Ch.
SITTE: Entwicklung des Unterrichtsgegenstandes Geographie, Erdkunde,
Geographie u. Wirtschaftskunde an allgemeinbildenden Schulen in Österreich nach
1945. Dissertation an der Grund- u. Integrativwissenschaftlichen Fakultät der
Universität Wien. 1989, 2 Bde
zum
Inhaltsverzeichnis hier
.
.
2.
Kap. :
WURZELN ÖKONOMISCHER
INHALTE IM
GEOGRAPHIEUNTERRICHT IN ÖSTERREICH
________________________________________________________________
2.1. SITUATION
VOR DEM ERSTEN WELTKRIEG
Betrachtet man alte Lehrpläne für das Schulfach Geographie,
so ist zB im
Geographie-Unterricht nach dem GYMNASIAL-Codex
1808 die
Geographie der Geschichte untergeordnet - bis 1909 (vgl. bei HOFFMANN A. 1984 -
in dieser Grazer Diss. sind die Gymnasiallehrpläne von 1808 = S. 19ff - 1848,
1900, 1909 abgedruckt - Anm. Ch.S. Leider fehlen dort die für die Entwicklung
des eigenen Schulfaches viel bedeutsameren Lehrpläne der Handelsakademien,
Lehrerbildungsanstalten und besonders der Realschulen, in denen schon im 19. Jh.
"Geographie" als eigenes Schulfach existierte - über letzteren
Bereich der Realschulen findet man Hinweise in der auch sonst genaueren
Salzburger Dissertation von H. WALLENTIN 1979, S.32ff) .
Im
Geographieteil der Unterrichtszeit sollte die räumliche Basis für die
historische Betrachtung geschehen. Astronomische Geographie und
Beschreibung der Erdoberfläche nach ihrer natürlichen Beschaffenheit
unter dem Aspekt, daß der Geschichte eines jeden auftretenden
Volkes, die Geographie des Landes vorauszuschicken
sei, waren die
Hauptlinien des Geographieunterrichts, der
dann auf der
Oberstufe gar nicht mehr eigens angeführt wurde. Im Lehrplan von 1884
stand dann noch die Forderung, daß der Unterricht sich mit der
Vegetation, und den Produkten der
Länder und dem Verkehrsleben
zu beschäftigen hätte.
Die
Lehrpläne von 1900 für Gymnasien hatten noch immer keine
Trennung von
Geschichte und Geographie gebracht, aber in den „Instructionen für
den Unterricht an den Gymnasien“ = Lehrplan u. Instructionen
f.d.Unterricht an den Gymnasien in Österreich, In: VERORDNUNGSBLATT f.d.
Dienstgebrauch d. k.k. Min. f. Kultus u. Unterr. Nr. 25 v. 23.2.1900 ) deuten sich
gesellschaftswissenschaftliche
Bildungsinhalte an:
„Bei dem
Capitel Industrie und Gewerbe, das bei der Behandlung
mancher
Schwierigkeit begegnet, wird eine Erleichterung eintreten
wenn vorerst
die verschiedenartigen Industriezweige in Gruppen gebracht
werden, zB. Consum- und Bedarfsartikel, und wenn nachgewiesen wird, daß
es nicht ein Spiel des Zufalls ist, wenn einzelne Kronländer
andere in der Erzeugung einzelner Artikel überflügeln.
Die wirkenden Factoren sind hier zu erörtern ...
Auch der
Industriebetrieb
sowie der Bedarf des angrenzenden Auslandes oder
entfernterer
Absatzgebiete dürfen nicht übersehen werden (Instructionen 1900,
S.156).
Insbesondere
aber versäume man nicht, dem Schüler eine klare und
richtige
Vorstellung zu verschaffen von der Umgestaltung aller
unserer
gesellschaftlichen Verhältnisse und
der Beziehung der
Völker durch
die allgemeine Benützung und die stetige Vervollkommnung
der Dampfmaschine, des Dampfschiffes,
der Eisenbahn und Telegraphen
sowie von der Umgestaltung der gesamten Industrie durch das
Maschinenwesen, als dessen Folge sich das Arbeiterwesen derart entwickelte, daß es in das gesamte sociale
Leben tief eingreift
(Instructionen 1900, S.171).
LP
der Gymnasien von 1909
( = in: VERORDNUNGSBLATT ...10. Vdg. v. 20.3.1909) verzeichnet Geographie in den Klassen
1 - 6 und als "Geographie-Geschichte-Bürgerkunde" = Vaterlandskunde
in der Abschlußklasse = 8.,( 7. Kl. ist kein Geographieunterricht vorgesehen
gewesen ) als Unterrichtsfach Geographie als ein eigenständiges Fach in der Unter- und
erstmals auch
auf der Oberstufe . Aber es geschah in der
Unterstufe
keine Erweiterung wirtschaftsbezogener Inhalte.
In der Oberstufe
wurde die "eingehende Kenntnis der geographischen
Verhältnisse
in der österreichisch-ungarischen Monarchie, insbesondere ihrer
natürlichen Wirtschaftsgebiete und Faktoren ihrer
Entwicklung"
gefordert. Im Stoffteil forderte man den "Unterricht über die
kausalen Wechselbeziehungen der geographischen Erscheinungen". Hier
stehen neben vielen physiogeographischen Begriffen
auch die Ausdrücke "Wirtschaftsformen und ihre Ursachen, Güteraustausch und
Verkehrswege" in der V. Klasse ( S.208). Im Vaterlandskundeunterricht
der 8.Klasse wurde für den Unterricht über
die Monarchie
auch explizit "Wirtschaftsgeographie (Produktions- Handels- und
Verkehrsverhältnisse) und Stellung im Weltverkehr"
angeführt (LP
1909, S.208). Im Bürgerkundeteil
standen ferner
noch die
wichtigsten Funktionen des
Staates in politischer, kultureller und
wirtschaftlicher Beziehung als Lehrstoffe. .
In den stärker auf praktischen Wissenserwerb ausgerichten
REALSCHULEN war
schon etwas mehr durch den Passus : Kenntnis der
Erdoberfläche
nach ihren für Gewerbe und
Handel maßgebensten
Beziehungen
mit besonderer Hervorhebung des
”sterreichischungarischen
Reiches (nach H.WALLENTIN: 1979,S.54). Aber in den 1879 erstemals
einem Lehrplan beigegebenen INSTRUCTIONEN ( INSTRUCTIONEN f.d. Unterr.
an Realschulen IX. Anschluß an d. Vdg. d. Min.f. Cultus u. Unterr. v. 15.4.1879
S. 372-407 - hier "Geographie" ein eigenes Fach ! ) findet
sich in den 15
Unterpunkten nur der Hinweis auf die Durchnahme der
Beschäftigung der Bewohner, ihre Naturprodukte und Erzeugnisse aus
Gewerbetätigkeit, die Ausfuhr, Handelswege und- Plätze
(Instruktionen
1879, S.402).
1909
= Normallehrplan f. Realschulen in VdgBl. f.d.Dienstbereich d. k.k. Min. f.
Kultus u. Unterr. v. 8.4.1909 - Geographie in den Kl. 1 bis 7 ) findet
man nur in der Oberstufe die Lehrplanforderung nach
Durchnahme der
natürlichen Wirtschaftsgebiete und der Faktoren
ihrer
Entwicklung, in der V.Klasse bei der Länderkunde Europas
und
in der VII.Klasse die selben Passi wie im gleichalten Gymnasiallehrplan.
Auch in den neu geschaffenen Realgymnasien, die einen Schritt
hin zur Vereinheitlichung der
Untermittelschulen
darstellen
sollten (R.MÖCKL: 1926, S.188)
veränderte sich an dieser
Grundstruktur im Geographieunterricht nichts.
.
An den
BÜRGERSCHULEN (Lehrplan
1907) - ( Normallehrpläne f. Bürgerschulen in VdgBl. des
Unterrichtsministeriums v. 1.8.1907 S.
373f - sie hatten gegenüber den späteren Hauptschulen nur 3 Klassen !) war zwar in der
Stundentafel ein
gemeinsames Unterrichtsfach „Geographie und Geschichte (mit der
Hinzufügung beim LP-Textteil: „ ... mit besonderer Rücksicht auf
das Vaterland und dessen Verfassung“) angeführt,
in der
Textierung des Lehrplans aber ein eigener Geographieteil vom danach
separat angeführten Geschichteteil gedruckt.
An Stoffinhalten waren ebenfalls nur Produkte,
Produktionszweige,
Verkehrslinien als „Wirtschaft“ durchzunehmen.
Das war auch
der Stoff in den Volksschuloberstufen.
.
An
HANDELSAKADEMIEN gab es zwar schon von Anbeginn 1848 im Oberstufenbereich
ein eigenes Unterrichtsfach „Handels- und Verkehrsgeographie“
mit dem Ziel: auf die
allgemeinen Kenntnisse
der natürlichen
und politischen Verhältnisse der
Erde sich gründende
eingehende Kenntnis der handelsgeographischen Verhältnisse der
einzelnen Staaten der Erde ( nach Organisation u. Regulativ d.
Neuen Wiener Handelsakademie, genehmigt mit Erl. d. k.k. Ministeriums f. Kultus
u. Unterr. v. 29.1. 1912 S. 38ff) - und etwas detaillierteren
wirtschaftsgeographische Angaben - jedoch sind ergänzend
dazu die
Unterrichtsfächer „Allgemeine Handelsgeschichte“ und
im letzten
Unterrichtsjahr „Volkswirtschaftslehre“ in Rechnung zu stellen.
Betrachtet man Schulbücher der drei Schultypen (HEIDERICH,
MÜLLNER, bzw. ZHEDEN-SIEGER(-STOISER) - vgl. auch Ch.SITTE 1987,
Schulbuchbibliographie in MÖGG Bd. 129, S. 128 - 165) , so ist höchstens im
Detailreichtum
der beschreibenden traditionellen Wirtschaftsgeographie ein
Unterschied feststellbar.
.
2.2. DIE
PHASE DER
SCHULVERSUCHE IN DEN
20er JAHREN
(Die "Glöckel'sche Reformen")
.
Als Unterstaatssekretär für Schulwesen setzte Otto Glöckl neben die,
hauptsächlich juridisch ausgerichtete Beamtenhierarchie 1919
einen Stab von aus dem Schulbereich kommenden Fachleuten, die
sogenannte „Reformabteilung“ (H.FISCHL:1950,S.13).
In den von ihr
1920 ausgearbeiteten „Leitsätzen“ (zitiert nach H. SCHNELL:
1980, S.45ff) trat zum ersten Mal in der österreichischen
Bildungsgeschichte die
gesellschaftliche Bedeutung der Mittelstufe in
den Vordergrund (ebenda,S.48). Nach dem Bruch der Koalition auf Bundesebene wurden diese
Schulversuche
vom Stadtschulrat für Wien fortgesetzt.
Das im April
1919 von Otto GLÖCKEL im Nationalrat vorgetragene
Schulprogramm
(in O.ACHS:1985,S.141ff)wies schon die Grundzüge der später
nach ihm benannten „Wiener Schulreform“ auf mit den drei
Hauptgesichtspunkten:
*
Demokratisierung der Schulverwaltung (Lehrerkammern,
Elternvereine)
*
Vereinheitlichung der Schule (eben
dem Mittelstufenbereich)
*
„Innere Schulreform“ mit
den Prinzipien des Arbeitsunterrichts, Gesamtunterrichts
sowie der Neuordnung der
Unterrichtsstoffe nach dem Prinzip der Heimat-
und Bodenständigkeit (H. WALLENTIN : 1979,S.89)
Die Wiener Schulreform ist
vergleichbar einem Brennglas, das die
vielfältigen Richtungen und Ausstrahlungen der neuen Pädagogik
seit 1900 sammelte und auf die Ebene der Schulerziehung projizierte (W.
LEDWINKA:1977,S.104).
In der Kunsterziehungsbewegung, in einem gewissen
Zusammenhang mit der
Jugendbewegung - entstand um die Jahrhundertwende ine erste
pädagogische Reformbewegung gegen den Intellektualismus in der
Pädagogik. Das von ihr verwendete
Aktivitätsprinzip und das
Erlebnisprinzip verselbständigten sich zu eigenen Trägern didaktischer
Richtungen: Arbeitsdidaktik
und Erlebnisdidaktik.
Arbeitsdidaktik,
zur Arbeitspädagogik erweitert, wurde zu einem zentralen
Anliegen der Wiener Schulreform. Die Erlebnisdidaktik
hat als ihr
Wirkungsfeld keineswegs nur die musischen Fächer beansprucht,
sondern wollte auch tragendes
Prinzip im Sachunterricht, in
Heimatkunde und Naturkunde sein. In
Österreich hatte L.BATTISTA
(siehe Schulbuchbibliographie) in seinen heimatkundlichen Werken
dem Erlebnisprinzip „vom
Kind ausgehend“ weitgehend Rechnung
getragen.
Neben deutschen Pädagogen waren Einflüsse anderer, wie des Russen BLONSKIJ
(Arbeitsschule), des Amerikaners DEWEY mit seinen Gedanken
„Learning by doing", des Schweizers A. FERRIERE - der mehr eine
Pädagogik „vom Kind aus“ entwickelte, die der Italienerin M. MONTESSORI -
die die Schulung der Sinnestätigkeit
des Kindes, Selbsterziehung
und Selbsttätigkeit
praktizierte, spürbar. Von
hier aus führte
die Entwicklung zu den amerikanischen Planschulen mit ihren
Arbeitsanweisungen, die in den
späteren Stadien der
Wiener
Schulreform im Gruppenunterricht immer mehr zur Anwendung kommen sollten (W.
LEDWINKA: 1977,S.106). Auch die anderen großen Strömungen der Pädagogik der ersten
Jahrzehnte des
20.Jahrhunderts wurden in der Wiener Schulreform integriert,
vor allem die Sozialp“ädagogik und die
staatsbürgerliche
Erziehung. Erziehung und Unterricht
erfolgen in einer Gemeinschaft,
durch und für eine
Gemeinschaft. Gemeinschaft bedeutet geistige
Verbundenheit ihrer Glieder und bezieht sich zunächst auf
die Gemeinschaft der Schulklasse, dann der Schule und weitet sich auf
höchster Stufe zur Gemeinschaft aller Staatsbürger im Staat
aus (ebenda,S.106). Besonderen Einfluß kam in diesem
Zusammenhang
den Schriften des neukantischen Philosophen P. NATORP
zu.
Mit Schulversuchen war, der pädagogischen Aufbruchstimmung
folgend,
in den aus ehemaligen Kadettenschulen neu errichteten Bundeserziehungsanstalten
angefangen worden. Dort war im Schuljahr
1919/20 mit
Klassen der DEUTSCHEN MITTELSCHULE begonnen worden (In: VOLKSERZIEHUNG = das
frühere Verordnungsblatt, Pädagog. Teil 1919, Stück XVIII, S. 145f bzw.
VEZ Amtl. Teil 1921 Stück XVI, S. 149ff; VEZ - Päd. Teil 1922 Stück X, S.
191ff; VEZ Amtl. Teil 1923 Stück XIV S. 240f) . Als Etappe zu
einer vereinheitlichten Unterstufe, bekamen auch
Schulen ohne
Internate ab 1920 diesen Versuch (Übersicht in VOLKSERZIEHUNG päd. Teil 1925
S. 4-8 = 24 Schulen mit 53 Klassen u. 1245 Schülern - 17 davon in Wien).
Nach dem Bruch
der Koalition auf Bundesebene gingen Versuche zu
einer zweizügigen
ALLGEMEINEN MITTELSCHULE (mit ähnlichem Lehrplan) an sechs
Schulen in Wien weiter ( Übersicht in VOLKSERZIEHUNG Päd. Teil 1922 S.
191-247, VEZ päd. Teil 1923 S.209-227 und 1925 S. 109-149) . Ab Herbst 1922 unterrichteten dort
sowohl Bürgerschullehrer als auch Lehrer mit Universitätsausbildung gemeinsam. Ab 1923, als die ersten Schüler die 4 Klassen
der Mittelschule durchlaufen hatten, begannen
-
leider von der
tristen finanziellen Staatssituation überschattet - die Versuche für
eine neue „Oberschule“ (ENGELBRECHT
H.: 1988, S.136).
Sie liefen dann leider ab 1927/28
aus (ebenda, S.138).
Aber umgekehrt kam den Bestrebungen des Wiener
Stadtschulrates
zustatten, daß die
konservativen Mittelschullehrer dem Projekt einer
Umgestaltung des äußeren Schulaufbaus das Schlagwort der
„Inneren Reform“ entgegensetzt hatten, in der Hoffnung, so den
Neuerungen ausweichen zu können (H. FISCHL: 1950,S.53).
Im Herbst 1926 war eine Ausweitung des Schulversuchs
vorgesehen. Es war
klar, daß auf diesem Weg ein geschlossener Block
von
Reformanstalten entstanden wäre, über den man unter keinen
Umständen
hätte hinweggehen können (H.FISCHL: 1950,S.56).
Die aus der
Auseinandersetzung des Stadtschulrats
für Wien mit dem
Unterrichtsministerium entstandene schulpolitische Krise des
Jahres 1926
(H.SCHNELL:1980,S.50) brachte in der Folge (Anm.: Bei den
Nationalratswahlen im April 1927 konnten die Sozialdemokraten Mandatsgewinne
erziehlen, ohne allerdings Regierungsbeteiligung zu erlangen. Dennoch waren
diese Verschiebungen der politischen Kräfteverhältnisse Anlaß für
parteipolitische Verhandlungen über Schulgesetze ) dieses
"Schulkampfes"
die Kompromißlösung des Hauptschulgesetzes von 1927.
Hier konnten zwar in der
äußeren Organisationsform (4 Klassen -
gegenüber der
dreiklassigen Bürgerschule, mit zwei Zügen und
Übertrittsmöglichkeit
in die Mittelschulen
und damit gleiche Lehrpläne
Hauptschule - Mittelschulunterstufe) ein Resultat der Schulversuchsideen
verbucht werden, während die
Vorstellungen
im
Oberstufenbereich - und damit wie
unten gezeigt werden soll -
Ansätze den
wirtschaftlichen und sozalwissenschaftlichen Bereich
in den
Fächerkanon der Mittelschulen hineinzutragen,
nicht verwirklicht
werden konnten.
Der spätere Unterrichtsminister Schuschnigg ließ
in einer Aussage Gründe dafür
durchblicken:
die allgemeine
Mittelschule hätte die endgültige Zerstörung des
Humanistischen
Gymnasiums bedeutet (zitiert nach
H. WALLENTIN: 1979,S.120).
Das Unterrichtsfach hieß im Lehrplan 1928 in der Hauptschule „Erdkunde“,
hingegen in der Mittelschule „Geographie“ - bei sonst aber
wortidenten Lehrplantexten. Diese gingen sogar so weit, daß
in den an den
Stoffteil folgenden „Bemerkungen“ im Verordnungstext
der
Mittelschule von den Wechselbeziehungen zwischen der Erdkunde und den anderen
Fächern die Rede ist ! ( Lehrplan f. Hauptschulen BGBl. d. Republik
Österr. 137. Vdg v. 1. 6. 1928 S. 905f und Lehrpläne f. Mittelschulen BGBl.
138. Vdg. v. 1.6. 1928 S. 963f - auch in VOLKSERZIEHUNG 1928, Stück XII v. 15.
Juni).
Auch die
Schulbücherausgaben waren in
der Folge die selben. Mit Ausnahme dieses letzten Punktes, änderte sich auch nichts an der
Wortidentität des Fachlehrplans für
Geographie bzw. Erdkunde (Lehrplan 1935) (HS in BGBl. 237. Vdg. v.
21.6.1935 S. 894f; MS BGBl. 285. Vdg. v. 11.7. 1935 ) als durch
die
Hauptschulverordnung 1934 dies wieder strikte von den Mittelschulen
getrennt wurde, ihre Zweizügigkeit
abgeschafft und sie
zur
Ausleseschule umfunktioniert worden ist. Die
Volksschuloberstufe
(die die Hauptschule ja ersetzen hätte sollen)
wurde im
Sinne der Ideen
des Ständestaates zur Auffangschule für
die
Kinder aus den
niederen Sozialschichten und für Bauernkinder.
Inhaltlich gingen aber gerade die, auf ein Durchdringen
wirtschaftlicher
und gesellschaftlicher Realität und Hintergründe
abzielenden
Teile in den Lehrplänen wieder verloren ! Welche das
gewesen sind, soll im einzelnen in der Folge angeführt
werden.
.
2.2.1
Neue Inhalte in den Schulversuchslehrplänen der 1920er
Im selbstständigen Fach „Erdkunde“ in der
DEUTSCHEN
MITTELSCHULE findet
man noch nicht viel mehr als in der II. Klasse die
Lehrplanforderung
nach einer „eingehenden
Länderkunde Deutschösterreichs
mit besonderer Berücksichtigung des wirtschaftlichen
Lebens“
(dieses wird aber nicht näher konkretisiert).
In der
VI. Klasse ist
gegenüber früheren Lehrplänen neu die Lehrplanforderung nach
„Elementen wirtschaftsgeograpischer Statistik
" - in: VOLKSERZIEHUNG Amtl. Teil XVI.Stück, Erl. v. 30. Juli 1921, S.
149f. (auch hier
erfolgt keine nähere Erläuterung - es
erinnert an
die
Lehrplanpassage „wirtschaftskundliche Grundbegriffe“ in den Geographie und
Wirtschaftskundelehrplänen der 60er Jahre).
Mehr wirtschaftskundliche Inhalte findet man in den
Entwürfen für
die Oberstufe:
1921 kam auf
Anregung des Vereins „die Realschule“ ein Entwurf
für eine
achtklassige Realschule (die 8. Klasse kam erst mit der
Vereinheitlichung
der Mittelschule 1927/28 hinzu). Interessant
ist, daß für
die Abschlußklasse „Länderkunde des deutschen Siedlungsgebietes
in Mitteleuropa mit besonderer Berücksichtigung
volkswirtschaftlicher
Fragen“ vorgeschlagen worden ist (VOLKSERZIEHUNG 1. Aug. 1921 S. 345f.).
Nach den Vorstellungen der
Reformabteilung wurde 1924,
„nicht als
amtliche Verlautbarung, sondern als Grundlage zur fachlichen
Beratung“ ein Lehrplanentwurf für
die, nach der einheitlichen
Mittelschule weiterführenden „ALLGEMEIN BILDENDEN OBERSCHULEN“
(vier verschiedene
Typen: Altsprachliche-,
Neusprachliche-,
Mathematisch -naturwissenschaftliche - und
Deutsche
Oberschule) publiziert - Qu. siehe bei Tabelle unten aus VOLKSERZIEHUNG Päd.
teil v. 1. 3 1924 S. 25ff) . Diesem Entwurf lagen auch die an den
Bundeserzieungsanstalten bereits in Gange befindlichen Versuche
mit vierklassigen Oberschulen zugrunde ( Otto Glöckels Mitstreiter H. FISCHL
publizierte eine erste Skizze dieses "Oberbaus der Einheitsschule" in
VOLKSERZIEHUNG Päd. Teil 1920 S. 39ff.) .
Neben einem Fach „Geographie“, das rein länderkundlich
aufgebaut war,
findet man in allen Typen einen Gegenstand (in der Abschlußklasse)
„Allgemeine Erdkunde“, der hauptsächlich Physiogeographie
enthält (steht auch in einem
Vermerk als 4.
Stufe bei dem
Fach „Naturgeschichte“ !), mit
Ausnahme in den Typen wo er mit
zwei Wochenstunden unterrichtet wird
und dadurch auch
Grundzüge der politischen
Geographie dazugenommen werden
können.
Von größerer Bedeutung aber ist in den beiden Typen „Mathematisch-naturwissenschaftliche-“
und „Deutsche Oberschule“ der
neu eingeführter
Schulgegenstand „Wirtschafts- und Gesellschaftskunde
(einschließlich österr.Bürgerkunde)“.
Wochenstundenverteilung
f. d. Klassen I, II, III, IV in den OBERSCHULEN
Geographie
Allg.Erdkunde Wirtsch.u.Gesellsch.Kunde
Altsprachl.-
2/1/-/- -/-/-/1
- - - -
Neusprachl.-
2/2/2/- -/-/-/1
- - - -
Math.natw. -
2/2/-/- -/-/-/2
-/-/3/-
Deutsche -
3/2/-/- -/-/-/2
-/-/2/4
Oberschule
Die genauen
Lehrplantexte dazu im Dokumentenanhang dieser Arbeit.
Q.:
VOLKSERZIEHUNG, Nachr.d.Bundesministeriums für Unterricht,
pädagogischer Teil
v. 1. März 1924, S. 42-47)
__________________________________________________________________
Diese Kombination zum Geographieunterricht auf der
Oberstufe war
damals europaweit ein einmaliges Unterfangen (vergl.
die
länderweisen Berichte über
den erdkundlichen Unterricht
in dem Sammelband von O. MURIS:
1930).
Daß ein nicht zu kleiner Teil der Geographen diesen
Bestrebungen
distanziert bis reserviert gegenüberstand, leuchtet
nicht nur
bei MURIS' Darstellung der Oberschul-Versuchstypen
1930,S.79)
durch. Auch die
(sicherlich nach der Mittelschullehrplanreform
redigierte) zweite Auflage von Anton BECKERs Methodik
(1932) verliert
kein einziges Wort darüber. Diese (auch nach den 60er Jahren spürbare)
Distanz der Erdkundelehrer ist gut nachvollziebar in einem
Beitrag in der "Festschrift für A. Becker", der von F.BODO (1929)
verfaßt worden ist :
Hier wird zwar eine Lanze für den Unterricht in
Wirtschaftsgeographie
gebrochen: damit soll selbstverständlich keiner übertriebenen
Bevorzugung der Wirtschaftsgeographie das Wort geredet
werden (BODO,
1929,S.242).
Die Stoffvorschläge (ebenda S.247-254) lassen dann deutlich
die, vergleicht
man dazu den Lehrplanentwurfstext für „Wirtschafts- und Gesellschaftskunde“ im
Schulversuch für die Oberschule,
unterschiedliche Sichtweise
erkennen:
Wirtschaftsgeographie
ist die Lehre von den Wechselwirkungen zwischen dem
Erdraum und dem wirtschaftenden Menschen und damit als deren Folge
das wirtschaftliche Raumbild der Erde in seiner Zusammensetzung,
Entstehung und Anordnung (ebenda,S.240). Die Landschaft,
ihre natürlichen Grundlagen stehen immer im Mittelpunkt.
Die „Wirtschaftskunde“ aber geht vom Menschen aus. Ob das dem
Erdkundeunterricht so ohne weiteres damals zugemutet werden konnte, läßt
eine Zeile des oben angeführten Entwurfes im Lehrziel vermuten:
hier soll die deutsche Entwicklung - in planvoller
Zusammenarbeit mit dem Geschichtsunterricht - gezeigt werden.
Diesen damals schon vom Raum losgelösten Lehrplanteilen,
waren im ersten
Schuljahr die wirtschaftsgeographische Gliederung der Erde,
Handels- und Verkehrswege, Stellung Österreichs
und des Deutschen
Reichs im Welthandel als Stoffteile, die schon in der Monarchie
im Geographiestoff enthalten gewesen sind, beigegeben.
Im zweiten Unterrichtsjahr war der geforderte Vergleich mit
Verhältnissen in anderen Staaten das einzige, was an traditionellen
Erdkundeunterricht erinnerte. Der überwiegende andere
Lehrstoff war
damals im allgemeinbildenden Schulwesen absolut neu.
Vergleicht man hingegen diese Vorschläge aus 1924 mit den
Lehrplanforderungen
für die AHS-Oberstufe ( Gymnasien) aus 1967
bzw 1970 ( VERORDNUNGSBLATT f.d. Dienstbereich d. BMU III.Sondernummer
, 88. Vdg. v. 1. 10. 1967, - hier noch für eine 9-klassige AHS
"Wirtschaftskunde" extra angeführt - S. 114. Im BGBl. v. 4. 9. 1970 ist der
gleiche Text ersichtlich, die wirtschaftskundlichen Sachgebiete aber dem
jeweiligen Klassenstoff zugeordnet ) also dem bis
1989 noch gültigen Lehrplan, so
kann man die Inhalte der
ersten Stufe 1924 hauptsächlich der 5.Klasse AHS zuordnen.
Dadurch, daß in dem Versuchsentwurf keine regionalen Vorgaben, wie
die der Länderkunde 1970, beachtet werden mußten,
erscheint die
Anordnung im zweiten Jahr des Entwurfes 1924 (s.o.) homogener als die,
zunächst mit der 6. und ab dem Teil "Gewerbe und Industrie"
hauptsächlich mit der 7.Klasse korrelierenden Stoffteile.
In dieser zweiten Hälfte fällt
nur der, damals noch
kleine
Stoffteil über Handelsverträge - der heute bei der europäischen
Integration schon in der 6.Klasse behandelt wird - heraus.
Aufschlußreich auch der Vergleich der an den Stoff
folgenden
„Bemerkungen“ 1924 mit den „didaktischen Grundsätzen“ 1970.
Sie sind damals
viel länger, als die für die AHS-Oberstufe 1970 - mit 8 Klassen
(bzw. dem ursprünglichem 9 klassigen Entwurf 1967).
Jedoch wäre dabei in Rechnung zu stellen,
daß bei
letzteren (1967) auch
in dem Unterstufenteil des Lehrplans solche, die Wirtschaftskunde
betreffende, zu finden sind.
1924 wird der „Arbeitsunterricht“ möglichst gefordert.
Diese Betonung
ging in den AHS-Lehrplänen verloren (erst wieder
1985 stärker
verankert). Schon damals und auch heute findet man
die Forderung
nach dem originären Zugang zur Wirklichkeit in
Form von
Betriebsbesichtigungen (heute eher als Betriebserkundung).
Damals und heute gab man dem Lehrer für den Unterricht die
didaktisch-methodische
Anweisung den Unterricht auf Definitionen
nur aufzubauen.
Dies kommt 1924 noch stärker zum Ausdruck als
im späteren
Lehrplan für „Geographie und Wirtschaftskunde“ der 1960er Jahre.
Der 1924 erstmalig erfolgende Hinweis auf die
unterrichtliche
Auswertung von Tageszeitungen erinnert an H. KLIMPTs
Bemerkung in
unzähligen Vorträgen, daß "... der Schüler befähigt sein soll den
Wirtschaftsteil einer gehobenen Tageszeitung oder die Wirtschaftsberichterstattung
der elektronischen Medien sinnvoll zu
interpretieren (zitiert nach E.FESSEL-POHL:1986,S.96).
Nicht enthalten waren im Unterschied zu den 60er Jahren Aspekte der
Wirtschafts- und Konsumentenerziehung.
.
2.2.2
Ein Buch - als fast verwischte Spur:
Ganz in der Struktur und Abfolge dieses Vorschlags für die
allgemein
bildende Oberschule ist ein „Leitfaden der Wirtschafts und
Gesellschaftskunde“ (M. FLUSS: 1928) der
beim Verlag Hölzel
herausgekommen
ist.
Einem ersten, historisch gehaltenen Hauptkapitel über die Entwicklung der
Volkswirtschaft folgt ein zweites,
das die Zweige der
Wirtschaft darstellt. Darin werden zunächst Urproduktion und
Umwandlung der Rohstoffe zT.
wirtschaftsgeographisch beschrieben. Im dritten Unterabschnitt dieses Kapitels aber, in
dem der Güterumlauf
behandelt wird, scheinen schon reine wirtschaftskundlich
gehaltene Teile (Geld, Preisbewegungen) auf.
Wirtschaftsgeographisch
abgehandelt, werden in der Folge
Welthandel und
Gliederung der Erde.
Das dritte
Hauptkapitel, die Organisationsformen der Wirtschaft,
ist dann rein
nach Gliederungsprinzipien der Ökonomie aufgebaut:
Zunächst
Klein-und Großbetrieb, Einzelunternehmung, Gesellschaftsunternehmung, öffentliche Unternehmung. Diesem
folgt ein Abschnitt über
den modernen Kapitalismus. Im
weiteren Abschnitt
Kreditverkehr, Banken
und die Börse, sind Abbildungen eines
Wechsels, eines
Schecks zu finden.
Das vierte
Hauptkapitel, Wirtschaft und Gesellschaft, erinnert
in seiner
Gliederung an die auch heute in der
7.Klasse AHS in
österreichischen
Geographie und Wirtschaftskundelehrbücher übliche Abfolge:
Der natürliche Aufbau der Bevölkerung, berufliche und
soziale Gliederung, Einkommensarten und -stufen, Einkommensverwendung
und Güterverbrauch. Angefügt ist ferner eine kurze
Literaturliste zur Wirtschaftskunde.
Der Autor, und das ist bezeichnend für somanche didaktische
Entwicklung im
Fach Geographie an ”sterreichischen Schulen, war
neben seiner
Gymnasiallehrertätigkeit in Wien XIII, Fichtnergasse
(nach dem
Ersten Weltkrieg), auch Professor für Geschichte und
Geographie an
der Handelsakademie Wien I, Karlplatz. Möglicherweise erklärt
diese Doppelstellung sein profundes ökonomisches Wissen.
In einem
Interview erzählte mir H. KLIMPT (der wichtige Reformer 1962) , daß M. FLUSS ,
H. SLANARsen.
und ihm
namentlich bekannt gewesen sei, aber dieser keinen Kontakt zu den
Geographenkreisen in der
Geographischen
Gesellschaft und zum Institut für Geographie an der Uni Wien gehabt hatte. 47)
Es ist überhaupt anzumerken, daß ein nicht so kleiner Teil
der Geographen,
die in den (allgemeinbildenden) Höheren Schulen Akzente setzten, aus
dem Bereich der
Exportakademie, später Hochschule für Welthandel
(heute Wirtschaftsuniversität Wien) gekommen sind:
so der beim Verlag Hölzel Atlanten und eine Schulbuchreihe
gestaltende F. HEIDERICH. Später
waren es der Herausgeber der
Schulbuchreihe „Seydlitz“ L. SCHEIDL und als Bearbeiter und
Neugestalter der Wirtschaftskarten im Kozenn-Atlas von Hölzel
(86. Aufl. 1961 = Hundertjahrausgabe) W. STRZYGOWSKI,
die ebenfalls mit der Lehrerausbildung an der Universität zwar
nichts zu tun hatten, sondern über den Bereich der
Wirtschaftsgeographie
Zugang und Einfluß auf den Geographieunterricht an den
Höheren Schulen (Gymnasien) hatten (vergl. im derzeitigen Oberstufenatlas von
Hölzel 1981 die
Wirtschaftskarten vom ehemaligen WU-Dozenten
W. RITTER - Anm.: auch im Hölzel 9+ Weltatlas für die Oberstufe 1995).
Diese Situation ist noch verstärkt dadurch, daß früher
L. SCHEIDL und
später E. WINKLER ( beide an der WU in Wien) zuständig sind für die
einzige bundesweite
Fortbildungsveranstaltung: die Geographentage des Instituts für
Österreichkunde (seit Tagungen 1962) - vergl . dazu
WINKLER E.:1988.
.
2.3.
EIN FREIFACH
IM PROVISORISCHEN LEHRPLAN 1946
In dem ersten didaktischen Artikel zur Neugestaltung des
Geographieunterrichts
in der Mittelschule (C. FIGDOR 1946) in der
offiziellen
schulpädagogischen Zeitschrift ("Erziehung und Unterricht" beim
Österr. Bundesverlag) geht dieser Autor davon aus, daß
die Schule nicht einfach zu den Zuständen
von 1938
zurückkehren
könne, daß man sich von manchem „Erprobten“
werde
trennen müssen,
ob es einem lieb sei oder nicht, weil es bei dem
moralischen
Niederbruch so vieler Menschen die Probe aufs Exempel
eben nicht
bestanden habe. Die Vermittlung
von Tatsachenwissen reiche nicht
aus, um schon allgemein gebildet zu sein. Die
Erziehung habe
universal und lebensnah zu sein. Der
demokratische Mensch müsse es
gelernt haben,
neben den
Naturerscheinungen auch die
Erscheinungen des sozialen und politischen Lebens in ihren Zusammenhängen
zu sehen (ebenda,S.464).
Der Unterricht müsse lebensnah gestaltet werden.
Nicht durch noch mehr
Lichtbilder, Exkursionen ... , sondern FIGDOR
möchte, wie
er sagt „wirtschaftsgeographische
Bewegungen“ in den Vordergrund
schieben (ebenda,S.465). Das Beispiel welches er
dazu bringt -
eines Jungen bei dem Erlebnis von Reklameschildern, würde man
später Wirtschaftskunde genannt haben.
Der allgemeinen Geographie, an der Hochschule Propädeutik
für eine
kausal fundierte Länderkunde, stellt er an den Mittelschulen die
Funktion eines Bildungsmittels zur politischen und
weltanschaulichen
Erziehung zu. Vom Geographieunterricht forderte
er, daß er
imstande sein müsse,
an der Gestaltung der jungen
Menschen durch
ihre Erkenntnis der Weite und der Enge der Wissenschaft
(er meinte damit weiter oben in diesem Beitrag die Unterscheidung
zwischen Theorien und Gesetzmäßigkeiten) und durch die Darlegung der
politischen, nationalökonomischen und soziologischen
Probleme
einigermaßen mitzuwirken (ebenda S.466).
Diese Überlegungen eines späteren Direktors und
Landesschulinspektors
und einflußreichen Vertreters schulgeographischer Belange im
Bereich der Mittelschulabteilung des Stadtschulrats für Wien
(LSI seit 1952), geben Auskunft auch über Hintergrundüberlegungen
an Veränderung interessierter Kräfte in der unmittelbaren
Nachkriegszeit.
Es erscheint daher nicht verwunderlich, daß in den Provisorischen
Lehrplänen für Mittelschulen 1946 (siehe
Kap.1)
neben einem
Stammfach „Erdkunde“ bei den Freifächern - offenbar
als Kompromiß
für diese auf Änderung drängenden Kräfte - ein
Freifach
„WIRTSCHAFTS UND GESELLSCHAFTSKUNDE“ (Neben einem zweiten
mit der
Bezeichnung „Staatswissenschaft“) für die 7.und 8.Klasse
enthalten ist 48) = VERORDNUNGSBLATT f.d. Dienstbereich d. BMU, 87.
Erl. Stück 10a v. 15. 10. 1955).
Betrachtet man den Aufbau und die Stoffabfolge dieses
Freifachs so stellt
man fest, daß es die gekürzte Fassung des Vorschlags für
die Schulversuche der Oberschule von 1924 ist !
(Den Lehrplan
dieses Freifaches siehe Dokumententeil dieser Arbeit)
Das Unterfangen, nach diesen provisorischen Lehrplänen
Volkswirtschaftslehre
und Gesellschaftslehre als Freigegenstände
zu führen, kam
nur sporadisch zum Durchbruch, referierte L. LEITNER
- später Sektionschef und ein Schlüsselbeamter der Reformen im
allgemeinbildenden Schulbereich des Ministeriums - bei einer
„Arbeitstagung Wirtschaftskunde“ des BMUK 1968 (zitiert nach E. SCHICHL:
1968,S.235).
In der „Neuverlautbarung“ der
Provisorischen
Lehrpläne für Mittelschulen 49 1955 fehlte dieses Freifachangebot.
Aber man findet in den fünfziger Jahren in der offiziellen
österreichischen
pädagogischen Zeitschrift „Erziehung und Unterricht" noch
weitere, in dieser Richtung bemerkenswerte
Beiträge:
M. KRÖLL (1952,
S.265) 50)= K. war Lehrer an der HAK der Kaufmannschaft in Wien 8 und
Dozent an der Hochschule für Welthandel) forderte in einem (wie die
Schriftleitung in
einer Fußnote anmerkte „Diskussionsbeitrag zu einem
wichtigen,
aber umstrittenen Problem“)
die Einführung der Volkswirtschaftslehre
an Mittelschulen: Das hier
vorliegende
Mißverhältnis
werde von Jahr zu Jahr schwerer empfunden, schrieb Kröll. Und
weiter: Die Volkswirtschaftslehre ist heute durchaus
ein Element der
Allgemeinbildung, denn jedermann
sei ins Wirtschaftsgetriebe
eingegliedert und müsse Tag für Tag
zu Problemen
Stellung
nehmen, die nur scheinbar von politischer, in Wahrheit
von durchaus
wirtschaftlicher Art sind. Preis-
und Lohnkämpfe zB. so sehr sie
oft rein politisch gesehen werden, sind dennoch
vorwiegend
wirtschaftlich zu beurteilen; dies kann aber nur der Wirtschaftskenner.
Diese Wendung eines, seiner beruflichen Herkunft eher der
konservativen
politischen Richtung zuzuzählenden
Vertreters
(die
Schulversuche der Zwischenkriegszeit entstammten ja sozialdemokratischen
Bildungsüberlegungen, C. FIGDOR war
SP-Vertreter
im Wiener
Stadtschulrat) sind der erste Hinweis in der Literatur für den bis
heute bestehenden Zustand, daß (mit Ausnahme der
Wiener
Zentralsparkasse, seit 1978 - Gründung der Zeitschrift
GW-Unterricht)
sich von außerschulischer Seite vor allem und
daher besonders
durchschlagskräftig, die Vertreter der Unternehmerseite in
der Wirtschaftskunde(-fortbildung
aber auch
als
„preasure-group“ 51) = z.B. in: Die Industrie Nr. 38 v. Sept. 1986 S. 23 -
od. alleine durch die Institutionen der "Volkswirtschaftlichen
Gesellschaften" mit ihrem vielfältihem Angebot, dem von Gewerkschaftsseite
nur minimales entgegengesetzt wird) bei Lehrplanverhandlungen - siehe dazu Kap. 3 und
5) interessieren.
Und ein zweiter - fast könnte man sagen
„prophetischer“ Satz ist in
diesem Beitrag von KRÖLL (1952, S.265) zu finden:
An sich kann
man der Einführung der
Volkwirtschaftslehre an Mittelschulen
nur den Einwand entgegenhalten, daß
jedes neue
Lehrfach eine
Mehrbelastung der Schüler mit sich bringt,
die
nur durch
Einschränkung bei den übrigen
Fächern ausgeglichen
werden kann. (Oder - Anm.d.
Ch.S.- durch Umgruppierung innerhalb bestehender Fächer, wie
eben im Schulorganisationsgesetz 1962 mit "GW").
Fünf Jahre später erfolgte ein weiterer Vorstoß von dem
Wirtschaftspädagogen
H.KRASENSKY. In den Pädagogischen Mitteilungen, der
pädagogischen Beilage zum Verordnungsblatt des BMUK
1957 (S.11)
formulierte dieser Hochschulvertreter und Lehrerausbildner in
einem Beitrag über den „wirtschaftsnahen Unterricht in den
Vereinigten Staaten „ Wirtschaftswissen als wesentlichen
Bestandteil der Allgemeinbildung anzuerkennen
und wirtschaftskundliche
Gegenstände auch an Mittelschulen (mit
Grundkenntnissen der
Buchhaltung, der Bilanz und Steuerlehre ...) einzuführen.
In einem, dem Autor dieser Arbeit 1989 gegebenen Interview,
merkte H. SCHNELL (ehem. Lehrer, LP-Kommissionsmitglied, später
SP-Bildungssprecher im Nationalrat und Wiener Stadtschulratspräsident) den großen Einfluß der amerikanischen
Bildungsvorstellungen
im Rahmen ihres „Reorientation Programms“ an (im Unterschied
zu dem in Deutschland erfolgenden „Reeducation
Program), wobei
zT. sich dabei auch Vorstellungen befanden, die sich mit alten
Schulforderungen der SPÖ deckten bzw.
umgekehrt
zumindest bis
in die Anfangsphase des Kalten Krieges gegenläufige
eher
konservative ÖVP-Vorstellungen zurückgehalten oder zumindest
vorerst
gebremst wurden:
1. versuchten
die Amerikaner ihren „Einheitsschulgedanken“ auch in Österreich zu propagieren. Dazu wurden Österreicher (zB.auch
H. SCHNELL) zu Besuchen des amerikanischen Schulsystems eingeladen und für
einen breiteren Kreis an den Pädagogischen Instituten der Stadt Wien und des Landes
Salzburg Vortragsreihen abgehalten (in
den vierziger und beginnenden fünfziger Jahren).
2. zeigten die
Amerikaner starkes Interesse an der Lehrerbildung, sie strebten zB. an, die gesamte Lehrerbildung an
die Universitäten zu bringen - eine traditionell von konservativen Kräften in
Österreich (besonders der Länder und der Kirche, die traditionell in der
Pflichtschullehrerausbildung involviert waren) abgelehnte Position.
3. eher
Deutschland betreffend, förderten sie dort die Dezentralisierung und Föderalisierung des in der Weimarer
Republik zentralisierten Schulwesens.
4. und, das war
inhaltlich ihr stärkstes Interessensgebiet, förderten sie den Bereich der „Social Studies“ gegen den
in Österreich vorherrschenden traditionellen Zugang zu den
Fächern „Geschichte“ und „Geographie“. Eine Reihe von Social Studie Büchern wurden an
österreichische Lehrer und Schulen geschenkt, manche sogar versuchsweise als Grundlagen für den Unterricht herangezogen.
Hier erfolgte
aber - laut Interview mit H. SCHNELL - die stärkste
Ablehnung
mancher Kreise. Namentlich nannte er den einflußreichen Wiener
Schulgeographen H. SLANAR sen. (der ebenfalls der SP nahestand), oder auch, den bei der
Lehrplanarbeit 1963
ff sowohl in der AHS-Unter- als
auch Oberstufengruppe
mitwirkenden Salzburger F.
PRILLINGER (aus dem konservativen Lager), die beide ganz im Gegenteil dazu,
strikte Vertreter der L“änderkunde waren.
Daß die Diskussion um die stärkere Einbindung solcher
sozialund besonders
wirtschaftswissenschaftlicher Inhalte trotzdem oder
gerade deswegen
weiterging, zeigt ein zweiten
Beitrag 1957 in
„Erziehung
und Unterricht“ wo H. KRASENSKY (1957, S.194f)
wirtschaftspädagogische
Forderungen an die Schule stellte:
Die Volksschule
soll bei der Verwirklichung des Heimatprinzips
nicht nur die
heimatliche Umwelt, sondern auch die Arbeits und
Wirtschaftsverh“ältnisse ihres Gebietes berücksichtigen und so die
wirtschaftslichen Lebensgrundlagen aufzeigen...
In der
Hauptschule tritt zu diesem noch die Frage der Berufswahl
im engeren
Sinne hinzu (Anm. Ch. S. 2001: Mit dem LP 1999/2000 ham die "verbindliche
Übung Beruforientierung" für die 3. und 4. Kl. HS - und wohl wegen der
politisch gewollten Lehrplanwortidentität - auch für die AHS-Unterstufe =
Gymnasien hinzu - vgl. http://gw.eduhi.at ) . Die Hauptschule solle mit möglichst
vielen
beruflichen Arbeitsgebieten bekannt machen, um ihren Schülern die
Möglichkeit zu geben, ihre Berufswünsche mit den
beruflichen
Anforderungen vergleichen zu können (ebenda,S.195).
.
Aber auch an
die allgemeinbildenden Mittelschulen (Anm.: seit dem SCHOG 1962
"Allgemeinbildende Höhere Schulen" / AHS = Gymnasium) sind
Forderungen zu
stellen (ebenda,S.196)...Das volkswirtschaftliche und
betriebswirtschaftliche
Fachwissen ist wegen der häufigen wirtschaftlichen
Verflochtenheit jedes einzelnen von solcher Bedeutung, daß
die Kenntnis der diesbezüglichen Grundtatsachen
wohl als
unbedingt zur Allgemeinbildung
gehörig bezeichnet werden muß.
Die bestehende Differenzierung in einen humanistischen und
einen naturwissenschaftlichen Zweig behebt diesen Mangel nicht.
Es müßte
vielmehr auch bei uns, ähnlich wie in den westeuropäischen und
angelsächsischen Ländern,
das Studium der Sozial- und
Wirtschaftswissenschaften stärker gepflegt werden. Die Beschäftigung
mit der Soziologie und der Psychologie, der Nationalökonomie
und Betriebswirtschaftslehre ersetzt
in diesen Ländern
gerade wegen ihrer stark auf
den Menschen und die
menschliche
Gesellschaft und die zwischenmenschlichen Beziehungen abgestellte
Art das humanistische Bildungsideal unserer
Schulen. Es müsse
daher gefordert werden, daß dieses Wissensgut vielleicht in
der Form eines
Unterrichtsgegenstandes „Allgemeine
Wirtschaftskunde“ - in den beiden obersten
Klassen Eingang findet.
Danach ging
KRASENSKY (1957, S.197) in diesem Beitrag noch auf
die Position
des Ausgebildeten im Betrieb und die Stellung des
Staatsbürgers
als Konsument, in einer Erziehung des Verbrauchers ein. Im Grunde
waren damit die Felder der in den sechziger Jahren
dann in
Verbindung mit dem Schulfach „Geographie“ eingeführten „Wirtschaftskunde“
abgesteckt.
.
Eine Spur, daß nicht alle
Gymnasial-Lehrer den Bereich der Wirtschaft
„links liegen
ließen“ zeigt der Artikel von J. MENTSCHL in der offiziellen
Pädagogischen Zeitschrift "Erziehung und Unterricht" (1962,
S.535ff) - also
in der unmittelbaren Aufbruchsphase, worin über einen
Schulversuch mit einem Freifach „Wirtschaftskunde“
in einer
7.Klasse Mittelschule (= Gymnasium-Oberstufe ) referiert wird ( R.
WANKA erzählte dem Verfasser in seinem Interview, daß in den 60er Jahren, bis
eben dann an den Oberstufenklassen ab dem neuen LP ab 1.9. 1967 das Fach
"Geographie und Wirtschaftskunde" unterrichtet worden ist, u.a. auch
am BRG XVII, Geblergasse (bei Dir. V. FADRUS) solche Freifachkurse abgehalten
worden sind)
Bei der Begründung dieses Versuchs am
Bundesgymnasium in Wien V. Bezirk , stehen auch
zwei
Vermutungen des Autors, warum von der Möglichkeit des Freifachs nach dem
Lehrplan 1946 nicht in dem Umfang Gebrauch gemacht worden ist, wie
sich das der Gesetzgeber möglicherweise vorgestellt
hatte: MENTSCHL sieht als einen Kritikpunkt an der alten
Stoffaufgliederung, daß sich das
Angebot vor allem auf
Wirtschaftsgeographie
und Wirtschaftsgeschichte, zwei Wissensgebiete also,
von denen Schüler - wenn auch weniger genau - auch
in anderen
Fächern hören konnten.
Einen zweiten Grund sah er darin, daß sich umgekehrt Mittelschulprofessoren
mangels geeigneter Vorbildung nicht an dieses
Stoffgebiet
heranwagten. (Ein Umstand der sich, als gegen Ende der sechziger
Jahre manche dieser Inhalte Pflichtstoff im Rahmen
der
„Geographie und Wirtschaftskunde“ wurden, auch noch viele entzogen -
vergl. dazu das Kapitel über die Maturafragen !)
In J. MENSCHLs Versuch sollte „praktisch anwendbare
Allgemeinbildung“
vermittelt werden“ (1962, S.536):
_______________________________________________________________
1.Lehrziel:
Kenntnis der wichtigsten Wirtschaftsbegriffe, die im Alltag verwendet werden.
Einführung in die Einrichtungen des wirtschaftlichen Verkehrs
Entwicklung wirtschaftlichen Denkens.
Einblick in die Vielfalt der wirtschaftlichen Zusammenhänge.
.
2.Lehrstoff:
Die Wirtschaft im Rahmen der Kultur; Überblick über die Wirtschaftsformen; Haushalt, Erwerb, Kapitalbildung,Betrieb;
Landwirtschaft, Handwerk, Industrie; Arbeitsteilung, Hand-
und Maschinenarbeit; betriebliche Konzentration.
Funktion des Groß- und Kleinhandels; Risiko, Transport,Lagerung;
Geldfunktion, Geldwert, Kredit; bargeldloser
Zahlungs verkehr (Ausstellung von Wechseln, Benützung von Girokonten)
Probleme der Buchführung ; Sparkassen-, Bank- und Versicherungswesen; Werbung. Wert, Preis, Währung;
Lohn,Gehalt,Lebenshaltungskosten. Einzelunternehmen, Personal- und
Kapitalgesellschaften; Wettbewerb und Monopol, Kartelle und Konzerne;
Unternehmergewinn, Unternehmer und Arbeiter, Konjunkturlehre .
Wirtschaftspolitik; Wirtschaftsplanung, Subventionierung,
Sozialisierung, Besteuerung, Zölle, Anleihen, Staatsbudget.
Sozialprodukt, Import, Export, Handels- und Zahlungsbilanz.
.
3.Bemerkungen zur methodisch-didaktischen Behandlung:
Bei der Auswahl und Darbietung des Lehrstoffes ist vor allem zu berücksichtigen, daß das Fach „Wirtschaftskunde“ die
Allgemeinbildung erweitern soll und keine Vorbereitung auf eine Fachbildung anstrebt. Es soll daher vor allem die
Kenntnisse
derjenigen Schüler zeitgemäß abrunden, die später beruflich n i c h t
mit Handel, Handwerk oder Industrie in enger
Verbindung stehen werden.
Der Blickwinkel aus dem hier die Wirtschaft gesehen werden soll, muß deshalb sein:
a)
aus der Sicht des Kunden,
b) der des verantwortungsbewußten Staatsbürgers,
c) der des Eigentümers von - auch kleinem - Privatvermögen.
Zur praxisnahen Gestaltung werden Übungen mit Formblättern erforderlich sein. Exkursionen in Geldinstitute, in Handels-
und Erzeugungsbetriebe werden als wertvolle Ergänzung empfohlen.
.
_________________________________________________________
Betrachtet man diesen publizierten Versuchslehrplan, so findet man in ihm
- möglicherweise unter etwas anderen Ausdrücken -
praktisch alle
Inhalte, die später im
Wirtschaftskundeteil
des
erst durch das SCHOG 1962
neu geschaffene Schulfachs
„Geographie
und Wirtschaftskunde“ verlangt wurden.
Der Unterschied zum späteren Regellehrplan
ist primär
in dem Passus
zu sehen, daß ab dem LP 1967 der Unterricht in „Wirtschaftskunde“
zusammen mit der „Geographie“ zu erfolgen hat.
Josef
MENTSCHLs individueller Versuch 1962, stellte somit eine wesentliche
Erweiterung der
Inhalte des Freifachs „Wirtschafts und Gesellschaftskunde“
des „provisorischen“
Lehrplans von 1946 dar !
Anm.:
Interessant (oder typisch ? für den Ablauf von Schulreformbestrebungen in
Österreich)
war, daß MENTSCHLs Name in den Lehrplankommissionen - sowohl 1963 und
1965 n i c h t aufscheint - siehe dazu die Namen der Mitglieder
angeführt bei LEITNER L./ E. BENEDIKT 1967 - und im nächsten Kapitel
dieser Arbeit.
.
.
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Wien
Ch.S.
2001