklung der
Neuzeit eindeutig etabliert worden ist. Die religiöse Welt als solche hat ihr
Zentrum im Bereich der Heiligkeit des Geistigen. Dem entgegengesetzt ist die
bürgerliche Gesellschaft; ihr Merkmal ist die Orientierung nach dem Materialismus
im weltlichen Leben. Letzteres hat in ihrer Basis die Anerkennung der
grundsätzlichen Menschenrechte und der Würde einzelner Individuen. Basierend
darauf macht die bürgerliche Gesellschaft eine dynamische Wandlung bzw.
Entwicklung im Rahmen ihrer Gesetzgebung durch.
Meiner
Ansicht nach muß eine gegenseitige Kritik zwischen den beiden polaren
Bereichen, der religiösen Welt des Geistigen und der bürgerlichen Gesellschaft
des Weltlichen, ausgeübt werden. Die Vertreter des religiös-geistigen Bereichs
sind dazu postuliert, Verständnisse zur positiv geschichtlichen Entwicklung der
bürgerlichen Gesellschaft zu zeigen. Im Dialog sind sie dazu gefordert, die
weltliche Gesellschaft in gewisser Hinsicht ohne Trennung und Ausschließung zu
erkennen. Auf der anderen Seite ist die Religion dazu aufgefordert, übermäßige
Dominanz des Materialismus, welche die Gier des Menschen nur ausdehnt, warnend
in Grenzen zu halten. Die beiden Pole, die religiöse und die bürgerliche
Gesellschaft, können nicht auf ihrem bisherigen Grundgedanken ruhen. Der
wahrhaft treffliche Dialog begleitet stets ein Risiko der Verletzung.
5.
Im Gespräch haben Sie gezeigt, wie mannigfaltig die Rolle der Religionen ist
und welche Vorzüge sie begleitet. Mir selbst war es beeindruckend und
profitabel. Daß ich jetzt ein besseres Verständnis von der Beziehung der
Religion und der Gesellschaft gewinnen konnte, ist Ihr eigentlicher Verdienst!
Die Friede in der innerpsychischen Welt, das Problem der Ethik und der
Gemeinschaft sowie die Ehrfurcht vor dem Seienden sind für beide Seiten wichtig
- sowohl für religiöse als auch für die Menschen ohne Bekenntnis.
6.
Sie haben öfter Mystizismus erwähnt. Über den Inhalt dessen bin ich noch nicht
genügend informiert. Sie haben auf der anderen Seite die New Age Mouvement
und die Esoterik kritisiert. Die letzteren sind beide im gewissen Sinne
eine Art vom Mystizismus. Wie beurteilen Sie die Ausbreitung der oben genannten
beiden Strömungen, die in unserer Zeit in der ganzen Welt als aktuell anzusehen
ist? Der Grund meiner Fragestellung liegt im folgenden: Die herkömmlichen
Groß-Religionen der Welt sind im Rückgang; sie üben immer weniger Einflüsse auf
die allgemeine bürgerliche Gesellschaft aus. Im Gegensatz dazu verstärkt sich
der Einfluß der neu aufkommenden Religionen, die im eindeutigen Zusammenhang
mit der New age Mouvement und der Esoterik immer mehr in den Vordergrund
treten: Eines der typischen Beispiele ist die "Aum-Sekte", die bei
uns in Japan als ein fanatischer Esoterismus beurteilt wird. Asahara, der
Führer dieser Sekte, ist in jüngster Zeit samt seinen berüchtigten Fällen zu
Grunde gegangen. Von der globalen Perspektive der ganzen Gesellschaft aus
gesehen ist nun folgende Interpretation möglich: Die Sekte "Aum" hat
Protestaktionen gegen die modernisierte, bürgerliche Gesellschaft in ihrer
ureigenen Art ausgeübt. In dieser Hinsicht darf man das Wesen der New Age
Mouvement und die Esoterik weiter forschen. Für mich selbst ist
die Grundtendenz der letzteren nicht uninteressant: Meines Erachtens darf man
sie nicht mit einem verächtlichen Stichwort zur Seite schieben.
7.
Sie haben von der Praxis der Friedensbewegung erwähnt. Ich anerkenne die
Relevanz hiervon. Und in Ihrem Aufsatz präsentieren Sie Ihren Grundgedanken:
"Im Herzen der Praxis in jeglicher Art liegt der Geist des Betens."
Ich begreife nicht, in welcher Weise das Beten mit der sozialen Praxis in
Beziehung stehen kann! Meiner Meinung nach stünde das Gebet der sozialen Praxis
entgegen---.
1) Erwin Bader: Geboren 1943 in
Schladming, Philosoph, Politikwissenschaftler, katholischer Religionslehrer.
Vorsitzender des Zentrums für Friedensforschung der Universität Wien. Er war
Aktivist des VSSTÖ (Verband Sozialistischer Studenten Österreichs) Später
beteiligte er sich an der Ökumenischen Bewegung. Weitere Mitwirkung bei der
Anti-Atomkraft-Bewegung sowie der Bewegung des Umweltschutzproblems.
2) Erwin Bader, "Für ein
Europa des Geistes", in: Günther Witzany (Hrsg.) , "Zukunft
Österreich", Salzburg 1998, S. 34. (Die im folgenden angegebene Seitenzahl
entspricht der dieses Buches.) [Dieses und die folgenden Zitate wurden aus dem
deutschen Original entnommen. Die Rückübersetzung aus dem Japanischen hätte
hier wörtlich gelautet: "Die Bürger des österreichischen Staates wurden
samt ihrer eigentlichen Rechte bei der wichtigen Entscheidung ignoriert. Überraschend
wurden sie zur Abstimmung motiviert, so daß sie der EU letzten Endes nur
bejahend entgegenkommen mußten." Anm. E.B.]
3) Das Buch besteht aus den
Beiträgen von 11 Autoren. Darin befindet sich der Protest von Hundertwasser,
einem renommierten Architekten und Maler im gegenwärtigen Österreich: "Der
Beitritt in EU als ein Verrat Österreichs". Als ein aktiver Ökologist
beteiligt sich Hundertwasser an der Bewegung für die Berechtigung des
Umweltschutzes der Natur. Das im Tourismus in Wien bekannte „Hundertwasser Haus“
ist eines seiner Werke. Im übrigen fand im Jahre 1999 eine Ausstellung
"Werke Hundertwassers" in der Präfektur Saitama (Japan) statt.
4) Bader, "Einige sozial-
und religionsphilosophische Bemerkungen in Hinblick auf den Friedensdialog der
Weltreligionen", in: "Wiener Blätter zur Friedensforschung", Nr.
92, Jahrgang 1997, S. 13ff. Die im folgenden angegebene Seitenzahl entspricht
der dieses Beitrags.
5) K. M. Kantor,
"Zwei Projekte der Weltgeschichte", in: Lischev / Kegeler,
"Abschied vom Marxismus", Hamburg 1992, S. 131ff.
6) Fukazawa Hidetaka, "Zwischen der Aufklärung
und der Ironie", hrsg. von der Hitotsubashi-Universität, Reihe
"Abhandlung der Wissenschaften: Hitotsubashi",Tokyo 1996, S. 769.
7) Shimazaki Takashi, "Anmerkungen zu Erwin
Baders Beitrag über den Dialog der Weltreligionen", in: "Wiener
Blätter zur Friedensforschung", Nr. 93, 1997.
*) „Ein beträchtlicher Verstoß gegen die Staatsverfassungen, daß eine solche wichtige Entscheidung nur in einem Monat erfolgte.“
+)
Vgl.: Antwort auf Professor Shimazaki, in: Wiener Blätter zur
Friedensforschung, Heft 104, Wien September/3/2000.