Ch. SITTE: Entwicklung des Unterrichtsgegenstandes Geographie, Erdkunde, Geographie u. Wirtschaftskunde an allgemeinbildenden Schulen in Österreich nach 1945. Dissertation an der Grund- u. Integrativwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. 1989, 2 Bde.

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Kapitel    

8.2   DIE GEOGRAPHIE AN KAUFMÄNNISCHEN SCHULEN

8.2.1  Die Ausgangslage im 19.Jahrhundert :

 

     Anders als in den achtklassigen Gymnasien der "Exner-Bonitz-Reform" 1848, bestand in der "Gremial-Handelsschule des Wiener Kaufmannsstandes" 1848 (wie auch schon in der 1770 (bis 1815) gegründeten ebenfalls privaten "Real-Handlungsakademie") oder in der "Prager-(1856)" und "Wiener Handelsakademie (1857)"  (nach SEDLAK V. 1948, bzw. DORNINGER/RIESS 1985) immer schon ein eigenes Schulfach "Handelsgeographie" bzw  "Geographie" (vgl. etwa bei RICHTER H.M. 1873 - Die Entw. d.kaufm. Unterr. in Österr. nebst einer documentarischen Geschichte der Wiener Handelsakademie - oder bei PSENNER/PAZAUREK, BBS-Handbuch. Lieferung 2/1  1962)

      Auch die Lehrplanangaben waren durchaus umfangreicher als in den sonstigen zeitgenössischen Lehrplänen. Vergleicht man den Umfang des Gymnasiallehrplans "Geographie" für die Oberstufe von 1909  (VERORDNUNGSBLATT d. BMU v.1.4.1909 S. 207-209 ) mit dem Umfang dem des Faches "Handels-und Verkehrsgeographie" 1912   (In: Organisation u. Regulativ d. Neuen Wr. Handelsakademie Wien 1912, S. 38-40 - im Dokumentenanhang der schriftl. Fassung), so fallen nicht nur die unterschiedliche Stundendotierungen auf:

  Gymnasium Oberstufe mit 1/1/0/(3 = zusammen mit Geschichte und Bürgerkunde)  Wochenstunden

  Wr. Handelsakademie mit 2/2/2/2 Wochenstunden in allen vier Jahrgangsstufen

      Der Textumfang ist in der HAK mit 53 Zeilen ist fast doppelt so lang, wie im Gymnasiallehrplan (28 Zeilen), wobei jedoch zu letzteren noch ca eine Seite  "Bemerkungen" (zur Unterrichtsführung) hinzukommen, die im HAK-Lehrplan fehlen. Sogar in der zweijährigen Handelsschule (mit einer Vorbereitungsklasse (3/3/3 Wochenstunden) umfaßt der Lehrplan noch 45 Zeilen.

      Diese weitaus stärkere Stellung des Unterrichtsfaches in den kaufmännischen Schulen verdeutlichen auch die verwendeten Schulbücher, die weitaus umfangreicher sind, als die zur gleichen  Zeit für die gleiche Altersstufe in Gymnasien und Realgymnasien (z.B. ZEHDEN K., 12.Aufl.1913 mit 648 Seiten, gegenüber dem Oberstufenband = IV. Teil von HEIDERICH F., 1911 mit 228 Seiten - beide Bücher siehe Schulbuchbibliographie im Anhang). Dieser Zustand blieb - übrigens auch in der Methodik der Lehrbücher (die leider primär auf Inhalte bedacht) auch in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts (eigentlich bis zum LP 1978, da in diesem Bereich die Bücher von EBNER u.a. bis dahin das Monopol im Geographiebereich innehatten) unverändert.

8.2.2    "Geographie und Wirtschaftskunde"  an HAK nach 1963:

     Es gibt über den Geographieunterricht an kaufmännischen Schulen vor 1978 außer den Lehrplänen und dem Schulbuch (seit 1953/54 EBNER/STEINER als immer wieder aufgelegtes Monopolbuch) praktisch keine Literatur. Soviel aber läßt sich aus der Umbenennung des Faches "Wirtschaftsgeographie" in "Geographie und Wirtschaftskunde (einschließlich Wirtschaftsgeographie)" 1963 erkennen, daß dieser Etikettenwechsel nur deshalb im SCHOG 1962 erfolgt ist, um für HAK-Maturanten die allgemeine Hochschulberechtigung zu erhalten. Dies zeigt auch der Umstand, daß in der Handelsschule die Fachbezeichnung nur in "Geographie (einschließlich Wirtschaftsgeographie)" geändert wurde. Diese Bezeichnung ersetzte den seit der Zwischenkriegszeit geltenden Namen "Wirtschaftsgeographie" (LP 1952), für den an der Universität ausgebildete Lehrer eine Zusatzprüfung zur Erweiterung ihrer Lehrbefähigung ablegen mußten (seit 1907 - vergl. J.WIMMER 1982,S.52).

      In der,seit 1963 fünf Jahrgänge umfassenden HAK, verschob sich GW, die vier Klassen mit je zwei Wochenstunden behaltend, nur um einen Jahrgang nach oben. Auch die alte Stoffanordnung blieb. Während vergleichsweise in der AHS die Inhalte der Österreichklasse stark zunahmen, blieben sie hier bis auf kleine Ergänzungen gleich - ebenso auch die Bücher (etwa die von von A. EBNER) !

      Für die ab Anfang der 70er Jahre wieder geführten Diskussionen um eine Reform der kaufmännischen Schulen und ihrer Lehrpläne (vgl. E. MANN in Päd.Mitt.d. VERORDNUNGSBLATTES 1976) , gibt es kaum einzelne, nichtkommerzielle Fächer betreffende Literatur. Nur indirekt kann man für GW aus einem, das neueingeführte Fach "Zeitgeschichte" betreffenden Artikel von A. WALZL (1980) Schlüsse ziehen:

     Man kann wohl nicht daran zweifeln, daß bei der Lehrplanreform die Erneuerung und Anpassung der kommerzialistischen Fächer ... sogenannte allgemeinbildende Gegenstände in ihren Sog gezogen hat - daß also das Schwergewicht der Bedeutsamkeit in jener anderen Fächergruppe zu suchen ist, was ja wohl auch an der dort angewendeten Sorgfalt der Neustrukturierung ablesbar bleibt (ebenda, S.299).

Anmerkung: Wie ich aus Gesprächen mit Teilnehmern dieser HAK/HAS Reform bei Fortbildungsveranstaltungen in den darauffolgenden Jahren erfragen konnte, waren nur bei den "typenbildenden" kommerziellen Gegenständen Vertreter der Universitäten bei der Lehrplanarbeit involviert.

       WALZL (1980) berichtet von drei Sitzungen  a l l e r   nichtkommerziellen Fächer: Am 13.September 1974 in Wien wurden von den Landesschulräten nominierte Lehrer angewiesen, überaltete Stoffgebiete auszuscheiden und neue Teilgebiete aufzunehmen (ebenda, S.299). Auszugehen wäre von den zwar nur als Entwurf vorliegenden, aber praktisch fertigen Allgemeinen Bildungszielen und Allgemeinen Didaktischen Grundsätzen. Dies wurde noch durch die Anweisung ergänzt, daß für die Lehrplanentwürfe eine taxative Aufzählung der einzelnen Lehrstoffgebiete notwendig sei, die auch Angaben über den erforderlichen Zeitaufwand enthalten müsse (WALZL: 1980, S.300).

Vom 9.-13. Dezember 1974 trafen die Arbeitsgruppen der nichtkommerzialistischen Fächer zu einer Arbeitstagung in Hallein. Dort erfolgte die Ausarbeitung von Entwürfen, den ergangenen Weisungen zufolge als Stoffkataloge mit Zeitangaben (ebenda,S.300). Auf einer neuerlichen Tagung der o.a Arbeitsgruppen, die wiederum als Seminar des BIP-Wien vom 10.-14.März in St.Ullrich bei Steyr stattfand sahen sich die Arbeitsgruppen der endgültigen Stundentafel gegenüber. Hatten schon die Tagungen in Wien und Hallein gezeigt, daß curriculare Untersuchungen und lerntheoretische Intentionen  n i c h t  vorgesehen waren, so ergab die Tagung in Steyr die Notwendigkeit, die vorhandenen Rohhentwürfe in das vorgegebene Zeitschema einzufügen (ebenda, S.300).

      Auch das Schulfach "Geographie und Wirtschaftskunde (Wirtschaftsgeographie)" wurde in dieser Stundentafelumstellung in die ersten drei Jahrgänge der HAK hinuntergeschoben und verlor seine Maturafachstellung, zugunsten naturwissenschaftlicher Fächer.           

Sicher hat in dem dabei stattgefundenem Verdrängungsprozeß bei der Umschichtung der Stundentafeln auch das Bild des GW-Unterrichts in den Augen der Entscheidungsträger eine Rolle gespielt. An der Hochschule für Welthandel galt lange Zeit "Geographie" als relativ "leichtes" Fach für Diplomarbeiten.

      Wichtigster außerschulischer Grund dürfte aber doch der Umstand gewesen sein, daß sich - im Unterschied zur Situation an AHS und HS - keine Lobby gefunden hatte, die die Fachinteressen unterstützt hätte. In den Allgemeinbildenden Schulen waren und sind es besonders die außerschulischen Gruppen, die an der "Wirtschaftskunde" interessiert waren/sind, die dort das Fach stützen (so ja auch bei der letzten Änderung der AHS Oberstufenlehrpläne 1989, wo GW wieder eine zweite Stunde in der Maturaklasse dazubekommen hat, bzw. im Typ "Wirtschaftskundliches Realgymnasium" in den beiden letzten Klassen sogar je drei Wochenstunden gewonnen hat). In der Diskussion um die AHS-Oberstufen-Stundentafeln 1988 sind in keiner Phase die Stunden von GW in allen Klassen bzw das zusätzliche Wahlpflichtfach in Frage gestellt worden. Da sich in den allgemeinbildenden Schulen aber die auf fachdidaktische Veränderung drängenden Kräfte in der GW-Lehrerschaft und GW-Fachdidaktik diesen von außen an die Schule herangetragenen Forderungen nicht verschlossen, sondern im Gegenteil, mit diesen  Gruppen (Bundeswirtschaftskammer, Volkswirtschaftliche Gesellschaften, Vereinigung Österreichischer Industrieller und etwas schwächer auch die Arbeiterkammer) koalierten, konnten so auch zeitgemäßere geographiedidaktische Ansätze in den Lehrplänen verankert werden.

Retadierende Gruppen, die auf die Beibehaltung der Schulländerkunde, der alten Morphologie, auch über den Tarnbegriff "Problemorientierte Länderkunde" (vergl. J. STARGL 1981 u.1982) diese Entwicklung verhindern wollten, hatten somit nie Ansprechpartner bzw. konnten derartige Versuche der Konservierung der Fachstruktur durch die Mobilisierung der oben angeführten Sozialpartner nie richtig zum Tragen kommen.

      Ganz anders die Konstellation in den kaufmännischen Schulen. Ganz im Gegensatz zur oben geschilderten Situation in den allgemeinbildenden Schulen, bestehen dort ja eigene Wirtschaftsfächer. So werden im, in der Regel von Juristen (ohne Lehramtsprüfung) unterrichteten Schulfach "Volkswirtschaftslehre und Soziologie" nach den Lehrplanänderungen 1977/78 und 1988 ein großer Teil der Inhalte abgedeckt, die in den allgemeinbildenden Schulen der Unterricht in GW bringen soll, darüber hinaus aber auch eine Reihe "geographischer" Aspekte:

...Verständnis für die Problematik des Umweltschutzes aus volkswirtschaftlicher und soziologischer Sicht...Integration und Großraumwirtschaftspolitik...Einkommensverteilung...Gastarbeiter...Wohnraumpolitik...Agrarpolitik (in der HAS noch zusätzlich: Industrie-und Entwicklungsländer, Probleme der Entwicklungshilfe)  (LP HAK/HAS  Vdg. BMUKS v. 4.10.1977) . Oder im LP 1988  (LP 1988 in BGBl. v. 21.7.1988)  noch dazu: ...Faktor Grund und Boden...Ausgewählte Kapitel zB. Fremdenverkehr, Industrie ...Entwicklungshilfe. Zusätzlich sind alle möglichen Fächer für Querverbindungen angeführt - nur nicht GW !

      Ein - später noch angeführter - Ministerialrat sprach sich auch bezüglich der Wirtschaftskompetenz der GW-Lehrer immer negativ aus. Praktische Auswirkungen hatte das, als wiener GW-Lehrer sich bemühten, ebenfalls - zumindest in der HAS, mit dem Argument der pädagogischen Kontinuität in den Klassen - "Volkswirtschaftslehre"  unterrichten zu dürfen  (vergl. Ch.SITTE 1983  und WESTERMAYER K. 1986).         

      Im Gegensatz zur Situation bei den allgemeinbildenden Schulen gelang es den, zeitgemäße und fachdidaktisch begründbare Strukturen  fordernden HAK-Lehrern nicht, sowohl Arbeiterkammer als auch Bundeswirtschaftskammer oder Volkswirtschaftliche Gesellschaften 1988 für eine Weiterentwicklung des Schulfaches "GW an kaufmännischen Schulen" zu motivieren .

      Es wundert daher nicht, daß diejenigen Kräfte im Schulbereich der kaufmännischen Lehranstalten, die am Beharren der traditionellen Fachstrukturen interessierte waren, starke Rückendeckung der Schulverwaltung, und deren eingeschränkten fachdidaktischen Vorstellungen hatten.  

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 8.2.3.  Der Lehrplan  1977/78

 .

      Trotz des äußeren Bedeutungsverlustes des Faches ist dieser Lehrplan fachdidaktisch interessant, weil er - trotz aller terminologischen Unschärfen - erstmals einen Übergang vom rein länderkundlichen Stofflehrplan traditioneller Prägung zu neueren, sozialgeographisch ausgerichteten, thematischen und handlungsorientierten Konzeptionen darstellt (WOHLSCHLÄGL H./Ch.SITTE: 1986, S.275).

      VIELHABER Ch./H.WOHLSCHLÄGL (1986, S.135) sehen in seiner Konzeption den Gegensatz zwischen Tradition und Moderne im GW Unterricht am deutlichsten von allen Österreichischen Lehrplänen symbolisiert, indem die Koexistenz zwischen länderkundlichem und zielorientiertem Unterricht sogar gesetzlich verordnet wurde. Er ist ein überzeugendes Beispiel der von den beiden Autoren angeführten Unterordnung sachlogischer Argumente unter jene Kompromißformeln, die von der Gesamtheit der beteiligten Lehrplanautoren (und in der regel fachdidaktisch nicht sonderlich interessierter Behörde) gerade noch als Konsens akzeptiert werden konnte.

      Äußerlich war besonders dieser Fachlehrplan für GW anders strukturiert als bisher in unserem Fach üblich: (vgl. bei http://www.ris.bka.gv.at/auswahl/ )

 Zwar war der Beginn des dreistufigen GW-Kurses, wie auch schon in der Monarchie, geprägt durch einen relativ langen und traditionell gehaltenen Einstieg mit der (hier noch sehr altertümlich formulierten) Physiogeographie, die fälschlicher Weise 1978 als "Allgemeine Geographie" den ersten Abschnitt bildet. Danach ein ebenfalls allgemeiner Abschnitt, mit dem in der Fachliteratur nirgends gebrauchten Ausdruck "Wirtschaftsökologie" (?), in dem neben landschafts- und humanökologischen auch bevölkerungsgeographische Inhalte subsummiert waren. Der dritte Abschnitt (im II.und III.Jahrgang dann jeweils der erste Abschnitt) war mit "Regionalgeographie" übertitelt. Den raummäßig größten Teil nahmen in jedem Jahrgang sogenannte "Lernzielorientierte exmplarische Themen, zB.:..." ein. Das "z B.:" sollte ihren Vorschlagscharakter verdeutlichen. Erstmals für kaufmännische Schulen ist zu dem Lehrplan ein amtlicher "KOMMENTAR" beim staatlichen Österreichischen Bundesverlag herausgekommen (Der GW-Teil war von dem Tiroler S. STECHER abgefaßt worden).

      In einem ersten fachdidaktischen Beitrag zu diesem neuen HAK/HAS Lehrplan in der damals neu gegründeten österreichischen fachdidaktischen Zeitschrift "GW-UNTERRICHT" (in der dann auch erstmals das folgende Geschehen dokumentiert wurde) schrieben HANISCH H./ W.RIESS / Ch.SITTE (1979, S.35) von einem "Anlaß zur Hoffnung" : ...Als Fortschritt gegenüber allen sonst in Österreich gebräuchlichen GW-Lehrplänen ist zu registrieren, daß "übertragbares Wissen und Können"  (Zitate aus dem KOMMENTAR zum LP, Hrsg beim ÖBV 1978, der im Text zum Fach Geographie von S. STECHER -HAK Imst - verfaßt worden ist - auch abgedruckt in GW-Unterricht H. 4/1979 S. 39)  in Ausrichtung auf Qualifikationen gefordert wird. "Die Bildungsinhalte dienen nur als Mittel zu ihrer Erreichung".... Textstellen wie "Regionalgeographie soll sich auf Großraumübersichten beschränken und eine gleichrangige länderkundliche Abhandlung von Staaten vermeiden" , ..." eine entsprechende  Lehrstoffverteilung sollte den lernzielorientierten exemplarischen Themen doppelt soviel Zeit wie der Länderkunde einräumen"..., sucht man sonst in derzeitigen Österreichischen regulären GW-Lehrplänen vergebens. (In der Tat brachten erst die Formulierungen im GW-LP für die Schulen der 10-14jährigen (AHS u. HS  in BGBl. Nr 88/1985 und 591/1986 - sihe dazu Kommentarhefte als "Lehrplanservice 1985 bzw. 1988 ebenfalls beim stattlichen ÖBV Wien)    

     Die teilweise Thematisierung ist sicher ein Fortschritt, Lernziele hat man jedoch nicht formuliert. Damit bleibt noch immer der willkürlichen Entscheidung, WAS unterrichtet werden soll, Tür und Tor geöffnet. Denn bekanntlich kann man an ein und demselben Thema die verschiedensten Qualifikationen erarbeiten (ebenda, S.35).

      VIELHABER Ch./H.WOHLSCHLÄGL (1986, S.136) formulieren es härter:   Die vollzogene Trennung zwischen den vier LehrstoffThemenkreisen ist im übrigen ein deutlicher Indikator dafür, daß die Begriffe "exemplarisch" und "lernzielorientiert" in ihren spezifischen Bedeutungen gründlich mißverstanden wurden, denn selbstverständlich könnte die unterrichtstechnologische Komponente der Lernzielorientierung auch in jenen inhaltlichen Bereichen strukturierend wirken, die den drei erstgenannten Lehrstoffkategorien zugeordnet sind, und ebenso selbstverständlich disqualifiziert zum Beispiel das Thema "Der Reisanbau in Asien" den Anspruch der Autoren, exemplarischen GW Unterricht zu fordern, denn der Grundgedanke exemplarischen Lehrens und Lernens beruhtund das wird leider immer wieder mißverstanden - auf bildendem Lernen, also auf dem Erwerb mehr oder weniger verallgemeinender Kenntnisse über einen Phänomenbereich, die zu weiterführenden Erkenntnissen, Fähigkeiten und Einstellungen befähigen und keines konkreten Raumes bedürfen, der vom Prinzip der Aneignung grundlegender Einsichten und Fähigkeiten ablenkt.

     Daß aber bei diesem Lehrplan schon ein Blick über die Grenzen stattgefunden hat, zeigen mehrere Indikatoren: Neben der - zT noch fehlerhaft übernommenen "Zielorientierung" sind es die "Themen" (auch wenn sie in ihrer Ausformulierung weder lernzielorientiert noch exemplarisch waren), die Hinweise geben, wo die Wurzeln dieser einzigen, nicht von der Wiener Uni ausgegangenen Neuorientierung des Faches GW in einem ”sterreichischen Schultyp lagen:

Es waren nicht theoretisch-fachdidaktische Publikationen, die bei der Lehrplanarbeitsgruppe perzeptiert wurden, sondern (das bestätigte mir auch Koll. S. STECHER, der den Kommentar zum Lehrplan verfaßt hatte), das in der BRD von W. HAUSMANN, Hrsg.(1973 ff) bei Westermann herausgebrachte Lehrbuchwerk "Welt und Umwelt"  (und nicht etwa W.Hausmanns Beitrag in den MÖGG 1972 !) :  Die Themen von "Welt und Umwelt" scheinen so wieder in den "lernzielorientierten exemplarischen Themen" des HAK-LP-1978 auf. Nur sind sie im BRD-Schulbuch nach aufsteigenden, thematischen Kriterien geordnet, während sie in Österreich (das dahinterliegende fachdidaktische Grundkonzept nicht begreifend)  nach den (alten) regionalen Vorgaben des HAK-LP gereiht wurden !     

      In einer Analyse der Seitenzahlen der dann neu herausgekommenen beiden Lehrbücher STECHER-LAHODA-LEITNER-PÖSCH und  EBNER-STEINER (hier wurde erstmals in der S II in einem Schultyp die Monopolstellung des jeweils einzigen vorhandenen Schulbuches durchbrochen  - hier war es "der Ebner" gewesen - in der AHS "der Seydlitz"! - vgl. Ch.SITTE 1987 Schulbuchbibliographie in MÖGG 129.Jg. S. 128 ff),  stellte Ch.VIELHABER (1980, S.14) für den Band des II.Jahrgangs des didaktisch besseren der beiden neuen Bücher, nämlich in dem von STECHER u.a. ein Verhältnis von 2,47 : 1 zugunsten der länderkundlichen Darstellungen fest ! Man erkennt daraus, daß ein Lehrplan alleine noch nicht automatisch auch die amtlich approbierten Unterrichtsbehelfe grundsätzlich ändern muß !  STECHERs u.a. Schulbuch glich nicht nur im Aufbau des Inhaltsverzeichnisses, sondern auch durch die oft identen Bilder dem 1974 approbierten Unterstufen-Seydlitz Bd.3 ! (vergl. mehr dazu im Kapitel 9 über Schulbücher in dieser Arbeit)

      Erst das Buch von RIESS W./SCHNELLER M./Ch.SITTE, 1984 aus der Unzufriedenheit über die Schulbuchsituation und vergebenen Möglichkeiten, einer aus dem Lehrplan wesentlich zeitgemäßer möglichen Interpretationsmöglichkeit, versuchte eine konsequente lernzielorientierte thematische Strukturierung unter konsequenter Ausnutzung der Lehrplanmöglichkeiten, wie exemplarischem Prinzip und dem Fehlen des ausdrücklichen Passus "Länderkunde von..." (vergl. Ch.SITTE, 1986 bzw. RIESS W.,1986). Dem regionalgeographische Aspekt wurde in einem Anhangkapitel mit den im jeweiligen Jahr gerade durchzunehmenden Regionen und einer regionalen Einordnung der exemplarischen Themen in eine Weltkarte als Ergänzung des Inhaltsverzeichnisses Rechnung getragen. Daneben sind die thematischen Kapitel so ausgewählt, daß auch mit ihrer Hilfe (indirekt) ein ausreichender Orientierungsraster erarbeitet wird.

Thematisch geordneter Unterricht bedeutet in GW ja nicht Aufgabe des Unterrichtsanliegens "Erlernen eines topographischen Orientierungsrasters". Thematischer Unterricht stellt nur das "geographische Vokabellernen" nicht in den alleinigen Vordergrund.

      Aus einer Reihe von Gesprächen mit Kollegen und aus Bemerkungen der, zwar fachfremden und fachdidaktisch uninformierten Behörde (Landesschulinspektoren und besonders Vertretern des BMUKS) ist inzwischen klar geworden, daß manche diese Art eines, auch politisch bildend,"heiße Themen" aufgreifenden GW Unterrichts mißbiligten, besonders, da eine nicht so kleine Anzahl von Schulen diese neuen Bücher verwendeten. Möglicherweise ist auch darin ein Grund zu suchen, warum bei der Lehrplanänderung 1988 fachdidaktisch argumentierende Kollegen nicht oder nur kurz am Entscheidungsprozeß zum GW Lehrplan teilnehmen durften bzw. alle kritischen Argumente zum BMUKS-Entwurf (besonders aus Wien) praktisch vom Tisch gewischt worden sind.

      Auch bezüglich des, im nächsten Abschnitt noch zu schildernden Prozesses gelten H. RUPPRECHTs Zeilen (1972, S.29): Es zeigt sich sehr schnell, daß die wichtigsten Interessensgruppen einer Gesellschaft, vor allem aber die Träger der Macht, ihren Einfluß geltend machen und im allgemeinen auch durchzusetzen vermögen. Dabei kommt es zwischen den konkurrierenden einflußreichen Gruppen zu Auseinandersetzungen. Lehrpläne sind also immer - und dürften wohl auch immer sein - Gebilde von weitgehend unsystematischen, somit weder fachlogisch noch psychologisch konsequent durchgehaltenen, sequentierten Strukturen.

Zwar werden sie im allgemeinen in dieser Weise nachträglich begründet, aber das darf nicht drüber hinwegtäuschen, daß hierbei beträchtliche Interpretationskünste aufgewendet werden müssen und in Wirklichkeit ganz andere Faktoren die entscheidende Rolle spielen.

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8.2.4. Der Lehrplan 1988, Beispiel einer harten Auseinandersetzung

     Im März 1984 kursierte im Bereich des Landesschulrates für Salzburg (dort war A. Ebner Landesschulinspektor) ein Schreiben, worin für ein 1985 abzuhaltendes Bundesseminar (Seminar in Steyr, an dem dann auch der für die kaufmännischen Fächer zuständige Ministerialrat .Dkfm.J. WIMMER teigenommen hat - siehe WESTERMAYER K.1986) Vorschläge zum Standort der Geographie und Wirtschaftskunde an  Handelsakademien und Handelsschulen ersucht wurden:

" 1. Geographie: Welche  Aufgabe hat dieses Fach in der HAK/HAS- Ausbildung ?      

  2."... und Wirtschaftskunde" - Ist dies in HAK und HAS überhaupt notwendig?

  3. (Wirtschaftsgeographie) - Zeigt nicht dieser Untertitel auf besondere Schwerpunkte dieses Pflichtgegenstandes hin?  

Ist der gegenwärtige Lehrplan mit seiner Gliederung zur Zielerreichung der Fragen 1-3 geeignet ?"

 

     Das erste Mal offen in einer Diskussion mit GW-Lehrern kamen die Ressentiments MR. WiMMERs bei dem schon oben erwähnten Seminar in Steyer im November 1985 zur Sprache: Offenbar zum Sondieren der Lehrermeinungen gekommen, sprach (nach der Mitschrift von Teilnehmern) er aus: "zuviel Soziologie und Volkswirtschaftslehre, die die Geographen gar nichts angehe und die sie im übrigen auch aufgrund ihrer schlechten Ausbildung nicht beherrschten", würde in dem Fach Unterrichtet. "Sie müssen stärker die topographischen Kenntnisse im Unterricht betonen" war sein Kernsatz. Es scheint so, als könnte sich dieser Ministerialbeamte auch nach 25 Jahren nicht mit der Umbenennung des Faches im SCHOG 1962 abfinden !

      Sozusagen als Köder für die Ruhigstellung eines Teils der, zumindest GW wieder als Maturafach fordernden (zum Großteil westösterreichischen) Kollegen, verpflichtete sich der Vertreter des BMUKS den Entwurf für ein "Aktuelles Fachgebiet" (= Freifach) zu GW ausarbeiten zu lassen. Daß diese oft erhobene Forderung aber illusorisch bleiben muß, solange GW an den kaufmännischen Schulen nicht von sich aus bessere Inhalte, und einen zeitgemäßeren Unterricht anbieten wird (vgl. dazu auch die Ergebnisse in der Lehrerbefragung in der wiener Diss. von J. DIEM 1989, Seiten 40, 70, 73, 192ff u. Tab. 28, 29 u. 30 - auch wenn dort manche Unschärfen bei der erhebungsmethode und Interpretation feststellbar sind), ist vielen Lehrern dieses Bereiches (noch) nicht klar, bzw. würde es großer Fortbildungsanstrengungen bedürfen.

      Am 17.und 18.Februar 1986 wurden von MR.WIMMER dann erstmals die Leiter und zT auch die Stellvertreter der Lehrerarbeitsgemeinschaften aller Bundesländer zu einer Dienstbesprechung nach Salzburg einberufen. Sie sollten gemeinsam mit dem BMUKS einen Musterentwurf erstellen (siehe dazu bei DERFLINGER M.,1986). (Auf-)Zuffällig (?) an diesem Treffen war, daß die Vertreter Westösterreichs mit Datum 18.2., die anderen Kollegen mit Datum 17.2.1986 einberufen worden waren. Retrospektiv betrachtet, scheint damit ein, später negativ sich auswirkender, Spaltungsversuch erfolgt sein.

     Es schien damals aber zunächst so, als wäre ein Durchbruch gelungen. Zielrichtung dieses Freifaches an kaufmännischen Schulen war nicht mehr eine verschwommen gesehene "Wirtschaftsgeographie" (was immer sich die damals zusammengekommenen darunter vorstellten ist nie ausdiskutiert worden  (In GW-Unterricht H. 15 ist schon im Mai 1983 dazu ein Diskussionsansatz - der von den tatsächlichen Entscheidungsträgern 1988 sichtlich nie gelesen worden ist - veröffentlicht worden - E. DAUM , Wirtschaftsgeographie nach alten Muster ? ), sondern es wurde als Akzentuierung gegenüber der "Wirtschaftskunde" an den allgemeinbildenden Schulen der Titel "... und Regionalanalyse" gewählt. Dabei wurde versucht,in Anlehnung an die englischsprachige Geographie (HAGGETT u.a.) zeitgemäße wissenschaftliche und fachdidaktische Ansätze (z B  Projektmethode) hineinzuarbeiten.

Dies schien - so die damalige offizielle Meinung aller Teilnehmerim Konsens und unter den wohlwollenden Augen des Vertreters des BMUKS geschehen zu sein. In der fachdidaktischen Zeitschrift "GW-Unterricht" wurde der Entwurf publiziert (DERFLINGER M.,1986), um einerseits einer breiten Kollegenschaft zur Verfügung zu stehen  (Im BHS-Seminar in Krieglach Mai 1987 berichteten drei Kollegen über ihre Durchführung - in: GW-.Unterr.28/1987, S.127) und um den damals sehr optimistisch erscheinenden Aufbruch nach außen hin zu dokumentieren.

     Dies war aber ein Irrtum. DERFLINGER M./RIESS W.(1987) haben in ihrer Dokumentation der ersten Phase der Lehrplanerstellung von Ende 1986 bis zur damals scheinbaren Ablehnung der Entwürfe im Sommer 1987 die Schritte aufgelistet (siehe nächste Seite im gedruckten Exemplar der Diss Ch.S. 1989). Sie schreiben dazu: Ließt man die Arbeiten anerkannter Lehrplantheoretiker wie POSCH / THONHAUSER (1987), so erscheint die im abgelaufenen Schuljahr zu einer von den Interessensvertretungen der Wirtschaft geforderten Lehrplananpassung geleistete Arbeit diesen Forderungen diametral gegenüberzustehen (ebenda, S.10). Kritisiert wird der zu enge Ansatz einer äkleinenä Reform, der Umstand, daß die Kommission (in der beide anfangs mitarbeiteten) nur kurzfristig und ohne nähere Hinweise für ihre Arbeit zusammengesetzt wurde - um nach vollbrachter Arbeit, sozusagen im  Nachhinein erfahren zu müssen, daß die Landesschulinspektorenkonferenz eine andere, als die derzeitige Lehrplanstruktur in GW (mit den oben erwähnten "exemplarischen Themen, zB.:" ) wünschte.

      Als schwerwiegenster Faktor erwieß sich aber das (nach Aufforderung des BMUKS) erfolgte Agieren des ARGE-Leiters von Vorarlbergs (später stieg dieser Kollege zum Klubobmann im Landtag und in eine hohe Position im Landesschulrat auf...). Dieser protestierte aufs schärfste, weil er nicht in die Kommission einbezogen worden war (zT. mit der nachweislich falschen Behauptung es handle sich um einen Wiener Entwurf). Sein, aufgrund der Aufforderung seines Fraktionskollegen MR.WIMMER, in in ein paar Nachmittagen dann erstellter Gegenentwurf wurde zunächst von der zuständigen Abteilung im BMUKS geheimgehalten.

Als dieses Papier dann doch außerhalb der offiziellen Kanäle durchsickerte, wurde auf freiwilliger Basis von engagierten Vertretern mehrer Bundesländer für das Wochenende vom 25.auf 26.4.87 in Oberndorf bei Salzburg eine (schon früher vergebens dazu geforderte) ARGE-Leiter-Sitzung aller Bundesländer organisiert (an der auch der Schreiber dieser Zeilen teilnahm.)

 Interessant das Echo: Der Ersteller des Vorarlberger Entwurfs  (siehe LP-Anhang) erschien nicht. Eine telephonische Anfrage ergab, daß er sich "krank fühlte". Auch der seit Beginn der Lehrplanarbeit in der Kommission ohne wesentliche Wortmeldung teilnehmende ARGE-Leiter der Steiermark (er sollte später noch eine wesentliche Rolle spielen!) fehlte ohne Angabe von Gründen.

Die burgenländischen Kollegen hatten die Wiener ARGE mit ihrer Vertretung betraut, da sie mit den Vorschlägen der Kommission übereinstimmten (bzw. ja dort schon mitgearbeitet hatten).  

Im Original eingefügt: ÜBERSICHT: CHRONOLOGIE DER ERSTEN PHASE DER LEHRPLANERSTELLUNG AN HAK/HAS  (aus: Derflinger/Rieß: in GW-Unterricht 1987, S.14) = Entwicklungsschritte von Mitte September 1986 bis 8. Mai 1987

In einer durchaus im Konsens geführten Sitzung, versuchte man, unter dem Bestreben, dem BMUKS möglichst weit entgegen zu kommen, einen zumindest fachlich richtigen und etwas stärker fachdidaktische Neuerungen berücksichtigenden Gegenvorschlag zu unterbreiten. Die Formulierungen standen dauern unter dem Zwang, vom Ministerium sowohl verstanden ( ! ), als auch - da dessen Entwurf ähnlich - noch akzeptabel erscheinen zu können. Grundsätzliche Umstrukturierungen waren dadurch von vornherein schon gar nicht möglich. Zu dem so erstellten Papier (2.Oberndorfer Entwurf siehe LP-Anhang) wurde auch telephonisch die Zustimmung aus  Vorarlberg eingeholt. Um die Aktion auch parteipolitisch proporzmäßig abzusichern, wurden der wiener und niederösterreichische ARGE-Leiter beauftragt, diesen Gegenvorschlag als konsensmäßig erarbeiteten Wunsch fast aller ARGEn ins Ministerium zu bringen. Dort versprach man eine "wohlwollende Behandlung" der Vorschläge.

 Der "Paukenschlag" erfolgte, als die im Sommer 1987 beendet und verschoben erscheinende allgemeine Debatte um die Anpassung der HAK/HAS Lehrpläne wieder begann. Bei einer Besprechung im BMUKS am 14.10.87 für die Vertreter der Verlage, die als Vorausinformation das Lehrplanexemplar bekamen, wie es sich  v o r  dem offiziellen Begutachtungsverfahren präsentierte  ( Aktenzahl BMUK GZ 13.861/1-III/2/87) , konnte man beim GW-LP-Entwurf - bis auf die etwas geänderten Bildungsziele - zu 99% den Vorarlberger Entwurf mit all seinen von der ARGE-Leiter-Sitzung in Oberndorf monierten fachlichen Fehlern und didaktischen Unklarheiten wiederfinden ! Daran sollte sich auch - wie sich später herausstellte - im offiziellen Begutachtungsverfahren nichts mehr ändern !

     Die Hintergründe dazu hatten sich nun klar herausgeschält: (Hier folgt das Kapitel der leicht ergänzten Fassung der LP-Dokumentation bei Ch.SITTE 1988 in GW-Unterricht)  Schon im Lauf des Jahres 1987  war die -  auf die gesamte Lehrplanarbeit  zutreffende autoritäre Vorgangsweise der beiden zuständigen Ministerialräte im BMUKS Grund für Ablehnung der Art und Inhalte dieser vom BMUKS verschämt "Lehrplananpassung" genannten Prozedur durch die Fachgewerkschaft des öffentlichen Diensts (Ausführliche Dokumentation in "Wege in die Wirtschaft" ZS der Bundessektion 14 GÖD, Mai/Juni 88 Nr. 401/402 und Jänner/Feb. 88, S. 3 - ein als "Glosse" titulierter Aretikel beschrieb den Zustand leider zutreffend !) .Auch in anderen Fächern (zB.  Stenographie) war ähnlich vorgegangen worden.

     Die Taktik des BMUKS war klar: In GW wurden laufend aus dem Lehrplanprozeß diejenigen Kollegen hinausrotiert, die kritisch und fachdidaktisch fundiert  MR Dkfm. J.WIMMERs Vorstellungen von GW ("wir wollen Länderkunde und nicht Sozialgeographie", war eines seiner bezeichnendsten Statements, Dienstbesprechung mit den ARGE-Leitern 21./22.4.1988) nicht teilten. Zu seinen Ablehnungen bediente er sich der  bundesweiten Landesschulinspektorenkonferenz (dort ist kein einziger Geograph vertreten!).

    Bezeichnend war auch das strikte Hinaushalten von universitären Fachdidaktikern (von den Instituten Wien, Klagenfurt und Innsbruck gingen aufgrund der Ansuchen des ARGE-Leitertreffens ,April 1987 in Oberndorf -siehe DERFLINGER/RIESS 1987- negative Briefe an das BMUKS ab). Typisch war ferner der Zeitdruck mit dem Alternativen eingefordert wurden. Der letztlich fast vollständig mit dem LP- Entwurf idente Vorschlag, den die Vorarlberger ARGE (eigentlich nur ihr Leiter) angeblich als "Diskussionsbeitrag" an das BMUKS schickte, wurde an ein paar Nachmittagen "erstellt". Univ. Prof. SEGER aus Klagenfurt wurde aufgrund seines Briefes von MR Wimmer ultimativ aufgefordert praktisch übers Wochenende Alternativen zu liefern. Später wurde diese Aktion dann in der Öffentlichkeit als "die Uni ist nicht imstande entsprechende Beiträge zu leisten (!)" - Aussage auf der Dienstbesprechung 21/.22.4.1988 - verkauft. 

   Müßig ist auch festzustellen daß die Institute der Geographie nicht in das Lehrplanbegutachtungsverfahren, das dann doch im Herbst/Winter 1987 stattfand, einbezogen worden sind (man vergl. die ersten drei Seiten des Begutachtungsexemplars - GZ 13.861/ 1 - III/2/87). Manche der im nunmerigen Lehrplan 1988 enthaltenen groben fachlichen Fehler  wären zu vermeiden gewesen !

     Die langjährigen Vorarbeiten der "Lehrzielbank" (vgl. RIESS W.1986 in GW-Unterricht)  wurden einfach außer Acht gelassen (ein Fall für den Rechnungshof, bedenkt man die dort investierten öffentlichen Mittel ?)  

    Die Fachentwicklung im Bereich der Schulen der 10-14jährigen (die ja in GW komplett neue LP 1985 brachte!) wurde nicht einmal ignoriert. Bezeichnend, die von MR  HAHSLER (MR WIMMER's politischem Gegenüber) bei der ersten Präsentation des Begutachtungsentwurfs für die Schulbuchverlage kundgetane (offizielle ?) Meinung, "daß die Schüler ja ohnedies nichts wissen und man sowiso bei "0" anfangen müsse" !(14.10.87 im BMUKS - nach einer Mitschrift des Verfassers)

     Symptomatisch auch, daß  fachdidaktisch retardierende Vertreter mancher Bundesländer nie zu einer öffentlichen Stellungnahme bereit waren (der ARGE-Leiter der Steiermark, obwohl als einziger die ganze Zeit schweigsam in den Kommissionssitzungen  anwesend, fehlte bei dem bundesweiten ARGE-Leitertreffen in Oberndorf (April 87). Als aber er und ein Mitglied der Approbationskommission vom BMUK den 2.Oberndorfer Entwurf im Sommer 87 vorgelegt bekamen, gab er die einzige negative Stellungnahme ab. Auf diese stützte sich dann MR Wimmer ! Zur weiteren formalen Absicherung wurde dieser steirische Lehrer (der auch sonst nie etwas fachdidaktisch schriftlich publiziert hatte) auch noch zur "fachlichen Unterstützung" (der Ministeriumsposition) bei der abschließenden LSI-Konferenz im Frühjahr 1988 (die entgegen des Papers das für die Direktorenkonferenz am 17/18.3.1988 ausgesendet worden ist, keineswegs, wie dort verlautbart "in GW einen größtmöglichen Konsens erzielte"...) herangezogen.

     Bezeichnend auch die Vorgangsweise, nachdem alles über die Bühne gegangen war(!), am 21./22.April 1988, erstmalig der langjährigen Forderung der ARGEs zu entsprechen und eine bundesweite Dienstbesprechung im BMUKS zu veranstalten. Nicht "zur Diskussion des Lehrplans", wie so mancher Teilnehmer dieser Veranstaltung anfangs dort noch dachte, sondern um eine (von den Vorarlbergern wieder unter Zeitdruck erstellte) Lehrstoffverteilung , die - wie MR WIMMER kundtat - "den Kollegen als Muster dienen könne", etwas abzuändern zu "dürfen". Man vergleiche, daß beim letzten LP 1977, Kollege  S. STECHER (Imst), noch einen mehrseitigen Kommentar beim ÖBV (abgedruckt auch in GW-Unterr. 4/1979 S. 39) zu dem "alten" Lehrplan verfaßt hatte. Darin waren damals erstmals für einen österreichischen Regelschullehrplan zeitgemäße fachdidaktische  Ansätze festgeschrieben worden! (siehe HANISCH/RIESS/SITTE:1979 ebenda)

     Kritische Anmerkungen von verschiedenen Seiten wurden auch weiterhin nicht einmal andiskutiert. Das begann mit der Forderung endlich einmal auszudiskutieren und eventuell auch schriftlich zu kommentieren, was  der Zusatz "Wirtschaftsgeographie" denn bedeute. Dabei liegt die Vermutung nahe, daß dem BMUKS , aber auch einen Teil der dort versammelten Kollegen nicht nur angelsächsische Literatur, sondern auch leicht greifbare moderne deutschsprachige Publikationen  (neben DAUMs Artikel in GW-Unterr. 15/1983, WEICHHART in GW-Unterr. 28/1987 , WAGNERs (1981) oder SCHÄTZLs (1978 bei UTB) Wirtschaftsgeographien)  völlig unbekannt sind (vgl. auch Stichwörter in der VIRT.FD-Bibliothek).

      Wie überhaupt ein Grund für das Festhalten besonders am ersten Teil des I.Jg. einem Verlangen, intellektuell anspruchslos altbekannte Inhalte weiter vermitteln zu wollen, scheint. Diese Stoffauflistung könnte  einem Inhaltsverzeichnis eines Handelsgeographie-Schulbuches von 1888 (!) entstammen  7 8)  dessen Inhaltsverzeichnis zum Vergleich hier wiedergegeben wird :

   I. Grundzüge der allgemeinen Geographie:

     A.Mathematische Geographie

       Horizont und Himmelsgegenden

       Scheinbare Bewegung des Himmelsgewölbes

       Gestalt und Achsendrehung der Erde

       Mathematische Linien der Erde

       Bewegungen der Erde um die Sonne

       Wende-und Polarkreise, Zonen der Erde

       Abbildungen der Erde

       Der Mond

     B.Physische Geographie

       Die Lufthülle

           Themperatur, Winde, Niederschläge, Klima

       Die Gesteins-und Wasserhülle

           Verteilung und Abgrenzung von Land und wasser

           Gliederung der Erdteile und Ozeane

           Beschaffenheit und Bewegung des Meeres

           Verticale Gliederung des Festlands

           Orographische Übersicht der Erdteile

           Die fließenden und stehenden Gewässer

           Hydrographische Übersicht der Erdteile

           Bodenarten

           Producte

           Industrie

           Handel

           Verkehrswesen

 

      C.Politische Geographie

           Die Völker

           Übersicht der einzelnen Statten der Erdtheile

    II. Handelsgeographie (dieser Teil ist nach Kontinenten und

                           Ländern gegliedert.)

Trampler R.: 1888 Leitfaden d. Handelsgeographie, C Gerold Wien   

 

Ihre Relevanz für eine "höhere kaufmännische Ausbildung" sollte man zumindest einmal reflektieren - bedenkt man umgekehrt, daß im "neuen" LP 1988 weniger Zeit für die Behandlung Österreichs sein wird ( eine Frage wo politische Bildung wohl eher stattfindet !).

Eine Antwort erhielt man auch  n i c h t  zu den unzähligen fachlichen Fehlern (!) und Unklarheiten im Verordnungstext :                                    

"Naturkatastrophen" sind keine "Kräfte, die die Erdoberfläche gestalten",

"Klimazonen" sind Verbreitungsbegriffe, die keine "Wechselwirkung" haben können. 

Was meint man mit "statistischen Kennzahlen der Bevölkerung" ? 

Gibt es etwa einen "Kulturraum Australiens, Ozeaniens und der Polargebiete" ? (sollte man da nicht doch vorher bei A.KOLB nachlesen ?) Wann verwendet der Lehrplan "Kulturraum" (nämlich bei Afrika, Asien, Lateinamerika ...) und wann "Kulturwelt" - hat es einen tieferen Grund dies nur bei Angloamerika und der Sowjetunion so zu formulieren ?  Wie sieht es überhaupt mit den "Kulturräumen Europas"(? so der offizielle Lehrplantext !) aus ? Welche "Probleme" - wirtschaftliche, räumliche, politische, kulturelle, gesellschaftliche, medizinische ... sind es die man da - laut LP durchnehmen sollte ?

Der Terminus "Bau- u. Oberflächenformen" (ist hier als "Bauform"  der Vierkanter im Hügelland gemeint?); 

was heißt die lapidare LP-Angabe "Fahrplan und Tarif" ?  

Wieso wurde schon in der ersten LP-Zeile dem "physisch-geographischen Bereich"  ein "gesellschaftlich-kultureller Bereich" zugeordnet und was ist damit gemeint ?

Solche und andere Fehler und Unklarheiten findet man in größerer  Zahl (als Folge des "Vorarlberger Entwurfs"...).

Vollends ein Problem erscheint auch die Passage "Österreich : Verflechtung mit europäischen Staaten und Bündnissen" ! Auskunft des Außenministeriums: europ. 'Bündnisse' sind Nato und Warschauer Pakt . Die Frage, wie wir als durchführende Lehrer das mit der verfassungsmäßigen Neutralität Österreichs in Einklang bringen sollen, blieb - wie so vieles - vom BMUKS-Vertreter, unbeantwortet.

Interessant auch die Anmerkung, daß man gegen Kritiker disziplinär vorzugehen versuchte (wegen der öffenlich erhobenen Forderung nach "Glasnost und Perestrioka" bezüglich der Lehrplanerstellung ). Auch der Autor dieser Arbeit wurde, wegen zweier Publikationen in der Zeitschrift "GW-UNTERRICHT"  ( Ch. SITTE, In GW-Unterr. 31/1988 S.- 22-29 bzw. in SCHULHEFT Nr. 50/1988 S. 69) , den HAK-LP betreffend und weil er dort die verantwortlichen Personen (Ministerialräte) namentlich genannt hatte, auf Drängen des BMUK, einer Rüge seiner Schulbehörde erster Instanz zugeführt (die - wenn auch augenzwinkernd - von meinem LSI durchgeführt wurde.).

Bezeichnend für diese "LP-Anpassung" ist auch der  Umstand, daß im ersten Durchführungsjahr, 1988/89 in Ermangelung  neuer, mit den alten Schulbüchern noch in allen Fächern weitergearbeitet werden muß. Die Verlage bekamen den Lehrplan Ende März, mit dem Hinweis bis Ende September die Manuskripte für die I. und II. Jahrgänge (!) zur Approbation einzureichen. Über die Möglichkeiten derart zu soliden Veränderungen in den Büchern zu gelangen, soll hier nicht weiter geschrieben werden.

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  8.2.5.    Was hat sich 1988 also geändert ?

  (LP Text im Anhang der gedruckten Arbeit bzw. unter http://www.ris.bka.gv.at/auswahl/  bzw. der jeweils aktuelle am gw.eduhi.at

    Am augenfälligsten sind nicht sosehr die "Bildungs und Lehraufgaben" (obwohl die auch neue Ansätze, wie "vernetztes Denken" - leider nur Kausal- und nicht Finaldenken, bringen). Sie mit dem danach folgenden Stoffhinweisen erfüllen zu wollen wird schwierig sein ! Augenfäliger ist die Verschiebungen bei der Abfolge der zu behandelnden Großräumen der Erde. Die schon 1978 gegebene Akzentuierung "3.Welt" im I.Jg. wurde durch eine eigene ausgeweitete Lehrplanstelle - über deren fachdidaktische Korrektheit man nachdenken sollte - verstärkt. Es sollte uns in der HAK/HAS aber bewußt sein, daß ab 1989/90 Schüler eintreten, die den Themenblock 3.Welt gerade im Jahr davor in der 4.Klasse (= Abschlußklasse der HS und Unterstufe der AHS nach dem LP 1985) durchgenommen hatten .

Bei den "Großräumen" im ersten Jahr bekamen wir Lateinamerika vom ehemaligen II. Jahrgang dazu. In den II. Jg wurden dafür die Polargebiete (die passen nämlich sooo gut zum Themenschwerpunkt "Industrieländer" !), Ozeanien ,Australien und Japan geschoben.    

Eine  länderkundliche Behandlung ist aus keiner Lehrplanstelle ableitbar ! (erstens fehlt der Ausdruck überhaupt, zweitens scheint der Ausdruck "Regionalgeographie" n i c h t mehr wie 1978 noch auf). "Großräume" können ja auch anders behandelt werden als im länderkundlichen Schema ! Dieser terminologische Fehler des Ministerialrats läßt eine zeitgemäße Auslegung zu !

Laut Verordnungstext müssen nur irgendwie die Großräume abgedeckt werden - das geht auch wie bisher mit dem - in den "didaktischen Grundsätzen" für die Lehrpläne aller Fächer auffindbaren Hinweis auf "exemplarisches Vorgehen" !

Der erste Teil des ersten Unterrichts-Jahres sieht - wie bisher übrigens - "Allgemeine Geographie" vor (man vergl. aber die Unterschiede zum Entwurf der ARGE-Leiter in Oberndorf - GW-Unterr.28/1987 S.16f). Bei der Dienstbesprechung 21./22.4.88 im BMUKS war immer wieder von den jetzt "größeren Freiheiten" in der Unterrichtsgestaltung die Rede. Der Verantwortliche für den LP, MR.Dkfm. J. WIMMER meinte wörtlich "der erste Teil des Stoffes hat in seiner Länge n i c h t s   mit seiner Gewichtung zu tun. Seine Behandlung ist abhängig vom Vorwissen der Schüler". Und weiter "Jeder Lehrer hat die Chance Schwerpunkte zu setzen, wo die liegen, darüber verordnet der LP nichts" . Dazu zitierte er §17/1 des SCHUG. Zusätzlich findet man in den allgem.didaktischen Grundsätzen des LP 1988 auch den Passus: "daher ist die Einbeziehung aktuellen Wissensgutes, gegebenenfalls auch außerhalb des Lehrplans, in Hinblick auf die Ergänzung des Lehrstoffs notwendig" (nach Mitschrift des Verfassers Ch.S.)

Für den II. Jg sollen nun weitere wichtige Aussagen vermerkt werden: "Klima und Allgemeine Geographie zB bei Polargebieten wiederholen". Und die damit offizielle Aussage des Ministerialrats "... natürlich  können bei der Erarbeitung allgemeiner Elemente der INDUSTRIELÄNDER auch schon im II.Jg  EUROPÄISCHE Beispiele herangezogen werden." (Mitschrift von Aussagen MR WIMMER)

Für die vollständige Verschiebung "Europas" in den III.Jg dürfte die Meinung einiger, im tatsächlichen Entscheidungsprozeß eingebundener Kollegen gewesen sein,  "...im II. Jg bisher nie fertig geworden zu sein...", bzw. meinten sie  "...was sollen wir ein ganzes Jahr über Österreich unterrichten, das langweilt die Schüler..." (!!!) .

In der erstellten Lehrstoffverteilung wurden dann 13 Stunden (+ 5 Stunden für Bündnisse) für "Europa" im III.Jg veranschlagt !

Ebenfalls aus der Dienstbesprechung noch die Bemerkung eines Mitglieds der Approbationskommission : "es wird schwer werden, der Bildungsaufgabe `Entwicklung und Anwendung von topographischen Orientierungswissen` stärker als bisher gerecht zu werden, wenn wir ab 1988/89 für den Bereich der Heimat Österreich und von Europa  w e n i g e r Zeit haben werden, da beide nun nur mehr im III. Jg anstelle wie bisher auf zwei Jahre aufgeteilt, unterrichtet werden müssen". Vergleicht man dazu noch die Quantität der Stoffinhalte, so wird man sich vorstellen können, daß für Exkursionen und projektorientierte Arbeit im III.J g fast keine Zeit bleiben wird !  Wir sollten uns der "Relevanz" so manchen Inhalts der ersten zwei Jahrgänge im Vergleich dazu vor Augen halten !

Vollends das "dicke Ende" kommt, betrachtet man den LP für die 2.HAS (I.Kl. ident mit I.Jg.HAK) : 

Die 2.Handelsschule ist eine vollständige KUMULATION der Stoffe aus der II. und III. Hak- bei geringerer Stundenzahl !

     Keine wie immer geartete didaktische Hilfe ist aus den - bis auf grammatikalische Fehler auch identen - didaktischen Grundsätzen ablesbar ! (Zielführende Vorschläge brachte damals der schon zitierte ARGE-Leiter-Entwurf aus Oberndorf, 26.4.87, ein: Zusammenfassung der Inhalte aus II.und III.Jg.HAK zu Themen "Industrieländer - Verkehrsgeographie - Raumordnung und Raumplanung in Österreich - Großregionen" und in den didaktischen Grundsätzen "der Unterricht in der 2.Kl.HAS soll die gleichen Grundeinsichten wie im zweiten und dritten Jahrgang der HAK, jedoch mit weniger Details und einem geringeren Komplexit„tsgrad vermitteln. Detailstudien sind zugunsten der vergleichenden Überblicksdarstellungen zurückzustellen."  Sie wurden wie die  meisten, schon damals monierten Anmerkungen zu den fachlichen  Fehlern ignoriert !)

      Nur bei der "Bildungs und Lehraufgabe" für GW fehlen im HAS-LP die wichtigen Textstellen  zum Analysieren und Beurteilen raumplanerischer Entscheidungsprozesse! Handelsschüler sollen nur "Verständnis für..." haben !  Wahrlich ein Beitrag zur Politische Bildung und angestrebten Verbesserung der Handelsschulausbildung in Österreich !

     Ähnlich ideenlos überfrachtet ist der Lehrplan für die "HAK für Berufstätige" im zweiten Jahrgang (wo der Schüler außerdem noch andere neue Fächer dazubekommt !) Deren Lehrpläne treten aber erst 1989/90 in Kraft. Hier riskierte man keinen ersten Durchgang ohne Lehrbehelfe! (Wie es übrigens auch aus allgemeinen Überlegungen unverständlich ist, warum sich die ministerielle Schulverwaltung gegen eine semesterweise Aufgliederung des Unterrichtsganges für die am Abend in eine Schulausbildung gehenden Erwachsenen - die dem gleichen SCHUG unterliegen wie nichtvolljährige Tagesschüler - streubte)

     Neu entstanden ist die Möglichkeit eines Freifachs "Seminar für Wirtschaftsgeographie". Warum man dazu den von ARGE-Leitern gemeinsam mit dem BMUKS erarbeiteten Entwurf vom Februar 1986 in Salzburg nur verwässert übernommen hat, bleibt unklar. Damals ist - unter scheinbarer Zustimmung aller Teilnehmer (also auch des BMUKS) als Akzentuierung und Unterscheidung vom "Wirtschaftskundeauftrag in der AHS" eine Spezifikation für ein derartiges Freifachangebot unter der Bezeichnung "Geographie und Regionalanalyse" vorgeschlagen worden.

     Ebenso unbeantwortet in diesem fachlich so kritisierbaren LP-Erstellungsprozeß der HAK 1988 blieb bei der erwähnten Dienstbesprechung am 21./22.April 1988 die dringlich urgierte Frage , WIE denn die Durchführung erfolgen solle, gibt es doch Erlässe, die ein Einfrieren der Freifachstundenkontingente pro Schule auf den Stand wie vor zwei Jahren verordnen. Hier werden wir sehen wie engagiert von den  Arbeitsgemeinschaften in den einzelnen Bundesländern vorgegangen werden wird, wenn es um die Installierung solcher Kurse an den Schulen gehen wird!

.

8.2.5.1    Epilog  1989

     Wiesehr der Behörde die nicht verstummen wollenden kritischen Stimmen zum Schweigen bringen wollte, zeigte dann im Herbst 1988 auch der Umstand, daß die in der (oben schon in ihrem Ablauf und fachlichem Ergebnis kritisch beleuchteten) Dienstbesprechung beim BMUKS im Frühjahr ausgearbeitete Vorarlberger Lehrstoffverteilung nicht allein der Verbreitung der ARGE überlassen wurde, sondern in einem mit dem Amtssiegel des LSI versehenen Brief   ( v. 6.9.1988 SSR Zl. 341 375/39-88) dann z.B. in Wien an alle GW-Lehrer nachweislich ( ! ) zur Kenntnis zu bringen war.

       Eine zweite Sicherung baute das BMUKS bei der Aufstockung der ja noch bestehenden Approbationskommission für kaufmännische Schulen ein: Nicht die als Reservemitglied geführte - wegen kritischer Äußerungen zum GW-LP schon einmal im SSR vorgeladene Kollegin Abteilungsvorstand Mag. H. Hanisch, sondern just gerade der (fachlich und fachdidaktisch so kritisierte - s.o.)  Vorarlberger Lehrplanautor Mag. S. STEMMER und der ARGE-Leiter der Steiermark Mag. LANG ( ! ) - der damals vom BMUK zur Erläuterung vor der LSI Konferenz schon beigezogen worden war -  wurden zur Erweiterung der Kommission einberufen, die im Herbst 1988 die voraussichtlich vier Buchreihen (1988 mußten ja schon erster und zweiter  Band  eingereicht werden) zum Begutachten bekam !

Bezeichnend auch hier wieder, daß - von privaten Informationen via der neuen GW-Bücher der Unterstufe ausgenommen - eine offizielle Information dieser BHS Kommissionen über die Veränderungen in den Lehrplänen und Büchern der 10-14jährigen (ebenso ja auch keine in den Landes ARGEn mit Außnahme von Wien, OÖ, Ktn und Bgl.) nicht stattfand. Es besteht also in diesem Bereich eine große Gefahr, daß die BHS-Lehrer (sie unterrichten ja nicht in der Unterstufe mit den neuen, heute ganz anders aussehenden und ganz andere Themen bringenden GW-Schulbüchern) noch längere Zeit die 1985 dort stattgefundenen Entwicklungen nicht mitbekommen bzw. ignorieren.  

Anm. Ch.S. 2002: Zur Relevanz der eher mäßigen Beurteilung von Geographie durch Absolventen vergl. man nur die Untersuchung von HOFSTÄDTER M.: Befragungsergebnisse von Absolventen der HAS und HAK (ÖIBF-Studie im Auftrag des BMUK) - Kurzfassung in Erziehung & Unterricht (ÖBV Wien( H. 4/1992 S. 195 bis 204 ! (Anm. Ch.S. 2002 : vgl. auch MENSCHIK zu Wirtschaftsgeographie - in VIRT.FD-Bibliothek)

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 8.2.5.2   Resümee aus den Vorabdrucken der eingereichten Bücher:

      Das Angebot:

     Bei den für Herbst 1989 zur Verfügung stehenden Büchern haben sich folgende Veränderungen ergeben:

* Der Verlag Bohmann hat (ohne die Autoren zu verständigen)   infolge seiner Sortimentsbereinigung auf Berufsschule und   Polytechnischen Lehrgang zugunsten einer Werbegemeinschaft mit  dem  Schulbuchkartell (das über Hölzel und Ueberreuter zwei  Konkurrenzbücher anbietet) sein Lehrbuchwerk "Gesellschaft in  Wirtschaft und Raum" zurückgezogen (zurückziehen müssen). Trotz der Bemühungen der   Autoren, konnte der die Buchreihe übernehmende Trauner Verlag/Linz nur mehr die Streichung des Werkes für das Schuljahr 1989/90  feststellen. Diese (innovative Wege beschreitende) Buchreihe fällt daher im ersten Jahr aus. s.u.

* Neu im Angebot ist das an der AHS eingeführte Buch von FLOSSMANN   "Erde-Mensch-Wirtschaft" des vom Schulbuchkartell aufgekauften   Tochterverlags Ueberreuter in einer nur leicht veränderten  HAK-Ausgabe bei Ed.Hölzel Wien.

* Im Schulbuchkartell gab es insofern eine Bereinigung, als im Rahmen einer Marktabsprache KRAMERs u.a. "Raum - Gesellschaft -   Wirtschaft" von Hölzel nicht mehr in den kaufmännischen Schulen  vertreten sein wird.

* Umgekehrt kommt ab 1989 eine Zusammenarbeit der beiden Kartellverlage Hölzel u. Österreichischer Gewerbeverlag in diesem Bereich   zustande. "Lebensraum - Wirtschaftsraum" von STECHER u.a. wird mit Unterstützung Kramers und im gleichen Layout wie dessen AHS-Buchreihe, unter teilweiser  Heranziehung des AHS-Materials (besonders Bilder, Karten, Diagramme) herausgebracht.

* Im ersten Jahr stellt das Buch des Salzburger Jugendverlags "Die Erde als Wirtschaftsraum" das einzige Buch außerhalb des Schulbuchkartells dar. Es ersetzt, neu bearbeitet von jüngeren Kollegen (R.und I.FISCHER, D.HUBER und G.POPP - alle aus Salzburg) den jahrzehnte alten (fachlich und fachdidaktisch kritisierten) "EBNER" des gleichen Verlags. (R. FISCHER hatte schon bei der AHS-Ausgabe von Ebner/Hauser, Unsere Erde 1981ff.mitgearbeitet; R. u. I Fischer bearbeiteten die HAK-Ausgabe von Erde als Wirtschaftsraum 3. A. 1986 - 1989 kamen dazu noch die beiden anderen Autoren)

vorläufige Inhaltsanalysen:

       Betrachtet man die in den Prospekten ausgesendeten Inhaltsverzeichnisse, so ist ein Verharren in der Struktur der alten Schulländerkunde bemerkbar. Der (durch den Amtseinfluß des BMUK) "angepaßte" HAK-LP 1988 spricht zwar davon nicht explizit, bzw gibt nur verwaschen Auskunft ( "Großräume" ) jedoch scheinen drei Autorenteams so stark in diesem (nicht mehr dem Stand der heutigen Fachdidaktik entsprechendem) Paradigma verhaftet zu sein, daß ihnen keine andere Interpretation und (eigentlich freie Gewichtungsmöglichkeit) vertretbar erschien.

       STECHER u.a. Gliedern die "Großräume der Erde" in neun Unterkapitel: 1.Kontinente und Kulturerdteile ,2.Afrika, 3.Asien, 4.Vorderasien, 5.Südasien, 6.Südostasien, 7.Ostasien, 8.Orient, 9.Lateinamerika. Im Grunde ist dies die alte Gliederung von 1978. Ähnlich wie damals (eigentlich müßte man

Anhand der Probeseiten wird das Dilemma von Lehrplan, Lehrbuchautoren und Approbationskommission  deutlich: Handelt es sich doch bei dem Kapitelabdruck "Der Mensch verändert und gefährdet seine Umwelt", Unterkapitel "Gefahren und Katastrophen in den Alpen" - Hochwasser und Lawinen - um eine ziemlich exakte Kopie der in fast allen Unterstufenbüchern (1.Kl) enthaltenen Kapitel !

       FLOSSMANN/GUNZERT vermarkten 1989 für die HAK praktisch die AHS-Ausgabe des Ueberreuterbuchs "Erde-Mensch-Wirtschaft" von 1985 (später von Ed.Hoelzel übernommen). Nur die ersten beiden Kapitel sind insofern neu, als sie aus der HTL- und HLA-Ausgabe dieses Buches stammen. Dieses Buch ist deshalb ein interessantes Beispiel, als es nämlich vorführt, wie für unterschiedlichste BHS-Lehrpläne ( ! ) praktisch ein großteils identes Lehrmaterial (Seitenmaterial gleich nur mit verschiedenen Großkapitelüberschriften)  approbiert wird. Zumindest die Intentionen des HTL-LP waren andere gewesen als die der HAK-Lehrpläne von 1988 !

Dem Prospekt nach versuchten die Autoren auch die gleichen Seiten für die neuen AHS-Oberstufen-Lehrpl„ne 1988/89 einzureichen. Wie dem Autor dieser Arbeit in mündliche Informationen anläßlich der ersten Tagung eines neugegründeten "Instituts für Schulbuchforschung" (durch Richard BAMBERGER , der endlich für ein solches Projekt auch finanzielle Unterstützung von BMUK und Schulbuchverlagen erwirken konnte  erfuhr mit überaus negativer Reaktion der AHS-Aprobationskommission.

       Das erst 1990 beim Verlag Trauner in Linz herauskommende Buch von RIESS, DERFLINGER u.a. (Titel "Vernetzungen")   versucht aus der Lehrplansituation noch das Beste herauszuholen, indem gegenüber 1984 einerseits der naturbezogene Inhaltsbereich nach VESTERs "vernetztem Denken" neu ausgerichtet wurde und andererseits die terminologische Unschärfe im Lehrplan mit der Bezeichnung "Großräume" dahingehend interpretiert wurde, daß jeweils einem themenorientierten Großkapitel eine (thematischer) Überblick der Situation in den drei vom Lehrplan vorgegebenen Großräumen "Lateinamerika - Afrika - Asien" gegeben wird: zB, bei dem Kapitel "Klima und Vegetationsformen", nach dem thematischen Kapitel über "Bevölkerung" mit zwei Weltkarten des demographischen Übergangs (vergl. dazu deren Quelle in der GR 2/1988)  und einer Bevölkerungsverteilungsdarstellung; zwischengeschoben vor den ähnlich 1984 gestalteten "Entwicklungsländern" eine Informationsübersicht "wirtschaftsräumliche Großregionen"; dem Kapitel "Wie sehen verschiedene Kulturen ihre Räume" gegenübergestellt eine Gliederung der Erde nach Kulturräumen.

     Das Konzept ist sicher nicht fachdidaktisch am zeitgemäßesten Stand, versucht aber - unter bewußtem Inkaufnehmen sicherlich großer Widerstände der Approbationskommission ( Frage auch ob "der Markt" - vermutlich doch mehrheitlich fachdidaktisch eher traditionell denkender Geographielehrer an HAK - es dieser Buchreihe ermöglicht weiterzuwachsen) wenigstens einen Ansatz eines fachdidaktisch aufbauenden, thematischen Konzepts zu retten. 

       Interessant für die zukünftige fachdidaktische Entwicklung für GW an diesen berufsbildenden Schulen, wird sicherlich sein, ob und wie stark Schulbuchautoren, Approbationskommissionen und die Lehrerfortbildung die Erneuerung und den Paradigenwechsel im Schulfach GW im Bereich der 10-14jährigen in den daran anschließenden Schulstufen aufnimmt und berücksichtigt. Erfolgt dies nicht, sondern tritt vielmehr eine Stagnation ein, so droht gerade in diesem Schulbereich, wo GW nicht sozusagen "extern" durch die Vermittlung von "Wirtschaftskunde" in seinem Bestand gestützt wird, bei den nächsten Stundentafelverschiebungen (zB eine schon allgemein geforderte dritte Wochenstunde für Französisch in der I.Jg.HAK) eine weitere  Reduzierung.

       Eine ähnliche Frage wird sich in Kürze bei der Reform der Lehrpläne für Höhere Lehranstalten für Wirtschaftliche Berufe, deren GW-LP und Bücher bisher parallel zu denen der HAK geschrieben worden sind - nur mit dem Unterschied, daß GW dort an einer BHS  noch Maturagegenstand ist (vergl. EIGNER M.:1986) - stellen.

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