FACHDIDAKTIK                                                                                                                              In:  GW-UNTERRICHT  65 / 1997 S. 48-59

La Géographie francaise - Nachhilfe für Österreich ?

Einige Bemerkungen zu einer neuen Generation französischer Geographieschulbücher

(insbesondere für die „Terminale“, dem Vorbereitungsjahr für die Matura/Bac)

Gottfried Menschik und Christian Sitte (Uni Wien)    

   Anm.2009: da diese Webvariante keine SCANs enthält wurde unten eine LINKsammlung ähnlicher Beispiele beigefügt

 

I. Einleitung

 

Die französische Geographie ist nicht nur ein weites, sondern bei österreichischen Geographen auch weitgehend unbekanntes Land. Im Zeitalter der weltweiten Wissensvernetzung nimmt man mit Erstaunen zur Kenntnis, dass sich diese  (sprachbarrierebedingt ?) überwiegend auf die anglophone Sphäre bezieht. Andere Kulturkreise, die sich nicht ausschließlich den amerikanischen und englischen Denkweisen hingeben, werden in Mitteleuropa nur marginal registriert. Umso erstaunlicher ist diese marginale Wahrnehmung französischer Geistesproduktion, wo doch Französisch (noch?) die bedeutendste zweite lebende Fremdsprache an Österreichs höheren Schulen ist. Ein Blick in ein französisches Geographiebuch vermag über „Aha-Erlebnisse“ durchaus zu fachlichen und methodischen Bewußtseinserweiterungen des österreichischen und wahrscheinlich auch des deutschen Geographielehrers führen. Abgesehen von der - im Vergleich zu uns gewohnten Büchern - besonders hervorstechenden graphischen Gestaltung (bei der Fotoauswahl, besonders aber bei der klaren und formal-kartographisch excellenten Schulbuchkartographie) fallen vor allem drei Aspekte auf, die im Folgenden zu einigen Bemerkungen Anlaß sein werden:

 

* die inhaltliche Ausrichtung der Geographie, die sich offenbar an einigen wesentlichen raumwissenschaftlichen Theorien orientiert (siehe Abschnitt II), die in ihrer logisch und strukturellen Stringenz unserer Meinung nach konträr zur postmodernen Beliebigkeit der deutschen Schulgeographie steht.

* die kartographische Gestaltung: Ausgehend von den wahrscheinlich „revolutionären“ Ansätzen des hierzulande wenig bekannten Geographen und Kartographen Roger Brunet wurde eine kartographische Umsetzung entwickelt, die höchst komplexe Inhalte auf einfache kartographisch synthetische Symbole reduziert.

* der didaktische Ansatz speziell im Vorbereitungsjahr zum Bacchalauréat wird darauf geachtet, dass der Schüler selbsständig mit Dokumenten umgehen kann, diese analysiert und das Thema schließlich zu einer Art Synthese führt. Dokumente sind Texte, Graphiken, Diagramme, Karikaturen, Photos, Karten und Kartogramme.

 

Diese drei Aspekte werden in der folgenden Analyse von fünf Schulbüchern von BADOWER, BOUVET/MARTIN, HAGNERELLE, KNAFOU, PITTE einer etwas genaueren Betrachtung unterzogen [i]

 

II  Die inhaltliche Ausrichtung der Geographie

 

Die sprachliche Isolation bzw. Eigenständigkeit Frankreichs (je nach Standpunkt) hat offenbar auf inhaltlicher Ebene zu einer etwas anderen Entwicklung als im deutschsprachigem Raum geführt, der sich eher an die angelsächsischen Traditionen und wiederholt gewechselten Paradigmen anlehnte [ii]. In der französischen Abschlußklasse der „Terminale“, wird z.B. als eine der Grundlagen des Geographie-Verständnisses der „Weltsystem-Ansatz“ verwendet, der zwar seine aktuelle Formulierung dem amerikanischen Sozialwissenschafter Immanuel WALLERSTEIN [iii] verdankt, in letzter Konsequenz jedoch auf den französischen Historiker Fernand BRAUDEL zurückgeht und durch das Werk von Reynaud [iv]  Einzug in die frankophone Geographie gehalten hat. Damit zusammenhängend stehen im Mittelpunkt der Betrachtung globale und regionale Zentren-Peripherie-Modelle [v]  also die Analyse von räumlichen Ungleichgewichten sowie eine stark geopolitisch geprägte Sichtweise (= die Analyse von Kräfte- und Konfliktfeldern). Durch die Verbindung von räumlichen Fragestellungen mit ökonomischen und politischen Aspekten gelingt in vielen Fällen auf makroökonomischer Ebene das, was in Österreich als Integration von „Geographie und Wirtschaftskunde“ [vi]    schon seit längerem gefordert wird bzw. eigentlich auch Teil einer an Berufsbildenden Höheren Schulen geforderten (aber oft in der Realität der Schulbücher nicht eingelösten) zeitgemäßen „Wirtschaftsgeographie“ sein sollte.

 

Es darf freilich nicht übersehen werden, dass das französische Schulsystem einen völlig anderen Ausgangspunkt bietet [vii]. Analog zum zentralistischen Aufbau des französischen Staates ist eine landesweite einheitliche Matura Vorschrift. Dies mag aus österreichischer Sicht zwar befremdend und als Einschränkung der individuellen Lehrfreiheit empfunden werden, ermöglicht jedoch interessante Fragestellungen: Welche Inhalte werden vor einem zentralistischen Hintergrund ausgewählt ? Welches sind die Schlüsselthemen, die wirklich unverzichtbar für das Verständnis einer modernen Geographie sind  Dieser Herausforderung müssen sich in Frankreich alle Lehrbuchautoren und Lehrer stellen. Die Antwort fällt verblüffend modern aus: Keine postmoderne Beliebigkeit, keine „zufälligen Aktualitäten“, sondern ein stark theoriegeleiteter Ansatz (im Falle der Terminale der „Weltsystemansatz“) steht im Mittelpunkt, ein relativ einheitliches theoretisches Konstrukt mit klaren Zielvorgaben (inhaltlich und methodisch) [viii]

 

Das Thema der „Terminale“ ist die räumliche Organisation des Weltsystems (besser übersetzt als „mondialer Raum“ („espace mondial“). Die Inhaltsstruktur der fünf Bücher ist durch die einheitliche Prüfung gezwungenermaßen relativ ähnlich:

 

1. Ungleichheiten im Weltsystem (Symptome und Ursachen)

   * Bevölkerung(sverteilung)

   * ungleiche Entwicklung, Nord-Süd-Konflikt

   * eigentliche Welt-System, die geopolitischen Kräfteverhältnisse

2. Interdependenzen zwischen den einzelnen Teilräumen des Weltsystems

      * Globalisierung der Weltwirtschaft (u.a. Multinationale Konzerne, Welthandelsströme, Kapital- und Informationsströme,

         Finanzzentren, Transportsysteme)

   * Migration

   * Welttourismus

3. Einzelne Teile des Weltsystems und ihre Stellung im Weltsystem

   * USA

   * pazifischer Raum (Japan und die vier „kleinen Tiger“)

   * Russland und die anderen Nachfolgestaaten der UdSSR

     * einzelne Entwicklungsmodelle peripherer und semiperipherer Staaten (z.B. Elfenbeinküste, Algerien, Brasilien, China)

 

Ein Beispiel für theoriegeleitete Fragestellungen sei im folgenden angeführt. Die beiden nachfolgenden Darstellungen sind aus dem Buch von KNAFOU (1995) S. 255) übernommen und übersetzt (Beispiel 1 und 2).

Beide Schemata dienen als Einleitung zu beispielhaft angeführten Entwicklungsmodellen von Ländern der Dritten Welt. Die in dem ersten Schema in der ersten Spalte angeführte Strategie mag zwar für manche als ein nicht unbedingt notwendiger Ausflug in die Vergangenheit erscheinen, ist aber zur Erklärung gegenwärtiger räumlicher und ökonomischer Strukturen (die ja auch nach Abdankung eines politischen Systems noch weiter bestehen bleiben) und aktueller Probleme brauchbar. Wichtig erscheint uns aber besonders der im ersten Schema verdeutlichte Gegensatz autozentrischer (und auf die eigenen Kräfte bezogener) und nach außen offener und interaktiver Strategien und Entwicklungsmodelle. Aufgrund des Strategiewechsels von der Autozentrierung zur Weltmarktöffnung ist z.B. aus dem „politisch geächteten“ das „hofierte“ China geworden, ohne dass sich das politische System dort grundsätzlich geändert hätte. Diese Entwicklungsstrategien und Modelle finden sich auch bei uns in der wissenschaftlichen Literatur [ix] , wurden jedoch bis jetzt kaum in den S II Unterricht wirklich integriert.

 

In den französischen Büchern werden hingegen Entwicklungsmodelle in Schwellen- und Entwicklungsländern nicht als partikularistische Einzelfälle nebeneinander gestellt, sondern immer bezogen auf den in der Tabelle dargestellten theoretischen Rahmen, ausgewählt. Der Schüler soll lernen und verstehen, dass jedes Modell nur ein Beispiel für eine ganze Reihe von Ländern mit ähnlichen wirtschaftlichen Erfahrungen und Strategien darstellt. Das anhand eines Einzelbeispiels erworbene Wissen kann so (mit Hilfe der Theorie) auf andere Bereiche transferiert werden [x]

 

Beispiel 1  Entwicklungsstrategien

 

  

Kasten 2  Brasilien ein komplexes Entwicklungsmodell

 

 

Ein Nachteil mag bei der Liste der Inhalte aufgefallen sein. Wenn man schon die einzelnen Elemente des Weltsystems bespricht, so wundert das Fehlen Europas als Teil der Triade (USA, Europa, Japan): Europa (EU) wird den französischen Lehrplänen gemäß jedoch bereits im vorhergehenden Jahr (Première) zusammen mit Frankreich näher besprochen  [xi]

 

Bei der Darstellung der einzelnen Modelle fällt eine Art „umgekehrte Länderkunde“ auf: Ausgangspunkt ist die Frage, welches Entwicklungsmodell in einem Land wirkt. Der Naturraum wird meistens hintangestellt und bestenfalls als einschränkender oder fördernder Faktor des Wirtschaftsmodells gesehen, auf keinem Fall jedoch als Basis eines Modells. Dies entspricht in wohltuender Weise der Tradition des Possibilismus (Vidal de la Blache) im Gegensatz zum deutschen Naturdeterminismus Ratzel’scher Prägung, der in vielen Fällen noch heute als schweres Erbe auf der Geographie und nur allzuoft in den Hinterköpfen der Geographielehrer lastet. Wesentliche Inhalte dieser „umgekehrten Länderkunde“ sind jedenfalls die Betonung des aktuellen Entwicklungsmodells, die geopolitische Lage bzw. geopolitische Vision [xii]  des jeweiligen Landes (wie sieht ein Land seine räumliche Umgebung aus geopolitischer Sicht: Freund und Feind, Herrscher und Beherrschte u.ä.), die Stellung und Art der Integration in das Weltsystem (Zentrum und Peripherie) sowie die aktuelle regionale Dynamik und die regionalen Disparitäten.

 

Einzelne vertiefende Themen werden als „Dossiers“ in das relativ einheitliche, theoretisch klare Konzept eingebaut: Beispiele sind: Internationaler Erdölhandel (KNAFOU, zum Kapitel „Un monde de flux“ = eine Welt der Ströme), Internationale Verschuldung (HAGNERELLE, zum Kapitel Interdependente Räume), Facetten des Islam (PITTE, zum Kapitel „La planète géopolitque“), Shangai und Hainan (PITTE, zum Kapitel „Le dévelopement chinois“)

 

III. Die kartographische Gestaltung

 

Ein zweiter Punkt, der im Vergleich zum üblichen mitteleuropäischen Schulbuchrahmen sehr positiv auffällt, ist die spezielle kartographische Gestaltungsart. Diese geht z.T. auf eine spezielle französische Tradition zurück, die in jüngster Zeit vor allem mit dem Namen Roger BRUNET verbunden ist. Brunet hat seine kartographischen Idee auf eine allgemein zugängliche Weise in die Schulgeographie eingeführt [xiii]  (R. Brunet ist u.a. Mitarbeiter im Schulbuch von Knafou). Im Unterschied zur angelsächsischen Tradition liegt die Betonung nicht so sehr auf der räumlichen Darstellung von quantitativen Daten, als auf einem stark synthetischen Ansatz, bei dem komplexe Fragestellungen auf stark generalisierte Merkmale reduziert werden. Quantitative thematische Karten sind zwar im wissenschaftlichen Sinne exakt, für den Schüler jedoch z.T. schwerer lesbar und interpretierbar. Ein wichtiges Ziel in diesem Zusammenhang besteht darin, dass ein Schüler die Fähigkeit erlernen soll, solche generalisierenden synthetischen räumlichen Skizzen selbst zu erstellen (u.a. auch aus einem Set vorgegebener analytischer Nebenkärtchen). Außer diesen Skizzen legt man in den Büchern auch Wert auf die Fertigkeit der Erstellung räumlicher Schemata, deren Aufgabe es wiederum ist, komplexe Zusammenhänge auf das wirklich Wesentliche zu destillieren (und derart elementarisierte Strukturen besser in den Köpfen der Schüler zu verankern). Die Autoren dieses Berichts haben den Ansatz sowohl in der letzten Klasse der S I und in der AHS-Oberstufe, als auch in relativ leistungsschwachen Klassen an Berufsbildenden Mittleren Schulen zur Darstellung grundlegender, elementarisierter Raumstrukturen als wertvolle methodische Möglichkeit erlebt.

 

Ein einfaches Beispiel soll diesen interessanten methodisch-kartographischen Zugang illustrieren und als Anregung für österreichische Leser dienen, ähnliches mit ihren Schülern zu erstellen versuchen (Beispiel 3 aus KNAFOU S. 250f). Die Abbildungen sin der Abschluß eines reichlich mit thematischen (analytischen) Kärtchen ausgestatteten Rußlandkapitels

 

IV. Der didaktische Ansatz:

 

Durch die Einheitlichkeit der Matura sind die Bücher sehr zielgerichtet angelegt. In jedem der Bücher werden die Schüler am Ende der einzelnen Kapitel auf mögliche

 

 

Abb.  3   KNAFOU S. 250f)

 

 

Maturafragestellungen hingewiesen, und die wesentlichen Aspekte der einzelnen Themenstellungen in Form etwa kartographischer Synthesen zusammengefasst. In den französischen Lycées kann eine schriftliche Geographie-Matura “dissertation“) gewählt werden. Die explikativen Kapitel zur Maturavorbereitung werden ja nach Buch „prépa-bac“ oder „réussier l’épreuve“ bezeichnet. Die Aufgabenstellungen sind generell relativ komplex. Meistens handelt es sich um „Commentaires de documents“: Der Schüler soll anhand vorgegebener Mateialien zu einem Thema Stellung nehmen. Folgendes Beispüiel aus BOUVET et MARTIN (S. 242ff) soll dies illustrieren:

Die Themenstellung lautet „L’espace geéopolitik de la Russie“ (Der geopolitische Raum Russlands). Es werden drei Dokumente vorgegeben: a) eine Karte (Die Staaten, Völker und Territorien der Ex-UdSSR), zwei Texte: ein Text über Identitätsprobleme Russlands aus einem wissenschaftlichem Werk (Dictionnaire de géopolitique von Lacoste), b) ein Text aus einer Fachzeitschrift über expansionistische Tendenzen und c) über die Angst Russlands, aus der neuen Weltordnung ausgeschlossen zu werden. Zu diesen drei Dokumenten werden vier Aufgaben bzw. Fragen gestellt:

1. Präsentieren Sie die Dokumente

  2. Erklären Sie inwiefern die Frage der Nationalitäten und Grenzen ein fundamentales  

                 Problem Russlands bleibt.

3. Analysieren Sie die Beziehungen Russlands zu den ehemaligen sowjetischen Republiken.

4. Abschlussbetrachtung: Welche Rolle hat Russland in der internationalen Gemeinschaft?

 

Der hohe Anspruchsgrad bei solchen Fragestellungen wird auf einer zweiten Seite durch einige Tipps untermauert. Anhand dieser drei Dokumente wird konkret dem Kandidaten erklärt, wie der Aufbau eines Themas idealtypisch funktionieren könnte.

Das geschieht in drei Punkten:

1.) präzisieren Sie die Art und Relevanz des geopolitischen Dokuments (es wird noch einmal der Begriff „geopolitische Situation“ erklärt und anhand der Karte kurz dargestellt).

2.) Analysieren Sie die Karte und lokalisieren Sie Russland in seinem geopolitischen Kontext. Lesen Sie die Karte, machen Sie Spannungs- und Konfliktfelder klar.

3.) Analysieren Sie die Texte, definieren Sie die geopolitischen Motive Russlands. Unterstreichen Sie die behandelten Themen. Rahmen Sie die Schlüsselwörter ein. Klassifizieren Sie die dargelegten Ideen und erklären Sie diese im Rahmen ihrer Kenntnisse.

 

Andere komplexe Aufgabenstellungen bestehen darin, aus mehreren Einzelkarten eine synthetische Karte zu entwerfen. Ein Beispiel aus BADOWER (S.326, 327): Aus vier Karten über Indien, Beispiel 4 (die linguistische Teilung Indiens, der unterschiedliche Entwicklungsstand, die großen indischen Städte, die Bevölkerungsverteilung), soll eine einzige Karte mit dem Thema „Indien, Einheit und Vielfalt“ entworfen werden. Die vorgeschlagene Lösung (S. 327) ist ein räumliche Zentren-Peripherie-Modell, das eine dynamische Entwicklungsachse im Westen dem traditionellen Östen gegenüberstellt. Der in II. genannte Ansatz zieht sich auch durch dieses Beispiel, wenn zwischen (weltmarkt)integrierter Peripherie und sich im Abseits selbst überlassener Peripherie unterschieden wird.

 

Eine weitere Aufgabenstellung besteht darin, den Schülern eine räumliche Skizze zu einem Thema entwerfen zu lassen. Die Schüler werden auch immer wieder angehalten aus Karten einfache Skizzen anzufertigen, um das Wesentliche in Eigenregie zusammenzufassen (z.B. HAGNERELLE S. 269 zur Raumstruktur der USA) Beispiel 5, oder Raumverteilungsskizzen anzufertigen wie in dem Beispiel aus BOUVET et MARTIN (S. 304f) zu Japan und dem pazifischen Raum Beispiel 6: Japan wird nicht als individueller Raum betrachtet, sondern – siehe dazu bei unserem Beispiel das Schema und die Arbeitsanregungen rechts unten – als dynamischer Teil des Weltsystems. Das 7. Beispiel (ebenfalls aus BADOWER S. 51) zeigt die Vernetzung der Wirtschaftskunde mit der Geographie. Das Thema Multinationale Konzerne wird im räumlichen Kontext des Weltsystems gezeigt und nicht als isoliertes, raumlos dargestelltes ökonomisches Beispiel. Diese Seite haben wir auch deshalb ausgewählt, weil sie, versehen mit einigen zusätzlichen Fragen attraktives Material für eine (fächerübergreifende GW/F-) Reifeprüfungsfrage anbietet.

 

Beispiel 4 Indien   S. 327

 

V. Schlussbetrachtung: Eine Verführung wert ?

 

Ungeachtet aller bisher aufgezählten Vorteile muß sich die französische Schulgeographie freilich zwei fundamentale Kritikpunkte gefallen lassen:

 

1. Die synthetischen Karten bzw. Skizzen sind zwar meistens einleuchtend und erscheinen „logisch“, doch ist in den wenigsten Fällen wirklich nachzuvollziehen, aufgrund welcher spezifischen Indikatoren etwa verschiedene Arten von Peripherien oder Zentren abgegrenzt werden. Vom wissenschaftlichen Standpunkt ist dieses Fehlen von Exaktheit und Nachvollziehbarkeit in derartigen modellhaften Darstellungen vielleicht zu bedauern.

Andererseits sind die meisten Ergebnisse der „synthéses cartographiques“ wirklich plausibel und ergeben leicht einprägbare Raummuster. Der Weltsystem-Ansatz ist als Modell insgesamt  kaum formalisierbar, da „weiche“ Fragestellungen wie Ungleichheiten aufgrund von Machtverhältnissen thematisiert werden. Interessanterweise dürfte sich die französische Geographie

 

Beispiel 5

 

B  6

 

B  7  (S. 51)

 

 

allgemein etwas abseits des positivistischen mainstream gehalten und gewisse geisteswissenschaftliche Traditionen (Braudel, Lacoste) konserviert haben. Es ist allerdings nicht Aufgabe dieses Beitrags über die Sinnhaftigkeit etwa einer „Neuen Hermeneutik“ im Gewand der französischen geographischen Tradition zu raisonieren.

 

2. Eine zweite kritische Bemerkung sei erlaubt: Die Betonung liegt zwar sehr deutlich auf räumlichen Strukturen, die Machtverhältnisse transparent machen, doch fehlen insgesamt „lebensweltliche Texte“, Texte oder Dokumente, die konkrete Lebenssituationen in den einzelnen Raumkategorien darstellen. Gerade das ist ja die Stärke der neuen didaktischen Asätze in der deutschsprachigen Geographie. Der französische Ansatz bleibt eher im strukturalistischen Bereich hängen, während die Ansätze im deutschen Sprachraum zwar die konkrete Lebenswelt betonen, andererseits aber die einzelnen Lebenswelten jedoch kaum im Zusammenhing einer globalen Weltwirtschaft gesehen werden (bzw. wird dieser Zusammenhing zu wenig betont).

 

Zuletzt noch eine positive Beobachtung. Es herrscht in Frankreich offenbar eine weitgehende Kongruenz zwischen wissenschaftlicher Geographie und Schulgeographie. Während im deutschsprachigen Raum ein z.T. (geographisch)existenzbedrohendes Auseinanderdriften zwischen wissenschaftlichem Anspruch inklusive Ghettoisierungstendenzen auf universitärem Bereich und schulbuchgeographischer Realitäten und (oft bezüglich der inhaltlichen Themenwahl kritisierten) Beliebigkeit festgestellt werden muss, ist in Frankreich zumindest für den Bereich der Seconde und Terminale eine Übereinstimmung zwischen zeitgemäße universitären Inhalten der Geographie und Schulbuchinhalten festzustellen.

Als Einzelbeleg für diese Feststellung sei das Buch „Le Monde – Espaces et systémes“ von Durand/Lévy/Retaillé [xiv]  erwähnt, das den Weltsystem-Ansatz aus geographischer Sicht in äußerst interessanter und vielschichtiger Weise darstellt. Die drei Autoren sind Geographen der Universitätsinstitute in Paris, Reims und Rouen. Man findet in diesem Buch eine Fülle von Darstellungen und Konzepten, die in allen besprochenen Schulbüchern wiederzufinden sind. So entsteht der Eindruck eines einheitlichen Gedankengebäudes, eines schlüssigen Konzepts einer modernen „Wirtschafts- und politischen Geographie“, deren Existenz im deutschsprachigen Raum dank der paradigmatischen Vielfalt kaum zu erraten ist. Leider ist dieses Werk weder auf englisch noch auf deutsch erhältlich. Es wäre eine immens wichtige Bereicherung für die deutschsprachige Geographien und eine konkrete Alternative zur mancherorts auftretenden „postmodernen Belanglosigkeit“ unseres Faches.

Dieser Beitrag will nicht zum unbewertenden Kopieren auffordern, sondern den Blick über die gewohnten Grenzen öffnen und motivieren, „andere Schulgeographien“ als Impulse aufzufassen.


 

[i]  BADOWER, A., (Hrsg): Géographie Terminales L, ES, S. Paris: Hatier 1995

BOUVET, C. et MARTIN J. (Hrsg): Géographie Terminales. Paris: Hachette 1995

HAGNERELLE M. (Hrsg): Géographie Présent/Futur : L’organisation de l’espace mondial. Paris : Magnard, 1994

KNAFOU, R. (Hrsg) Géographie Term. L, ES, S: L’organisation de l’espace mondial. Paris : Bélin 1995

PITTE J-P. (Hrsg) : Géographie Terminales. Paris : Nathan 1995

Vgl. Auch Beitrag in GW-UNTERRICHT Heft 61/1996, S. 53f

[ii] Vergleiche dazu Weichhart P. (1996): Humangeographische Forschungsansätze. In: Wissenschaftliche Nachrichten Nr. 100/Jännerheft S. 43-50.

[iii] Wallerstein I. (1984): The Politics of the World Economoy. Cambridge Univ.Press.  Eine Aufarbeiteung Wallerstein’scher Ideen ist in Österreich ansatzweise in: Österr. Gesellschaft für Kritische Geographie, Hg. (1994): Alte Ordnung – Neue Blöcke ? Kritische Geographie Bd. 10, Promedia, Wien - rezipiert

[iv]  Reynaud A. (1981): Société, espace et justice. Paris PUF ; oder in dem Taschenbuch von Baud P., Bourgeat S., Bras C. (1995): Dictionnaire de Géographie. Hatier, Paris.

[v]  Vgl.  darüber bei Menschik G. (1994): Wirtschaftsgeographie für BHS. In: GW-UNTERR. 55, S. 120ff ; bzw. Menschik G. (1994b) Zentrum und Peripherie (2 Karten im Hölzel 9+ Weltatlas für die Oberstufe). In: GW-UNTERR. 56,  88ff.

[vi]  Goetz K. (1996): Wirtschaftskunde und Schulgeographie – Oder: Was Sie immer schon über GW wissen wollten. GW-UNTERR. 62, S. 23-32

[vii]  Vgl. Masson M. (1994) Vouz avez dit géographies ? Didactique d’une géographie plurielle. Armand colin, Paris ; im Anhand des Schulbuches von KNAFOU (1996 S. 316ff); bzw. in unserer Zeitschrift dazu einiges bei Sitte Ch. (1994): Fremdsprachiger Sachfachunterricht 2. Teil: FAA. In: GW-UNTERR. 56, S.24-28; bzw. Abadziev P.(1996): Vergleich der Geographie-Schulbücher der französischen Abschlussklasse „terminale“ mit GW-Schulbüchern für die Maturaklasse in Österreich. Unveröffentlichte Arbeit im Fachdidaktischen Proseminar SS 1996 (Ch. Sitte/H. Wohlschlägl), Institut für Geographie der Uni Wien.

[viii]  Was sich in bestimmten Arbeitsmethoden viel stärker als in unseren Büchern mit speziell durchstrukturierten Methodenkapiteln ausdrückt, ja sogar spezielle Methodenbücher im Schulbuchangebot zur Folge hat, wie z.B.: Dieudonné, Crampon, Labrune (1991): Histoire, Géographie: Méthodes & Techniques, Nathan, Paris.

[ix]  Vgl.  u.a. Feldbauer P. u.a. (1995): Industrialisierung. Entwicklungsprozesse in Afrika, Asien und Lateinamerika. Südwind Wien – insbesondere im Beitrag Calzadilla B., A. Novy: Importsubstituierende und exportorientierte Industrialisierung – bzw. Husa K., H. Wohlschlägl: Auf dem Weg zum fünften Tiger Asiens? Das thailändische Industrialisierungsmodell und sein Preis – und : Novy A., B. Calzadilla: Die Industrialisierung Brasiliens. Im Heft 12/1996 der Geographischen Rundschau findet man eine Darstellung zu wirtschaftlichen Entwicklungsphasen und ihrer räumliche Dimension im Artikel von Flüchter W.: Bedeutung und Einfluß Japans in Ost- und Südostasien, S. 707.

[x] Ein Umstand, den methodisch die nach den Großkapiteln eingeschossenen oder als Anhang beigefügten Maturavorübungen „präbac“ oder „entrainment bac“ mit anderem, neuen Material aufgreifen!

[xi]  Nachdem 1996 eine neue Buchwelle für die seconde herauskam, dürfte die premiere 1997 neu erscheinen.

[xii]  Im Gegensatz zum deutschsprachigen Raum ist der Begriff „Geopolitik“ in Frankreich nicht mehr negativ historisch belastet, siehe dazu Lacoste Y. (1990): Geographie und politisches Handeln. Perspektiven einer neuen Geopolitik. Wagenbach, Berlin. Die Geopolitik stieg sogar zu einer eigenen geographischen Teildisziplin auf und genießt in der französischen Öffentlichkeit eine gewisse Anerkennung z.B. in einer eigenen Fernsehserie im TV-Kanal www.arte.tv  (Titel: „Mit offenen Karten“)

[xiii] Vergl. dazu einen Artikel in einer französischen Schulgeographiezeitschrift von Brocarde M (1995): Carte modéle de la Normandie. In L’Information Géographique (Verlag Armand Colin) Nr. 59, S. 108-112

[xiv] Durand M.-F., Lévy J., und Retaillé D. (1993) : Le Monde. Espaces et systémes. Paris : Press de la fondation nationalé des sciences politiques & Dalloz.

.

___________________________________Anhang aus 2009:_______________________________________________

 

LINKSAMMLUNG          aus dem Proseminar Fachdidaktik  "Karte, Atlas & www..."  WS 2008/09  am Institut für Geographie der Uni Wien

mit ähnlichen beispielen der französischen CROQUIS

. . .

               R 16  Französische Oberstufenbücher der seconde & terminale in ihrem Umgang mit Kartenverständnis  (= S II )

               >> dazu bitte gehen Sie auch Hefte der Zschr.mit d. Inst.Bibl. Nr. 850 "L' information géographique" durch, etwa n°4/2000, S. 368ff bzw. davor ... 

(klopfen sie bitte auch die auf der "Virt.FD-Bibliothek" unter "Lehrpläne Frankreich" angegebenen Sits danach ab !  bz. siehe Linksammlung unten :

                                        >>>  u.U. Proseminarsarbeit E. PETZL, 2004, Geographieunterricht in Frankreich (aus unserem Proseminar im Web stehend ).

 

In Frankreich sieht man

 

 

 

in Schulbüchern & Materialien    einerseits den Umgang mit großmaßstäb. Karten

 

& andereseits die Erstellung synthet. Karten von /zu  Raummodellen  >>

 

 

 

 

 

 

 

     zur Präsentation :

 

 

 

 

 

   Beispiele auf einem blog  :

Par Samuel SAUTEJEAU

Croquis : la Méditerranée, une interface Nord/Sud -

u.a.mehr >>  http://blogs.ac-amiens.fr/etablissements/0021476U_histgeovinci/

index.php/?Les-croquis-du-bac 

 

 

Hier einige als animierte PPT  zu USA :

http://mlkhg78.over-blog.com/pages/Les_croquis_du_bac-454921.html

1.  hier ein SB-Beispiel zu Japan / mégalopole,

   das sie auch mit geringen franz. Kenntnissen

   ansehen sollten/können >> KARTENARBEIT !

   www.images.hachette-livre.fr/media/contenuNumerique/029/1919085102.pdf

  (Anm.: 5 MB !) - Beispiel für die Terminal = Abschlussklasse d. lycee

   >>>>>

         dazu :  

      1a http://ww2.ac-poitiers.fr/hist_geo/IMG/ppt/territjapon.ppt (Qu >> !)

 

2. L'organisation du territoire de l'Allemagne.. 

www.intellego.fr/soutien-scolaire-1ere-ES/aide-scolaire-Geographie/L-Allemagne--Croquis-avec-Carto-Flash--1ere-ES/13898

dazu einige Beschreibungen

a) http://mapage.noos.fr/jflecaillon/Pages/croquis_cartographique.htm

 

b) Le croquia au bac http://clioweb.free.fr/carto/croquis.htm

 

c) le blog geo-hist http://seconde-llk.over-blog.fr/article-24679217.html

Dazu gibt es auch ein computergestütztes

online ZeichenPRG !

> www.ac-reims.fr/datice/hist-geo/carto/exocarto/index.htm

3. wie das gemacht wird z.B.:   U S A

www.intellego.fr/soutien-scolaire-Terminale-L/aide-scolaire-Geographie/Les-USA-+-croquis--terminale-L/13983   oder www.ac-orleans-tours.fr/hist-geo-dossiers/formations/carte-bac-usa.htm

 

4. Schülerbeispiele http://annejo.perso.cegetel.net/carto/cartoeu.html

 

5.  detto  bei  www.stellamaris-edu.net/terminale/techniques/croquis.htm

 

WIE ANDERE LEHRPLÄNE derartige Fertigkeiten weit präziser fassen, als wir das in österreichischen Lehrplänen finden können,

zeigen Ihnen die Angaben in ...  französische Prüfungsanforderungen für das "bac" 

vgl. u.a. dazu  G.Menschik u. Ch.Sitte in GW-UNTERR. 65/1997 bzw. die Anfangsseiten in den im Proseminar aufliegenden Schulbüchern !

bzw. HAGNERELLE M. et al.(1999) : Géocarto-Bac. Méthodes et entrainements. Magnard Paris und die im Proseminar vorliegenden Schulbücher

 

Quellseite : http://homepage.univie.ac.at/christian.sitte/FD/

 

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