3.1. Frontalunterricht
 
 

Kurzbeschrieb
 

Bild FrontalunterrichtIm Frontalunterricht dominiert in der Regel der Lehrer, der den Lehrstoff lehrgangartig, kursorisch oder systematisch im Sinne des Vortrags und des Lehr-Gesprächs vermittelt, veranschaulicht, doziert, abfragt. Die darbietenden Formen stehen im Vordergrund: Vortragen, Vorlesen, Vorführen, Demonstrieren, Erklären durch Veranschaulichen, Referat, Lehrgespräch usw. In der frontalen ( Klassen-) Situation wird unterstellt, dass alle alles zur gleichen Zeit aufnehmen und verstehen. Heute werden auch Medien (Hellraumprojektor, Radio, Dias, Video usw. ), aber auch Schülervorträge, kurzfristige Partner- und Gruppenarbeiten eingebaut, um den Frontalunterricht aufzulockern (...) zu rhythmisieren.
(Gasser. „ Neue Lernkultur". S.141 + Gasser. „Didaktische Impulse". S.34)

Unterrichtssequenzen, während denen die Lehrperson alle Fäden fest in der Hand hält. Ziel, Lerninhalt, Arbeitsmittel und Methode sind für alle Lernenden identisch, der Zeitrahmen ist für alle verbindlich.
(Müllener-Malina, Leonhardt. „Unterrichtsformen konkret". S.63)
 
 

Steckbrief nach Hilbert Meyer :
(Meyer. „Unterrichtsmethoden - II Praxisband". S.182)
 


 
 

Schlüsselfragen und Qualitätskriterien
 

Der oben zitiert Steckbrief von Meyer impliziert bereits erste problemhaltige Aspekte des Frontalunterrichts. Wird er als alleinige Lehr- und Lernform eingesetzt, verkommt der Unterricht zur methodischen Monokultur. Passivität, Mangel an Selbständigkeit und Verantwortungsübernahme sind dann praktisch unvermeidbar.
Im Frontalunterricht kann sich die Lehrperson zwar authentisch einbringen und Informationen schnell und einheitlich vermitteln, individuelle Lernwege, das persönliche Arbeitstempo und koorperative Arbeitsformen werden im reinen Frontalunterricht jedoch völlig vernachlässigt.
Ihn auf Grund dessen rundweg abzulehnen, käme einer Verteufelung gleich, die fachlich nicht haltbar ist. Die Problematik liegt nicht in der Methode selber, sondern in deren übermässigen, unreflektierten Einsatz, der meist mit mangelnder Methodenqualität einhergeht. Kompetent eingesetzt stellt der Frontalunterricht eine wertvolle, unersetzbare Unterrichtsform dar.
 

Der frontallastige Unterricht erfährt folgende Kritik :
(Meyer. „Unterrichtsmethoden - II Praxisband". S.183-184)

In dem fast immer lehrgangsmäßig aufgebauten Frontalunterricht herrscht ein Macht- und Kompetenzgefälle zwischen dem Lehrer und ªseinen´ Schülern. Dies muß zwar nicht grundsätzlich so sein, ist im Schulalltag jedoch die Regel. Dabei ist es nicht erforderlich, daß der Lehrer immer physisch anwesend ist oder immer vorn steht, redet und handelt. Er kann sich vielfältige Stellvertreter suchen: Er kann einen Schüler beauftragen, ein Referat zu halten; er kann einen Film vorführen usw.

  • Frontalunterricht erzieht aber fast zwangsläufig zur Passivität und Anpassung, zum Ruhe-, Ordnung- und Disziplinwahren. Er ist seiner Struktur nach konservativ - auch dort, wo die vom Lehrer vermittelten Inhalte und Einstellungen fortschrittlich oder gar revolutionär sein sollten.
  • Pointiert formuliert: These 10.1: Frontalunterricht erzieht zum obrigkeitstaatlichen Denken und Fühlen.


    Die Stärke des Frontalunterrichts ist damit zugleich seine Schwäche:

    These 10.2: Frontalunterricht ist besser als andere Sozialformen geeignet, einen Sach-, Sinn- oder Problemzusammenhang aus der Sicht und mit den Mitteln des Lehrers darzustellen. Es ist kaum geeignet, die Selbständigkeit des Denkens, Fühlens und Handelns der Schüler zu entfalten.


    Frontalunterricht ist dann am Platze, wenn eine Wissens- oder Problemstruktur begriffen und nachvollzogen werden soll. Gerade weil die Möglichkeiten der Steuerung des Interaktions- und Kommunikationsprozesses für den Lehrer hoch sind, hat er auch die Macht, seine Sicht der Dinge darzustellen. Dabei können freilich die äußere und die innere Seite des methodischen Handelns des Lehrers auseinanderfallen: Weil dem Lehrer der Sachzusammenhang klar vor Augen steht, muß seine Präsentation dieses Sachzusammenhangs nicht für die Schüler gleichermaßen verständlich sein:


    Untersuchungen zeigen immer wieder, dass der Frontalunterricht die mit Abstand häufigste aller Unterrichts- und Sozialformen ist (rund 80% des gesamten Unterrichts! (Meyer. „Unterrichtsmethoden - II Praxisband". Didaktische Landkarte Nr.4) ). In seinem Kapitel Gründe für die ungebrochene Vorherrschaft rollt Hilbert Meyer die Hintergründe auf :
    (Meyer. „Unterrichtsmethoden - II Praxisband". S.188-193)
     

    These 10.4: Die ungebrochene Vorherrschaft des Frontalunterrichts ist kein Betriebsunfall und auch kein pädagogisches Versehen, sondern ein durch die gesamtgesellschaftlichen, die juristischen, curricularen und institutionell-organisatorischen Voraussetzungen bedingter Konstruktionsfehler der Schule.


    Die Gründe, warum trotz einleuchtender und seit langem bekannter wissenschaftlicher Kritik die Vorherrschaft des Frontalunterrichts ungebrochen ist, sollen im folgenden erörtert werden.
     

    (1)Das von Lehrern am allerhäufigsten genannte Argument für die Beibehaltung des Frontalunterrichts lautet: "Ich komme sonst mit meinem Stoff nicht durch!"

    These 10.5: Frontalunterricht ist die vermeintlich effektivste Form der Stoffvermittlung, tatsächlich aber nur eine geeignete Form der Darstellung von Sach-, Sinn- und Problemzusammenhängen.


    Auch wenn dieses Argument empirisch nicht zu belegen ist (vgl. S. 1, 141) und durch die entmutigenden Erhebungen über das bei Erwachsenen verbliebene Schulwissen fortwährend desavouiert wird, scheint es doch ganz tief im Alltagswissen der meisten Lehrer verinnerlicht zu sein. (...) Aber die Gewißheit eines Lehrers, er sei mit dem Stoff 'durchgekommen´, sagt doch noch gar nichts darüber aus, ob der Stoff auch bei den Schülern ªangekommen´ sei. Die Angst, mit dem Stoff nicht durchzukommen, ist das entscheidende Hindernis für die innere Schulreform! Man müßte Zeit wie Heu haben - und wer hat das schon?
    Die Vorstellung, daß es im Unterricht im wesentlichen um die 'Stoffvermittlung´ zu gehen habe, ist richtig und falsch zugleich: Sie ist richtig, weil die in der Schule und die bei den ªAbnehmern´ durchgeführten Leistungskontrollen weitgehend stofforientiert erfolgen. (...) Aber das hier abgeprüfte Wissen wird zumeist nur kurzfristig angelernt und ebenso schnell wieder vergessen. Auf Dauer zählt nur jenes Wissen, das mit Kopf, Herz und Hand angeeignet und in Handlungskompetenzen übertragen worden ist!
    Es ist fatal, daß viele Schüler schon nach wenigen Schuljahren dasselbe Stoffvermittlungs-Denken verinnerlicht haben wie viele ihrer Lehrer. Viele fragen schon nach wenigen Tagen projektförmigen Unterrichts ªWann haben wir wieder richtigen Unterricht?´ (...) Er sei zwar langweilig, aber eben 'lehrreich´.
     

    (2) Ein zweites, oft genanntes Argument für die Beibehaltung des Frontalunterrichts lautet in etwa: 'Nur hier habe ich meine Pappenheimer unter Kontrolle!´

    These 10.6: Frontalunterricht erleichtert eine oberflächliche Disziplinierung der Schüler.








    Nur im Frontalunterricht kann die Masse der Schüler jederzeit kontrolliert werden, nur hier kann der Lehrer jederzeit Blickkontakt aufnehmen, jemanden zur Rede stellen oder zum Schweigen auffordern. Nur hier kann er jederzeit das Arbeitstempo beschleunigen oder verlangsamen; er kann korrigieren, loben, tadeln, ermuntern und unterbrechen.
    Aber bei dieser Form der Schüler-Disziplinierung handelt es sich lediglich um ein Laborieren an den Symptomen: Die Schüler sind solange bei der Sache, wie sie sich beaufsichtigt fühlen. Versteht man unter 'Disziplin´ jedoch den Aufbau disziplinierter Sach- und Sozialbeziehungen der Schüler, so werden im Frontalunterricht allenfalls gewisse Vorleistungen für das Erreichen dieses Ziels erbracht: Die Schüler können unter Anleitung des Lehrers lernen, sich sprachlich sachangemessen auszudrücken; sie können lernen, auf die Mitschüler zu hören und die Arbeits- und Regieanweisungen des Lehrers zu verinnerlichen - die eigentlich wünschenswerte Selbstdisziplin der Schüler ist im Frontalunterricht aber weder herzustellen noch zu überprüfen! Erst dort, wo die Schüler selbsttätig und selbständig arbeiten, können sie auch lernen, sich den Sachansprüchen der Lernaufgabe auszusetzen und sie zu meistern.
     

    (3) Ein dritter Grund für die Vorherrschaft des Frontalunterrichts liegt m. E. darin, daß er die Ritualisierung des Unterrichts erleichtert und damit die immer wieder gefährdete Machtbalance zwischen dem Lehrer und den Schülern sichert:

    These 10.7: Frontalunterricht ist die Bühne für die Inszenierung von Unterrichtsritualen.


    Was sind Unterrichtsrituale? Es handelt sich um geronnene Verkehrsformen im institutionellen Kontext der Schule. Lehrer und Schüler liefern sich sinnlich-anschaulichen Inszenierungen des schulischen Gewaltverhältnisses. Sie spielen mit- und gegeneinander vor, wer Herr im Hause ist. (...)
    Sie schaffen kalkulierbare Verhaltenserwartungen für Lehrer und Schüler, sie dienen der Demonstration der Macht der Institution, aber auch der Kanalisierung der Triebpotentiale des Lehrers und der Formierung und Unterdrückung der Interessen, Phantasien und motorischen Bedürfnisse der Schüler.
    Es wäre unsinnig, die Ritualisierung des Frontalunterrichts vollständig abbauen zu wollen, weil dies unter den gegebenen Verhältnissen nicht geht. Solange Schulen eine Selektions- und Disziplinierungsfunktion haben, wird es auch Rituale geben. (Auch in Projektwochen werden neue Rituale der Präsentation der Ergebnisse, der Beteiligung der Eltern, des Lobs der Schüler geschaffen.) Es kommt jedoch darauf an, die aus dem Obrigkeitsstaat stammenden Rituale einseitiger Demonstration der Machtfülle des Lehrers abzubauen und durch neue, die Beteiligungschancen aller Schüler am Unterrichtsablauf sichernde Rituale zu ersetzen. Es müßte möglich sein, ritualisierte Formen des Einspruchs und der Mitsprache von Schülern zu entwickeln, die auch vom Lehrer anerkannt werden können.
     

    (4) Die Mehrheit der knapp 600 000 Lehrerinnen und Lehrer in der Bundesrepublik erträgt die Vorherrschaft des Frontalunterrichts ohne großes Murren. Warum, so ist zu fragen, ist der Frontalunterricht so schön? Es gibt ein weiteres, viertes Argument, das oft nur ganz verschämt und hinter vorgehaltener Hand zugegeben wird: Frontalunterricht macht Spaß! Trotz Zeitdruck, Stoffülle, Zensierungselend und vielem anderen mehr macht es Spaß, die Schüler mit Geschick und Phantasie dazu zu bringen, komplizierte Sachverhalte zu kapieren, befriedigt es, ihnen eine Geschichte zu erzählen, die ªankommt´, ist es schön, wenn eine Unterrichtsstunde rund und stimmig, interessant und auf hohem Niveau verlaufen ist. - Frontalunterricht schafft offensichtlich für viele Lehrer mehr Lustgewinn als der ungeliebte Gruppenunterricht oder die Partnerarbeit, weil die Lehrer dabei sinnlich-anschaulich und in direkter Rückmeldung erfahren können, was die Schüler bei ihnen gelernt haben.

    These 10.8: Frontalunterricht wird von engagierten und leistungsstarken Lehrern als befriedigend und sinnvoll erlebt, weil er (tatsächliche oder auch nur vermeintliche) direkte Rückmeldungen des eigenen Lehrerfolges liefert.


    Gegen ein solches Gefühl der Befriedigung ist überhaupt nichts einzuwenden - im Gegenteil muß betont werden, daß die Erfolgserlebnisse des Lehrers das entscheidende Motiv für die engagierte Weiterarbeit und auch für die Verfeinerung des eigenen Methodenrepertoires darstellen. Mißerfolg ist ein schlechterer Lehrmeister! Sehr leicht gerät bei der Begeisterung über den eigenen Lehrerfolg jedoch aus dem Blick und kurz darauf auch aus dem Bewußtsein, daß sich der Lehrer über die Ergebnisse von Gruppenunterricht, von selbständiger Einzelarbeit oder von projektförmigem Unterricht ebenso, wenn nicht noch mehr freuen könnte. Denn diese Erfolge haben eine noch weitaus qualifiziertere Lehrerarbeit zur Voraussetzung! Viele Lehrer haben Angst, die Schüler freizugeben. Aber nur derjenige Lehrer, der sich über die Abnabelung seiner Schüler von sich selbst freut, ist ein guter Lehrer!
    Es besteht die Gefahr, daß ein Lehrer vor lauter Selbstdarstellungsdrang und Schauspielerei die Schüler aus den Augen verliert. Und dann kippt das positive Bild des engagierten, starken Lehrers unversehens um in das negative Bild der narzißtischen Persönlichkeit - des Lehrers, der von seinen Schülern geliebt werden will, aber selbst nicht lieben kann, der fortwährend neue Objektbindungen sucht, aber sie doch immer wieder verliert, der fortwährend im Kollegium von den tollen Leistungen 'seiner´ Schüler redet, aber in Wirklichkeit in diesen Berichten nur sein eigenes Lehrgeschick widerspiegeln will. Lehrer sollten ins Gelingen, nicht in sich selbst verliebt sein!
     
     

    1.4 Folgerungen

    Die seit der Reformpädagogik vom Beginn dieses Jahrhunderts geläufige keineswegs originelle Kritik am Frontalunterricht hat eine schwierige Situation geschaffen: Für die Theoretiker ist der Frontalunterricht weitgehend uninteressant (s.o.) - die Praktiker betreiben ihn notgedrungen, aber oft mit schlechtem Gewissen und ohne didaktisch-methodische Impulse der Theorie. So ist eine Verkümmerung der Methodenkultur des Frontalunterrichts entstanden, die dringend korrigiert werden sollte! Frontalunterricht ist nicht zwangsläufig etwas Schlechtes, so wie Gruppenunterricht oder Projektarbeit nicht zwangsläufig und für jede Unterrichtssituation gut sind. Es gibt guten und schlechten Gruppenunterricht ebenso wie guten und schlechten Frontalunterricht. Deshalb der entschiedene Ratschlag:

    These 10.9: Sowenig Frontalunterricht wie möglich aber wenn schon, dann bitte ohne schlechtes Gewissen und mit didaktisch-methodischer Phantasie!


    Die Vorstellung manches Berufsanfängers, man könne, ja man müsse den Frontalunterricht vernachlässigen, damit der Gruppenunterricht und die Projektarbeit gelinge, ist auf jeden Fall unsinnig! Die beste Voraussetzung für das Gelingen des Gruppenunterrichts ist ein gut gemachter Frontalunterricht!
     
     
     

    Kritik zu formulieren kann jedoch nur der erste Schritt sein. Es muss weiter geklärt werden, wann und wie der Einsatz der frontalen Methode Sinn macht:


    Abschliessend zwei von Peter Gasser aufgestellte Schlüsselfragen des Frontalunterrichts:

  • Ist die Lehrperson eine fachkompetente Vermittlerin relevanter Inhalte?
  • Werden Inhalte zielstrebig,verständlich und klar strukturiert (ev. in einem systematischen Zusammenhang) vermittelt, entwickelt, dargestellt und aufgebaut?
  • (Gasser. „ Neue Lernkultur". S.141)
     
     
     

    Vorzüge und Ziele der Methode
     

    Mit der didaktischen Funktion, die Ausgangs des letzten Abschnitts dargelegt wurde, sind implizit auch die Stärken der Methode genannt. Pointiert und stark verdichtet formuliert:

    Der Frontalunterricht erlaubt es dem Darbieter einen Inhalt in klaren Strukturen aus der ihm relevant erscheinenden Sicht effizient zu vermitteln und damit sicherzustellen, dass alle Rezipienten auf dem selben Stand sind.

    Eine wichtige, für den ELF-Unterricht besonders interessante Funktion, die der Frontalunterricht erfüllen kann, ist bislang unerwähnt geblieben:

    Der Frontalunterricht kann als Vorbereitung und Hinführung zu anderen Lernformen wertvolle Dienste leisten.

    Schritt für Schritt erarbeitet die Lehrperson Lernmodelle und vermittelt jenes Rüstzeug, mit dessen Hilfe die Lernenden ihrem Alter gemäss selbständig und eigenverantwortlich handeln und lernen können. (....) Frontalunterricht dient auch dazu, Grundlagen für die selbständige Arbeit in schülerinnenzentrierten Organisationsformen zu erarbeiten.
    (Müllener-Malina, Leonhardt. „Unterrichtsformen konkret". S.70f)
     
     
     
     

    Einstiegsformen und -hilfen
     

    Muss heute noch jemand in Frontalunterricht eingeführt werden, nachdem einjede/r doch tausende solcher Stunden verabreicht bekommen hat? - Um so mehr, meine ich, denn das verinnerlichte Bild stammt meist von schlechten Frontalerfahrungen, ist tief verwurzelt und damit sehr veränderungsresistent. Qualitativ guter Frontalunterricht muss erst erlernt und ins eigene Methodenrepertoire integriert werden.

    Als Grundsatz im Umgang mit frontalen Unterrichtsformen soll gelten:

    Frontal ja, aber im Mass, dann wenn wirklich angebracht und mit möglichst grosser Methodenkompetenz.

    Qualitätskriterien wurden im vorangehenden Abschnitt bereits genannt. Es gibt einige didaktische Prinzipien und Konzepte, die sehr gewinnbringend in den Frontalunterricht integrierte werden können:

  • Modeling („Cognitive apprenticeship")
    (Reusser Kurt; Allgemeine Didaktik I: Grundlagen und Grundfornen des Unterrichtens; Uni. Zürich, Pädagog. Institut, 1995)
    (Guldimann Titus; Eingenständiger Lerner; Bern, Stuttgart, Wien; Haupt 1996)
  • Problemorientierung
    (Landwehr, Norbert; Neue Wege der Wissensvermittlung; Aarau; Verlag Sauerländer 1995)
  • Handlungsorientierung
    (Meyer. „Unterrichtsmethoden - II Praxisband". S.395ff)
  • Exemplarität
    (Wagenschein Martin; Verstehen lehren; Beltz 1982)

  • Und...

    Dieses selbständige Handeln wird stets durch irgend eine Art von Auftrag ausgelöst. Lernaufträge oder Lernaufgaben nehmen überhaupt einen zentralen Platz im täglichen Unterrichtsgeschehen ein. Sie gekonnt zu planen, zu formulieren und einzusetzen ist somit höchst bedeutsam. Denn meist liegt es an ihnen, ob echte Lernprozesse ausgelöst oder einfach nur sinnentfremdete, gedankenlose Kopierroutinen abgespult werden.

    Da Lernaufgaben überall vorkommen, im Frontalunterricht wie auch in Werkstätten oder Wochenplänen, möchte ich näher auf sie eingehen:
     
     
     
     


    Lernaufgaben
     
     

    Unter Lernaufträgen verstehen wir klare mündliche oder schriftliche Arbeitsanweisungen. Ziel ist es, dass die Schülerinnen und Schüler selbständig und ihrem Lerntyp entsprechend auf eigenen Lernwegen daran arbeiten können. Sinnvolle Lernaufträge bauen auf den individuellen Voraussetzungen der Lernenden auf (inhaltliche, personale und soziale Voraussetzungen), ermöglichen ihnen ein vernünftiges Mass an Mitbestimmung (bezüglich Lernweg, Arbeitstechnik, Arbeitsmitteln, Sozialform) und wirken sich dadurch positiv auf die Lernmotivation aus. Mit zunehmender Erfahrung können Lernende Lernaufträge (vielleicht mit Hilfe der Lehrperson) auch selbständig formulieren.
    (Müllener-Malina, Leonhardt. „Unterrichtsformen konkret". S.34)
     

    Lernaufgaben sind Bausteine und Grundelemente verschiedener Lehr-Lern-Verfahren (Gruppenarbeit, Planarbeit, Werkstattunterricht, Fallstudien, individueller Förderunterricht usw.) . Mit der Lernaufgabe steuern wir die äussere / beobachtbare Lernaktivität, lösen wir innere Lernprozesse auf konkrete Lernergebnisse, -wirkungen und -ziele hin aus.

    Checkliste für das Konstruieren von Lernaufgaben:

  • Zuerst den Lern- und Stoffzusammenhang klären (Fach, Fachgebiet)
  • Den Neuigkeitsgehalt der Aufgabe klären
  • Die Lernaufgabe als Handlungsanweisung formulieren / aufschreiben
  • Die nötigen Unterlagen / Texte / Bücher bereitstellen
  • Das sichtbare / lesbare / greifbare / hörbare Ergebnis definieren
  • Das Erfolgskriterium deklarieren; festlegen, wie man das Ergebnis beurteilt, wie die Lernkontrolle durchzuführen ist
  • Die Lernaufgabe selber lösen (und dabei merken, was fehlt, was verbessert werden muss)
  • (Gasser. „ Neue Lernkultur". S.196)
     
     

    Die Kernfrage lautet:

    Welche Lernprozesse werden durch die Lernaufgabe ausgelöst?
     

    Lernaufgaben müssen sinnvolle Lernprozesse auslösen, indem sie die Voraussetzungen der Lerner berücksichtigen und ausgehend vom Vorwissen - das zuerst aktualisiert werden muss - einen Lernweg initiieren, das heisst, durch die innere Auseinandersetzung mit einer Thematik oder Problemstellung wird neue Erkenntnis aufgebaut, gefestigt und schliesslich in andere Situationen transferiert.
    Damit bewegt sich der Verfasser von Lernaufgaben auf lernpsychologischem Hintergrund, der den Lehrpersonen - wollen sie Experten des Lernens sein - bekannt sein muss.

    Peter Gasser zeigt mögliche Arten von Lernprozessen auf mit seinen...
     

    Prototypen des Lernens und der Lerneinstellungen

    Der Lernende soll...

  • sein Vorwissen aktivieren
  • etwas erleben / erfahren
  • Ideen sammeln, sichten, ordnen, bewerten
  • sich informieren, ins Bild setzen, etwas kennenlernen, sich erkundigen, einen Überblick erhalten
  • etwas herausfinden, erforschen, untersuchen, analysieren, entdecken
  • etwas (besser) verstehen, klären, bearbeiten, diskutieren, durcharbeiten, strukturieren, verdichten
  • etwas beherrschen lernen, besser können, fehlerfrei aufzählen, schildern können
  • etwas abrufbar aneignen, auswendig lernen, verfügbar machen
  • etwas beurteilen, vergleichen, bewerten
  • Einstellungen aufbauen, eine Ansicht entwickeln, einen Standpunkt vertreten lernen
    ...
  • (Gasser. „ Neue Lernkultur". S.268)
     
     

    Die Bedeutsamkeit des Standardwerks Unterrichtsrezepte von Jochen und Monika Grell ist gerade bezüglich der Formulierung von Qualitätsmerkmalen für Lernaufgaben unangefochten:
     

    "Lernaufgaben" (nach Jochen und Monika Grell S. 232-273)

    "Lernaufgaben sind Arbeitsaufträge, mit denen sich SchülerInnen allein zu zweit oder in kleinen Gruppen beschäftigen. Die Lernaufgabe dient der Verarbeitung der vorausgehend vermittelten Information. Während der Bearbeitung der Lernaufgabe ist der Lehrer nicht in frontalem Kontakt mit der Klasse."

    Lernaufgaben haben bei J. und M. Grell ihren klar definierten Platz in einem Artikulationsschema (zusammengefasst: S. 103-104); sie stehen in einer definierten Umgebung und verlangen insbesondere einen vorausgehenden informierenden Teil, eine angemessene Erläuterung zur Lernaufgabe und eine Weiterverarbeitung der Resultate der Lernaufgabe.

    Das Hauptmerkmal der Lernaufgabe besteht darin, dass Schüler/innen eine gewisse Zeit ohne direkte Steuerung durch den Lehrer/die Lehrerin arbeiten. Es ist ein didaktisches Prinzip, das Sie sehr schnell anwenden können. Sie müssen folgende Punkte beachten:

  • Lernaufgaben haben immer einen Inhalts- und einen Verhaltensaspekt, beide müssen im Auftrag an die Schüler/innen erkennbar sein.
  • Lernaufgaben müssen Gelegenheit bieten, dass die Schüler/innen selbständig und in eigener Aktivität Lernerfahrungen machen können.
  • Lernaufgaben müssen etwas mit dem Sinnhorizont der Schüler zu tun haben, und sie sollten beispielhaft (exemplarisch) sein.
  • Lernaufgaben müssen den Fähigkeiten der Schüler in der Weise angepasst sein, dass sie Erfolgserlebnisse und positive Lernerfahrungen ermöglichen, andererseits aber so komplex sein, dass sie eine Herausforderung darstellen.
  • Lernaufgaben haben einen angemessenen Informationsinput zur Voraussetzung.
  • Bei der Formulierung von Lernaufgaben muss darauf geachtet werden, möglichst wenig "Reaktanz" auszulösen.
  • (R. Isler. Sekundar- und Fachlehrerausbildung Uni. Zürich. Seminar "Erweiterte Lehr- und Lernformen" WS 96/97)
     
     

    Lernaufgaben oder -aufträge müssen ausserdem...

    1.) unmissverständlich und adressatengerecht konzipiert und geschrieben sein.
         (Sie sollen ja die Lehrperson während des selbständigen Arbeitens ersetzen!)
    2.) klare Lernziele formulieren und Erfolgskriterien definieren.
    3.) klären wieviel Zeit zur Verfügung steht.
    4.) Material und Sozialform angeben.
    5.) Hinweis geben ob Selbst- oder Fremdkorrektur verlangt ist.
     

    Mit Lernaufgaben ist auch schon ein erster kleiner Schritt in Richtung Differenzierung getan, können doch Bearbeitungstempo und Lernweg individuell gestaltet werden.
    Eine weitergehende Differenzierung ist möglich und je nach Ziel auch erwünscht, wenn Lernaufgaben selber schon auf die individuellen Voraussetzungen und Anforderungen zugeschnitten werden, oder in zunehmenden Masse die SchülerInnen in die Aufgabenfindung einbezogen werden, was eine gewisse Selbstdifferenzierung ermöglicht.
     
     





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