Ch. SITTE: Entwicklung des Unterrichtsgegenstandes Geographie, Erdkunde, Geographie u. Wirtschaftskunde an allgemeinbildenden Schulen in Österreich nach 1945. Dissertation an der Grund- u. Integrativwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. 1989, 2 Bde

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2. Kap. :   WURZELN  ÖKONOMISCHER  INHALTE  IM  GEOGRAPHIEUNTERRICHT  IN  ÖSTERREICH  

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2.1. SITUATION VOR DEM ERSTEN WELTKRIEG

Betrachtet man alte Lehrpläne für das Schulfach Geographie, so ist zB im Geographie-Unterricht nach dem GYMNASIAL-Codex 1808  die Geographie der Geschichte untergeordnet - bis 1909 (vgl. bei HOFFMANN A. 1984 - in dieser Grazer Diss. sind die Gymnasiallehrpläne von 1808 = S. 19ff - 1848, 1900, 1909 abgedruckt - Anm. Ch.S. Leider fehlen dort die für die Entwicklung des eigenen Schulfaches viel bedeutsameren Lehrpläne der Handelsakademien, Lehrerbildungsanstalten und besonders der Realschulen, in denen schon im 19. Jh. "Geographie" als eigenes Schulfach existierte - über letzteren Bereich der Realschulen findet man Hinweise  in der auch sonst genaueren Salzburger Dissertation von H. WALLENTIN 1979, S.32ff)  .  

Im Geographieteil der Unterrichtszeit sollte die räumliche Basis für die historische Betrachtung geschehen. Astronomische Geographie und  Beschreibung der Erdoberfläche nach ihrer natürlichen Beschaffenheit unter dem Aspekt, daß der Geschichte eines jeden auftretenden Volkes, die Geographie des Landes vorauszuschicken sei, waren die Hauptlinien des  Geographieunterrichts,  der dann auf der Oberstufe gar nicht mehr eigens angeführt wurde. Im Lehrplan von 1884  stand dann noch die Forderung, daß der Unterricht sich mit der Vegetation, und den  Produkten der Länder  und dem Verkehrsleben zu beschäftigen hätte.

Die Lehrpläne von 1900 für Gymnasien hatten noch immer keine Trennung von Geschichte und Geographie gebracht, aber in den „Instructionen für den Unterricht an den Gymnasien“  = Lehrplan u. Instructionen f.d.Unterricht an den Gymnasien in Österreich, In: VERORDNUNGSBLATT f.d. Dienstgebrauch d. k.k. Min. f. Kultus u. Unterr. Nr. 25 v. 23.2.1900 )  deuten sich gesellschaftswissenschaftliche Bildungsinhalte an:

„Bei dem Capitel Industrie und Gewerbe, das bei der Behandlung mancher Schwierigkeit begegnet, wird eine Erleichterung eintreten wenn vorerst die verschiedenartigen Industriezweige in Gruppen gebracht werden, zB. Consum- und Bedarfsartikel, und wenn nachgewiesen wird, daß es nicht ein Spiel des Zufalls ist, wenn einzelne Kronländer  andere in der Erzeugung einzelner Artikel überflügeln.  Die wirkenden Factoren sind hier zu erörtern ...  Auch der Industriebetrieb sowie der Bedarf des angrenzenden Auslandes oder entfernterer Absatzgebiete dürfen nicht übersehen werden (Instructionen 1900, S.156).

Insbesondere aber versäume man nicht, dem Schüler eine klare und richtige Vorstellung zu verschaffen von der Umgestaltung aller unserer gesellschaftlichen Verhältnisse  und der Beziehung der Völker durch die allgemeine Benützung und die stetige Vervollkommnung  der Dampfmaschine, des Dampfschiffes,  der Eisenbahn und Telegraphen sowie von der Umgestaltung der gesamten Industrie durch das Maschinenwesen, als dessen Folge sich das Arbeiterwesen derart entwickelte, daß es in das gesamte sociale Leben tief eingreift (Instructionen 1900, S.171).

LP  der Gymnasien von 1909  ( = in: VERORDNUNGSBLATT ...10. Vdg. v. 20.3.1909) verzeichnet Geographie in den Klassen 1 - 6 und als "Geographie-Geschichte-Bürgerkunde" = Vaterlandskunde in der Abschlußklasse = 8.,( 7. Kl. ist kein Geographieunterricht vorgesehen gewesen ) als Unterrichtsfach Geographie als ein eigenständiges Fach in der Unter- und erstmals auch auf der Oberstufe . Aber es geschah in der Unterstufe keine Erweiterung wirtschaftsbezogener Inhalte.  In der Oberstufe wurde die "eingehende Kenntnis der geographischen Verhältnisse in der österreichisch-ungarischen Monarchie, insbesondere ihrer natürlichen Wirtschaftsgebiete und Faktoren ihrer Entwicklung" gefordert. Im Stoffteil forderte man den "Unterricht über die kausalen Wechselbeziehungen der geographischen Erscheinungen". Hier stehen neben vielen physiogeographischen Begriffen auch die Ausdrücke   "Wirtschaftsformen und ihre Ursachen, Güteraustausch und Verkehrswege" in der V. Klasse ( S.208). Im Vaterlandskundeunterricht der 8.Klasse wurde für den Unterricht über die Monarchie auch explizit "Wirtschaftsgeographie (Produktions- Handels- und Verkehrsverhältnisse) und Stellung im Weltverkehr" angeführt (LP 1909, S.208).  Im Bürgerkundeteil standen ferner noch die  wichtigsten  Funktionen des Staates  in politischer, kultureller und wirtschaftlicher Beziehung als Lehrstoffe. .                       

In den stärker auf praktischen Wissenserwerb ausgerichten REALSCHULEN war schon etwas mehr durch den Passus : Kenntnis der Erdoberfläche  nach ihren  für Gewerbe und Handel maßgebensten Beziehungen  mit besonderer Hervorhebung  des ”sterreichischungarischen Reiches (nach H.WALLENTIN: 1979,S.54). Aber in den 1879 erstemals einem Lehrplan beigegebenen INSTRUCTIONEN  ( INSTRUCTIONEN f.d. Unterr. an Realschulen IX. Anschluß an d. Vdg. d. Min.f. Cultus u. Unterr. v. 15.4.1879 S. 372-407 - hier "Geographie" ein eigenes Fach ! ) findet sich in den 15 Unterpunkten nur der Hinweis auf die Durchnahme der Beschäftigung der Bewohner, ihre Naturprodukte und Erzeugnisse aus Gewerbetätigkeit, die Ausfuhr, Handelswege und- Plätze (Instruktionen 1879, S.402).

1909   = Normallehrplan f. Realschulen in VdgBl. f.d.Dienstbereich d. k.k. Min. f. Kultus u. Unterr. v. 8.4.1909 - Geographie in den Kl. 1 bis 7 ) findet man nur in der Oberstufe die Lehrplanforderung nach Durchnahme der natürlichen Wirtschaftsgebiete und der Faktoren ihrer Entwicklung, in der V.Klasse bei der Länderkunde Europas und in der VII.Klasse die selben Passi wie im gleichalten Gymnasiallehrplan. Auch in den neu geschaffenen Realgymnasien, die einen Schritt hin  zur Vereinheitlichung der Untermittelschulen darstellen sollten  (R.MÖCKL: 1926, S.188)   veränderte sich an dieser Grundstruktur im Geographieunterricht nichts.  

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An den BÜRGERSCHULEN (Lehrplan 1907) - ( Normallehrpläne f. Bürgerschulen in VdgBl. des Unterrichtsministeriums v. 1.8.1907 S. 373f - sie hatten gegenüber den späteren Hauptschulen nur 3 Klassen !)  war zwar in der Stundentafel ein gemeinsames Unterrichtsfach „Geographie und Geschichte (mit der Hinzufügung beim LP-Textteil: „ ... mit besonderer Rücksicht auf das Vaterland und dessen Verfassung“)  angeführt, in der Textierung des Lehrplans aber ein eigener Geographieteil vom danach separat angeführten Geschichteteil gedruckt.

An Stoffinhalten waren ebenfalls nur Produkte, Produktionszweige, Verkehrslinien als „Wirtschaft“ durchzunehmen.

Das war auch der Stoff in den Volksschuloberstufen.

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An HANDELSAKADEMIEN gab es zwar schon von Anbeginn  1848 im Oberstufenbereich ein eigenes Unterrichtsfach „Handels- und Verkehrsgeographie“ mit dem Ziel:   auf die allgemeinen Kenntnisse der natürlichen und politischen  Verhältnisse der Erde sich gründende eingehende Kenntnis der handelsgeographischen Verhältnisse der einzelnen Staaten der Erde ( nach Organisation u. Regulativ d. Neuen Wiener Handelsakademie, genehmigt mit Erl. d. k.k. Ministeriums f. Kultus u. Unterr. v. 29.1. 1912 S. 38ff) - und etwas detaillierteren wirtschaftsgeographische Angaben - jedoch sind ergänzend dazu die Unterrichtsfächer „Allgemeine Handelsgeschichte“ und im letzten Unterrichtsjahr „Volkswirtschaftslehre“ in Rechnung zu stellen.

Betrachtet man Schulbücher der drei Schultypen (HEIDERICH, MÜLLNER, bzw. ZHEDEN-SIEGER(-STOISER) - vgl. auch Ch.SITTE 1987, Schulbuchbibliographie in MÖGG Bd. 129, S. 128 - 165) , so ist höchstens im Detailreichtum der beschreibenden traditionellen Wirtschaftsgeographie ein Unterschied feststellbar.

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2.2. DIE  PHASE  DER  SCHULVERSUCHE  IN DEN  20er JAHREN

    (Die "Glöckel'sche Reformen")  

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Als Unterstaatssekretär für Schulwesen setzte Otto Glöckl neben die,  hauptsächlich juridisch ausgerichtete Beamtenhierarchie 1919 einen Stab von aus dem Schulbereich kommenden Fachleuten, die sogenannte „Reformabteilung“ (H.FISCHL:1950,S.13).    

In den von ihr 1920 ausgearbeiteten „Leitsätzen“ (zitiert nach H. SCHNELL: 1980, S.45ff) trat zum ersten Mal in der österreichischen Bildungsgeschichte  die gesellschaftliche Bedeutung der Mittelstufe in den Vordergrund (ebenda,S.48). Nach dem Bruch der Koalition auf Bundesebene wurden diese Schulversuche vom Stadtschulrat für Wien fortgesetzt.

Das im April 1919 von Otto GLÖCKEL im Nationalrat vorgetragene Schulprogramm (in O.ACHS:1985,S.141ff)wies schon die Grundzüge der später nach ihm benannten „Wiener Schulreform“ auf mit den drei Hauptgesichtspunkten:

 * Demokratisierung der Schulverwaltung  (Lehrerkammern, Elternvereine)

 * Vereinheitlichung der Schule  (eben dem Mittelstufenbereich)

 * „Innere Schulreform“   mit den Prinzipien des  Arbeitsunterrichts,  Gesamtunterrichts  sowie der Neuordnung  der Unterrichtsstoffe nach dem Prinzip der  Heimat- und Bodenständigkeit (H. WALLENTIN : 1979,S.89)

 Die  Wiener Schulreform ist vergleichbar  einem Brennglas, das die vielfältigen Richtungen und Ausstrahlungen der neuen Pädagogik seit 1900 sammelte und auf die Ebene der Schulerziehung projizierte (W. LEDWINKA:1977,S.104).

In der Kunsterziehungsbewegung, in einem gewissen Zusammenhang mit der Jugendbewegung - entstand um die  Jahrhundertwende ine erste pädagogische Reformbewegung gegen den Intellektualismus in der Pädagogik.  Das von ihr verwendete Aktivitätsprinzip und das Erlebnisprinzip verselbständigten sich zu eigenen Trägern didaktischer Richtungen:   Arbeitsdidaktik und Erlebnisdidaktik. Arbeitsdidaktik, zur Arbeitspädagogik erweitert, wurde zu einem zentralen Anliegen der Wiener Schulreform. Die Erlebnisdidaktik hat als ihr Wirkungsfeld keineswegs nur die musischen Fächer beansprucht, sondern wollte auch  tragendes Prinzip  im Sachunterricht, in Heimatkunde und Naturkunde sein.  In Österreich hatte L.BATTISTA (siehe Schulbuchbibliographie) in seinen heimatkundlichen Werken  dem Erlebnisprinzip  „vom Kind ausgehend“  weitgehend Rechnung getragen.

Neben deutschen Pädagogen waren Einflüsse anderer, wie des Russen BLONSKIJ (Arbeitsschule), des Amerikaners DEWEY mit seinen Gedanken „Learning by doing", des Schweizers A. FERRIERE - der mehr eine Pädagogik  „vom Kind aus“  entwickelte, die der Italienerin M. MONTESSORI - die die Schulung der  Sinnestätigkeit des  Kindes, Selbsterziehung  und  Selbsttätigkeit praktizierte, spürbar. Von hier aus führte die Entwicklung zu den amerikanischen Planschulen mit ihren Arbeitsanweisungen,  die in den späteren Stadien der Wiener Schulreform im Gruppenunterricht immer mehr zur Anwendung kommen sollten (W. LEDWINKA: 1977,S.106).  Auch die anderen großen Strömungen der Pädagogik der ersten Jahrzehnte des 20.Jahrhunderts wurden in der Wiener Schulreform integriert,  vor allem die Sozialp“ädagogik und die staatsbürgerliche Erziehung.  Erziehung und Unterricht erfolgen in einer Gemeinschaft,  durch und  für eine Gemeinschaft.  Gemeinschaft bedeutet geistige Verbundenheit ihrer Glieder und bezieht sich zunächst auf die Gemeinschaft der Schulklasse, dann der Schule und weitet sich auf höchster Stufe zur Gemeinschaft aller Staatsbürger im Staat aus (ebenda,S.106). Besonderen Einfluß kam in diesem Zusammenhang den Schriften des neukantischen Philosophen P. NATORP zu.   

Mit Schulversuchen war, der pädagogischen Aufbruchstimmung folgend,  in den aus ehemaligen Kadettenschulen neu errichteten Bundeserziehungsanstalten angefangen worden. Dort war im Schuljahr 1919/20 mit Klassen der DEUTSCHEN MITTELSCHULE begonnen worden (In: VOLKSERZIEHUNG = das frühere Verordnungsblatt, Pädagog. Teil  1919, Stück XVIII, S. 145f bzw. VEZ Amtl. Teil 1921 Stück XVI, S. 149ff; VEZ - Päd. Teil 1922 Stück X, S. 191ff; VEZ Amtl. Teil 1923 Stück XIV S. 240f) . Als Etappe zu einer vereinheitlichten Unterstufe, bekamen auch Schulen ohne Internate ab 1920 diesen Versuch (Übersicht in VOLKSERZIEHUNG päd. Teil 1925 S. 4-8 = 24 Schulen mit 53 Klassen u. 1245 Schülern - 17 davon in Wien).  

Nach dem Bruch der Koalition auf Bundesebene gingen Versuche zu einer zweizügigen ALLGEMEINEN MITTELSCHULE (mit ähnlichem Lehrplan) an sechs Schulen in Wien weiter ( Übersicht in VOLKSERZIEHUNG Päd. Teil 1922 S. 191-247, VEZ päd. Teil 1923 S.209-227 und 1925 S. 109-149) . Ab Herbst 1922  unterrichteten dort sowohl Bürgerschullehrer als auch Lehrer mit Universitätsausbildung gemeinsam. Ab 1923, als die ersten Schüler die 4 Klassen der Mittelschule durchlaufen hatten,  begannen - leider von der tristen finanziellen Staatssituation überschattet - die Versuche für eine neue „Oberschule“  (ENGELBRECHT H.: 1988, S.136).  Sie liefen dann leider ab  1927/28 aus (ebenda, S.138).

 Aber umgekehrt kam den Bestrebungen des Wiener Stadtschulrates  zustatten,  daß die konservativen Mittelschullehrer dem Projekt einer Umgestaltung des äußeren Schulaufbaus das Schlagwort der „Inneren Reform“ entgegensetzt hatten, in der Hoffnung, so den Neuerungen ausweichen zu können (H. FISCHL: 1950,S.53).

Im Herbst 1926 war eine Ausweitung des Schulversuchs vorgesehen. Es war klar, daß auf diesem Weg ein geschlossener Block von Reformanstalten entstanden wäre, über den man unter keinen Umständen hätte hinweggehen können (H.FISCHL: 1950,S.56).

Die aus der Auseinandersetzung des  Stadtschulrats für Wien mit dem Unterrichtsministerium entstandene schulpolitische Krise des Jahres 1926 (H.SCHNELL:1980,S.50) brachte in der Folge (Anm.: Bei den Nationalratswahlen im April 1927 konnten die Sozialdemokraten Mandatsgewinne erziehlen, ohne allerdings Regierungsbeteiligung zu erlangen. Dennoch waren diese Verschiebungen der politischen Kräfteverhältnisse Anlaß für parteipolitische Verhandlungen über Schulgesetze ) dieses "Schulkampfes" die Kompromißlösung des Hauptschulgesetzes von 1927.

Hier konnten zwar in der äußeren Organisationsform (4 Klassen - gegenüber der  dreiklassigen  Bürgerschule, mit zwei Zügen und Übertrittsmöglichkeit in die  Mittelschulen  und damit gleiche Lehrpläne Hauptschule - Mittelschulunterstufe) ein Resultat der Schulversuchsideen verbucht werden,  während die Vorstellungen im Oberstufenbereich - und damit  wie unten gezeigt werden soll - Ansätze den wirtschaftlichen und sozalwissenschaftlichen Bereich in den Fächerkanon der Mittelschulen hineinzutragen,  nicht verwirklicht  werden  konnten.  Der  spätere Unterrichtsminister Schuschnigg ließ in einer Aussage  Gründe dafür  durchblicken: die allgemeine Mittelschule hätte die endgültige Zerstörung des Humanistischen Gymnasiums bedeutet  (zitiert nach  H. WALLENTIN: 1979,S.120).  

Das Unterrichtsfach hieß im Lehrplan 1928 in der Hauptschule „Erdkunde“, hingegen in der Mittelschule „Geographie“ - bei sonst aber wortidenten Lehrplantexten. Diese gingen sogar so weit, daß in den an den Stoffteil folgenden „Bemerkungen“ im Verordnungstext der Mittelschule von den Wechselbeziehungen zwischen der Erdkunde und den anderen Fächern die Rede ist !  ( Lehrplan f. Hauptschulen BGBl. d. Republik Österr. 137. Vdg v. 1. 6. 1928 S. 905f und Lehrpläne f. Mittelschulen BGBl. 138. Vdg. v. 1.6. 1928 S. 963f - auch in VOLKSERZIEHUNG 1928, Stück XII v. 15. Juni).

Auch die Schulbücherausgaben waren in der Folge die selben. Mit Ausnahme dieses letzten Punktes, änderte sich auch nichts  an der Wortidentität des Fachlehrplans für Geographie bzw. Erdkunde (Lehrplan 1935)  (HS in BGBl. 237. Vdg. v. 21.6.1935 S. 894f; MS BGBl. 285. Vdg. v. 11.7. 1935 ) als durch die Hauptschulverordnung 1934 dies wieder strikte von den Mittelschulen getrennt wurde,  ihre Zweizügigkeit abgeschafft  und sie zur Ausleseschule umfunktioniert worden ist.  Die Volksschuloberstufe  (die die Hauptschule ja ersetzen hätte sollen)  wurde im Sinne der Ideen des Ständestaates zur Auffangschule  für die Kinder aus den niederen Sozialschichten und für Bauernkinder.

Inhaltlich gingen aber gerade die, auf ein Durchdringen wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Realität und Hintergründe abzielenden Teile in den Lehrplänen wieder verloren ! Welche das gewesen sind, soll im einzelnen in der Folge angeführt werden.

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2.2.1   Neue Inhalte in den Schulversuchslehrplänen der 1920er

Im selbstständigen Fach „Erdkunde“ in der DEUTSCHEN MITTELSCHULE  findet man noch nicht viel mehr als in der II. Klasse die Lehrplanforderung nach einer   „eingehenden Länderkunde Deutschösterreichs mit besonderer Berücksichtigung des wirtschaftlichen Lebens“ (dieses wird aber nicht näher konkretisiert).  In der VI. Klasse ist gegenüber früheren Lehrplänen neu die Lehrplanforderung nach „Elementen wirtschaftsgeograpischer  Statistik " - in: VOLKSERZIEHUNG Amtl. Teil XVI.Stück, Erl. v. 30. Juli 1921, S. 149f. (auch hier erfolgt keine nähere Erläuterung -  es erinnert an die Lehrplanpassage „wirtschaftskundliche Grundbegriffe“ in den Geographie und Wirtschaftskundelehrplänen der 60er Jahre).

Mehr wirtschaftskundliche Inhalte findet man in den Entwürfen für die Oberstufe:

1921 kam auf Anregung des Vereins „die Realschule“ ein Entwurf für eine achtklassige Realschule (die 8. Klasse kam erst mit der Vereinheitlichung der Mittelschule 1927/28 hinzu). Interessant ist, daß für die Abschlußklasse „Länderkunde des deutschen Siedlungsgebietes in Mitteleuropa  mit besonderer Berücksichtigung volkswirtschaftlicher Fragen“ vorgeschlagen worden ist (VOLKSERZIEHUNG 1. Aug. 1921 S. 345f.).

Nach  den Vorstellungen der  Reformabteilung wurde 1924, „nicht als amtliche Verlautbarung, sondern als Grundlage zur fachlichen Beratung“  ein Lehrplanentwurf für die,  nach der einheitlichen Mittelschule weiterführenden „ALLGEMEIN  BILDENDEN  OBERSCHULEN  (vier verschiedene Typen:  Altsprachliche-, Neusprachliche-, Mathematisch -naturwissenschaftliche - und Deutsche Oberschule) publiziert - Qu. siehe bei Tabelle unten aus VOLKSERZIEHUNG Päd. teil v. 1. 3 1924 S. 25ff) . Diesem Entwurf lagen auch die an den  Bundeserzieungsanstalten bereits in Gange befindlichen Versuche mit vierklassigen Oberschulen zugrunde ( Otto Glöckels Mitstreiter H. FISCHL publizierte eine erste Skizze dieses "Oberbaus der Einheitsschule" in VOLKSERZIEHUNG Päd. Teil 1920 S. 39ff.) .

Neben einem Fach  „Geographie“,  das rein länderkundlich aufgebaut war, findet man in allen Typen einen Gegenstand (in der Abschlußklasse)  „Allgemeine Erdkunde“, der hauptsächlich Physiogeographie enthält  (steht auch in einem Vermerk als 4. Stufe bei dem Fach „Naturgeschichte“ !),  mit Ausnahme in den Typen wo er mit zwei Wochenstunden unterrichtet  wird und dadurch auch Grundzüge der  politischen Geographie dazugenommen werden können.

Von größerer Bedeutung aber ist in den beiden Typen „Mathematisch-naturwissenschaftliche-“ und „Deutsche Oberschule“ der neu eingeführter Schulgegenstand „Wirtschafts- und Gesellschaftskunde (einschließlich österr.Bürgerkunde)“.

Wochenstundenverteilung f. d. Klassen I, II, III, IV in den OBERSCHULEN

                 Geographie        Allg.Erdkunde    Wirtsch.u.Gesellsch.Kunde     

Altsprachl.-       2/1/-/-            -/-/-/1                - - - -     

Neusprachl.-    2/2/2/-            -/-/-/1                - - - -

Math.natw. -     2/2/-/-             -/-/-/2               -/-/3/-

Deutsche -       3/2/-/-             -/-/-/2              -/-/2/4 

Oberschule

Die genauen Lehrplantexte dazu im Dokumentenanhang dieser Arbeit.  

Q.: VOLKSERZIEHUNG, Nachr.d.Bundesministeriums für Unterricht, 

pädagogischer Teil v. 1. März 1924, S. 42-47)

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Diese Kombination zum Geographieunterricht auf der Oberstufe war damals europaweit ein einmaliges Unterfangen (vergl. die  länderweisen Berichte  über den erdkundlichen Unterricht in dem Sammelband von O. MURIS: 1930).

Daß ein nicht zu kleiner Teil der Geographen diesen Bestrebungen distanziert bis reserviert gegenüberstand, leuchtet nicht nur  bei MURIS' Darstellung der  Oberschul-Versuchstypen 1930,S.79) durch.  Auch die  (sicherlich nach der Mittelschullehrplanreform redigierte) zweite Auflage von Anton BECKERs Methodik (1932) verliert kein einziges Wort darüber. Diese (auch nach den 60er Jahren spürbare) Distanz der Erdkundelehrer ist gut nachvollziebar in einem Beitrag in der "Festschrift für A. Becker", der von F.BODO (1929) verfaßt worden ist :

Hier wird zwar eine Lanze für den Unterricht in Wirtschaftsgeographie gebrochen: damit soll selbstverständlich keiner übertriebenen Bevorzugung der Wirtschaftsgeographie das Wort geredet werden (BODO, 1929,S.242).

Die Stoffvorschläge (ebenda S.247-254) lassen dann deutlich die, vergleicht man dazu den Lehrplanentwurfstext für „Wirtschafts- und Gesellschaftskunde“  im Schulversuch für die Oberschule, unterschiedliche  Sichtweise erkennen:  

Wirtschaftsgeographie ist die Lehre von den Wechselwirkungen zwischen dem Erdraum und dem wirtschaftenden Menschen und damit als deren Folge das wirtschaftliche Raumbild der Erde in seiner Zusammensetzung, Entstehung und Anordnung (ebenda,S.240). Die Landschaft, ihre natürlichen Grundlagen stehen immer im Mittelpunkt.

Die „Wirtschaftskunde“ aber geht vom Menschen aus. Ob das dem Erdkundeunterricht so ohne weiteres damals zugemutet werden konnte, läßt eine Zeile des oben angeführten Entwurfes im Lehrziel vermuten:  hier soll die deutsche Entwicklung - in planvoller Zusammenarbeit mit dem Geschichtsunterricht - gezeigt werden. 

Diesen damals schon vom Raum losgelösten Lehrplanteilen, waren im ersten Schuljahr die  wirtschaftsgeographische Gliederung der Erde, Handels- und Verkehrswege, Stellung  Österreichs und des Deutschen Reichs im Welthandel als Stoffteile, die schon in der Monarchie im Geographiestoff enthalten gewesen sind, beigegeben.

Im zweiten Unterrichtsjahr war der geforderte Vergleich mit Verhältnissen in anderen Staaten das einzige, was an traditionellen Erdkundeunterricht erinnerte. Der überwiegende andere Lehrstoff war damals im allgemeinbildenden Schulwesen absolut neu.

Vergleicht man hingegen diese Vorschläge aus 1924 mit den Lehrplanforderungen  für die AHS-Oberstufe ( Gymnasien) aus  1967 bzw 1970  ( VERORDNUNGSBLATT f.d. Dienstbereich d. BMU III.Sondernummer , 88. Vdg. v. 1. 10. 1967, - hier noch für eine 9-klassige AHS "Wirtschaftskunde" extra angeführt - S. 114. Im BGBl. v. 4. 9. 1970 ist der gleiche Text ersichtlich, die wirtschaftskundlichen Sachgebiete aber dem jeweiligen Klassenstoff zugeordnet )  also dem bis 1989  noch gültigen Lehrplan, so kann man die Inhalte der ersten Stufe 1924 hauptsächlich der 5.Klasse AHS zuordnen.  Dadurch, daß in dem Versuchsentwurf keine regionalen Vorgaben, wie die der Länderkunde 1970, beachtet werden mußten, erscheint die Anordnung im zweiten Jahr des Entwurfes 1924 (s.o.) homogener als die, zunächst mit der 6. und ab dem Teil "Gewerbe und Industrie" hauptsächlich mit der 7.Klasse korrelierenden Stoffteile.  In dieser zweiten Hälfte  fällt nur der,  damals noch kleine Stoffteil über Handelsverträge - der heute bei der europäischen Integration schon in der 6.Klasse behandelt wird - heraus.

Aufschlußreich auch der Vergleich der an den Stoff folgenden „Bemerkungen“ 1924 mit den „didaktischen Grundsätzen“ 1970.

Sie sind damals viel länger, als die für die AHS-Oberstufe 1970 - mit 8 Klassen  (bzw. dem ursprünglichem 9 klassigen Entwurf 1967).  Jedoch wäre dabei in Rechnung zu stellen,  daß bei letzteren (1967) auch in dem Unterstufenteil des Lehrplans solche, die Wirtschaftskunde betreffende, zu finden sind.

1924 wird der „Arbeitsunterricht“ möglichst gefordert.

Diese Betonung ging in den AHS-Lehrplänen verloren (erst wieder 1985 stärker verankert). Schon damals und auch heute findet man die Forderung nach dem originären Zugang zur Wirklichkeit in Form von Betriebsbesichtigungen (heute eher als Betriebserkundung).

Damals und heute gab man dem Lehrer für den Unterricht die didaktisch-methodische Anweisung den Unterricht auf Definitionen nur aufzubauen. Dies kommt 1924 noch stärker zum Ausdruck als im späteren Lehrplan für „Geographie und Wirtschaftskunde“ der 1960er Jahre.

Der 1924 erstmalig erfolgende Hinweis auf die unterrichtliche Auswertung von Tageszeitungen erinnert an H. KLIMPTs  Bemerkung in unzähligen Vorträgen, daß "... der Schüler befähigt sein  soll den Wirtschaftsteil einer gehobenen Tageszeitung oder die Wirtschaftsberichterstattung der elektronischen Medien sinnvoll zu interpretieren (zitiert nach E.FESSEL-POHL:1986,S.96).

Nicht enthalten waren im Unterschied zu den 60er Jahren Aspekte der Wirtschafts- und Konsumentenerziehung.

2.2.2   Ein Buch - als fast verwischte Spur:

Ganz in der Struktur und Abfolge dieses Vorschlags für die allgemein bildende Oberschule ist ein „Leitfaden der Wirtschafts und Gesellschaftskunde“ (M. FLUSS: 1928)  der beim Verlag Hölzel herausgekommen ist.

Einem ersten, historisch gehaltenen Hauptkapitel über die Entwicklung der Volkswirtschaft  folgt ein zweites,  das die Zweige der Wirtschaft darstellt. Darin werden zunächst Urproduktion und Umwandlung der Rohstoffe  zT. wirtschaftsgeographisch beschrieben. Im dritten Unterabschnitt dieses Kapitels aber, in dem der Güterumlauf behandelt wird, scheinen schon reine wirtschaftskundlich gehaltene Teile (Geld, Preisbewegungen) auf. Wirtschaftsgeographisch abgehandelt,  werden in der Folge Welthandel und Gliederung der Erde.

Das dritte Hauptkapitel, die Organisationsformen der Wirtschaft, ist dann rein nach Gliederungsprinzipien der Ökonomie aufgebaut:

Zunächst Klein-und Großbetrieb, Einzelunternehmung, Gesellschaftsunternehmung, öffentliche Unternehmung.  Diesem folgt ein Abschnitt über den modernen Kapitalismus.  Im weiteren Abschnitt Kreditverkehr, Banken und die Börse, sind Abbildungen eines Wechsels, eines Schecks zu finden.

Das vierte Hauptkapitel, Wirtschaft und Gesellschaft, erinnert in seiner Gliederung an die  auch heute in der 7.Klasse AHS in österreichischen Geographie und Wirtschaftskundelehrbücher übliche Abfolge:  

Der natürliche  Aufbau der Bevölkerung, berufliche und soziale Gliederung, Einkommensarten und -stufen, Einkommensverwendung und Güterverbrauch. Angefügt ist ferner eine kurze Literaturliste zur Wirtschaftskunde.

Der Autor, und das ist bezeichnend für somanche didaktische Entwicklung im Fach Geographie an ”sterreichischen Schulen, war neben seiner Gymnasiallehrertätigkeit in Wien XIII, Fichtnergasse (nach dem Ersten Weltkrieg), auch Professor für Geschichte und Geographie an der Handelsakademie Wien I, Karlplatz. Möglicherweise erklärt diese Doppelstellung sein profundes ökonomisches Wissen.

In einem Interview erzählte mir H. KLIMPT (der wichtige Reformer 1962) , daß M. FLUSS ,  H. SLANARsen. und ihm namentlich bekannt gewesen sei, aber dieser keinen Kontakt zu den Geographenkreisen in der Geographischen Gesellschaft und zum Institut für Geographie an der Uni Wien gehabt hatte. 47)

Es ist überhaupt anzumerken, daß ein nicht so kleiner Teil der Geographen, die in den (allgemeinbildenden) Höheren Schulen Akzente setzten, aus dem Bereich der Exportakademie, später Hochschule für Welthandel (heute Wirtschaftsuniversität Wien) gekommen sind: so der beim Verlag Hölzel Atlanten und eine Schulbuchreihe gestaltende F. HEIDERICH.   Später waren es der Herausgeber der Schulbuchreihe „Seydlitz“ L. SCHEIDL und als Bearbeiter und Neugestalter der Wirtschaftskarten im Kozenn-Atlas von Hölzel (86. Aufl. 1961 = Hundertjahrausgabe) W. STRZYGOWSKI, die ebenfalls mit der Lehrerausbildung an der Universität zwar nichts zu tun hatten, sondern über den Bereich der Wirtschaftsgeographie Zugang und Einfluß auf den Geographieunterricht an den Höheren Schulen (Gymnasien) hatten (vergl. im derzeitigen Oberstufenatlas von Hölzel 1981 die Wirtschaftskarten vom ehemaligen WU-Dozenten W. RITTER - Anm.: auch im Hölzel 9+ Weltatlas für die Oberstufe 1995). 

Diese Situation ist noch verstärkt dadurch, daß früher L. SCHEIDL und später E. WINKLER ( beide  an der WU in Wien) zuständig sind für die einzige bundesweite Fortbildungsveranstaltung: die Geographentage des Instituts für Österreichkunde (seit Tagungen 1962) - vergl . dazu WINKLER  E.:1988.

2.3.   EIN  FREIFACH  IM  PROVISORISCHEN  LEHRPLAN  1946

In dem ersten didaktischen Artikel zur Neugestaltung des Geographieunterrichts in der Mittelschule (C. FIGDOR 1946) in der offiziellen schulpädagogischen Zeitschrift ("Erziehung und Unterricht" beim Österr. Bundesverlag) geht dieser Autor davon aus, daß die Schule nicht einfach zu den  Zuständen von 1938 zurückkehren könne, daß man sich von manchem  „Erprobten“ werde trennen müssen, ob es einem lieb sei oder nicht, weil es bei dem moralischen Niederbruch so vieler Menschen die Probe aufs Exempel eben nicht bestanden habe.  Die Vermittlung  von  Tatsachenwissen reiche nicht aus, um schon allgemein gebildet zu sein.  Die Erziehung habe universal und lebensnah zu sein.  Der demokratische Mensch müsse es gelernt haben, neben den Naturerscheinungen auch die Erscheinungen des sozialen und politischen Lebens in ihren Zusammenhängen zu sehen (ebenda,S.464).

Der Unterricht müsse lebensnah gestaltet werden.  Nicht durch noch mehr Lichtbilder, Exkursionen ... , sondern FIGDOR möchte, wie er sagt  „wirtschaftsgeographische Bewegungen“ in den Vordergrund schieben (ebenda,S.465). Das Beispiel welches er dazu bringt - eines Jungen bei dem Erlebnis von Reklameschildern, würde man später Wirtschaftskunde genannt haben.

Der allgemeinen Geographie, an der Hochschule Propädeutik für eine kausal fundierte Länderkunde, stellt er an den Mittelschulen die Funktion eines Bildungsmittels zur politischen und weltanschaulichen Erziehung zu. Vom Geographieunterricht forderte er, daß er imstande  sein müsse,  an der  Gestaltung der jungen Menschen durch ihre Erkenntnis der Weite und der Enge der Wissenschaft  (er meinte damit weiter oben in diesem Beitrag die Unterscheidung zwischen Theorien und Gesetzmäßigkeiten) und durch die Darlegung der politischen, nationalökonomischen und soziologischen Probleme einigermaßen mitzuwirken (ebenda S.466).

Diese Überlegungen eines späteren Direktors und Landesschulinspektors und einflußreichen Vertreters schulgeographischer  Belange im Bereich der Mittelschulabteilung des Stadtschulrats für Wien  (LSI seit 1952), geben Auskunft auch über Hintergrundüberlegungen an Veränderung interessierter Kräfte in der unmittelbaren Nachkriegszeit.

Es erscheint daher nicht verwunderlich, daß in den Provisorischen Lehrplänen für Mittelschulen 1946  (siehe Kap.1) neben einem Stammfach „Erdkunde“ bei den Freifächern - offenbar als Kompromiß für diese auf Änderung drängenden Kräfte - ein Freifach „WIRTSCHAFTS UND GESELLSCHAFTSKUNDE“ (Neben einem zweiten mit der Bezeichnung „Staatswissenschaft“) für die 7.und 8.Klasse enthalten ist  48) = VERORDNUNGSBLATT f.d.  Dienstbereich d. BMU, 87. Erl. Stück 10a v. 15. 10. 1955).

Betrachtet man den Aufbau und die Stoffabfolge dieses Freifachs so stellt man fest, daß es die gekürzte Fassung des Vorschlags für die Schulversuche der Oberschule von 1924 ist !

(Den Lehrplan dieses Freifaches siehe Dokumententeil dieser Arbeit)

Das Unterfangen, nach diesen provisorischen Lehrplänen Volkswirtschaftslehre und Gesellschaftslehre als Freigegenstände zu führen, kam nur sporadisch zum Durchbruch, referierte L. LEITNER - später Sektionschef und ein Schlüsselbeamter der Reformen im allgemeinbildenden Schulbereich des Ministeriums - bei einer „Arbeitstagung Wirtschaftskunde“ des BMUK 1968 (zitiert nach E. SCHICHL: 1968,S.235). 

In der „Neuverlautbarung“ der Provisorischen Lehrpläne für Mittelschulen 49 1955 fehlte dieses Freifachangebot.

Aber man findet in den fünfziger Jahren in der offiziellen österreichischen pädagogischen Zeitschrift „Erziehung und Unterricht" noch weitere, in dieser Richtung  bemerkenswerte Beiträge:

M. KRÖLL (1952, S.265)  50)= K. war Lehrer an der HAK der Kaufmannschaft in Wien 8 und Dozent an der Hochschule für Welthandel)  forderte in einem (wie die Schriftleitung in einer Fußnote anmerkte „Diskussionsbeitrag zu einem wichtigen,  aber umstrittenen Problem“)   die Einführung der Volkswirtschaftslehre an Mittelschulen:   Das hier vorliegende Mißverhältnis werde von Jahr zu Jahr schwerer empfunden, schrieb Kröll. Und weiter: Die Volkswirtschaftslehre ist heute durchaus ein Element der Allgemeinbildung,  denn jedermann sei ins Wirtschaftsgetriebe eingegliedert  und müsse Tag für Tag zu Problemen Stellung nehmen, die nur scheinbar von politischer, in Wahrheit von durchaus  wirtschaftlicher Art sind.  Preis- und Lohnkämpfe zB. so sehr sie oft rein politisch gesehen werden, sind dennoch vorwiegend wirtschaftlich zu beurteilen; dies kann aber nur der Wirtschaftskenner.

Diese Wendung eines, seiner beruflichen Herkunft eher der konservativen politischen Richtung  zuzuzählenden  Vertreters (die Schulversuche der Zwischenkriegszeit entstammten ja sozialdemokratischen Bildungsüberlegungen,  C. FIGDOR war SP-Vertreter im Wiener Stadtschulrat) sind der erste Hinweis in der Literatur für den bis heute bestehenden Zustand, daß (mit Ausnahme der Wiener Zentralsparkasse, seit 1978 - Gründung der Zeitschrift GW-Unterricht) sich von außerschulischer Seite vor allem und daher besonders durchschlagskräftig, die Vertreter der Unternehmerseite in der  Wirtschaftskunde(-fortbildung  aber auch als „preasure-group“ 51) = z.B. in: Die Industrie Nr. 38 v. Sept. 1986 S. 23 - od. alleine durch die Institutionen der "Volkswirtschaftlichen Gesellschaften" mit ihrem vielfältihem Angebot, dem von Gewerkschaftsseite nur minimales entgegengesetzt wird)  bei Lehrplanverhandlungen - siehe dazu Kap. 3 und 5) interessieren.

Und ein zweiter - fast könnte man sagen  „prophetischer“ Satz ist in diesem Beitrag von KRÖLL (1952, S.265) zu finden:

An sich kann man der  Einführung der  Volkwirtschaftslehre an Mittelschulen nur den Einwand entgegenhalten,  daß jedes neue Lehrfach eine Mehrbelastung der Schüler mit sich bringt,  die nur durch Einschränkung  bei den übrigen Fächern ausgeglichen werden kann. (Oder - Anm.d. Ch.S.- durch Umgruppierung innerhalb bestehender Fächer, wie eben im Schulorganisationsgesetz 1962 mit "GW").

Fünf Jahre später erfolgte ein weiterer Vorstoß von dem Wirtschaftspädagogen H.KRASENSKY. In den Pädagogischen Mitteilungen, der pädagogischen Beilage zum Verordnungsblatt des BMUK 1957 (S.11) formulierte dieser Hochschulvertreter und Lehrerausbildner in einem Beitrag über den „wirtschaftsnahen Unterricht in den Vereinigten Staaten „ Wirtschaftswissen als wesentlichen Bestandteil der Allgemeinbildung anzuerkennen  und wirtschaftskundliche Gegenstände auch an Mittelschulen  (mit Grundkenntnissen der Buchhaltung, der Bilanz und Steuerlehre ...) einzuführen.

In einem, dem Autor dieser Arbeit 1989 gegebenen Interview, merkte H. SCHNELL (ehem. Lehrer, LP-Kommissionsmitglied, später SP-Bildungssprecher im Nationalrat und Wiener Stadtschulratspräsident) den großen Einfluß der amerikanischen Bildungsvorstellungen im Rahmen ihres „Reorientation Programms“ an (im Unterschied zu dem in Deutschland erfolgenden  „Reeducation Program), wobei zT. sich dabei auch Vorstellungen befanden, die sich mit alten Schulforderungen der SPÖ deckten  bzw. umgekehrt zumindest bis in die Anfangsphase des Kalten Krieges gegenläufige eher konservative ÖVP-Vorstellungen zurückgehalten oder zumindest vorerst gebremst wurden:

1. versuchten die Amerikaner ihren „Einheitsschulgedanken“ auch in Österreich zu propagieren. Dazu wurden Österreicher (zB.auch H. SCHNELL) zu Besuchen des amerikanischen Schulsystems eingeladen  und für einen breiteren Kreis an den Pädagogischen Instituten der Stadt Wien und des Landes Salzburg Vortragsreihen abgehalten  (in den vierziger und beginnenden fünfziger Jahren).

2. zeigten die Amerikaner starkes Interesse an der Lehrerbildung, sie strebten zB. an, die gesamte Lehrerbildung an die Universitäten zu bringen - eine traditionell von konservativen Kräften in Österreich (besonders der Länder und der Kirche, die traditionell in der Pflichtschullehrerausbildung involviert waren) abgelehnte Position.

3. eher Deutschland betreffend, förderten sie dort die Dezentralisierung und Föderalisierung des in der Weimarer Republik zentralisierten Schulwesens.

4. und, das war inhaltlich ihr stärkstes Interessensgebiet, förderten sie den Bereich der „Social Studies“ gegen den    in Österreich vorherrschenden traditionellen Zugang zu den Fächern „Geschichte“ und „Geographie“. Eine Reihe von Social Studie Büchern wurden an österreichische Lehrer und Schulen geschenkt, manche sogar versuchsweise als Grundlagen für den Unterricht herangezogen.

Hier erfolgte aber - laut Interview mit H. SCHNELL - die stärkste Ablehnung mancher Kreise. Namentlich nannte er den einflußreichen Wiener Schulgeographen H. SLANAR sen. (der ebenfalls der SP nahestand), oder auch, den bei der Lehrplanarbeit 1963 ff sowohl in der  AHS-Unter- als auch Oberstufengruppe mitwirkenden Salzburger  F. PRILLINGER (aus dem konservativen Lager),  die beide ganz im Gegenteil dazu, strikte Vertreter der L“änderkunde waren.

Daß die Diskussion um die stärkere Einbindung solcher sozialund besonders wirtschaftswissenschaftlicher Inhalte trotzdem oder gerade deswegen weiterging, zeigt ein  zweiten Beitrag 1957 in „Erziehung und Unterricht“ wo H. KRASENSKY (1957, S.194f) wirtschaftspädagogische Forderungen an die Schule stellte:

Die Volksschule soll bei der Verwirklichung des Heimatprinzips nicht nur die heimatliche Umwelt, sondern auch die Arbeits und Wirtschaftsverh“ältnisse ihres Gebietes berücksichtigen und so die wirtschaftslichen Lebensgrundlagen aufzeigen...

In der Hauptschule tritt zu diesem noch die Frage der Berufswahl im engeren Sinne hinzu (Anm. Ch. S. 2001: Mit dem LP 1999/2000 ham die "verbindliche Übung Beruforientierung" für die 3. und 4. Kl. HS - und wohl wegen der politisch gewollten Lehrplanwortidentität - auch für die AHS-Unterstufe = Gymnasien hinzu - vgl. http://gw.eduhi.at ) . Die Hauptschule solle mit möglichst vielen beruflichen Arbeitsgebieten bekannt machen, um ihren Schülern die Möglichkeit zu geben, ihre Berufswünsche mit den beruflichen Anforderungen vergleichen zu können (ebenda,S.195).  

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Aber auch an die allgemeinbildenden Mittelschulen (Anm.: seit dem SCHOG 1962 "Allgemeinbildende Höhere Schulen" / AHS = Gymnasium) sind Forderungen zu stellen (ebenda,S.196)...Das volkswirtschaftliche und betriebswirtschaftliche Fachwissen ist wegen der häufigen wirtschaftlichen Verflochtenheit jedes einzelnen von solcher Bedeutung, daß die Kenntnis der diesbezüglichen Grundtatsachen wohl als unbedingt zur  Allgemeinbildung gehörig  bezeichnet werden muß. Die bestehende Differenzierung in einen humanistischen und einen naturwissenschaftlichen Zweig behebt diesen Mangel nicht.

Es müßte vielmehr auch bei uns, ähnlich wie in den westeuropäischen und angelsächsischen  Ländern,  das Studium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften stärker gepflegt werden. Die Beschäftigung mit der Soziologie und der Psychologie, der Nationalökonomie und Betriebswirtschaftslehre  ersetzt in diesen Ländern  gerade wegen ihrer stark  auf den Menschen und die menschliche Gesellschaft und die zwischenmenschlichen Beziehungen abgestellte Art  das humanistische  Bildungsideal unserer Schulen. Es müsse daher gefordert werden, daß dieses Wissensgut vielleicht in der Form  eines Unterrichtsgegenstandes  „Allgemeine Wirtschaftskunde“ - in den beiden  obersten Klassen Eingang findet.

Danach ging KRASENSKY (1957, S.197) in diesem Beitrag noch auf die Position des Ausgebildeten im Betrieb und die Stellung des Staatsbürgers als Konsument, in einer Erziehung des Verbrauchers ein. Im Grunde waren damit die Felder der in den sechziger Jahren dann in Verbindung mit dem Schulfach „Geographie“ eingeführten „Wirtschaftskunde“ abgesteckt.

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Eine Spur, daß nicht alle Gymnasial-Lehrer den Bereich der Wirtschaft „links liegen ließen“ zeigt der Artikel von J.  MENTSCHL in der offiziellen Pädagogischen Zeitschrift "Erziehung und Unterricht" (1962, S.535ff) - also in der unmittelbaren Aufbruchsphase, worin über einen Schulversuch mit einem Freifach „Wirtschaftskunde“ in einer 7.Klasse Mittelschule  (= Gymnasium-Oberstufe )  referiert wird ( R. WANKA erzählte dem Verfasser in seinem Interview, daß in den 60er Jahren, bis eben dann an den Oberstufenklassen ab dem neuen LP ab 1.9. 1967 das Fach "Geographie und Wirtschaftskunde" unterrichtet worden ist, u.a. auch am BRG XVII, Geblergasse (bei Dir. V. FADRUS) solche Freifachkurse abgehalten worden sind)

Bei der Begründung dieses Versuchs am Bundesgymnasium in Wien V. Bezirk , stehen auch zwei Vermutungen des Autors, warum von der Möglichkeit des Freifachs nach dem Lehrplan 1946 nicht in dem Umfang Gebrauch gemacht worden ist, wie sich das der Gesetzgeber möglicherweise vorgestellt hatte: MENTSCHL sieht als einen Kritikpunkt an der alten Stoffaufgliederung,  daß sich das Angebot  vor allem auf Wirtschaftsgeographie und Wirtschaftsgeschichte, zwei Wissensgebiete also, von denen Schüler - wenn auch weniger genau - auch in anderen Fächern hören konnten.

Einen zweiten Grund sah er darin, daß sich umgekehrt Mittelschulprofessoren mangels geeigneter Vorbildung nicht an dieses Stoffgebiet heranwagten. (Ein Umstand der sich, als gegen Ende der sechziger Jahre manche dieser Inhalte Pflichtstoff im Rahmen der „Geographie und Wirtschaftskunde“ wurden, auch noch viele entzogen - vergl. dazu das Kapitel über die Maturafragen !)

In J. MENSCHLs Versuch sollte „praktisch anwendbare Allgemeinbildung“  vermittelt werden“ (1962, S.536):

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     1.Lehrziel:

     Kenntnis der wichtigsten Wirtschaftsbegriffe, die im Alltag verwendet werden.

     Einführung in die Einrichtungen des wirtschaftlichen Verkehrs

     Entwicklung wirtschaftlichen Denkens.

     Einblick in die Vielfalt der wirtschaftlichen Zusammenhänge.

     .

     2.Lehrstoff:

     Die Wirtschaft im Rahmen der Kultur; Überblick über die Wirtschaftsformen; Haushalt, Erwerb, Kapitalbildung,Betrieb;

     Landwirtschaft, Handwerk, Industrie; Arbeitsteilung, Hand- und Maschinenarbeit; betriebliche Konzentration.

     Funktion des Groß- und Kleinhandels; Risiko, Transport,Lagerung; 

     Geldfunktion, Geldwert, Kredit; bargeldloser Zahlungs verkehr (Ausstellung von Wechseln, Benützung von Girokonten)

     Probleme der Buchführung ; Sparkassen-, Bank- und Versicherungswesen; Werbung. Wert, Preis, Währung; 

     Lohn,Gehalt,Lebenshaltungskosten. Einzelunternehmen, Personal- und Kapitalgesellschaften; Wettbewerb und Monopol, Kartelle und Konzerne;

     Unternehmergewinn, Unternehmer und Arbeiter, Konjunkturlehre .

     Wirtschaftspolitik; Wirtschaftsplanung, Subventionierung,

     Sozialisierung, Besteuerung, Zölle, Anleihen, Staatsbudget.

     Sozialprodukt, Import, Export, Handels- und Zahlungsbilanz.  

     .

     3.Bemerkungen zur methodisch-didaktischen Behandlung:

     Bei der Auswahl und Darbietung des Lehrstoffes ist vor allem zu berücksichtigen, daß das Fach „Wirtschaftskunde“ die

     Allgemeinbildung erweitern soll und keine Vorbereitung auf eine Fachbildung anstrebt. Es soll daher vor allem die Kenntnisse

     derjenigen Schüler zeitgemäß abrunden, die später beruflich n i c h t  mit Handel, Handwerk oder Industrie in enger

     Verbindung stehen werden.

     Der Blickwinkel aus dem hier die Wirtschaft gesehen werden soll, muß deshalb sein:  

     a) aus der Sicht des Kunden,

     b) der des verantwortungsbewußten Staatsbürgers,

     c) der des Eigentümers von - auch kleinem - Privatvermögen.

     Zur praxisnahen Gestaltung werden Übungen mit Formblättern erforderlich sein. Exkursionen in Geldinstitute, in Handels-

     und Erzeugungsbetriebe werden als wertvolle Ergänzung empfohlen.                                                 .

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Betrachtet man diesen publizierten Versuchslehrplan,  so findet man in ihm  - möglicherweise unter etwas anderen Ausdrücken - praktisch alle Inhalte,  die später im  Wirtschaftskundeteil des  erst durch das  SCHOG  1962  neu geschaffene Schulfachs „Geographie und Wirtschaftskunde“ verlangt wurden.

Der Unterschied zum späteren  Regellehrplan ist primär in dem Passus zu sehen, daß ab dem LP 1967 der Unterricht in „Wirtschaftskunde“ zusammen mit der „Geographie“ zu erfolgen hat.

Josef MENTSCHLs individueller Versuch 1962, stellte somit eine wesentliche Erweiterung der Inhalte des Freifachs „Wirtschafts und Gesellschaftskunde“  des  „provisorischen“ Lehrplans von 1946 dar !

Anm.: Interessant (oder typisch ? für den Ablauf von Schulreformbestrebungen in Österreich) war, daß  MENTSCHLs Name in den Lehrplankommissionen - sowohl 1963 und 1965  n i c h t  aufscheint - siehe dazu die Namen der Mitglieder angeführt bei LEITNER L./ E. BENEDIKT  1967 - und im nächsten Kapitel dieser Arbeit.

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